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Die Versetzung ist gefährdet. Das Zeugnis, dass der Kirche der Gegenwart von der Öffentlichkeit ausgestellt wird, ist mangelhaft, wenn nicht gar ungenügend. Allzuoft wohl hat sie das Thema verfehlt. Wo Zukunftsweisendes gefordert war, verharrt sie in Vergangenem. Wo Orientierung gesucht wurde, erweist sie sich selbst als orientierungslos. Strebsam hatte sie nur allzu oft den moralischen Zeigefinger erhoben; nun aber wurde sie der mehrfachen Täuschung überführt. Setzen, Sechs! – so lautet das Urteil der Welt über eine Kirche, die das Heiligsein verlernt zu haben scheint.
Blaue Briefe hatte sie in der Vergangenheit genug bekommen, aber nie wirklich ernst genommen. Wer mit der Ewigkeit umgeht, hat es selten nötig, sich mit Irdischem zu befassen. So redete man sich die immer fataler werdende Situation selbst schön. Nachhilfe in modernem Zeitverständnis? Den bösen Zeitgeist braucht doch niemand! Man hat sich bisher doch auch immer irgendwie durchgemogelt.
Nun aber scheint alles ein wenig anders zu sein. Die Mängel sind unübersehbar geworden. Aber die Schülerin „Kirche“ ist noch uneinsichtig. Sie wähnt sich doch tatsächlich als Lehrerin einer Welt, die sich nicht nur längst von ihr emanzipiert hat. Die Welt ist zur Kommission geworden, vor der die Wahrheiten, für die die Kirche eintritt, einer harten Prüfung unterzogen werden. Was in der Theorie noch gut klingen mag, muss nun den Praxistest bestehen. Keine Wahrheit ohne Wirklichkeit. Was soll man aber von einem Schüler halten, der im Klassenzimmer den Lehrer spielt, aber auf der falschen Seite des Pultes sitzt. Da keiner mehr lacht, reicht es noch nicht einmal zum Klassenclown.
Meister der Prokrastination
Man kann die Angst der ekklesialen Pennäler vor der Weltenprüfung förmlich riechen. Tutorien und Lernzirkel hat man veranstaltet, Gesprächs- und Dialogprozesse – nichts hat wirklich auf die Sprünge geholfen. Man ist endlich stolz, das Prinzip der Dampfmaschine verstanden zu haben – in einer Zeit der Digitalisierung! Man ergeht sich in ergreifenden Liturgien ohne Weltbezug; beschwört einen Glaubens-, Gläubigen- und Priestermangel, ohne zu erkennen, dass nicht die Welt für die Kirche da ist, sondern die Kirche für die Welt da sein sollte. Und so beruft man den nächsten Lernzirkel ein, den synodalen Weg, bestückt mit den immerselben Tutoren, die sich bisher schon als Meister der Prokrastination erwiesen haben. Solange diese Männer – und bisweilen sogar Frauen – der Kirche glauben, sie könnten sich eine eigene Welt erschaffen, statt die erschaffene Welt selbst wahrzunehmen, werden sie die Wirklichkeit, wie sie ist, nicht annehmen können.
Das Phänomen an sich ist nicht neu. Die Kirche glaubte immer schon, sie könne der Welt vorschreiben, wie sie ist. Angefangen von Adam und Eva, als monogenetischen Ureltern, bis hin zu einer Erde, die still stehend von der Sonne umkreist wird – nichts war ihr letztlich peinlich genug, um gegen alle Beweise die eigene Weltsicht stur und fest zu behaupten, bis die eigene Würde in Lächerlichkeit zu versinken drohte. So lief man der Wirklichkeit immer hinterher und kam meist zu spät – die Welt war längst weitergezogen. Wie es sich für schlechte Schüler gehört, ist auch die Schülerin Kirche um Ausreden nie verlegen. Der böse Zeitgeist ist dann ebenso schuld, wie zu schwere Aufgaben im Matheabitur des Jahres 2019. Hinterher hinkend kann die Kirche keine Forderungen stellen. Und so dreht sie ihre Ehrenrunden …
Milchtrinker sind keine Lehrer
Die sich demütig tarnende, in Wirklichkeit eher faul-devote Grundhaltung begegnet schon in neutestamentlicher Zeit. Der Autor des Schreibens an die Hebräer etwa tadelt seine Adressaten deutlich und konfrontiert sie mit dem Klassenziel:
Darüber hätten wir viel zu sagen; es ist aber schwer verständlich zu machen, da ihr träge geworden seid im Hören. Denn obwohl ihr der Zeit nach schon Lehrer sein müsstet, braucht ihr von Neuem einen, der euch in den Anfangsgründen der Worte Gottes unterweist; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben, nicht feste Speise. Denn jeder, der noch mit Milch genährt wird, ist unerfahren im richtigen Reden; er ist ja ein unmündiges Kind; feste Speise aber ist für Erwachsene, deren Sinne durch Gebrauch geübt sind, Gut und Böse zu unterscheiden.
Lehrer sollten sie sein, nicht Milchtrinker, die sie noch sind. Milchtrinker aber sind noch nicht einmal Schüler. Hier wir die devote Demut der Frommen als Weigerung enttarnt, die Verantwortung für das Werk zu übernehmen, dass ihnen anvertraut ist. Jede Zeit hat ihre neuen Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen. Die Kenntnis des Prinzips der Dampfmaschine löst aber nicht die Fragen der Digitalisierung. Kreatives Weiterdenken ist gefragt, der geübte Gebrauch der Unterscheidung von Gut und Böse, der eben kein Ergebnis eines obskuren Sündenfalls ist, sondern die notwendige und offenkundig gottgewollte Voraussetzung verantwortungsbewusster und mündiger, eben erwachsener Entscheidungen. Wenn selbst die Heilige Schrift nicht auf alle Fragen der Welt eine Antwort zu geben imstande ist, muss man eben so handeln, wie es die Heilige Schrift selbst empfiehlt. Ein Paradox? Wohl kaum, wenn man dem Vorgehen des Paulus folgt, der in der korinthischen Gemeinde mit der Frage der Ehe zwischen Getauften und Ungetauften konfrontiert, antwortet:
Den Übrigen sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, weiter mit ihm zusammenzuleben, soll er sie nicht verstoßen.
Das ist die Antwort des Paulus, nicht die des Herrn. Der Herr hat sich zu dieser Frage eben nicht geäußert. Und trotzdem muss sie beantwortet werden. Paulus erweist sich hier als wahrer Lehrer. Der Schüler repetiert nur, was man ihm vorsagt; die Aufgabe des Lehrers hingegen ist es, auf neue Fragen Antworten zu finden.
Hinterherlaufende Schüler
Bevor man freilich zum Lehrer wird, bedarf es einer Zeit der Ausbildung. Auch Lehrer fallen nicht vom Himmel. Bevor jemand selbst zur Meisterschaft reift, muss er seinem eigenen Meister hinterherlaufen – bisweilen sogar eine lange Zeit. So ist es auch mit denen, die Jesus selbst ruft, ihm hinterherzulaufen und sie so zu seinen Jüngern macht:
Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen: Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.
Die Wendung „und folgten Jesus“ nach, heißt im altgriechischen Original ἀπῆλτον ὀπίσο αὐτοῦ (gesprochen: apêlton opíso autoû). Wörtlich übersetzt bedeutet das „sie gingen hinter ihm her“, wobei das ὀπίσο (gesprochen: opíso) stark betont, dass hier tatsächlich an ein Laufen „hinter“ Jesus gedacht ist. Darin wird die Lehrer-Schüler-Beziehung geradezu physisch dokumentiert: Der Lehrer schreitet voran, die Schüler laufen hinter ihm her. So können sie sein Verhalten beobachten, von ihm lernen und ihn nachahmen. Er definiert den Weg, den auch sie gehen sollen.
Nachfolge als Lernzeit
Nachzufolgen, hinterherzulaufen ist die Handlungsanweisung der Lernenden. Jesus bildet seine Schülerschaft, indem er die, die er als Schüler will, hinter sich ruft. So ist es auch bei Levi:
Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Da stand Levi auf und folgte ihm nach.
Im Vers danach begegnet im Markusevangelium erstmalig der griechische Begriff μαθητής (gesprochen: mathetés), der häufig mit „Jünger“ wiedergegeben wird, vor allem aber die Konnotation „Schüler“ in sich trägt. Die Jünger sind Schüler. Jesus ist der Lehrer. Wer hinter ihm her läuft, ist ein Lernender. Die Zeit der Nachfolge erscheint damit primär als Lernzeit.
Tatsächlich begegnet der Begriff μαθητής vorzugsweise in den Evangelien, dort aber in übergroßer Zahl. Aus dieser Perspektive sind die Evangelien jenseits der zentralen Fokussierung auf die Passionsgeschichte und der Darstellung des öffentlichen Wirkens, Redens und Handelns Jesu eben auch Darstellung der Lernzeit der Jünger. In diesem Sinne sind sie Lehrschreiben für diejenigen, die sich selbst auf den Weg Jesu machen. Es wundert daher nicht, dass es – wie es für Lehrschreiben und -bücher üblich ist –, eine Reihe von Lehrsätzen gibt, die sich gut memorieren lassen. Die Sammlung der Jesusworte in der matthäischen Bergpredigt (Matthäus 5,1-7,29) oder der lukanischen Feldrede (Lukas 6,20-49) gehören hier ebenso hin, wie das markante Wort von der Kreuzesnachfolge:
Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
Das ist gewissermaßen das Lernziel, das es zu erreichen gibt – und an dem die Jünger Jesu in der Lernzeit regelmäßig scheitern:
Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären: Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden. Da nahm ihn Petrus beiseite und begann, ihn zurechtzuweisen, und sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Der Schüler Petrus hat das Lernziel noch nicht erreicht. Er hat sich zwar mit Messiasbekenntnis wenige Verse zuvor (vgl. Matthäus 16,13-20) ein Fleißkärtchen verdient; für das Erreichen des Klassenzieles aber reicht es noch nicht …
Abschlussprüfung
Die Reifeprüfung der Jünger steht in Jerusalem bevor. Kreuzestod und Auferstehung werden für sie zur großen Herausforderung werden –: der Kreuzestod, weil er die absolute Vernichtung und Niederlage der jesuanischen Bewegung zu manifestieren scheint (nicht umsonst laufen die Schüler Jesu im Moment seines Scheiterns weg);, die Auferstehung, weil sie eine Herausforderung des Verstehens bedeutet. Jesus, der gute Lehrer, bereitet seine Jünger auf diese große Prüfung vor. Vor allem das Johannesevangelium dokumentiert in den Abschiedsreden (Johannes 13-17) eine Art Tutorial für die Jünger, das in der Fußwaschung mit einer mächtigen Symbolhandlung mit hohem didaktischem Potential eingeleitet wird:
Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt.
Es ist nun für die Schüler an der Zeit, das Gelernte selbst in die Tat umzusetzen. Mehr noch: Sie sollen jetzt endlich ihren Meister nachahmen. Aus Hinterherläufern sollen Nachahmer werden – oder in der Redeweise Jesu „Zeugen“:
Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr legt Zeugnis ab, weil ihr von Anfang an bei mir seid.
Eine entscheidende Haltungsänderung
Die Intention, aus Schülern/Jüngern erwachsene Zeugen zu machen, steht auch am Beginn der Apostelgeschichte, wenn der Auferstandene vor seiner Himmelfahrt seine ehemaligen Schüler freispricht und entsendet:
Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.
Aus μαθηταί (gesprochen: mathetaí – Schüler) sollen nun μάρτυρες (gesprochen: mártyres – Zeugen) werden. Als ständiger Beistand wird ihnen dabei der Heilige Geist zur Seite stehen.
Damit ist eine entscheidende Haltungsänderung intendiert: Nach Kreuzestod und Auferstehung handeln die ehemaligen Jünger nun an seiner Stelle. Sie haben nach ihrer Reifeprüfung die Zeungisfähigkeit erhalten – und damit verbunden auch die Aufgabe, auf neue Fragen neue Antworten im Geist Jesu zu finden. Wo früher er berührbar war, der nun durch Kreuzestod, Auferstehung und Himmelfahrt unberührbar geworden, ist, sollen seine Zeugen nun berührbar werden; wo früher er vorangegangen ist, sollen die, die früher hinterhergelaufen sind, nun zu Zeugen werden, die Vorangehen. Wahrlich: Diese Zeugen sollten Fortgeschrittene sein.
In der Tat fällt bei einem Blick in eine Konkordanz auf, dass das Wort μαθητής (gesprochen: mathetés – Schüler) im Unterschied zu den Evangelien in der neutestamentlichen Briefliteratur keine Verwendung mehr findet. Stattdessen findet sich dort verstärkt das Wortfeld μαρτυρεῖν/μαρτυρία/μαρτύριον/μάρτυς (gesprochen: martureîn/martyría/martyrion/mártys), das die Konnotation der Zeugenschaft stark in den Vordergrund rückt. Das Wortfeld als solches begegnet auch in den Evangelien. Auffällig aber ist das Fehlen des Terminus „Jünger“/„Schüler“ in der neutestamentlichen Briefliteratur. Offenkundig ist mit Kreuzestod und Auferstehung Jesu ein wesentlicher Wechsel – oder wie man heute auch sagt: ein „Change“ – in der Haltung intendiert: Aus Schülern sind Zeugen geworden, Persönlichkeiten, die selbst, wie es der eingangs zitierte Hebräerbrief intendiert, Lehrer sein sollen.
Entscheidende ist auf’m Platz
Ob jemand selbst die Fähigkeit, Lehrer zu sein, erlangt hat, ist weniger eine Frage der Theorie. Schüler kennen das ja: Ein Referendar bzw. eine Referendarin können noch so gute Noten haben … wenn die Persönlichkeit das theoretisch Gelernte nicht zu decken imstande ist, hilft alle graue Theorie nicht. Das Leben ist der Spielplatz der Lehre. Nur jene Theorie taugt, die den Praxistest besteht.
Das lernen auch die frühen Christen. In Antiochia etwa zieht man aus dem Paradox der gottgewirkten Auferstehung des nach der Thora am Kreuz gottverlassen Gestorbenen den Schluss, dass nun nicht mehr allein die Thora vor Gott gerecht macht. Auch der Glaube an den vom Kreuzestod Auferstandenen macht vor Gott gerecht. Folglich können auch Heiden in diese Lehre gehen und zu Lehrern heranreifen – man beginnt mit der Heidenmission und tauft Heiden. Der sich darin anbahnende Konlikt mit den judenchristlichen Traditionalisten in Jerusalem wird auf dem Apostelkonzil (vgl. hierzu Apostelgeschichte 15,1-19 und Galater 2,1-10) besprochen und kreativ gelöst. Wie bei solchen kreativen und neuen Lösungen, die ein Fortschreiten in der Geschichte bedeuten, gibt es immer einige, die hinterherhinken und noch ihre Zeit brauchen, das Neue zu begreifen. Damals war es wieder einmal Petrus, der seine Zeit brauchte, wie der sogenannte antiochenische Zwischenfall zwischen Paulus und Petrus (auf hebräisch: Kephas) zeigt:
Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, habe ich ihm ins Angesicht widerstanden, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte. Bevor nämlich einige von Jakobus eintrafen, hatte er mit den Heiden zusammen gegessen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete. Und mit ihm heuchelten die anderen Juden, sodass auch Barnabas durch ihre Heuchelei mitgerissen wurde. Als ich aber sah, dass sie nicht geradlinig auf die Wahrheit des Evangeliums zugingen, sagte ich zu Kephas in Gegenwart aller: Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben? Wir, die wir von Geburt Juden sind und nicht Sünder aus den Heiden, wissen, dass der Mensch nicht aus Werken des Gesetzes gerecht wird, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus; so sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gelangt, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Fleisch gerecht.
Lernen braucht Zeit, bisweilen Widerstand, in jedem Fall aber praktische Erprobung. Die auf dem Apostelkonzil kreativ gefundene Lösung der zu Zeugen herangereiften ehemaligen Jünger aber setzt sich schlussendlich durch: die heutige Kirche ist zu ihrem weitausüberwiegenden Teil eine Kirche aus Heidenchristen: Kaum einer weist das jüdische Bundeszeichen der Beschneidung auf.
Lehrer und Zeugen gesucht!
In vielen kirchlichen Dokumenten ist immer noch von Nachfolge und Jüngerschaft die Rede. Das ist sicher nicht verkehrt. Es braucht auch heute noch die Zeit des Lernens für jene, die erst am Beginn der Reifung im Glauben stehen. Für diese Zeit des Glaubenlernens in Wort und Tat sind die Evangelien immer noch ein hervorragendes Lernbuch, um Jesus auf seinem Weg hinterherzulaufen. Und doch muss die Zeit kommen, wo aus Jüngerinnen und Jüngern gereifte Zeuginnen und Zeugen werden, Menschen, die aufhören, sich von Milch zu ernähren, sonder die feste Speise eines Glaubens zu sich nehmen, der sich dem Leben, wie es nun einmal ist, stellt. Solche Zeuginnen und Zeugen des Glaubens könnten Lehrerinnen und Lehrer der Welt sein, deren Wort Gewicht hat, weil sie wirklich etwas zu sagen haben. Die Welt würde wahrscheinlich nicht in allem zustimmen – aber hinhören, weil da Menschen von dem reden, was ihr Leben ausmacht. Solche Lehrer und Zeuginnen braucht es heute – Jüngerschaft ist da auf Dauer zu wenig. Solche Lehrerinnen und Zeugen aber sind imstande, auf neue Fragen, neue Antworten zu finden. Sie gab es zu allen Zeiten in der Kirche. Heute aber nimmt niemand mehr einen Paulus wahr, der – obschon er kein Wort des Herrn hatte – um Antworten ringt. Heute bemüht man einem unmündigen Kind gleich den Herrn immer dann, wenn man nicht mehr weiter weiß: Weil der Herr nur Männer zu Apostel berufen hat, können die Kirche hier auf nicht anders … waren das aber nicht alles auch galiläische Juden? Wieso erlaubt sich die Kirche, Heiden, Nichtjuden zu weihen? Und was ist mit Maria von Magdala, die schon Zeugin des Auferstandenen war, als der, den Jesus liebte, sich immer noch als Jünger verstand?
Habt doch Mut, endlich Lehrer zu sein. Gott braucht aufrechte Zeuginnen und Zeugen, Ruferinnen und Rufer in der Wüste, sonst vergisst die Welt seinen Namen. Nicht die Kirche muss entwickelt werden, die Jünger Jesu müssen sich entwicklen. Wenn der nun ausgerufene synodale Weg wirklich mehr als die fruchtlose Fortführung ewiger Gesprächsprozesse sein soll, müssen aus Mitläufern Fortgeschrittene werden. Wer jetzt noch hinterherhinkt, den bestraft des Leben. Er braucht Menschen, mit diesem Feuer im Herzen, jenem Feuer eines Geistes, der in der Welt weht. Wehe euch Zauderern, wenn er sich nicht doch als Geist in der Zeit erweisen sollte. Löscht das Feuer nicht aus! Zeugt endlich! Zeugt wieder Glauben!
Bildnachweis
Titelbild: Abitur (Christoph Schönbach – nach einer Idee von Werner Kleine) – lizenziert als CC BY-SA 2.0