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Was mag der Schöpfer sich nur dabei gedacht haben, als er den Menschen männlich und weiblich erschuf, auf dass er sich nicht durch Stecklinge oder Ableger vermehre, sondern durch Sexualität? Und damit der Mensch fruchtbar sei und sich vermehre, hat es dem Schöpfer offenkundig auch noch gefallen, den Menschen mit Lust in dieses Procedere zu locken, damit die Übung auch gelinge. In der Schrift antwortet doch selbst der Engel Gabriel auf die eher skeptisch denn grundgläubig fragende Maria, nachdem er ihr die Empfängnis eines Kindes verkündet:
Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.
Wenn bei Gott also prinzipiell nichts unmöglich ist, warum hat es ihm dann grundsätzlich doch gefallen, dass der Mensch sich eben über den Weg der Fleischeslust vermehre? Sollte der Sex dann nicht doch mehr göttlich als Folge der Erbsünde sein? Schließlich erlässt Gott seinen an die Menschen gerichteten Schöpfungsbefehlt ja lange bevor überhaupt über Sünde gesprochen wird. Während Letzteres in der Bibel überhaupt das erste Mal in der Kain-und-Abel-Erzählung der Fall ist:
Der HERR sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? Ist es nicht so: Wenn du gut handelst, darfst du aufblicken; wenn du nicht gut handelst, lauert an der Tür die Sünde. Sie hat Verlangen nach dir, doch du sollst über sie herrschen.
erscheint der Schöpfungsbefehl selbst als Hineinnehmen des Menschen in das Schöpfungswerk Gottes selbst:
Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!
Die Sexualität, die Voraussetzung für die fruchtbare Vermehrung ist, erscheint hier geradezu als Segen. Liebe kann keine Sünde sein!
Blühende Neurosen
Gleichwohl feiert die Kirche alle Jahre wieder am 8. Dezember das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Sie gedenkt dann ihrer unbefleckten Empfängnis. All diese Sprachbilder suggerieren, dass Sex zumindest für die frommen Seelen dann doch weniger ein Segen ist, sondern – ungeachtet des biblischen Befundes, dass der göttliche Vermehrungsbefehl Teil des paradiesischen Lebens ist, lange bevor die Sünde durch den Brudermord Kains ihren Weg in das menschliche Dasein fand – als Fleischeslust dem Geist zuwiderläuft. Das ist an sich zwar zutiefst gnostisch und damit an sich eigentlich häretisch. Die Gnosis war eine Lehre, die insbesondere im zweiten und dritten Jahrhundert. Die gnostische Dualität zwischen verderbter Materie, die den lichtvollen Geist gefangen hält und deshalb überwunden werden muss, widerspricht zwar an sich der grundständig positiven Sicht der Leiblichkeit innerhalb der christlichen Theologie; trotzdem hat sich zahlreiche frühchristliche Denkerinnen und Denker beeinflusst, deren Wirkungsgeschichte teilweise bis in die Gegenwart reicht. Man denke nur an die Erbsündenlehre des Augustinus, die impliziert, dass die Sündhaftigkeit des Menschen durch den elterlichen Geschlechtsakt von einer Generation an die andere vererbt wird. Auf dem Humus solcher Denkweisen können nur Neurosen blühen, denn die Geschlechtlichkeit und die Sexualität gehören zur Conditio humana dazu – und sie sind gerade nicht teuflisch, sondern gottgegeben und gottgesegnet.
Der neurotische Mensch aber traut selbst seinem Schöpfer nicht über den Weg. Er sieht in der Sexualität ein Danaergeschenk, dem mit Skepsis zu begegnen ist. Erteilt Gott seinen Segen nicht eher, um den Menschen auf die Probe zu stellen? Sexuelle Enthaltsamkeit und Askese werden dann zum Königsweg eines Heils, das man sich schließlich verdient hat. Wenn da der Asket an sich nicht mal auf dem Holzweg ist, zählte Jesus selbst sich offenkundig nicht unbedingt zu den Asketen:
Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt und sie sagen: Siehe, ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder! Und doch hat die Weisheit durch ihre Taten Recht bekommen.
Was wird Gott denen wohl sagen, die so fromm seine segens- und lebensvolle Gabe abgewiesen haben?
Eine Frucht des Misstrauens
Die Askese erscheint demgegenüber eher als Ausdruck menschlichen Misstrauens, das auch in eine skeptische Sicht auf die Sexualität mündet. Vermehren sich nicht sogar die Tiere auf diesem Weg? Kann das Animalische wirklich gottgewollt sein? Es kann – möchte man sagen –, denn in „animalisch“ steckt ja immerhin „anima“ drin; und bedeutet „anima“ nicht „die Seele“? Wie soll der Mensch denn sonst den Willen Gottes erfüllen, wenn nicht durch den Segen gottgeschenkter Leiblichkeit und Sexualität. Sonst wäre der Mensch gerade nicht Mensch, sondern ein Busch oder ein Kaktus, der Luftwurzeln schlagend Gleiches vom Gleichen weitergibt. Allein: Büsche loben Gott bloß durch ihre pure Existenz, nicht aber aus Erkenntnis!
Die Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist demgegenüber ein Ergebnis sexualitätsgesteuerter Evolution. Erst indem sich immer neue Kombinationen ergeben, konnte die Schöpfung das Wesen Mensch hervorbringen, ein Wesen, dass nicht nur sich selbst erkennt, sondern auch zur Frage nach dem Urgrund allen Seins fähig ist. Wahrhaftig: Die Sexualität ist ein Segen, denn sie ermöglicht erst jene Vielfalt, die das Leben aufweist.
Wenn wir auf Gottes Liebe in der Liebe Jesu treffen, dann treffen wir nicht auf Agape, im
Unterschied etwa zum Eros (...) Vielmehr geht es hier um eine ausgewählte Form erotischer
Attraktion. Martin Buber
Fleischeslob
Die Schrift selbst weist also eine mehr als positive Sicht auf die Sexualität auf. Die schimmert sogar in der skeptischen Frage der Maria durch, die sich eben nicht vorstellen kann, ohne die übereinkommende Zusammenkunft mit einem männlichen Gegenpart schwanger zu werden. In der Tat erscheint die Schwangerschaft Mariens weniger als Ausdruck freiwilliger Zustimmung, denn als ein Ergeben in eine Überwältigung, wenn sie schließlich antwortet:
Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.
Γένοιτό μοι κατὰ ῥῆμά μου (gesprochen: génoitó moi katà rhêmá mou). Während das γένοιτο (gesprochen: génoito) als Optativ des Aorist Mediums noch suggerieren kann, dass es sich um einen freiwilligen Wunsch der Maria geht, der hier in Erfüllung gehen soll, determiniert das folgende κατὰ ῥῆμά μου (gesprochen: katà rhêmá mou) den Wunsch als doch eher fremdgesteuert. Hinzu kommt, dass sich Maria selbst als δούλη (gesprochen: doúle – wörtlich: Sklavin) definiert: Ihr bleibt eben keine Wahl als sich in ihr Schicksal zu fügen. Die deutsche Übersetzung „Magd“ erscheint da fast schon verniedlichend, zumal wenn man beachtet, dass der Vorgang selbst in Lukas 1,35 als ἐπέρχεσθαι (gesprochen: epérchesthai), als „Überkommen“ beschreiben wird – ein Wort, das auch verwendet wird, wenn man von einem Feind angefallen wird oder ein widerwärtiges Ereignis bestanden werden muss1). Aber selbst hier scheint die schöpferische Komponente durch, ist das griechische γένοιτο doch semantisch verwandt mit γένος (gesprochen: génos – Kind), γένεσις (gesprochen: génesis – Schöpfung), vor allem aber mit γόνος (gesprochen: gónos – Zeugung, Begattung). Selbst der Geist Gottes wählt offenkundig den Weg einer sexuellen Zeugung – auch wenn nach dem Zeugnis des Lukas kein menschlicher Partner im Spiel war. Was auch immer in Nazareth damals geschah – das Ergebnis ist die Fleischwerdung des Wortes Gottes:
Und das Wort ist Fleisch geworden (ἐγένετο – gesprochen egéneto) und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Fleisch – σάρξ (gesprochen: sárx) – das ist viel zu materialistisch ausgedrückt, um vergeistigt werden zu können. Offenkundig gefällt dem Höchsten das, was er gemacht hat: Das Fleischliche ist nichts, wessen der Mensch sich zu schämen hätte. Nein: Im Fleischlichen wird der göttliche Schöpfungsakt ständig neu vergegenwärtigt. Deshalb verwendet Johannes hier eben das ebenfalls mit γένεσις (gesprochen: génesis) verwandte ἐγένετο (gesprochen: egéneto).
Ein Missverständnis
Und trotzdem wird die Zeugung der Maria, derer die römisch-katholische Tradition am 8.12. gedenkt, als unbefleckt bezeichnet. Hier freilich ist es an der Zeit, mit einem selbst in christlichen Kreisen weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Die unbefleckte Empfängnis der Maria meint nicht die Verkündigung der Geburt Jesu, die faktisch dessen göttliche Zeugung impliziert. Sie bezieht sich vielmehr auf die Zeugung Mariens selbst.
Freilich wird das Missverständnis zumindest innerhalb der römisch-katholischen Kirche noch dadurch vertieft, wenn deren Leseordnung als Evangelium für das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria eben die Verkündigung der Geburt Jesu vorsieht (Lukas 1,26-38). Hinzu kommt wohl auch, dass aus dem Kanon des Neuen Testamentes nur äußerst wenig über Maria selbst bekannt ist. Neben einigen Anekdoten aus dem Leben Jesu, in denen sich eher eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung offenbart, die im Johannesevangelium erst am Kreuz eine versöhnliche Wendung zu nehmen scheint, wenn Jesus sich offenkundig um die Zukunft seiner Mutter sorgt:
Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Ansonsten aber ist das Interesse gerade der frühesten christlichen Schrift an Maria eher gering. Paulus etwa weiß bloß festzustellen:
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen.
Wie Maria in das Scheinwerferlicht geriet
Entweder kannte er den Namen der Mutter tatsächlich nicht oder er erschien ihm nicht wichtig. Wichtig ist nur die Existenz Jesu selbst. Er steht im Vordergrund.
Gleichwohl wecken solche Leerstellen Begehrlichkeiten. Das Herz der Menschen lässt sich nicht durch nüchterne Fakten, so bedeutsam sie auch sein mögen, wärmen. Er möchte auch wissen, wie sich denn die Geburt des Gottessohnes ereignet hat. Und hier kommen Matthäus, in diesem Zusammenhang hier vor allem aber Lukas ins Spiel. Sowohl Matthäus als auch Lukas rekonstruieren aus den damals wohl bekannten Fakten (Geburt in Betlehem, Aufwachsen in Nazareth, Mutter mit Namen Maria, die mit einem Mann namens Josef zusammenlebte) und dem, was in den Schriften und Propheten über den Messias gesagt wird, die heute bekannten Weihnachtserzählungen (siehe Matthäus 1-2 und Lukas 1-2). Vor allem Lukas widmet Maria, der Mutter Jesu in seiner Geburtserzählung besondere Aufmerksamkeit. Er ist es, der im Unterschied zu Matthäus, deren Jungfräulichkeit besonders herausstellt. Zwar beschreibt auch Matthäus Maria mit Rückgriff auf Jesaja 7,14 als Jungfrau, wobei er aus der dort zu findenden עלמה (gesprochen: almah), also einer „jungen Frau“, selbst eine παρθένος (gesprochen: parthénos), also eine „Jungfrau“ macht; bei Lukas hingegen wird die Jungfräulichkeit Mariens nicht nur mehrfach erwähnt (vgl. Lukas 1,26 und 1,27) , sondern vor allem durch deren Selbstbeschreibung hervorgehoben:
Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?
Es ist vor allem die Jungfräulichkeit Mariens, die Jesus als menschgewordenen Sohn Gottes erweist – so wie es später im nicänischen Glaubensbekenntnis heißen wird:
Gezeugt, nicht geschaffen.
Genau dieser Aspekt kulminiert in der Jungfrauen-Titulatur. Insofern es immer unmittelbar sicher ist, dass die Frau, die eben geboren hat, die Mutter des Kindes ist2), ist das bei dem angenommenen Vater noch lange nicht so. Die kollektive Psyche der Menschheit führt daher in der Regel beim Anblick eines Neugeborenen daher nicht ohne Grund zu der affektiven Aussage „Ganz der Vater!“, um den über Jahrhunderte in seiner Rolle als Ernährer der Familie Hineingeworfenen in seiner Vermutung, auch der Erzeuger zu sein, zu bestärken. Nun ist bei Jesus sicher, dass die Mutter eine Menschin war, deren Name „Maria“ war. Wenn in Kreuzestod und Auferstehung Jesus sich aber nun als Sohn Gottes erwiesen hat, dann kann Gott jetzt eben nur der Vater sein. Gott als Vater kann nun freilich ein Kind leibhaftig, mithin also sexuell, nicht aber per Geschlechtsakt nach Menschenart zeugen. Sonst hätte eine Inkarnation ja schon vorher stattfinden müssen. Genau das führt theo-logisch zu der Aussage der Jungfräulichkeit Mariens. Das aber lässt die Frage aufkommen lässt, warum gerade diese Maria von Nazareth hier in Frage kommt?
Befriedigung
Die menschliche Neugier ist ein Trieb, der nach Befriedigung strebt. Im Lukasevangelium wird die Besonderheit Mariens lediglich im Gruß des Engels lakonisch erwähnt:
Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden.
Was aber heißt es, wenn Maria „Gnade findet“ (εὗρες χάριν – gesprochen: heûres chárin)? Lukas beschreibt hier mit wenigen Worten die Exklusivität Mariens. Der Engel ist eben ich vorher bei vielen anderen Kandidatinnen gewesen, die aber nicht eingewilligt haben. Maria erscheint als Auserwählte. Was aber ist und wann findet sie diese Gnade? Wer ist diese Frau, die würdig ist, von Gott auserwählt zu sein? Das alles sind neue Fragen, die einer Antwort harren.
Es sind diese Leerstellen, die nicht nur die Neugier der Menschen, sondern auch deren Phantasie beflügeln. Neugier und Phantasie sind der Humus, aus dem Forscherdrang, aber auch Erzähllust erwachsen können. Gerade in der Zeit des frühen Christentums entsteht eine Erzähltradition, die diese Leerstellen, die in den Evangelien häufig zu finden sind, mit Lust und Genuss narrativ füllt – oft nicht ohne Einfluss der geistigen Strömungen zeitgenössischer Kontexte. Eine der äußerst wirkungsvollen Texte, die hier entstehen, ist das Protoevangelium des Jakobus3). Es entsteht wahrscheinlich in der Mitte zweiten Jahrhundert und fand wohl rasch Verbreitung. Es würde nicht nur ins Arabische, Syrische, Koptische, Äthiopische, Lateinische oder Slawische übersetzt; auch Clemens von Alexandrien (gestorben 215) und Origines (gestorben 253/254) kannten es bereits. Als Protoevangelium („Vorevangelium“) erzählt es die Geschichte vor Jesus, weshalb es keine Aufnahme in den Kanon des Neuen Testamentes gefunden hat und zu den sogenannten „apokryphen“ Schriften zählt. Im Mittelpunkt des Protoevangeliums des Jakobus steht die Geschichte der Maria. Er befasst sich dort deshalb nicht nur mit den besonderen Umständen der Geburt Jesu, bei der ebenfalls die Jungfräulichkeit Mariens betont wird, indem eine Hebamme namens Salome sogar eine nachgeburtliche Untersuchung des Jungfernhäutchens vornimmt (vgl. hierzu )– übrigens eine Szene, die sich auf vielen Krippendarstellungen findet, wenn neben der oft unter einer Decke liegenden Maria eine Frau kniet, die die Hand auf oder unter der Decke hat (vgl. hierzu Protoevangelium des Jakobus 19-20).
Wenn Küssen schwanger macht
Der frühchristliche Text ist aber auch im Zusammenhang des Hochfestes der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria von Bedeutung, das weniger im Neuen Testament, sondern im Protoevangelium des Jakobus seine Traditionsbegründung findet. Nachdem dort über die Kinderlosigkeit Joachims und Annas erzählt wird, der späteren Eltern der Maria), wird berichtet, wie die schon in die Jahre gekommene Anna sich klagend an Gott wendet, bevor ihr ein Engel die Erhörung ihrer Bitten in Aussicht stellt (vgl. Protoevangelium des Jakobus 1-3). Daran anschließend trägt sich die Empfängnis Mariens auf folgende Weise zu:
Und siehe, da kamen zwei Boten und meldeten ihr: »Siehe, Joachim, dein Mann, ist im Anmarsch mit seinen Herden.« Ein Engel des Herrn nämlich war zu ihm hinabgestiegen und hatte ihm gesagt: »Joachim, Joachim! Erhört hat der Herr Gott deine Bitte. Geh hinab von hier! Denn siehe: dein Weib Anna wird schwanger werden.« und Joachim war hinabgezogen und hatte seine Hirten gerufen und geheißen: »Bringet mir zehn Lämmer hierher, ohne Makel und Fehl! Die sollen dem Herrn meinem Gott gehören. Und bringt mir zwölf zarte Kälber! Die sollen für die Priester und die Ältestenschaft sein. Und hundert Ziegenböcke für das ganze Volk! Und siehe, Joachim kam mit seinen Herden gezogen, und Anna stand an der Tür und sah Joachim kommen. Da lief sie und hängte sich an seinen Hals und sagte: »Jetzt weiß ich, dass der Herr Gott mich reichlich gesegnet hat. Denn siehe, die Witwe ist keine Witwe mehr, und ich Kinder-lose soll schwanger werden.« Und Joachim gab sich den ersten Tag der Ruhe hin in seinem Hause. Protoevangelium des Jakobus 3
Es ist diese Begegnung in der Tür, die die christliche Tradition an die goldene Pforte Jerusalems, durch der Messias einziehen wird, verlegt, die Geschichte macht. Anna hängt sich an den Hals des Joachim – bildnerisch wird oft ein Kuss dargestellt. Es ist dieser Kuss, der Anna mit Maria schwanger werden lässt, völlig unbefleckt, irgendwie asexuell, aber empfangend.
Werft nicht Gottes Segen weg!
Das Protoevangelium des Jakobus ist schon ein Ergebnis seiner Zeit. Umso mehr ist es dessen spätere Interpretation. Gerade weil Sexualität unter gnostischem Einfluss als Makel angesehen und Askese als Weg der Befreiung angesehen wurde, sah man in der vermeintlich unbefleckten Empfängnis der Maria ihre Freiheit von der Erbsünde, die sie erst würdig macht, den Gottessohn zur Welt zur bringen. Dass dabei dessen Zeugung viel weniger schamhaft, sondern vielmehr als Überschattung (ἐπισκιάζειν – gesprochen: episkiazein) und Überkommen (ἐπέρχεσθαι – gesprochen: epérchesthai) als unübersehbar körperliches, ja ergreifendes und überwältigendes Ereignis beschrieben wird, sollte die Asketen aller Zeiten eigentlich erschüttern. Gott ist der Sex und die Begierde nicht nur nicht fremd. Er hat sie geschaffen. Er hat sie gewollt. Sie sind Teil des Schöpfungssegens. Und so erzählt die Menschwerdung des Gottessohnes viel mehr als von einer bloß platonischen Liebe. Nein: Der Mensch ist Gott wohl eine Sünde wert. Und so ist auch wohl die Jungfräulichkeit Mariens kein Wert in sich, sondern Ausdruck und Bekenntnis zu einem besonderen, einzigartigen Ereignis: Gott wird Mensch! Das Wort wird Fleisch! Achtet also den Leib und all das, was Gott sonst noch geschaffen hat, nicht gering! Wenn schon Gott sah, dass es gut so war, sollte der Mensch es nicht besser wissen.
Bildnachweis
Titelbild: Die Begegnung von Anna und Joachim an der goldenen Pforte (Giotto – Arena-Kapelle Padua – Ausschnitt: Werner Kleine) – Quelle: Wikicommons – gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu Walter Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testamentes und der frühchristlichen Literatur, Berlin 1988, Sp. 577. |
2. | ↑ | Zumindest nach herkömmlichen Maßstäben. Die Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin führen auch hier zu neuen Maßstäben, bei denen zu fragen ist, ob sie dem Menschen wirklich dienen oder ob sich der Mensch hier nicht unzulässig in die Schöpfung eingreift – eine Frage, deren Antwort erst spätere Generationen geben können, wenn es vielleicht schon zu spät ist, oder hoffentlich nicht. |
3. | ↑ | Der Text ist in einer wissenschaftlichen Übersetzung und Ausgabe greifbar bei Wilhelm Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I: Evangelien, Tübingen 1990, S. 334-349, oder online unter http://www.jakobus-weg.de/aJakw/3Spiritua/Jkevangel.htm [Stand: 9. Dezember 2018]. |
Danke für endlich diesrn wunderbaren Artikel. Ich finde es so notwendig in der heutigen Zeit das Thema Einzubeziehen vielleicht hilft es die katholisch Kirche zu erhalten.