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Disput·Res publica

Verschleierte Frauen: Rebekka, Tamar, Susanna Das Burka-Verbot und das Alte Testament


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Ein „Stück Stoff“ sorgt für große Aufregung im Sommerloch. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte sich anfangs gegen ein Burka-Verbot ausgesprochen, obwohl seine Amtskollegen aus der CDU auf Landesebene sich für ein Verbot der Vollverschleierung eingesetzt hatten. Nun hat man sich auf die Forderung nach einem Burka-Verbot light geeinigt: In Schulen, vor Gerichten und beim Autofahren soll eine Vollverschleierung verboten sein.1) Aber der Kompromiss verdeckt die dahinterstehenden, grundlegenden Fragen: Wie weit reicht die Religionsfreiheit? Was darf der Staat seinen Bürgern vorschreiben? Wo endet Toleranz?

Im Jahre 2012 hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten veröffentlicht, gemäß dem ein generelles Burka-Verbot verfassungswidrig wäre. Ein generelles Burka-Verbot würde gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes verstoßen. Das Tragen der Burka ist durch das Recht auf eine freie und freiwillige Religionsausübung geschützt.2) In Frankreich und Belgien hingegen gilt ein Verschleierungs-Verbot.3) 2014 hat der Europäische Gerichtshof gegen die Klage eines Franzosen entschieden, dass der Staat das Recht hat ein solches Verbot zu erlassen. Die Richter erklärten, dass die Burka eine Barriere zwischen der Frau und der Umwelt errichte. Eine Vollverschleierung untergrabe somit das Gefühl des Zusammenlebens in einer Gesellschaft.4) Im Alten Testament findet sich weder ein Gebot noch ein Verbot der Vollverschleierung von Frauen. Aber auch hier finden sich Geschichten von verschleierten Frauen: z.B. Rebekka, Tamar und Susanna.

Rebekka

In Genesis 24 wird die erste Begegnung von Isaak mit seiner zukünftigen Frau Rebekka berichtet. Abraham der Vater Isaaks hatte seinen Knecht zurück in seine alte Heimat geschickt, da er seinen Sohn nicht mit einer Kanaaniterin verheiraten wollte. Dort fand der Knecht unter den Verwandten Abrahams Rebekka, die zukünftige Frau Isaaks. Sie verließ ihre Familie mit dem Knecht und machte sich auf den Weg nach Kanaan.

Rebekka brach mit ihren Mägden auf. Sie bestiegen die Kamele und folgten dem Mann. Der Knecht nahm Rebekka mit und trat die Rückreise an. Isaak war in die Gegend des Brunnens von Lahai-Roï gekommen und hatte sich im Negeb niedergelassen. Eines Tages ging Isaak gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu beschäftigen. Als er aufblickte, sah er: Kamele kamen daher. Auch Rebekka blickte auf und sah Isaak. Sie ließ sich vom Kamel herunter und fragte den Knecht: Wer ist der Mann dort, der uns auf dem Feld entgegenkommt? Der Knecht erwiderte: Das ist mein Herr. Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich. Genesis 24,61-65

Rebekka ist auf der Reise und auch gegenüber dem Knecht Abrahams nicht verschleiert. Erst als sie auf ihren zukünftigen Ehemann trifft, verhüllt sie sich mit einem Schleier. In der Erzählung ist es auffallend, dass zuvor bei der ersten Begegnung zwischen dem Knecht und Rebekka der Schleier nicht erwähnt wird. Somit scheint der Schleier im Zusammenhang mit der kommenden Hochzeit zu stehen bzw. Teil des Hochzeitsbrauchtums zu sein. Allerdings steht eine solche Deutung im Kontrast zur einzigen anderen Verwendung des hebräischen Wortes צָעִיף (geprochen: zaif), das hier mit „Schleier“ übersetzt wird: Tamar verhüllt sich mit einem Schleier (צָעִיף) und gibt sich als Prostituierte aus.

Tamar

Ebenso wie Rebekka trägt auch Tamar in Genesis 38 einen Schleier. Dieser weist sie jedoch nicht als zukünftige Braut aus und er dient auch nicht als Respekterweis. Sondern mit dem Schleier macht sie sich bewusst unkenntlich. Nachdem ihr Ehemann Er gestorben war, hatte Juda ihr seinen anderen Sohn Onan zum Ehemann gegeben, der auch starb. Nach dem Tod der beiden Söhne war Juda nicht mehr gewillt, Tamar mit einem weiteren Sohn zu verheiraten, obwohl es das Gesetz vorschreibt (Deuteronomium 25,5-6).5) Um ihr Recht jedoch durchzusetzen und einen Nachkommen für Ihren verstorbenen Mann zu empfangen, verschleiert sich Tamar:

Man berichtete Tamar: Dein Schwiegervater geht gerade nach Timna hinauf zur Schafschur. Da zog sie ihre Witwenkleider aus, legte einen Schleier über und verhüllte sich. Dann setzte sie sich an den Ortseingang von Enajim, der an der Straße nach Timna liegt. Sie hatte nämlich gemerkt, dass Schela [= der Sohn Judas] groß geworden war, dass man sie ihm aber nicht zur Frau geben wollte. Juda sah sie und hielt sie für eine Dirne; sie hatte nämlich ihr Gesicht verhüllt. Genesis 38,13-15

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Tamar und Juda auf einem Holländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts

Tamar tauscht ihre traditionelle Witwenkleidung gegen einen Schleier. Anders als in der Geschichte Rebekkas weist der Schleier Tamar nicht als zukünftige Braut aus. Eine völlig entgegengesetzte Lesevariante ist möglich: hier könnte der Schleier auf den Status der Frau als Prostituierte hinweisen. Allerdings ist dies eher unwahrscheinlich. Gemäß dem mittelassyrischen Rechtsbuch ist es Prostituierten gar verboten sich zu verschleiern.6) Eher deutet der Ort, an dem sich Tamar befindet – am Ortseingang, wartend an der Straße – ihren Status bzw. ihre Verkleidung als Prostituierte an (vgl. Jeremia 3,2; Ezechiel 16,25). Der Schleier hat hierbei die Funktion der Unkenntlichmachung, wie es die Erzählung selbst betont: Das Gesicht ist verhüllt, Juda erkennt Tamar nicht und hat Geschlechtsverkehr mit ihr.

Susanna

Im Falle Rebekkas ist der Schleier wahrscheinlich ein Symbol der Keuschheit, das sie als zukünftige Braut ausweist. Für Tamar ist der Schleier ein Trick, mit dem sie Juda überlisten kann. Allgemein ist der Schleier im Alten Testament ein Zeichen von Ehre und Würde. Eine Entblößung entspricht im Denken der hebräischen Bibel einer Entwürdigung. In Daniel 13 wird erzählt, wie die verheiratete und sehr schöne Susanna von zwei Männern, die als Ältesten ein Richteramt innehatten, begehrt wird. Sie locken sie in einen Hinterhalt und wollen sie zum Geschlechtsverkehr zwingen. Sie verweigert sich aber und wird daraufhin von den Männern mit der falschen Anschuldigung, sie sei eine Ehebrecherin, vor Gericht gebracht. Vor dem Gericht erscheint Susanna verschleiert und die Ältesten entwürdigen sie, indem sie sie entschleiern:

Susanna war anmutig und sehr schön. Sie war aber verschleiert. Um sich an ihrer Schönheit zu weiden, befahlen die Gewissenlosen, sie zu entschleiern. Da weinten ihre Angehörigen, und alle, die sie sahen, begannen ebenfalls zu weinen. Daniel 13,31-33

Der Schleier symbolisiert in diesem Falle die Unschuld Susannas und dient als Schutz vor den lüsternen Blicken der Kläger. Der Zwang, den Schleier abzulegen, zielt auf einen Statusverlust (vgl. auch Jesaja 47,2).

Freiwilligkeit

Rebekka, Tamar und Susanna verschleiern sich freiwillig. Sie werden nicht gezwungen, sondern sie selbst nutzen die Verschleierung: Rebekka zeigt mi ihr Status als Braut an; Rebekka nutzt die Verschleierung um ihren Willen durchzusetzen; Susanna versucht sich durch die Verschleierung vor den Übergriffen der Männer zu schützen. Sie verschleiern sich nicht, weil es ein Gesetz vorschreibt, sondern sie tun es aus eigenem freien Willen und/oder weil es im Falle von Tamar vielleicht der Tradition entspricht.7) Alttestamentlich betrachtet ist die Entschleierung gar eine Strafe.

Jedoch ist das Recht zur Verschleierung weder durch das Alte Testament noch durch das Recht auf Religionsfreiheit vollends abgesichert. Besonders die Geschichten Tamars und Susannas sprechen für das Recht auf die freiwillige Entscheidung. Niemand darf dazu gezwungen werden, sich verschleiern zu müssen oder sich zu entschleiern. In der modernen Gesetzgebung ist das Recht auf Religionsfreiheit insofern durch das Recht auf Selbstbestimmung begrenzt, als dass keine Frau von ihrem Mann dazu genötigt werden darf, bestimmte Kleidung zu tragen. Aber wenn das Tragen einer Burka der freie Entschluss einer Frau ist, dann muss eine Gesellschaft dies tolerieren – sowie die Gesellschaft Bikinis und Ordenstracht ohne Zwang nebeneinander ertragen kann.

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Bildnachweis

Titelbild: „Woman with Burqa“, fotografiert von Dirk Haas, die Rechte liegen bei Afghanistan Matters. Lizenz unter CC BY-SA 2.0.

Bild im Textverlauf: „ Tamar und Juda auf einem holländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts“. Lizenz: gemeinfrei.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Siehe „Vollverschleierung: Unionsinnenminister wollen Burkaverbot light“, SPIEGEL Online, 19.08.2016 [Stand: 20. August 2016].
2. „Ein generelles Verbot der Burka im öffentlichen Raum verstößt gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes und lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ein Verbot kommt nur im Einzelfall als Ergebnis einer Abwägung mit kollidierenden Verfassungsgütern in Betracht.“ (Auszug auf der Seite von MdB Wolgang Bosbach).
3. Vgl. „So gehen andere EU-Länder mit einem Burka-Verbot um“, Leon Scherfig, Berliner Morgenpost, 17.08.2016 [Stand: 20. August 2016].
4. Gerichtshof für Menschenrechte: Frankreichs Burka-Verbot für rechtens erklärt“, SPIEGEL Online, 01.07.2014 [Stand: 20. August 2016].
5. Vgl. dazu: „„Familie“ – biblisch-kompliziert! Die Bibel und das normative Familienbild“, Till Magnus Steiner, Dei Verbum [Stand: 20. August 2016].
6. Vgl. Mittelassyrisches Rechtsbuch Tafel A § 40 – siehe die englische Übersetzung, darin I.40.
7. In keinem der drei Fälle ist die Frau gezwungen sich zu verschleiern, sondern sie tut es aus freiem Entschluss. Dieser Punkt kann im Falle Rebekkas bezweifelt werden, wenn man davon ausgeht, dass Gesellschaftskonventionen sie dazu zwingen den Schleier anzulegen. Die Auslegung des Textes gibt jedoch keinen Aufschluss darüber, ob es eine solche Gesellschaftskonvention gegeben hat.
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