„Stern über Bethlehem zeig uns den Weg“, klingt es nun bald wieder durch die Kirchen und Wohnzimmer, „führ uns …“. In den privaten, kirchlichen und gesellschaftlichen Krisen, zwischen Alltagsproblemen, Klimakatastrophe und kirchlicher Identitätssuche sucht man alle Zeit einen Leitstern, anhand dessen man sich verorten und an dem man sich ausrichten kann. Zur Zeit Jesu Geburt gab es in der römischen Welt den astrologischen Glauben, dass jeder Mensch einen Stern habe, der mit der Geburt entsteht und mit dem Tod vergeht. Diese Auffassung, dass „jeder einen Stern in den Himmeln hat, und nach seinen Werken auch sein Stern leuchtet“ ist auch noch in der mittelalterlichen, jüdischen Exegese zu finden (Midrasch Tehillim Ps 148 §1). In der Weihnachtsgeschichte des Matthäus ist der Stern, der die Magier aus dem Osten bis nach Bethlehem führt „sein Stern“ – der Stern des „neugeborenen Königs der Juden“:
Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.
In der Antike gibt es sowohl aus dem griechischen, römischen als auch dem jüdischem Herrschaftsbereich Münzen, auf denen ein Stern als Symbol des Königs zu sehen ist. Der Stern über Bethlehem ist das Herrschaftssymbol des hilflosen Säuglings, der als König der Juden ohne weltliche Herrschermacht am Kreuz sterben wird. In vielerlei Weise wird im Alten Testament Gott als Weltenherrscher mit der Lichtmetaphorik verbunden und dies resoniert in der Adventszeit:
Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf.
Steh auf [Zion], werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir.
Im Buch Numeri wird ein kommender König prophezeit – vermutlich David – der das Volk Moab, die als Feinde Israels gelten, vernichten wird. Sein Kommen wird wie das Aufgehen eines Sternes beschrieben:
Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel.
Im Alten Testament steht in diesen Stellen der Stern oder das Licht in der Finsternis für Gott oder den von ihm eingesetzten Erlösung bringenden König. Im Evangelium nach Matthäus führt der Stern die Magier zu Jesus Christus. In der Geschichte der Textauslegung fehlt es nicht an kreativen Versuchen, ihn rational zu erklären. Im Jahr 7 v. Chr. gab es mehrfach eine besondere Jupiter-Saturn-Konstellation. Für das Jahr 5 v. Chr. belegen chinesische Astronomen einen Kometen. Doch alle diese Beobachtungen verkennen, dass es in der Erzählung um einen Wunderstern geht, der zielgerichtet von Jerusalem nach Betlehem zur Krippe wandert.
Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.
Der einzige Sinn des Sterns ist die temporäre Führung. Aufgrund seiner Entstehung gehen die Magier nach Jerusalem, von dort führt er sie nach Bethlehem – und danach spielt er keine Rolle mehr. Gott selbst weist den Magiern im Traum ihren Weg nach Hause. Der Sinn des Sterns in der Erzählung ist den Neugeborenen als König auszuweisen und die Magier zu ihm hinzuführen, damit der Leser und die Leserin erkennen, dass in der Krippe wirklich ein Herrscher in den Windeln liegt, dessen Macht sich dann ganz im Gegensatz zum weltlichen Denken entfalten wird. Der Stern über Bethlehem hat seinen Dienst getan – es gibt keinen Grund mehr zu singen: „Stern über Bethlehem, schein auch zuhaus“. Nun gilt es im Evangelium nach Matthäus nicht mehr dem Stern zu folgen, sondern Jesus, der am Ende dieses Evangeliums zu seinen Jüngern sagt:
Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
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