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Es ist eine deutsche Schande! Inmitten des Volkes, das die Verantwortung für die Schoa durch die Geschichte zu tragen hat, kann sich ein Jude auf der Straße nicht mehr sicher fühlen, wenn er eine Kippa trägt. Ist das Recht auf Religionsfreiheit nur schwarze Tinte auf weißem Papier? „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen“1), erklärte der Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein.
Wo ist die sogenannte deutsche Leitkultur, die doch so laut gefordert wird? Zeigt sie sich in den 90% der Täter der 1800 antisemitischen Straftaten2) im vergangenen Jahr? Deutsche Rechtsextreme – eine Minderheit der Gesellschaft – leben ihren Antisemitismus wieder in aller Öffentlichkeit inmitten der demokratischen, freien Gesellschaft aus. Und der mahnenden Worte gibt es viele. Doch Worte allein besiegen den Antijudaismus und den Antisemitismus nicht, der sich schon seit Jahrhunderten durch die deutsche und die christliche Geschichte zieht.
Schon der Verfasser des Johannes-Evangeliums ließ Jesus zu den Juden sagen:
Ihr habt den Teufel zum Vater und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm. Wenn er lügt, sagt er das, was aus ihm selbst kommt; denn er ist ein Lügner und ist der Vater der Lüge.
Nein, das ist kein Glaubensdogma. Das ist eine Aussage, die es durch die Kenntnis ihres historischen Kontextes zu verstehen gilt. Die jüdischen, an Jesus Glaubenden finden keinen Anschluss an das Judentum. Sie werden ausgegrenzt und stehen der Verneinung ihres Messias hilflos gegenüber. Entschuldigt diese historische Einordnung, den sich in diesen Worten ausdrückenden Antijudaismus? Nein. Aber diese historische Perspektive hilft die eigene heilige Schrift besser zu verstehen und sich nicht die Sicht verstellen zu lassen. Auch im Johannes-Evangelium gilt: Israel ist Gottes auserwähltes Volk.
… das Heil kommt von den Juden.
Das Christentum hat sich fest in den heiligen Schriften des Judentums verankert. Jesus, seine Mutter Maria, seine Apostel … sie waren Juden. Und wenn Christen „ihre“ Psalmen beten, dann sagen sie zu Gott:
Wer bringt vom Zion her Rettung für Israel? Wenn der HERR das Geschick seines Volkes wendet, jubelt Jakob, freut sich Israel.
… und …
Gott, erlöse Israel aus all seinen Nöten!
Doch nun ist es an der Zeit, Juden, die durch das Tragen der Kippa ihre Gottesfurcht zum Ausdruck bringen, nicht nur mit Worten beizustehen. Es ist an der Zeit, radikal gegen den Antijudaismus und den Antisemitismus vorzugehen. Wenn Juden und Jüdinnen sich in Deutschland heute nicht sicher fühlen können, dann ist das ein Armutszeugnis für diese sogenannte „deutsche Leitkultur“. Gehört zum christlichen Abendland der Hass gegen Juden und Jüdinnen immer noch dazu?
Bildnachweis
Titelbild: Ohne Titel, fotografiert von Mabel Amber. Lizenz: Pixabay Lizenz.
Einzelnachweis
1. | ↑ | zitiert nach: “Regierung warnt Juden vor Tragen der Kippa, WELT online, 25.05.2019 [Stand: 27. Mai 2019].” |
2. | ↑ | siehe “Zahl antisemitischer Straftaten steigt um knapp 20 Prozent“, WELT online, 14.05.2019 [Stand_ 27. Mai 2019]. |
Wir sollten alle kippa tragen.
Da bin ich einer anderen Meinung. Die Kippa ist seit dem 16. oder 17. Jahrhundert ein jüdisches Symbol, das man in Solidarität nicht vereinnahmen sollte. Die Kippa ist Ausdruck der jüdischen Frömmigkeit. Was ist dadurch gewonnen, wenn Christen und andere Menschen nun anfangen eine Kippa zu tragen? Das ist meiner Ansicht nach eine reine Symbolpolitik! Es bedarf aber mehr! Selbst wenn alle Deutschen, egal welcher Religion, Kippot tragen würden, müssten doch weiterhin zum Beispiel Polizeiwagen zum Schutz vor Synagogen stehen. Es müssen nun Antworten darauf gefunden werden, wie Antijudaismus und Antisemitismus aus der Gesellschaft verdrängt werden können!
Danke für diesen Kommentar. Ich werde hier auch angefragt, ob wir da nicht Solidaritätsaktionen starten sollten. Ich bin da grundsätzlich auch skeptisch. M.E. sollten solche Aktionen nie ohne Rücksprache mit den jüdischen Kultusgemeinden stattfinden. Die Kippa ist ein jüdisches Symbol, das nicht einfach und grundsätzlich vereinnahmt werden sollte – zumal es in engem Zusammenhang mit der jüdischen Frömmigkeit steht und deshalb nicht ohne Weiteres zum Politikum stilisiert werden sollte.