Ein Gottesdienst ohne Lobgesang ist eine abwegige Vorstellung – nur sechs Personen zusätzlich zu einem Leiter mit einem Abstand von mindestens zwei Metern dürfen in einem Gottesdienst singen? Wo ist das laute Halleluja aller Gläubigen? Die Schutzverordnung ist kein Gesangbuch – und die gegenwärtige Realität eine Herausforderung. Der Lobgesang verstummt.
Aber du [Gott] bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels.
Der gesungene Lobpreis Gottes ist sein Thron. Mit diesem Bild ist die Gegenwart Gottes im Gottesdienst gemeint, wenn durch preisende Gesänge seine Gegenwart gefeiert wird. Mittelalterliche Ausleger haben dementsprechend die Loblieder Israels mit den Wolken des Weihrauches verglichen, die zu Gott hinaufsteigen und ihm einen Thron bilden. In diesem Bild ist der Lobpreis eine Stütze der Macht Gottes auf Erden. Der erhabene Gott thront aber im Himmel auch ohne unseren Lobgesang. Die frühen Übersetzungen von Psalm 22,4 bieten eine zweite Verstehensmöglichkeit: „Du bist thronend als Lobpreis Israels“. Gott ist in seiner Macht der Anlass des erklingenden Lobpreises – aber was ist, wenn der Lobpreis verstummt?
Durch die Geschichte des Judentums und des Christentums hindurch sind wir aufgefordert, Gott immer neue Loblieder zu singen.
Singt dem HERRN ein neues Lied, singt dem HERRN, alle Lande, singt dem HERRN, preist seinen Namen! Verkündet sein Heil von Tag zu Tag!
Unsere christliche Existenz soll ein Lied sein! Doch worüber können wir heute noch neue Lieder singen? Die großen Taten Gottes scheinen für viele in der weit entfernten Vergangenheit zu liegen. Heute solch ein neues Lied zu singen, setzt voraus, dass wir in unserem Leben Gott als handelnden Retter und Erlöser erleben – so wie es uns der Beter in Psalm 40 in den Mund legt:
Er zog mich herauf aus der Grube des Grauens, aus Schlamm und Morast. Er stellte meine Füße auf Fels, machte fest meine Schritte.
Aus einer solchen Erfahrung erwächst das neue Lied:
Er gab mir ein neues Lied in den Mund, einen Lobgesang auf unseren Gott. Viele sollen es sehen, sich in Ehrfurcht neigen und auf den HERRN vertrauen.
Wenn die altbekannten Lieder verstummen, entsteht eine unangenehme Stille. Bietet sie Platz für neue, persönliche Lieder? Wo sind unsere neuen Lieder in dieser Pandemie? Ihr Ort ist nicht in der Kirche, sondern im Alltag. Nur wir können sie singen – und in den meisten Fällen sind es Solo-Stücke.
Bildnachweis
Titelbild: Das lizenzfreie Foto stammt aus der Bilddatenbank pxhere.
Ist äußerliche Stille wirklich so unangenehm, wie Sie meinen?
Ich kenne aus meiner Jugend- und Kinderzeit noch die so. Still essen, besonders eben auch werktags morgens, die ich z. T. auch als Messdiener mitfeiern durfte.
Das waren sehr innige und geradezu intime Gelegenheiten, Gottes Geheimnis auf geradezu mystische Art etwas näher zu treten und etwas davon für sich in den lauten Alltag draußen in der Welt mitzunehmen und im Herzen zu bewahren.
In der jetzigen Corona-Pandemie könnte man solche Formen von anderer alternativer Frömmigkeit gegenüber dem hergebrachten neu entdecken und üben.
Ich kann das natürlich deshalb leichten Herzens empfehlen, weil ich selbst ein stockunmusikalischer Sänger bin und eh nur leise mitbrummte, um niemanden in meiner Umgebung mit meinem Falschgesang etwa zu belästigen.
Wir könnten jetzt auch Gebete wie die Psalmen etc. im Wechsel gebetet, neu entdecken.