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Disput·Ecclesiastica·Oecologica

Palin, Palin Gedanken eines Neutestamentlers über amazonische Liebeserklärungen und ein ekklesiales Murmeltiersyndrom


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Der Papst sitzt in der Falle – und mit ihm eine Kirche des Westens, die der Erlösung harrt: O Heiliger Vater, sprich nur ein Wort, dann wird unsere Seele gesund … hört man es allenthalben raunen. Genau genommen sollten es sogar zwei Worte sein, die das Oberhaupt der katholischen Kirche römischer Provenienz sprechen soll, um die Schafe vom Joch der Ungerechtigkeit zu befreien: Er soll endlich den Zölibat aufheben, wenigstens aber lockern und die Weihe von Frauen ermöglichen. Zwischen Vision und Utopie ist da wenig Spielraum. Wer auch immer hoffte, die Weihe von Frauen wäre eine Option, muss bisher mit Augen und Ohren im Land somnambulischer Parallelwelten gewandelt sein. Nicht nur, dass Papst Johannes Paul II bereits im 22. Mai 1994 in seinem Apostolischen Schreiben „Ordination sacerdotalis“ kraft seines Amtes erklärt hat, dass die Kirche keine Vollmacht habe,

„Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben“1).

Auch haben seine beiden Nachfolger, die Päpste Benedikt XVI und Franziskus, diese lehramtliche Feststellung bestätigt. Man kann lange kirchenrechtliche Diskussionen über die Frage führen, ob es sich bei dieser Feststellung nicht sogar um eine unfehlbare Äußerung des Papstes handelt, eine allein schon von der Formulierung her hochrangige Äußerung des authentischen Lehramtes ist sie selbst dann, wenn sie sich einen Millimeter unterhalb der unzweifelhaften Kriterien für eine unfehlbare Äußerung des Papstes bewegen würde. Sie ist verbindlich. Das gilt es nicht zuletzt deshalb zu respektieren, weil Franziskus bereits kurz nach seiner Wahl zum Papst feststellt:

„Zur Frauenordination hat sich die Kirche bereits geäußert und sie sagt: nein. Das hat Johannes Paul II. gesagt und zwar mit einer definitiven Erklärung. Diese Tür ist geschlossen.“2)

Bleibt also nur noch die Hoffnung wider alle Hoffnung (vgl. Römer 4,18)?

... und der Zölibat?

Nun hat, nachdem im Oktober 2019 die sogenannte „Amazonien-Synode“ getagt hatte, Papst Franziskus am 2. Februar 2020 das nachsynodale Apostolische Schreiben „Querida Amazonia“ (QA) – „Geliebtes Amazonien“ veröffentlicht. Der Text war mit viel Spannung erwartet worden, empfahl die Amazonien-Synode in ihrem Schlussdokument3) doch die Priesterweihe verheirateter Diakone um dem eklatanten Priestermangel im Amazonasgebiet abzuhelfen. Unter besonderer Würdigung und Wertschätzung des Zölibates heißt es dort:

„Wir schätzen den Zölibat als Geschenk Gottes (…), sofern diese Gabe dem zum Priester geweihten missionarischen Jünger ermöglicht, sich voll und ganz dem Dienst am Heiligen Volk Gottes zu widmen. Der Zölibat stimuliert zu pastoralem Engagement. Und wir beten dafür, dass es viele Berufungen gebe, die das zölibatäre Priestertum leben können. (…) In Anbetracht dessen, dass die legitime Vielfalt der Gemeinschaft und Einheit der Kirche keinen Schaden zufügt, sondern sie vielmehr zum Ausdruck bringt und ihr dient (…), wie die Vielzahl von Riten und die verschiedenartigen Ordnungen bezeugen, schlagen wir vor, dass die zuständige Autorität im Rahmen von ‚Lumen gentium‘ Nr. 26 solche Kriterien und Ausführungsbestimmungen festlegt, nach denen geeignete und in der Gemeinde anerkannte Männer zu Priestern geweiht werden können.“4)

War das der entscheidende Durchbruch für die Aufhebung des Pflichtzölibates? Bei genauer Betrachtung handelt es sich eher um Tippelschrittchen, denn die ständigen Diakone, um die es hier geht, geloben ja auch den Zölibat und dürfen nach dem Tod der Ehefrau, so sie denn bei ihrer Weihe verheiratet waren, keine weitere Ehe eingehen.

Trotzdem schien sich hier eine kleine Revolution anzubahnen. Man kann sich nur allzu gut vorstellen, wie mit Kirchenthemen befasste Redakteurinnen und Redakteure in aller Welt sich am 12. Februar 2020, dem Tag der Veröffentlichung des nachsynodalen Apostolischen Schreibens „Querida Amazonia“ dessen pdf-Version auf die eigenen Rechner herunterladen und noch vor dem Lesen der ersten Zeilen das Dokument nach den entscheidenden Begriffen „Aufhebung des Zölibats“, „Ehelosigkeit“ und „Frauenweihe“ durchsuchen. Die Enttäuschung ist freilich groß, führt die Suche nach diesen Begriffen ins Leere, was einen wahren Horror vacui auslöst, eine Höllenangst gepaart mit der Wut über das Ausbleiben längst angemahnter und allzu überfälliger Reformen. Die großen Hoffnungen, die man in Papst Franziskus gesetzt hatte, wurden erneut enttäuscht. Nun haben die Schafe ein ums andere Mal und schon so lange ihren Hirten darum gebeten, endlich Revolution machen zu dürfen. Der aber erlaubt es ihnen nicht, sondern schreibt einen Liebesbrief, gespickt mit lateinamerikanischer Poesie, einen Aufruf – nicht allgemein und abstrakt zur Bewahrung der Schöpfung – sondern konkret zur Rettung des amazonischen Regenwaldes. Der ist für das Leben der Welt global von Bedeutung5), weil es ohne Sauerstoff, dafür aber mit steigender Erdtemperatur keine Priester mehr brauchen wird, wenn die Menschheit sich selbst abgeschafft hat. Er klagt die Menschen- und vor allem Frauenschänder6) an und ruft die Welt auf, nicht bloß eine Option für die Armen zu behaupten, sondern die Ausgegrenzten und Ausgeschlossenen als Hauptpersonen zu begreifen (QA 27). Arme Schafe, dass der Papst aber auch nicht begreifen will, dass die Abschaffung des Zölibates die oberste Vision sein muss, wenn die Tür für die Frauenweihe schon geschlossen ist … Arme Schafe, Papa erlaubt diese Revolution nicht. Da kann man wohl nur weiter schmollen und wieder grasen gehen – wieder!

Palinsyndrom

Der 02.02.2020 ist in vieler Hinsicht ein besonderes Datum. Es ist nicht nur das Fest der Darstellung des Herrn und das Abfassungsdatum des nachsynodalen Apostolischen Schreibens „Querida Amazonia“, sondern auch ein „Palindrom“. Nach dem internationalen Datumsformat, dass die europäische ISO-Norm 86017) regelt, kann man das Datum sowohl von vorne wie von hinten lesen. Mit Blick auf die erwartbaren Reaktionen auf „Querida Amazonia“ erweist sich das Datum daher als geradezu prophetisch, sind sie doch immer wiederkehrend. Die Fragen der Frauenweihe und des Zölibates scheinen zu einem ekklesialen Murmeltiersyndrom zu werden, an dem sich Reformforderinnen und -abwehrer gleichermaßen festbeißen. Palin, palin – eher passen Pommes Frites in eine Flasche, als dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden. Palin, palin – der Zölibat scheint zur Grundfeste der Kirche geworden zu sein. Palin, Palin, vor und zurück, hin und her, und immer wieder – es dreht sich alles um diese Fragen, die sicher wichtig sind – hängt von ihnen aber wirklich jene zentrale kirchliche Vision ab, die Papst Franziskus mit speziellem Blick auf Amazonien, sicher aber mit geweiterter Perspektive auf die ganze Welt formuliert? -nämlich das Recht der Menschen

„auf die Verkündigung des Evangeliums, besonders auf jene grundlegende Verkündigung, die als Kerygma bezeichnet wird und die ‚die hauptsächliche Verkündigung [ist], die man immer wieder auf verschiedene Weisen neu hören muss und die man in der einen oder anderen Form […] immer wieder verkünden muss‘“8).

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Immer wieder scheinen die Jünger einen entscheidenden Moment zu verschlafen. Ob sie so wirklich einmal Zeugen werden können? (TalPassion - Gethsemane - Annette Marks/Katholische Citykirche Wuppertal - 2014)

Kann eine Kirche, die nur um sich selbst kreist, noch Zeugnis von diesem Kerygma geben? Ist eine Kirche, die sich selbst zur Marke macht, überhaupt noch Werkzeug in den Händen Gottes zum Heil der Menschen, wie es das zweite Vatikanische Konzil in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium über die Kirche (LG 1) formuliert? Oder ähnelt eine solche Kirche, die in ihrem eigenen Palin-Syndrom von Forderung und Abwehr in Sachen Frauenweihe und Zölibatsfragen wie in einer Zeitschleife eines ewig gleichen Diskurses gefangen ist, ermüdet von nicht enden wollenden Grabenkämpfen, in denen alle Zitate in perpetuierender und tautologischer Redundanz ein ums andere Mal von wirklich allen immer noch einmal wiederholt werden, nicht eher den schlafenden Jüngern, die den Beginn des göttlichen Erlösungshandelns in Kreuzestod und Auferstehung verschlafen und darin ihre Unfähigkeit unter Beweis stellen, zur Stelle zu sein, wenn es darauf ankommt? Der Evangelist Matthäus führt die Szene eindringlich vor Augen:

Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wieder (πάλιν – gesprochen: pálin) ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille. Als er zurückkam, fand er sie wieder (πάλιν) schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen. Und er ließ sie, ging wieder (πάλιν) weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten. Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Siehe, die Stunde ist gekommen und der Menschensohn wird in die Hände von Sündern ausgeliefert. Steht auf, wir wollen gehen! Siehe, der mich ausliefert, ist da. Matthäus 26,36-46

Dreimal kurz nacheinander weist der Text das Wörtchen πάλιν (gesprochen: pálin – wieder) auf. Wieder geht er weg, wieder kommt er zurück und findet sie schlafend vor, wieder geht er weg. Die Jünger begreifen den Ernst der Lage nicht. Die eigene Befindlichkeit – hier die Müdigkeit – geht vor. Und dann kommt der „Point of no return“ – die Stunde der Auslieferung ist da. Nichts geht mehr – rien ne va plus!

Rien ne va plus?

Ende und aus! Da scheint auch die enttäuschte Quintessenz aus „Querida Amazonia“ zu sein, denn der berührenden Liebeserklärung an ein geschundene Region und den dort lebenden Indigenen folgt ab QA 99 eine ebenso verklärende wie aus Sicht modernen Geschlechterverständnisses auch verstörende Passage über „die Kraft und die Gabe der Frauen“:

„Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters. Dieser Dialog zwischen Bräutigam und Braut, der sich in der Anbetung vollzieht und die Gemeinschaft heiligt, sollte nicht auf einseitige Fragestellungen hinsichtlich der Macht in der Kirche verengt werden. Denn der Herr wollte seine Macht und seine Liebe in zwei menschlichen Gesichtern kundtun: das seines göttlichen menschgewordenen Sohnes und das eines weiblichen Geschöpfes, Maria. Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben. Auf diese Weise bleiben wir nicht bei einem funktionalen Ansatz stehen, sondern treten ein in die innere Struktur der Kirche. So verstehen wir in der Tiefe, warum sie ohne die Frauen zusammenbricht, so wie viele Gemeinschaften in Amazonien auseinandergefallen wären, wenn es dort keine Frauen gegeben hätte, die sie aufrechterhalten, bewahrt und sich ihrer angenommen hätten. Hier wird sichtbar, was ihre spezifische Macht ist.“ (QA 101)

Exegeten zukünftiger Generationen werden vielleicht feststellen, dass der stilistische Bruch zwischen amazonischer Poesie in QA 1-98 und ekklesialem Kitsch ab QA 99 auf verschiedene Verfasserschaften hindeuten könnte. Ob die Kirche als Braut des Lammes (vgl. Offenbarung 19,7-8) wirklich darin sichtbar werden muss, dass ein Mann der Eucharistie feiernden Gemeinschaft vorstehen muss, wie es in QA 101 heißt? Auch wenn hier immerhin davon die Rede ist, dass er dies als „Zeichen des einen Priesters“ tut und damit eben der Bedeutung der Christusrepräsentation eine wichtige Relativierung beigegeben wird, muss man doch fragen, ob die Symbolik hier nicht zu eng auf Äußerlichkeiten geführt wird – zumal sich die Frage stellt, ob der so zeichenhaft agierende Priester/Mann, der ja eben nicht Bräutigam, aber offenkundig auch nicht Braut ist, überhaupt in das hochzeitliche Geschehen der Vermählung einbezogen ist. Ist er vielleicht nur eine Art Weddingplaner, der die Vermählung zwar gestaltet, aber nicht ins Brautgemach darf? Diese polemische Übertreibung offenbart eben den Kitsch – jene Engführung und Beschränkung von Zeichen auf Äußerlichkeiten, die bei näherer Betrachtung zwar süß schmecken, aber eben auch Karies und Fäulnis verursachen.

Das alles hilft freilich nichts, trägt doch der ganze Text die Unterschrift Papst Franziskus‘. Zutiefst verstörend ist hier nicht nur der ebenso geschliffene wie semantisch zwischen schleifend und verschleiernd changierende Umgang mit dem Begriff „Macht“, sondern auch der disparate Umgang mit den zwei menschlichen „Gesichtern“. Das ist schon klug gemacht, zugleich aber höchst manipulativ und perfide, denn der Text spricht hier nicht von zwei menschlichen „Geschlechtern“. In einem Text, der so von Schöpfungsmystik und -verantwortung durchdrungen ist, hätte Letzteres tatsächlich schwierig werden können, spricht das Wort Gottes doch dezidiert nicht nur von Gleichwürdigkeit und gleicher Gottebenbildlichkeit der beiden Geschlechter, die erst zusammen „den Menschen“ ergeben:

Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Genesis 1,27

Auch Paulus stellt doch eindeutig fest:

Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. Galater 3,28

Gerade von der Schöpfung her kann man eben keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern konstatieren. Deshalb müssen es „Gesichter“ sein, die prototypisch im göttlich menschgewordenen Sohn und dem Geschöpf Maria aufscheinen. Das ist schon steil – denn es würde bedeuten, dass das Männliche an sich dem Göttlichen näher wäre als das bloße weibliche Geschöpf Maria. Der eine ist schließlich gezeugt, nicht geschaffen, Maria freilich eine Menschin. Angesichts solcher anthropologischer Verwirbelungen, die nur wenig Anhalt am Schöpfungswillen Gottes haben, kann man die Reaktion der Journalistin Christiane Florin nur allzu gut verstehen:

„Ich will solche Kirchenmänner nicht verstehen. Ich bin zu wenig tot und zu wenig mariengleich, um über Selbstwidersprüche zärtlich hinwegzusehen. Doch in gewisser Hinsicht ist Franziskus nicht bloß ein altgläubiger Herrenrechtler, er ist ein ganzer Kerl. Er versteckt sich nicht hinter Gottes Willen und Jesu Beispiel. Hier sagt ein Papst ganz klar: Ich will das nicht. Auf diese Ehrlichkeit habe ich lange gewartet. Wenn ich ein Vöglein wär, würde ich sagen: Machen wir den Abflug.“9)

Kann es wirklich sein, dass ein Papst die Frauen hier de facto doch ins zweite Glied stellt, der ein paar Kapitel zuvor ein Wort Jesu aus dem Lukasevangeliums zitierend schreibt:

„Jesus hat gesagt: ‚Verkauft man nicht fünf Spatzen für zwei Pfennige? Und doch ist nicht einer von ihnen vor Gott vergessen‘ (Lukas 12,6). Gott Vater, der jedes Wesen im Universum mit unendlicher Liebe erschaffen hat, ruft uns auf, seine Werkzeuge zu sein, um den Schrei Amazoniens zu hören.“ (QA 57)

Wieder einmal Zeit für Neues!

Papst Franziskus sorgt sich jedenfalls sehr um das seelische Wohl der Frauen, die er vor einer Klerikalisierung bewahren möchte10). Die geneigten Leserinnen und Leser, die durch den vorangegangenen Text von „Querida Amazonia“ poetisch eingestimmt sind, fragen sich hier freilich, warum man dann nicht auch Männer vor dieser Gefahr bewahren sollte. Und tatsächlich erschließt sich den aufmerksam Lesenden eine Art jesuitischer Subversion, die in schwieriger kirchenpolitischer Lage zwischen Bewahrern einer fast zur Asche verglühten Tradition und Reformern, die die Asche noch einmal richtig aufwirbeln wollen, ein Ausweg andeuten könnte. Wohlgemerkt: „Könnte!“ – denn zu den Eigenschaften Papst Franziskus gehört die Fähigkeit, durchaus klare Worte zu sprechen – aber eben oft so, dass sie einen gehörigen Interpretationsspielraum mit sich bringen. So können die einen immer darauf verweisen, dass er den Bischöfen doch erheblich neuen Entscheidungsspielraum einräumt und so einen Aufbruch provoziert, während die anderen auf deren Gehorsamspflichten verweisen. Palin, palin – ein Double Bind! Liebe Bischöfe, entscheidet frei, wie ich längst entschieden habe! – das ist jedenfalls die Jahrhunderte alte Spur, aus der man sich kaum befreien kann, ein Hohlweg mit hohen Wällen, aus denen es kein Entkommen gibt – es sei denn, es geschieht wirklich Neues, wie man es aus folgenden Worten des Papstes lesen „könnte“ (!):

„Die Inkulturation muss sich auch auf konkret erfahrbare Weise in den kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern entwickeln und widerspiegeln. Wenn Spiritualität inkulturiert wird, wenn Heiligkeit inkulturiert wird, wenn das Evangelium selbst inkulturiert wird, können wir nicht umhin, auch hinsichtlich der Art und Weise, wie kirchliche Dienste strukturiert und gelebt werden, an Inkulturation zu denken. Die kirchliche Pastoral ist in Amazonien nicht sehr präsent, was zum Teil auf die immense territoriale Ausdehnung mit vielen schwer zugänglichen Orten, auf die große kulturelle Vielfalt, auf die schwerwiegenden sozialen Probleme wie auch auf die Entscheidung einiger Völker, sich abzuschotten, zurückzuführen ist. Dies kann uns nicht gleichgültig lassen und erfordert eine diesen Umständen entsprechende mutige Antwort der Kirche.“ (QA 85)

Die Herausforderungen der Gegenwart sind wahrlich groß: Wie kann das Evangelium und den Bedingungen von heute in der Welt allen Geschöpfen verkündet werden (vgl. Markus 16,15)? Es ist offenkundig wieder Zeit für Neues. Es ist wieder Zeit auf den zu hören, der über sich selbst sag:

Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder (πάλιν – gesprochen: pálin) zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder (πάλιν) zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen. Wegen dieser Worte kam es unter den Juden erneut (πάλιν) zu einer Spaltung. Johannes 10,16-19

Keine neue, aber eine erneuerte Kirche

Man kann die Kirche nicht neu erfinden, aber erneuern. Die Kirche verträgt keine Revolutionen oder Reformationen, ohne sich zu zerteilen; sie muss sich aber weiterentwickeln. Wenn sie sich nicht weiterentwickelt, wird sie aufhören zu sein, was sie ist – dynamisches Zeichen und Werkzeug des göttlichen Geistes. Erstarrung ist Tod, stete Erneuerung ist Leben. Die Kirche hat zu allen Zeiten und immer wieder (πάλιν) gezeigt, dass sie neue Wege zu gehen imstande ist. So entdeckte man das Amt des Priesters, als die Bischöfe in der frühen Kirche das Evangelium in Wort und Tat nicht mehr allein in die Fläche tragen konnten. Die Situation ähnelt der heutigen. Allerdings hat das Lehramt vergangener Päpste hohe Hürden aufgerichtet und Türen geschlossen, die einer Erneuerung und Weiterentwicklung im Weg stehen. Dann muss man neue Wege suchen, neue Organisationsformen, ja vielleicht sogar neue Ämter, die – befreit von der Last des Klerikalismus – Männer wie Frauen ermöglichen, das Evangelium in Wort und Tat mit dem Zeugnis ihres ganzen Lebens neu zum Leuchten zu bringen. Wie das gehen kann? Mit einem Blick zurück nach vorn – einem Blick auf den großen Verkünder der Zeit des Anfangs, auf Paulus:

So hat Gott in der Kirche die einen erstens als Apostel eingesetzt, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; ferner verlieh er die Kraft, Machttaten zu wirken, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede. 1 Korinther 12,28

Paulus beschreibt hier eine Reihe von frühkirchlichen Ämtern – nämlich Apostel, Propheten und Lehrer, aber auch Täter des Wortes, dazu gehören die, die Machttaten wirken, heilen und leiten. Auch wenn er die Zungenrede später kritisch reflektieren und unter das Diktat der Prophetie unterordnen wird (vgl. 1 Korinther 14,1-25), scheint hier doch eine äußerst differenzierte Organisationsstruktur auf, die nicht nur der Verteilung von Macht dient, sondern am Aufbau des Leibes Christi interessiert ist. Hier gibt es keine Bündelung des Priester-, Lehr- und Hirtenamtes in einer Person, die Machtkontrolle schwierig, dafür aber Machtmissbrauch möglich macht. Stattdessen scheint es bei Paulus eine Art „Spezialisierung“ zu geben. Wer lehrt, muss nicht unbedingt ein guter Prophet sein; aber er kann das, was der Prophet mit Vollmacht predigt, vertiefen. Ein Prophet muss nicht unbedingt ein guter Leiter sein, wer aber leitet, kann die Propheten passgenau zum Einsatz bringen. Und wer als Apostel durch sein Leben Zeugnis gibt, muss noch lange keine guten Fähigkeiten in der Krankenfürsorge haben usw. usw. Wer aus dieser Perspektive auf die Herausforderungen blickt, die sich der Kirche heute stellen, kann nur hoffen, dass sie sich weiterentwickelt. Jedenfalls weist ein Wort Jesu selbst hier die Spur:

Da sagte Johannes: Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb, und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er nicht mit uns zusammen nachfolgt. Jesus antwortete ihm: Hindert ihn nicht! Denn wer nicht gegen euch ist, der ist für euch. Lukas 9,49-50

Die Tür der Frauenweihe mag verschlossen und der priesterliche Pflichtzölibat auf unbestimmt Zeit festgeschrieben sein – es gilt, nach neuen Öffnungen in der Mauer zu suchen. Neue Ämter und Strukturen braucht die Kirche, um sich in der Welt von heute und ihren vielfältigen Gesellschaften zu inkulturieren. So jedenfalls deutet es Papst Franziskus in „Querida Amazonia“ an. Lest seine Worte selbst. Es lohnt sich! Sicher: Er hätte es klarer sagen können, vielleicht sogar müssen. Trotzdem öffnet sich da eine neue Tür. Hört ihr es nicht? Palim, palim!

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Bildnachweis

Titelbild: Fraser Spirale – Quelle: Wikikommons – lizenziert als gemeinfrei.

Bild 1: TalPassion – Gethesemane, 2014 (Annette Marks/Katholische Citykirche Wuppertal/Foto: Christoph Schönbach) – alle Rechte vorbehalten.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Johannes Paul II, Apostolisches Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“, 22. Mai 1994, Nr. 4, Quelle: http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_letters/1994/documents/hf_jp-ii_apl_19940522_ordinatio-sacerdotalis.html [Stand: 15. Februar 2020].
2. So Papst Franziskus in einem Interview auf dem Rückflug vom Weltjugendtag 2013 in Brasilien – zitiert nach Osservatore Romano, 31.07.2013, S. 5-6.
3. Vgl. hierzu https://www.adveniat.de/fileadmin/user_upload/Informieren/Themen/Zukunft_Amazonas/Schlussdokument_Amazonien_final.pdf [Stand: 15. Februar 2020].
4. Schlussdokument der Amazonien-Synode, Nr. 111, Quelle: https://www.adveniat.de/fileadmin/user_upload/Informieren/Themen/Zukunft_Amazonas/Schlussdokument_Amazonien_final.pdf [Stand: 15. Februar 2020].
5. Vgl. QA 48: „Das Gleichgewicht des Planeten hängt auch von der Gesundheit Amazoniens ab.“
6. Siehe hierzu die zornige Anklage von Papst Franziskus, der, Ramón Iribertegui zitierend (Amaohna: El hombre y el caucho, hrsg. Apostolisches Viakriat von Puerto Ayacucho/Venezulea, Monographie, Nr. 4, Caracas 1987, S. 307ff), das Leid der Indigenen während des Kautschukbooms im venehonalischen Teil Amazoniens beklagt: „Den Indigenen gaben sie kein Geld, sondern Waren zu teurem Preis, und so wurden sie nie damit fertig, sie zu bezahlen […] Sie zahlten, aber sie sagten zum Indigenen: „Du hast hohe Schulden“, und der Indigene musste zurückkehren, um zu arbeiten […] Mehr als zwanzig Dörfer der Yekuana wurden vollständig zerstört. Die Frauen der Yekuana wurden vergewaltigt, ihnen wurden die Brüste entfernt und den Schwangeren wurde der Bauch aufgeschlitzt. Den Männern wurden die Finger oder die Hände abgeschnitten, damit sie nicht mit den Schiffen fahren konnten […] neben anderen Szenen von ganz sinnlosem Sadismus.“ – QA 15 (Quelle: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-querida-amazonia-papst-franziskus-synode-wortlaut.html [Stand: 15. Februar 2020].
7. Vgl. hierzu https://www.iso.org/iso-8601-date-and-time-format.html [Stand: 15. Februar 2020].
8. QA 64 (dabei zitiert Papast Franzikus sein eigenes Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24.11.2014, Nr. 220) – Quelle: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-querida-amazonia-papst-franziskus-synode-wortlaut.html [Stand: 15. Februar 2020].
9. Christiane Florin, Buenos Dias Maria, 12.2.2020, Quelle: https://www.weiberaufstand.com/post/buenos-dias-maria [Stand: 15. Februar 2020].
10. Vgl. QA 100.
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