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Gemeinsam zu feiern bedeutet Begegnung und Dialog. Im religiösen Kontext kann das gemeinsame Feiern aber auch zur kulturellen Vereinnahmung Andersgläubiger führen oder gar zu Konflikten. Daher hat sich Kathrin Tomczyk, Leiterin einer Bonner Flüchtlingsunterkunft, dazu entschieden, in der Adventszeit bewusst „areligiöse Feiern“ anzubieten: „aus Anlass der Adventszeit kommen wir zusammen und feiern; wir feiern aber nicht ‚Weihnachten‘.“1) Während Christen sich im Advent auf Weihnachten vorbereiten, werden somit muslimischen Flüchtlingen „Feierangebote“ geschaffen: Plätzchen werden gebacken und es wird erklärt, was der Advent und das Weihnachtsfest sind. Behrouz Asadi, der Flüchtlingskoordinator der Malteser in Mainz, hingegen organisiert bewusst zusammen mit christlichen und muslimischen Flüchtlingen in deren Unterkünften sowie auch in evangelischen und katholischen Gemeinden Adventsfeiern: „Der Nikolaus kommt mit seinem heiligen Buch, es gibt Geschenke für Kinder, wir erzählen – teils in Arabisch und Persisch – die Weihnachtsgeschichte.“2) Er vertritt die Überzeugung, dass das gemeinsame Feiern der religiösen Überzeugungen der Einladenden „für alle Beteiligten eine Bereicherung“3) ist.
Die fremde Freude
Die Offenheit religiöser Feste und Feiern für Andersgläubige ist bereits im Buch Deuteronomium verankert. Der Festkalender in Deuteronomium 16 schreibt den Israeliten drei große Wallfahrtsfeste vor. Das erste Fest, das Paschafest, ist die Erinnerung an den Auszug Israels aus Ägypten. Das Gesetz fordert die Feiernden dazu auf, sich mit der Generation des Exodus zu identifizieren:
Achte auf den Monat Abib, und feiere dem Herrn, deinem Gott, das Paschafest; denn im Monat Abib hat der Herr, dein Gott, dich nachts aus Ägypten geführt. Deuteronomium 16,1
Nur, wer sich mit Israel identifiziert – also ein Teil des Volkes Israel ist –, kann dieses Fest feiern. Es ist die Vergegenwärtigung des Sklavendaseins in Ägypten und der Dankbarkeit für die Befreiung durch Gott. Die anderen beiden Feste im Festkalender des Buches Deuteronomium betonen die Dankbarkeit des Volkes Israel für den Besitz ihres Landes und dessen Ertrag. Im Kontext der Beschreibung des Wochenfestes, das in der Zeit der Weizenernte gefeiert wird, heißt es nach der Opferaufforderung:
Du sollst vor dem Herrn, deinem Gott, fröhlich sein, du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, auch die Leviten, die in deinen Stadtbereichen Wohnrecht haben, und die Fremden, Waisen und Witwen, die in deiner Mitte leben. Du sollst fröhlich sein an der Stätte, die der Herr, dein Gott, auswählt, indem er dort seinen Namen wohnen lässt. Deuteronomium 16,11
In den folgenden Versen wird das dritte Fest beschrieben: das Laubhüttenfest, das das Ende der Erntezeit markiert – und auch in der Beschreibung dieses Festes heißt es:
Du sollst an deinem Fest fröhlich sein, du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, die Leviten und die Fremden, Waisen und Witwen, die in deinen Stadtbereichen wohnen. Deuteronomium 16,14
Sowohl das Wochenfest als auch das Laubhüttenfest sollen somit auch zur Freude der Fremden gefeiert werden. Der Begriff „Fremder“ (auf Hebräisch גר, ausgesprochen: ger) benennt im Buch Deuteronomium einen ethnisch-fremden Schutzbürger, der zwar frei aber vom Volk Israel wirtschaftlich abhängig ist. Der Fremde ist kein Israelit, er gehört zu einem anderen Volk und hat somit einen eigenen Gott und eine eigene Religion. Aber die Fremden sollen Anteil haben an der Freude des Volkes Israel an seinem Gott. Sie werden nicht dazu verpflichtet dem Gott Israels zu opfern oder sonst einen Gottesdienst zu verrichten, sondern sie sollen sich erfreuen an dem Guten, das Ihnen zuteilgeworden ist. Diese Freude ist jedoch nicht abstrakt, sondern sie geht aus von der Freude Israels über den Segen, den Gott seinem Volk schenkt. Aus Anlass des Wochenfestes und des Laubhüttenfestes sollen sich die Fremden mit (!) Israel freuen. Da das Alte Testament bzw. das Volk Israel keinen Missionsauftrag hat, versteckt sich hinter dieser gemeinsamen Freude kein Hintergedanke – sondern die Idee, religiöse Freude über die Religionsgrenzen hinweg zu teilen, wo dies möglich ist. Bei diesem Ideal kennt auch das Gesetz im Buch Deuteronomium seine Grenzen. Bei dem im Festkalender zuerst genannten Fest wird der Fremde nicht erwähnt – und wenige Verse später wird zudem betont, dass der Kult Israels nicht durch Götzensymbole verunreinigt werden soll (siehe Deuteronomium 16,21-22). Es geht um eine Anteilhabe der Fremden an der Freude Israels – es geht nicht um eine Vermischung des Fremden mit Israel. Die Freude vereint, aber sie soll nicht vereinnahmen. Das Ziel ist eine Gastfreundschaft, die beidseitige Grenzen beachtet.
Verstehbar feiern
Die Adventszeit ist die Vorfreude auf die Feier der Menschwerdung Gottes. Für einen Nicht-Christen ist die Geburt Jesu kein Fest – aber die Freude der Christen kann, wenn sie eine wahre Freude ist, zur Anteilhabe an dieser Freude für Nicht-Christen werden. Anteilhabe an Freude setzt voraus, dass man selbst feiert und dieses Feiern, diese Versammlungen der Freude, auch für Außenstehende verstehbar und zugänglich ist. Auch für Christen gilt: Geteilte Freude am Glauben ist doppelte Freude.
Bildnachweis
Titelbild: „ Weihnachten Advent Häuser Stern Dekoration“, von „1447441“. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | „Flüchtlinge und die Adventszeit: Annäherung und Dialog“, qantara.de, 28.11.2016 [03. Dezember 2016]. |
2. | ↑ | „Flüchtlinge und die Adventszeit: Annäherung und Dialog“, qantara.de, 28.11.2016 [03. Dezember 2016]. |
3. | ↑ | „Flüchtlinge und die Adventszeit: Annäherung und Dialog“, qantara.de, 28.11.2016 [03. Dezember 2016]. |