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Vollzeit, unbefristet und sozialversichert – mit diesen Stichwörtern kann man sogenannte Normalarbeitsverhältnisse beschreiben. Aber eine solche Absicherung haben nur noch 60% der Arbeitnehmer in Deutschland.1) Die Gründe, warum Arbeitnehmer Teilzeit arbeiten, Minijobs versehen oder als Leiharbeiter sich über Wasser halten, sind vielfältig. Zum Teil sind es persönliche Gründe (familiäre Verhältnisse, Ausbildungsdefizite etc.), zum Teil liegt es an den Interessen der Wirtschaft, flexiblere und billigere Arbeitsverhältnisse zu nutzen. Wirtschaftlich geht es Deutschland gut, aber dennoch leben viele Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. Was ist ein gerechter Lohn? Diese Frage ist kompliziert. Subjektiv betrachtet, meinen gut drei Viertel der deutschen Arbeitnehmer, dass sie ungerecht entlohnt werden.2) Manch einer fühlt sich eher als Ausgebeuteter, denn als freier Arbeitnehmer – und im Alten Testament wird auch sprachlich kaum zwischen einem freien Arbeiter und einem Sklaven unterschieden. Beides kann unter dem Wort עבד (gesprochen: äved) zusammengefasst werden.3)
Der gerechte Lohn
Der Lohn eines Sklaven bestand in alttestamentlicher Zeit wahrscheinlich nur in der täglichen Mahlzeit sowie Unterbringung und Kleidung (Exodus 21,2.10), während Lohnarbeitern über das Existenzminium noch ein echter Lohn zum Leben gezahlt wurde. Im Buch Deuteronomium heißt es im Gesetz zum Umgang mit Sklaven:4)
Es soll dir nicht schwerfallen, wenn du ihn freilassen musst, denn in den sechs Jahren, die er dein Sklave war, hat er dich nur halb so viel gekostet wie ein Tagelöhner, und der HERR, dein Gott, wird dich segnen bei allem, was du tust.
Dies bedeutete aber nicht, dass freie Lohnarbeiter gut gestellt waren. Der Lohn war niedrig und die Arbeitsverhältnisse wahrscheinlich häufig prekär. Im Buch Maleachi wird das Lohndrücken beklagt. Es wird bewusst als soziale Unterdrückung gebrandmarkt und Gott erhebt Anklage gegen die ausbeutenden Arbeitgeber (Maleachi 3,5). Aber es wird im Alten Testament auch von einer angemessenen und pünktlichen Bezahlung berichtet (Esra 6,8; Ijob 31,39).
Der vorenthaltene Lohn
Das Buch Deuteronomium formuliert einen eindringlichen Appell:
Du sollst einen armen und bedürftigen Tagelöhner nicht bedrücken, weder einen deiner Brüder noch einen Fremden in deinem Land, an deinem Ort. Am selben Tag sollst du ihm seinen Lohn geben, und die Sonne soll darüber nicht untergehen, denn er ist arm und sehnt sich danach. Sonst ruft er den HERRN gegen dich an, und es trifft dich Strafe.
Der hebräische Text lässt sich auf zwei verschiedene Arten lesen. Nach der Aufforderung „Du sollst nicht bedrücken“ folgen drei hebräische Nomen: שָׂכִ֖יר עָנִ֣י וְאֶבְי֑וֹן (gesprochen: sachir, oni weäbijon). Die letzten beide Begriffe sind eindeutig und bezeichnen den Armen und den Bedürftigen. Das erste Wort kann sowohl „Lohn“ als auch „Lohnarbeiter“ bedeuten. So übersetzt die Septuaginta, die alte griechische Übersetzung des Alten Testaments, den Satz als Mahnung, einer armen und bedürftigen Person den Lohn nicht vorzuenthalten. Möglich ist es jedoch auch, den Lohnarbeiter in eine Reihe mit dem Armen und dem Bedürftigen zu stellen, ihn somit mit den sozial Schwachgestellten gleichzusetzen: „Du sollst den Lohnarbeiter, den Armen und den Bedürftigen nicht bedrücken …“. Beide Lesearten sind möglich. In jedem Fall schützt das Gotteswort sowohl den Israeliten als auch den Nicht-Israeliten und Gott benennt sich selbst als Richter, der auf der Seite des Bedrückten steht. Mit Gott gibt es kein Lohndumping und keinen ungerechtfertigten Lohnentzug.
Der löcherige Geldbeutel
Ein gerechter Lohn muss auch den Lebenshaltungskosten entsprechen, damit der Lohn dem Arbeiter nicht in der Hand zerrinnt oder er ihn – mit dem Buch Haggai gesprochen – durch einen „löchrigen Beutel“ direkt wieder verliert (Haggai 1,6). Die gerechte Bezahlung ist ein schwieriges Thema, aber Lohn muss Leben ermöglichen. Arbeit muss sich lohnen:
Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt nimmt, Blut vergießt, wer dem Arbeiter den Lohn vorenthält.
Bildnachweis
Titelbild: 50 Euro Note Cut, fotografiert von Images Money. Lizenz: CC BY-SA 2.0.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. „Vier von zehn arbeiten atypisch“, Böckler Impuls 02/2017 [Stand: 09. April 2017]. |
2. | ↑ | Vgl. „Den gerechten Lohn kann es nicht geben“, Nikolaus Piper, Süddeutsche Zeitung, 06.05.2015 [Stand: 09. April 2017]. |
3. | ↑ | Ausführlich und sehr lesenwert wurde das Thema von Christian Frevel in seinem Aufsatz „Prekäre Arbeitsverhältnisse. Lohn und Lohnverzug im Alten Testament“ behandelt, der die Grundlage für folgenden Text ist. Der genannte Aufsatz ist erschienen in: Thomas Söding, Peter Wick (Hg.), Würde und Last der Arbeit: Beiträge zur neutestamentlichen Sozialethik (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament (BWANT 209), Stuttgart 2017, 57-71. |
4. | ↑ | Die im folgenden verwendeten Bibelzitate stammen aus der Zürcher Bibel 2007. |
Weitere interessante Bibelstellen zu diesem Thema: Levitikus 19,13; Jeremia 22,13; Tobit 4,14.
Sehr bedenkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die mahnenden Worte aus Jesus Sirach 34, 25-27.