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Die Theologie hat schon bessere Tage erlebt. Es ist lang her, seit Vordenker wie Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Hans Küng, Alfons Auer und andere ihre Duftmarken nicht nur in der Kirche, sondern in der Welt hinterließen. Mit Johann Baptist Metz und Eberhard Schockenhoff sind in den letzten Jahren zweit weitere Persönlichkeiten verstorben, die der Theologie über sich selbst hinaus Geltung verschafft haben. Ist da heute noch jemand, der über das innerekklesiale Pepita1) hinaus in Gesellschaft und Politik wahrgenommen wird? Gibt es sie heute noch, jene theologischen Vordenkerinnen und Vordenker, die über die Kirche hinaus gehört werden? Erfüllt die Kirche überhaupt noch jenen Auftrag, den der Auferstandene den Seinen am Ende des kanonischen Markusevangeliums erteilt?
Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!
Propheten der Gegenwart
Natürlich gibt es sie, jene theologischen Prophetinnen und Propheten, die auch in der Gegenwart ihre Stimme erheben und wenigstens medial wahrgenommen werden. Zum Prophetendasein gehört es von Natur aus, gelegen oder ungelegen zu ermahnen, zurechtzuweisen und zu überführen (vgl. 2 Timotheus 4,2). Die Erfurter Professorin Julia Knop gehört sicher ebenso dazu, wie die Freiburger Professorin Johanna Rahner. Auch das Kirchenrecht ist in Zeiten der vielfältigen unaufgegriffenen Herausforderungen, die der weiter gefährlich schwelende Missbrauchsskandal stellt, gefragt wie selten zuvor. Kanonisten wie der Münsteraner Thomas Schüller, der Tübinger Bernhard Sven Anuth oder der Bonner Norbert Lüdecke sind gefragte Gesprächspartner in Presse, Funk und Fernsehen. Auch wenn offen bleibt, welcher gesellschaftliche Impact ihre Expertise hat, ist die durch sie vertretene Theologie doch nicht stumm. Das zeigt nicht zuletzt der zuletzt genannte Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, der im Sommer 2021 die Schrift „Die Täuschung – Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?“2) veröffentlichte, mit der er nicht nur die Doppeldeutigkeit kirchlicher Reformprozesse, wie etwa den synodalen Weg beleuchtet, sondern auch die grundlegende Frage stellt, warum sich weihelose Laien sich von weihevollen Klerikern immer wieder vorführen lassen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunkt analysiert er die letztlich von beiden Seiten systemstabilisierende Kommunikation, die nicht zuletzt auf „Zauberwörtern“ beruht, mit denen Konflikte beständig weichgezeichnet werden:
„Es [gelingt] offenbar den Bischöfen und auch Theologen, denen daran liegt, dass die Laien bei der Stange bleiben, es immer wieder (…), die Kirche mit einem solchen Weichzeichner zu beschreiben, dass von vornherein es schon länger dauert bis der Unmut-Druck wieder ansteigt.“3)
Und weiter:
„Es gibt eine Art katholisierende Semantik, also eine katholische Bemächtigung von umgangssprachlich vertrauten Wörtern, die man aber dann mit einem katholischen Inhalt füllt. Für mich der schlagendste Beweis ist die Rede von der Gleichheit aller Gläubigen in der Kirche. Wobei das schon verkürzt ist: Denn in den Texten steht „die wahre Gleichheit“, und dann denken natürlich alle Gläubigen: Wahre Gleichheit – das heißt Gleichberechtigung.
Aber mitnichten. Die Gleichheit in der Kirche ist lediglich eine in der Würde, die aber, anders als im Staat, in keiner Weise umgemünzt wird in eine Gleichberechtigung hinsichtlich der politischen Willensbildung oder auch der Gleichheit im Gesetz oder vor dem Gesetz. Das, was im Staat menschenrechtlich begründet zwingend verkoppelt ist, nämlich Würde, Gleichheit und Gleichberechtigung, das ist gerade im katholischen Sprachgebrauch der katholischen Gleichheit entkoppelt. Im katholischen Wörterbuch ist Gleichheit mit Nicht-Gleichberechtigung völlig verbindbar.
(…)
Gemeinsamkeit wird permanent beschworen und auch in dem Wort ‚Communio‘ immer wieder angezeigt. Aber Gemeinsamkeit heißt ja mitnichten zwingend Gleichheit. Wenn ein König mit seinem Gärtner durch den Park geht, dann sind die sicher auf einem gemeinsamen Weg. Aber die sind ja nicht gleich, geschweige denn gleichberechtigt.“4)
Semantische Korruptionen
Norbert Lüdecke entlarvt mit wenigen Worten die semantische Korruption kirchlicher Kommunikation. Worte werden wie selbstverständlich gebraucht, Worte mit hoher rhetorischer Valenz. Die Worte haben eine hohe Schlagkraft, die nicht zuletzt auf der ihnen innewohnenden Doppeldeutigkeit beruht. Es hat den Anschein, als gäbe es ein gemeinsames Verständnis über das, was diese „Zauberwörter“ meinten. Tatsächlich aber führt ihre faktische Doppeldeutigkeit in einen kommunikativen Double Bind, eine Doppelbindung, aus der man sich – sofern man entweder nicht wachsam oder über den wahren Gehalt der Worte aufgeklärt ist – kaum herauswinden kann. Schon oft wurde in diesem Blog über die Vieldeutigkeit der „Charismenorientierung“ geschrieben, bei der eben nicht klar ist, ob es bei „Charismen“ um special skills geht, die die Einzelnen mehr oder weniger von Geburt an vom Geist Gottes bekommen haben, oder um special gifts, die man als unauslöschliches Prägemal durch eine Weihe erhält, oder um special personalitys, die halt so eine Aura haben, die zwar sicher charismatisch ist und Machtzuweisung impliziert, von der man aber nicht sagen kann, dass sie zwingen positiv besetzt ist … zweifelsohne verdanken Diktatoren und verbrecherische Staatenlenker wie Adolf Hitler oder Josef Stalin ihre Macht nicht zuletzt einer gewissen charismatischen Ausstrahlung. Was also ist gemeint, wenn da so mir nichts dir nichts von Charismenorientierung gesprochen wird? Was ist gemeint, wenn von „wahrer Gleichheit“ räsoniert wird? Und was ist diese „Gemeinschaft“ (Communio), die man seit einiger Zeit ohne echte Angabe von Quellen plötzlich als vierten kirchlichen Grundvollzug neben die Verkündigung (Martyria), die tätige Nächstenliebe (Diakonia) und die Liturgie (Liturgia) stellt und auf deren semantische Problematik auch Norbert Lüdecke verweist? Wo, wenn nicht in den biblischen Quellen, sollte die Spurensuche beginnen …
Ein Sehnsuchtswort
Tatsächlich ist „Communio“ bzw. „Gemeinschaft“ ein ekklesiales Sehnsuchtswort. Mit ihm assoziiert man gerne eine wohlige Wärme, die kirchliche Kontrastgesellschaft zur harten Welt mit kuscheliger Kommunikation und Abwesenheit von Zwist. Schon der sonntägliche Gottesdienst soll von diesem Gedanken beseelt sein. Sicher gibt es Gemeinden, in denen das zu erfahren ist. Der durchschnittliche Gottesdienst aber besteht anfänglich aus einem losen Haufen, der durch das Singen des ersten Liedes im gemeinsamen Tun irgendwie eine gottesdienstfeiernde Gruppe konstituiert, die wie in einem Omnibus brav hintereinander sitzt und mehr oder weniger aktiv – hier durchaus abhängig von den special skills des zelebrierenden Liturgen – am gottesdienstlichen Geschehen partizipiert. Nach dem letzten Lied strömt die christliche Gemeinschaft dann in der Regel behände dem Ausgang entgegen, um flugs wieder eigener Wege zu gehen. Dieser ungeschönte Befund wurde durch die Restriktionen der Corona-Pandemie, bei der die „Gemeinschaft“ durch Masken, das Ausbleiben gemeinsamen Singens und der notwendigen Abstände sicher nicht einfacher erlebbarer war, noch verstärkt. Und doch wird immer wieder die „Gemeinschaft“, die „Communio“ beschworen – sicher in der Hoffnung, dass das bloße Aussprechen phonetischer Zeichen das so Bezeichnete auch bewirkt. Man weiß doch – auch so eine Behauptung, die gerne wiederholt, durch die Wiederholung aber nicht wahrer wird –, dass Worte Wirklichkeiten schaffen. Das ist zweifelsohne bei Magiern und Zauberinnen so: Ein Spruch und es wird. Die pastoralen Zauberer sprechen wohl in diesem Sinn immer wieder gerne von Gemeinschaft, um sie erst zu bewirken. Das bedeutet zwar, dass die Gemeinschaft an sich gar nicht da ist, weil sie erst hergestellt werden muss. Trotzdem ist das Wort „Communio“/„Gemeinschaft“ wirkmächtig, trifft es doch auch sehnsuchtsvoll träumende Ohren, die nur allzu gern dem Gesang pastoraler Sirenen glauben möchten und in dem bloßen Zusammensein von Laien und Klerikern offenkundig schon eine Vorahnung himmlischer Glückseligkeit erleben. Dabei ist der wenig latente Stolz nur ein Zeichen jenes Klerikalismus von unten, der das System trotz aller gern geäußerter Kritik stabilisiert: Wer Papst und Bischöfe bittet, endlich Revolution machen zu dürfen, ist kein Revolutionär, sondern ein Kind, das bestenfalls davon träumt, mündig zu sein. Kann man das ändern?
Aufklärung
Man kann! Wie immer in solchen Fällen, bedarf es der Aufklärung. Schaut man hierzu in die biblischen, speziell in die neutestamentlich Quellen, muss man natürlich nach dem altgriechischen Pendant des Zauberwortes „Communio“/„Gemeinschaft“ suchen – und das ist die κοινωνία (gesprochen: koinonía). Für einen ersten Blick über die Verwendung des Wortes κοινωνία ist ein Blick in eine Konkordanz hilfreich. Der ergibt, dass dieses Wort schwerpunktmäßig bei Paulus zu finden ist (13mal), einmal im sogenannten Hebräerbrief, einmal in der Apostelgeschichte und dreimal (gewissermaßen im Block) im 1. Johannesbrief. In den Evangelien findet sich der Begriff kein einziges Mal. Das ist an sich schon ein bedeutsamer Befund, insofern das, was mit κοινωνία bezeichnet wird in der Verkündigung Jesu explizit keine Rolle gespielt hat. Das kann seinen Grund darin haben, dass die Jesusbewegung an sich keine institutionelle Bewegung war und von sich aus auch nicht auf eine Institutionalisierung angelegt war5). Für Paulus hingegen scheint der Begriff, der mit Ausnahme des 1. Thessalonicherbriefes in allen echten Paulinen verwendet wird, ein wichtiges Interpretament bzw. Theologumenon gewesen zu sein, das er gleichwohl in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Die Frage ist, ob diese Zusammenhänge einen gemeinsamen Bindepunkt haben.
Gemeinschaft praktisch
„Gemeinschaft“ wird als Begriff von den allermeisten wohl ganz praktisch mit konkret zwischenmenschlichem Zusammenhalt assoziiert, der verlässlich und authentisch ist. Tatsächlich verwendet Paulus den Terminus κοινωνία auch in diesem Sinn – vor allem, wenn es um die Werbung für die sogenannte „Kollekte für die Armen“, also eine Sammlung für die Jerusalemer Urgemeinde geht. Zu dieser hatte sich Paulus wohl auf dem sogenannten Apostelkonzil (vgl. Apostelgeschichte 15,6-29 sowie Galater 2,1-10) verpflichtet, dass seine Heidenmissen legitimierte, ihn aber eben – wohl als Zeichen kirchlicher Verbindung und Einheit – zu der Sammlung beauftragte:
Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Beschnittenen. Nur sollten wir an die Armen denken; und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht.
Diese Sammlung bezeichnet er im 2. Korintherbrief nicht nur als Liturgie (λειτουργία – gesprochen: leitourgía – 2 Korinther 9,12), sondern auch als
Gemeinschaft (κοινωνία) des Dienstes für die Heiligen.
Diese Art der Gemeinschaft ist keine Einbahnstraßen, sondern auf Wechselseitigkeit angelegt. Der liturgische Charakter der Sammlung ist deshalb nicht nur Dienst an den „Armen in Jerusalem“. Von dort soll die Gemeinschaft eben bestätigt und so besiegelt werden – und das eben auch liturgisch durch fürbittendes Dankgebet:
Um dieses treuen Dienstes willen preisen sie Gott für euren Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und für die Lauterkeit eurer Gemeinschaft (κοινωνία) mit ihnen und allen.
Konsequent wird diese Wechselseitigkeit der kirchlichen Gemeinschaftsbildung im Römerbrief zusammengefasst:
Denn Mazedonien und Achaia haben beschlossen, eine Sammlung als Zeichen ihrer Gemeinschaft für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem durchzuführen.
Auffällig ist aber hier schon, dass die praktisch gelebte Gemeinschaft keine der physischen Nähe ist. Sie ist eine κοινωνία auf Distanz. Κοινωνία wird damit zu einem virtuellen Begriff einer Einheit zwischen Gemeinden, die geographisch weit voneinander entfernt sind. Weit davon entfernt, eine einheitliche Kirche im institutionellen Sinn zu denken, legt Paulus hier aber das theologische Fundament für eine gesamtkirchliche Gemeinschaft der Gemeinden: Bei aller Verschiedenheit (hier Heidenchristen dort Judenchristen) soll ein konkretes Band gemeinschaftlicher Verbindung geknüpft werden, das seine Grundlage in Gott selbst hat: Ein Gott kann nur – bei aller Verschiedenheit – in einer kirchlichen Gemeinschaft bezeugt werden. Deshalb ist es auch der göttliche Geist, in dem die verschiedenen Gemeinden gemeinschaftlich verbunden sind:
Wenn es also eine Ermahnung in Christus gibt, einen Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes (κοινωνία πνεύματος – gesprochen: koinonía pneúmatos), ein Erbarmen und Mitgefühl, dann macht meine Freude vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig, einträchtig.
Nicht ohne Grund erinnert Paulus die Korinther deshalb in einem persönlichen Konflikt zwischen ihm und der Gemeinde in einem Schlussgruß an eben diese grundlegende Verbindung:
Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes (ἡ κοινωνία τοῦ ἁγίου πνεύματος – gesprochen: he koinonía toû hagíou pneúmatos) sei mit euch allen!
Gemeinschaft mit Gott!
Es ist eben diese Gemeinschaft im göttlichen Geist, die die Gemeinschaft der Glaubenden überhaupt schafft. Der Geist Gottes ist der Ankerpunkt der κοινωνία. Diese Gemeinschaft mit Gott ist kein Grundvollzug, sondern das Grundbekenntnis des Christlichen überhaupt. Deshalb wird die κοινωνία zum semantischen und formelhaften Bindepunkt bekenntnishafter Aussagen, die in sich eine binnengemeindliche Bindewirkung erzeugen. Im gemeinsamen Bekenntnis konstituiert sich die Gemeinschaft derer, die in der Gemeinschaft mit Gott stehen:
Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
Tatsächlich erscheint hier Jesus Christus als Mittler jener göttlichen Gemeinschaft, die sich für die Menschen in der Annahme des Glaubens an den vom Kreuzestod Auferstandenen ermöglicht hat und darin konkret ihren Ausdruck findet. Paulus selbst stellt sich in diesem Sinn prototypisch vor:
Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft (κοινωνία) mit seinen Leiden, indem ich seinem Tod gleich gestaltet werde.
Wenn Gott der Grund der Gemeinschaft derer ist, die sich völlig auf ihn und damit das Schicksal seine vom Kreuzestod auferstandenen Sohnes einlassen, dann ist diese Gemeinschaft exklusiv. Folgerichtig bedeutet das die Absage jedwede konkurrierende Gemeinschaft. Man kann es Paulus kaum verübeln, dass er das seinen Gemeinden immer wieder drastisch klarmacht:
Beugt euch nicht unter ein fremdes Joch mit Ungläubigen! Was haben denn Gerechtigkeit und Gesetzwidrigkeit miteinander zu tun? Was haben Licht und Finsternis gemeinsam (κοινωνία φωτὶ πρὸς σκότος – gesprochen: koinonía photì pròs skótos)? Was für ein Einklang herrscht zwischen Christus und Beliar? Was hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen gemeinsam? Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit Götzenbildern?
Und Kommunion auch!
Wir haben gesehen, dass die κοινωνία auf der Gemeinschaft mit Gott aufbaut, von ihr bewirkt wird und in der tätigen Liebe sogar große Distanzen überwindet. Konkret aber findet sie auch in der Gemeinde selbst ihren Ausdruck, wenn die Gemeinde die göttliche Gegenwart und Gemeinschaft vergegenwärtigt und aus ihr die eigene Gemeinschaft gestaltet. Nicht ohne Grund verwendet Paulus den Begriff κοινωνία deshalb als theologischen Ankerpunkt, wenn er die Teilhabe am Herrenmahl als Ausschlussmerkmal für die weiterhin gepflegte Teilhabe an Götzenopfermählern (vgl. 1 Korinther 10,14-22) definiert:
Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Gemeinschaft des Blutes Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Gemeinschaft des Leibes Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.
Die kirchliche Gemeinschaft, die in der Gemeinschaft mit Gott begründet ist, hat eben Konsequenzen. Sie ist exklusiv und damit gerade nicht immer wohlig warm und kuschelig. Sie ist herausfordernd – so herausfordernd wie die Liebe Gottes selbst … auch so ein viel beschworenes Zauberwort, dass mit verklärten Augen weichgezeichnet ist. In einer solch pilcheresken Gottesverehrung versumpft nicht nur jede hiobeske Gottesklage, sondern auch jene feurige Leidenschaft, die der Liebe inne ist, und die wahre Liebende kennen:
Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm, denn stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt! Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen, auch Ströme schwemmen sie nicht hinweg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, nur verachten würde man ihn.
Die Poesie solch leidenschaftlicher Liebe ist für jene, deren Verliebtsein im Alltag zu echter Liebe wurde, jeden Tag erfahrbar, wenn dem morgendlichen „Ich liebe Dich“, das „Schatz, nimm den Müll mit raus“ folgt … Die Weichzeichnung verfliegt, die harte Realität ist da, aber eben auch die echte, die wahre Liebe …
Wider den Kirchenkitsch
Die kleine Reise durch das Neue Testament zeigt, dass – zumindest in der paulinischen Theologie – der Begriff der „Gemeinschaft“ ein wichtiges Interpretament ist. Es zeigt aber auch, dass dem Begriff wenig Romantisches anhaftet. Er ist zuerst (!) ein Bekenntnis (Martyria) zu jener Gemeinschaft mit Gott, die ihren Grund in der Auferstehung des Gekreuzigten hat. Aus ihr erwächst die Gemeinschaft der Glaubenden, die sich konkret in Werken tätiger Liebe (Diakonia) zeigt, die sogar eine κοινωνία über große physische Distanzen realisiert, die nicht zuletzt ihren Ausdruck im fürbittenden Dankgebet (Liturgia) findet. Communio (κοινωνία) ist somit kein vierter Grundvollzug, sondern der Grund und das Ergebnis, Quelle und Zielpunkt der drei Grundvollzüge. Die κοινωνία erweist und vergegenwärtigt sich in der Verkündigung, der tätigen Nächstenliebe und der Liturgie. Es geht also um viel mehr als um eine banale Befindlichkeit, deren anästhetische Sedierung von kirchlichen Verführern heraufbeschworen wird, um Kritikerinnen und Zweifler zu beruhigen. Es geht immer zuerst um die Gemeinschaft mit Gott, die die Gemeinschaft der Glaubenden begründet und in ihr konkret in Wort und (!) Tat werden muss. Darum geht es! Das ist gleichzeitig der Prüfstein für jede institutionelle Form der Kirche. Die Lehre der römisch-katholischen Kirche aber sieht in der Hierarchie genau jene Communio von Gott her und vor Gott nicht nur subsistierend verwirklicht. Sie sieht die Hierarchie sogar als Ausdruck dieser κοινωνία, die dann immer nur eine vermittelte ist. Genau hier aber muss theologische Kritik ansetzen: Braucht eine in der Gemeinschaft mit Gott begründete Gemeinschaft der Glaubenden in Wort und Tat eine weihevoll vermittelnde, amtliche Instanz?
Wir sind doch der Tempel des lebendigen Gottes; denn Gott hat gesprochen: Ich will unter ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Zieht darum weg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und fasst nichts Unreines an! Dann will ich euch aufnehmen und euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Herrscher über das All.
Wenn diese Vision des Paulus heute Wirklichkeit werden soll, ja, wenn diese Gemeinschaft der Glaubenden mit Gott vor der Welt Gestalt annehmen soll, dann müsste die soziale Form der Kirche in der Gegenwart wohl an sich neu gedacht und gelebt werden. Es ginge dann ans Eingemachte! Solange sich aber selbst Synodale von kirchenkitschigem Gemeinschaftsgefühl betören lassen, das jedem Kaninchenzüchterverein die Ehre macht, wird die Revolution wohl auf sich warten lassen … Und die Gemeinschaft mit Gott? Hoffentlich hat er noch Geduld … wie lange noch … Wir sollten anfangen, den Müll rauszutragen …
Bildnachweis
Titelbild: Community – Quelle: pxhere – lizenziert als CC0 Public Domain.
Bild 1: P1304158 11. Hörfest Neue Musik/Detmold (Thorsten Krienke) – Quelle: flickr – lizenziert als CC BY-SA 4.0.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Als Pepita wird ein Muster mit sehr kleinen, meist schwarz-weißen Karos bezeichnet. Der Begriff wird in manchen Regionen als emphatisches Synonym für eine kleinkarierte Denkweise verwendet. |
2. | ↑ | Norbert Lüdecke, Die Täuschung – Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?, Darmstadt 2021. |
3. | ↑ | Christiane Florin im Gespräch mit Norbert Lüdecke, Römisch-katholische Kirche „nicht reformierbar“, Deutschlandfunk online, 29.7.2021, Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/kirchenrechtler-ueber-synodalen-weg-roemisch-katholische.886.de.html?dram:article_id=500960 [Stand: 1. August 2021]. |
4. | ↑ | Christiane Florin im Gespräch mit Norbert Lüdecke, Römisch-katholische Kirche „nicht reformierbar“, Deutschlandfunk online, 29.7.2021, Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/kirchenrechtler-ueber-synodalen-weg-roemisch-katholische.886.de.html?dram:article_id=500960 [Stand: 1. August 2021]. |
5. | ↑ | Vgl. hierzu Werner Kleine, Hat Jesus Gemeinde gewollt?, Dei Verbum, 21.2.2017, Quelle: https://www.dei-verbum.de/hat-jesus-gemeinde-gewollt/ [Stand: 1. August 2021]. |
6. | ↑ | So die Lutherübersetzung von 2017. Die Einheitsübersetzung von 2016 verschleiert die Verwendung des Begriffs κοινωνία leider, wenn sie übersetzt: „Vom Zeugnis eines solchen Dienstes bewegt, werden sie Gott dafür preisen, dass ihr euch gehorsam zum Evangelium Christi bekannt und dass ihr ihnen und allen selbstlos geholfen habt.“ 2 Korinther 9,13 |