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Das Urteil fällt schnell. Im digitalen Zeitalter wird schneller geklickt, als mancher denken kann. Die sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. trugen einst die Verheißung einer tiefgreifenden Demokratisierung in sich. Jede und jeder sollte nun ohne Hindernisse seine Sicht auf die Welt mitteilen können. Technisch ist das sicher auch möglich. Allerdings zeigt sich, dass die Masse eben doch mehr ist als eine Sammlung differenzierungsbereiter Individuen. Sicher: Man hätte es vorher wissen können. Ein einzelner Besuch in einem ausverkauften Fußballstadion genügt, um am eigenen Leib zu erfahren, dass auch eine noch so ich-starke und selbstbewusste Persönlichkeit seine Individualität an der Vereinzelungsanlage abgelegt hat, wie der Opernbesucher seinen Mantel an der Garderobe. Es ist ja gerade die Lust, in der Masse aufzugehen, Teil des Molochs zu werden, der den Gegner geschlagen sehen will. Die Befreiung von der Last der Verantwortung, die das demokratiebewusste Ich permanent auf den Schultern trägt, einer Verantwortung, die undelegierbar ist, ist das, was jede Massenveranstaltung prägt. Das gilt für weltliche Events wie der Besuch eines Stadions ebenso wie für kirchliche Großveranstaltungen. Auch da singt mancher plötzlich vom Rausch der Masse mitgerissen inbrünstig ein Halleluja, der sonst zu Recht stolz darauf ist, Gott und Welt kritisch zu hinterfragen.
Die Masse macht’s
Die Masse macht’s. Das wissen auch die Populisten. Gerade darin besteht ja das Wesen des Populismus, dass er Massen erzeugt und deshalb massentauglich kommuniziert. Da werden dann auch rund 13% der Wähler mal eben zum Volk erklärt, das Bunte wird in den Schwarz-Weiß-Modus gebracht und die Komplexität der Welt in so grobe Pixel heruntergerechnet, dass man ihre Feinheiten nicht mehr mit sensiblen Fingern erspüren muss, sondern die grobe Hand reicht. Das Internet als Massenmedium ist gerade wegen seiner Massentauglichkeit ein hervorragender Tummelplatz für die Grobrhetoriker der Gegenwart. Ihnen hilft dabei der Umstand, dass das Individuum gar nicht in der Lage ist, alle möglichen Äußerungen und Entblößungen kritisch zu sichten, zu werten und einzuordnen. Was ehemals analoge Redaktionen als Dienstleistung begriffen, wenn Journalisten die Ereignisse des Tages zusammenkehrten, einsortierten und auch in ihrer Komplexität so aufbereiteten, dass die Bürgerinnen und Bürger sich dann selbst eine Meinung bilden konnten, tragen heute algorithmusbasierte Filterblasen und Echoräume in den sozialen Medien dazu bei, dass die Meinung keiner Bildung mehr bedarf. Zu Gesicht bekommen die User nur noch das, was ihnen ohnehin gefallen wird. Die vermeintliche Masse bestätigt bloß die eigenen Affekte. Als Meinung wird verkauft, was ungeformt, unreflektiert, undifferenziert und demzufolge ungebildet ist. Die Last der Verantwortung, dem Verstand wenigstens eine Chance zu geben und sich selbst kritisch zu hinterfragen, kostet einfach zuviel Anstrengung und Zeit. Das Urteil ist deshalb längst gefallen, bevor die Meinungsbildung überhaupt eine Chance haben kann. Sich selbst zum Sklaven der Masse machend, gibt es eben eine Meinung mehr, denn die beruht ja auf einem Prozess, der „meiner Denkleistung“ entspricht. Was die Gegenwart beherrscht, ist eben Populismus, der Massungen schafft und verkündet. Der kritische Diskurs ist abgeschafft. Die Aufklärung ist gescheitert.
Der Sieg der Banalität
Dass das Böse erschreckend banal daherkommt, ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die Hannah Arendt in ihrem Bericht über den Jerusalemer Eichmann-Prozess zieht. In ihrer Zusammenfassung über den Prozess schreibt sie:
„In diesen letzten Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten – das Fazit von der furchtbaren Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“1)
Vernunft und Argumente versagen vor der Macht einer Masse, die aus einer Lüge wächst. Wenn die Lüge der Identität Masse zugrunde liegt, haben Fakten und Wahrheit keine Chance. Wie aber kann es dazu kommen, dass die Lüge eine solche Macht entfaltet?
Treibende Triebe
Der Trieb ist stark im Menschen. Bevor er zu denken und verstehen lernt, erhält der Trieb ihn am Leben. Die primären Triebe sind gleichzeitig auch existentielle Grundbedürfnisse. Das Neugeborgene schreit, weil es Hunger hat und Nahrung aufnehmen muss, um zu überleben. Satt sein bedeutet Zufriedenheit. Ob es die Mutter dafür aus dem Tiefschlaf reißt und deren Grundbedürfnis nach Erholung und Regeneration zerstört, ist ihm egal. Es weiß noch nicht, dass es ein „Ich“ ist, denn dazu müsste es sich in Relation zu einem „Du“ definieren, mit dem „Du“ auseinandersetzen, mit einem Gegenüber arrangieren. Es ist das „Es“, dass es treibt. Es ist noch „Es“, ein Zustand, der auch dann entsteht, wenn der Einzelne in die Masse eintaucht und so für sein Verhalten scheinbar nicht mehr verantwortlich ist.
Dieser Zustand mag vorübergehend für den Einzelnen entlastend, ja sogar erholsam sein. Dauerhaft aber zerstört er die Grundlagen des Zusammenlebens. Wenn jeder nur noch sagt, was man wohl noch sagen darf, ohne auch anderen zuzuhören, entsteht eben kein Diskurs, der zur Erkenntnis führt. Wenn die Masse, wie in Dresden auf einer Pegida-Demonstration am 25. Juni 2018 als Reaktion auf die Mission „Lifeline“, die seinerzeit noch in keinen Hafen des Mittelmeers einfahren durfte, bloß „Absaufen, absaufen!“ skandiert2), dann zeugt das nicht nur von einem dumpf-verrohten Verlust an Menschlichkeit, sondern eben auch von einer triebgesteuerten Existenz, der die Nächstenliebe nur dann genehm ist, wenn sie den eigenen Bedürfnissen dient. Ansonsten stellen auch Flüchtlinge im Mittelmeer selbst in tausenden Kilometern Entfernung eine Bedrohung des eigenen Vorgartens dar. „Die“ bekommen dann alles, während „man selbst“ ja nichts bekommt. Dieses Niveau, das aus den Sandkästen von Kindergärten bekannt ist, beherrscht mittlerweile den Diskurs in den Kommentarspalten der sozialen Medien. Da helfen, Hannah Arendts Fazit eingedenk, Fakten und Argumente nicht mehr weiter. Und doch dürfen die Anständigen nicht aufgeben, für die Wahrheit zu kämpfen – wieder einmal!
Der Rat des Judas
All das ist kein neuzeitliches Phänomen. Die Gefahren der Banalität drohen den Menschen zu allen Zeiten. Das zeigt auch ein Blick in eine wenig beachtete wie bekannte neutestamentliche Schrift, den Judasbrief. Der Judasbrief ist ein sehr kurzer Text, der aus gerade einmal 25 Versen besteht. Direkt nach dem Briefeingang greift der Autor das zugrundeliegende Problem auf:
Geliebte, da es mich sehr drängte, euch über unsere gemeinsame Rettung zu schreiben, hielt ich es für notwendig, euch mit diesem Brief zu ermahnen: Kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal übergeben ist! Denn es haben sich einige Leute eingeschlichen, die schon seit Langem für das Gericht vorgemerkt sind: Gottlose, die unseres Gottes Gnade mit einem zügellosen Leben vertauschen und die Jesus Christus, unseren einzigen Herrscher und Herrn, verleugnen.
Das Problem, das diese Leute in die Gemeinde tragen, wird einige Verse später angegeben:
Genauso beflecken auch diese Träumer das Fleisch, sie erkennen die Macht des Herrn nicht an und lästern die überirdischen Mächte. Als der Erzengel Michael mit dem Teufel rechtete und über den Leichnam des Mose stritt, wagte er es nicht, ein lästerndes Urteil zu fällen, sondern sagte: Der Herr weise dich in die Schranken. Diese jedoch lästern, was sie nicht kennen; was sie aber wie die unvernünftigen Tiere von Natur aus verstehen, daran gehen sie zugrunde.
Das „genauso“ (ὁμοίως – gesprochen: homoíos) verweist auf die beiden vorhergehenden Verse, in denen der Autor alttestamentliche Beispiele anführt, in denen das Schicksal derer beschrieben wird, die nicht dem Weg Gottes folgten (erwähnt werden diejenigen, die zwar aus Ägypten gerettet wurden, aber nicht glaubten, Engel, die ihren hohen Rang nicht bewahrten und die Städte Sodom und Gomorrha).
Bedeutsam in diesem Zusammenhang aber ist eine andere Charakterisierung, die dem modernen Problem entspricht, dass der Bildung keine Chance vor der Äußerung eingeräumt wird. Der Autor des Judasbriefes bringt als Vorbild den Erzengel Michael in Anschlag. Er bildet den Gegenpart zum Teufel (διάβολος – gesprochen: diábolos), mit dem er über den Leichnam des Mose streitet. Ein solcher Streit ist im Alten Testament nicht bekannt. Im Gegenteil. Hier wird in Deuteronomium 34,5f sogar darauf verwiesen, dass niemand das Grab des Mose kennen würde. Offenkundig entwickelten sich aber verschiedene Legenden, aus denen Judas hier zu schöpfen scheint. Die Tradition der Kirchenväter bezieht sich hier auf die apokryphe Schrift „Himmelfahrt des Mose“ (Assumptio Mosis), aus deren erhaltenen Fragmenten eine solche Streitszene heute aber nicht rekonstruiert werden kann3). Auch die Ursache des Streites bleibt deshalb im Dunkeln. Möglicherweise geht es dabei um den Mord des Mose an dem Ägypter (Exodus 2,11-12).
Wichtiger als die Frage nach der Ursache für den Streit zwischen dem Erzengel und dem Diabolos ist die Reaktion des Erzengels an sich. In Ermangelung exakter Kenntnisse über die Hintergründe muss man sich eines Urteils enthalten – schon gar eines lästernden Urteils. Alles andere ist so gesehen nicht nur ein Vorurteil, das ohne Kenntnis getroffen wird, sondern triebhaftes, ja animalisches Verhalten, an dem die, die so handeln, letztlich zugrunde gehen.
Denkmal Kain
Mit einem Weheruf leitet der Autor des Judasbriefes im Folgenden eine Auflistung von Beispielen an, an denen der geneigte Leser nicht nur erkennen kann, dass ein solches triebgesteuertes und vorurteilsvolles Verhalten nicht nur zu den Grundgefahren menschlicher Existenz gehört; er zeigt auch die Folgen für seine Gegenwart auf:
Wehe ihnen! Sie sind den Weg Kains gegangen, gegen Lohn sind sie dem Irrtum Bileams verfallen, der Aufruhr Korachs hat sie ins Verderben gestürzt. Diese sind die Schandflecken bei euren Liebesmählern: Ohne Scheu prassen sie mit euch und weiden nur sich selbst. Wasserlose Wolken sind sie, von den Winden dahingetrieben; Bäume, die im Herbst keine Frucht tragen, zweimal abgestorben und entwurzelt; wilde Meereswogen, die ihre eigene Schande wie Schaum aufspritzen lassen; umherirrende Sterne, denen auf ewig die dunkelste Finsternis bestimmt ist. Auch ihnen gilt, was schon Henoch, der siebte nach Adam, geweissagt hat: Siehe, der Herr kommt mit seinen heiligen Zehntausenden, um über alle Gericht zu halten und jede Seele wegen all ihrer gottlosen Taten zu überführen, die sie verübt haben, und wegen all der frechen Reden, die die gottlosen Sünder gegen ihn geführt haben. Sie sind Nörgler, unzufrieden mit ihrem Geschick; sie lassen sich von ihren Begierden leiten; sie nehmen große Worte in den Mund und schmeicheln aus Eigennutz.
Die, die Ihre vermeintlichen Meinungen auf unbedachten, unterkomplexen und unreflektierten Vorurteilen aufbauen, entpuppen sich als Erben Kains. Er ist derjenige, der die erste Sünde beging. Das Wort „Sünde“ (hebräisch חטאת – gesprochen: chattat) taucht in Genesis 4,7 überhaupt zum ersten Mal in der Heiligen Schrift auf. Wenn also überhaupt, dann ist der Brudermord Kains der Sündenfall, ein Mord, der aus Neid und Missgunst erwächst – eine Sünde, vor der Gott warnt, bevor (!) Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Gerade das weist darauf hin, dass Kain nicht der Vernunft, sondern dem Trieb den Vorzug gab. Es ist dieser ichbezogene Weg, der der Weg Kains ist.
Ähnlich verhält es sich auch mit dem zweiten Vergleich, dem Irrtum Bileams, die auf die gleichnamige Erzählung im Buch Numeri (Numeri 22-24;31) zurückgeht. Während Bileam dort sich noch durch die Weigerung auszeichnet, Israel gegen den versprochenen Lohn zu verfluchen, lässt er sich nach einer späteren Überlieferung4) bestechen und wird dadurch zum Prototyp des gewissenlosen Verführers, der aus Hab- und Ichsucht vor keiner Untat zurückschreckt5).
Das Korachbesipiel schließlich geht auf Numeri 16,1-35 zurück. Dort lehnt sich Korach gegen die Weisungen des Mose auf, geht aber schließlich mit seinen Anhängern zugrunde.
Kain, wird allein schon dadurch, dass er als erster in dieser Reihe genannt wird, zum Prototyp des kritisierten Verhaltens. Der reine Ich-Bezug, die Geringschätzung des Lebens des Bruders, vor allem aber das Vorurteil an sich führt schon zur Verurteilung; Gott mahnt den späteren Mörder ja vor der Tat vor der Macht der Sünde, der er bei Tatausführung ja längst verfallen ist. Das Vorurteil bringt nicht nur keine Früchte, es ist letztlich leer, hohl, aufrührend ohne Nutzen. Die, die trotzdem so handeln, bezeichnet der Judas genannte Autor als Nörgler, die unzufrieden mit ihrem Geschick sind, sich nur von ihren Begierden leiten lassen, große Worte sprechen und aus Eigennutz schmeicheln (vgl. Judas 16) – eine Beschreibung vieler, die sich heutzutage schnell als Opfer stilisieren, sei es, weil sie als „rechte Christen“, die Nächstenliebe als Schutz der Familie verstehen und deshalb lieber Menschen auf dem Mittelmeer lassen wollen, sei es, dass gut situierte Menschen mit nichtdeutscher Herkunft im aktuellen #MeTwo-Hype über von mehr oder weniger dummen Zeitgenossen verursachte Diskriminierungserfahrungen räsonieren, ohne dabei zu erkennen, dass sie das in der Weise, wie sie es tun, nur können, weil sie eigentlich Privilegierte sind, so dass Jörg Wilamasena, nach eigener Auskunft ein Autor mit „sichtbarem Migrationshintergrund“, feststellt:
„Die Überhöhung des Opferstatus bestimmter Minderheiten sorgt jedenfalls nicht dafür, dass antirassistische Forderungen gesellschaftlich anschlussfähig werden – höchstens bei einer vermeintlich progressiven wohlsituierten Mittelschicht, die sich längst von Verteilungsfragen abgewendet hat und ihren Wohlstandsscham affirmativ auf Minderheiten projiziert, anstatt gegen Hartz IV und für gerechtere Löhne ins Feld zu ziehen. Die Leiharbeiter jeglicher Hautfarbe fragen sich vielleicht, warum man in den Altbauvierteln deutscher Großstädte über die Ausbeutung Afrikas durch Westeuropa diskutiert, dabei aber die Verteilungsfragen weitgehend ignoriert, die Schwarze und Menschen ohne sichtbaren Migrationshintergrund vor der eigenen Tür gleichermaßen betreffen.
Nicht weiße Männer, die migrantische Perspektiven nicht verstehen, sind das hervorstechendste Problem dieser Gesellschaft, sondern dass viele wenig und wenige viel besitzen. Die gemeinsame Erfahrung, sich die Miete nicht mehr leisten zu können und keine Rente, von der man leben könnte, erwarten zu dürfen, verbindet Millionen Menschen – Schwarze und Weiße, Homos und Heteros, Männer und Frauen. Es ist Zeit, wieder stärker Verteilungsfragen in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt lediglich die identitäts¬politische Anerkennung des eigenen Leids einzufordern.“6)
Endzeit ist immer
Die Menschheit ist im Laufe der Jahrhunderte zwar immer wissender, aber nicht wirklich weiser geworden. Die Kritik des Judas trifft auch in ihrer Diagnose auf die heutige Gesellschaft, in der so viele Habende, denen nichts genommen wird, Angst davor haben, dass auch andere etwas bekommen, damit sie leben können. Für den Autor des Judasbriefes ist die angstgetriebene Spaltung ein Zeichen der Endzeit:
Am Ende der Zeit wird es Spötter geben, die sich von ihren gottlosen Begierden leiten lassen. Diese sind es, die Spaltungen verursachen, irdisch gesinnte Menschen, die den Geist nicht besitzen.
Aber er kennt eine Therapie:
Ihr aber, Geliebte, baut weiter auf eurem hochheiligen Glauben auf, betet im Heiligen Geist, bewahrt euch in der Liebe Gottes und wartet auf das Erbarmen Jesu Christi, unseres Herrn, zum ewigen Leben! Erbarmt euch derer, die zweifeln; andere rettet, entreißt sie dem Feuer! Wieder anderer erbarmt euch in Furcht; hasst sogar das vom Fleisch befleckte Gewand!
Die Worte sind drastisch. Das Erbarmen, von dem hier die Rede ist, ist kein bloß frommer Wunsch. Es geht um Rettung, andere dem Feuer – es geht um das Feuer der Verdammnis, zu entreißen. Erbarmen in diesem sind ist kämpferisch, aktiv. Ist den Vorurteilsgetriebenen das Schicksal der anderen fremd, kann es denen, die Gott folgen, gerade nicht sein. Das gilt auch für das Schicksal der Spalter. Gerade weil die Endzeit allgegenwärtig ist, können Christen nicht schweigen. Sie – sicher nicht nur sie, aber vor allem auch sie – dürfen nicht ruhen, laut die Stimme der Vernunft in Wort und Tat auszurufen. Sie müssen unermüdlich differenzieren, wo Populisten das Bunte schwarz-weiß reden. Sie müssen um Gottes willen, der die Welt erschaffen hat, wie sie ist, die Komplexität der Welt differenzieren und die Zaudernden tröstend lehren. Sie müssen dem Beispiel Christi folgend den Einzelnen, sein Leben und sein Schicksal in der Vielfalt der Lebenden wieder in die Mitte stellen, wo andere massenkompatibel vereinfachen. Wer nur einen der Irrenden rettet, wird eine Welt gerettet haben. Und wie groß wäre es, „rechte Christen“ wieder auf den rechten Weg des Evangeliums zu führen. Schließlich kann niemand Christus folgen, ohne das Kreuz auf sich zu nehmen.
Auch wer jetzt schweigt, trifft damit eine politische Entscheidung. Das Wort Gottes aber kann man nicht schweigend verkünden:
Dem einen Gott aber, der die Macht hat, euch vor jedem Fehltritt zu bewahren und euch untadelig und voll Jubel vor seine Herrlichkeit treten zu lassen, ihm, der uns durch Jesus Christus, unseren Herrn, rettet, gebührt die Herrlichkeit, Hoheit, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und für alle Zeiten. Amen.
Es ist wieder eine Zeit, in der es ums Ganze geht.
Bildnachweis
Titelbild: Kain (Karel Vitezslav Masek – ca. 1910) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 2005, S. 371. |
2. | ↑ | Vgl. hierzu etwa Sebastian Dalkowski, Pegida-Teilnehmer skandieren „Absaufen! Absaufen!”, in: RP-online, 16.7.2018, Quelle: https://rp-online.de/politik/deutschland/pegida-teilnehmer-skandieren-absaufen-absaufen_aid-23954031 [Stand: 12. August 2018]. |
3. | ↑ | Vgl. hierzu Anton Vögtle, Der Judasbrief/Der 2. Petrusbrief, EKK XXII, Neukirchen 1994, S. 59. |
4. | ↑ | Anton Vögtle, Der Judasbrief/Der 2. Petrusbrief, EKK XXII, Neukirchen 1994, S. 65 verwesit hier auf einen Targum (einer Übersetzung alttestamentlicher Schriften aus dem Hebräischen in das Aramäische) zu Numeri 22,7 oder auch die Vita des Mose von Philo. |
5. | ↑ | Vgl. hierzu Anton Vögtle, Der Judasbrief/Der 2. Petrusbrief, EKK XXII, Neukirchen 1994, S. 65. |
6. | ↑ | Jörg Wilamasena, Jammern auf hohem Niveau, taz-online, 9.8.2018, Quelle: http://www.taz.de/!5524188/ [Stand: 12. August 2018]. |
Ein guter Beitrag der auch das Sinnbild der sog. „alten Schlange“ aufzeigt – als ein falscher Gedanke (ohne Gottes Willen zu hinterfragen), zu falschen Schritten (gehen ohne Gott) in Gedanken, Worten und dann fruchtlosen Werken führt.
Populismus mit „Wut und Hass“ (…da geriet der Drache in Zorn… Offb 12,17) ist dann das Ergebnis, weil die Vielfältigkeit der unüberschaubaren Welt wie ein sich verwandelnder (unüberschaubarer) “Drachen“ mit vielen von Gottes “Wort“, seiner „Wahrhaftigkeit und Treue“ ablenkenden Köpfen (Geistern, Irrlehrern, falschen Propheten) erscheint, um dann repräsentiert durch ein, dann wieder ein anderes egozentriertes also tierhaftes Wesen, in die Irre gehenden Menschen verführt. Leider lassen sich viele verführen