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Jede fünfte Familie in Deutschland ist alleinerziehend.1) Sogenannte Ein-Eltern-Familien sind keine Randerscheinung der Gesellschaft: Mittlerweile wachsen 2,2 Millionen bei alleinerziehenden Eltern auf. In vier von fünf Fällen liegt dieser Lebensform keine freie, bewusste Entscheidung zu Grunde, sondern meistens ist eine Trennung der Eltern der Grund für das Alleinerziehen. Wie die Studie „Alleinerziehende unter Druck“2) verdeutlicht, würdigt die Gesellschaft aber die Fürsorge-, Erziehungs- und Bildungsarbeit besonders alleinerziehender Mütter nicht (90% der Alleinerziehenden sind Frauen). Die Studie zeigt auf, dass aufgrund der nachteiligen Rechtslage im Unterhalts-, Steuer-, Beitrags- und Sozialrecht, sowie auf Grund fehlender Chancen am Arbeitsmarkt und einer mangelhaften Vermittlung in Weiterbildung und qualifizierte Beschäftigung es den Ein-Eltern-Familien zunehmend schwerfällt, von ihren Einkommen sich selbst und ihre Kinder zu versorgen. Das Fazit der Studie ist ernüchternd: „Finanzielle Engpässe oder sogar Armut, aber auch zu wenig Zeit für Familie und psychische Probleme sowie Stress, bergen Risiken für das Aufwachsen von Kindern dieser Ein-Eltern-Familien. Hier sind dringend wirksame Reformen notwendig, die die Situation von Müttern und Vätern und somit auch die Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern verbessern.“3) Alleinerziehenden Eltern begegnet ein Großteil der Gesellschaft mit dem apathischen Vorwurf „selbst schuld!“ und ihre Leistung wird nicht anerkannt. Ein Steuerbeispiel verdeutlicht auf drastische Weise, die ungerechte Behandlung: „Dass verheiratete Paare mit bis zu 15.000 Euro Steuervorteil pro Jahr vom Ehegattensplitting profitieren – unabhängig davon, ob sie Kinder großziehen oder nicht –, während Steuerklasse II, die Alleinerziehende beantragen können, eine Besteuerung fast wie ein Single bedeutet, ist ein weiterer Baustein in der strukturellen Benachteiligung. So sorgt der Staat dafür, dass berufstätige Alleinerziehende eine überproportional hohe Abgabenlast tragen, obwohl sie sich um zukünftige Steuerzahler kümmern, die auch die Rente von Kinderlosen eines Tages finanzieren werden.“4)
In die Wüste geschickt
Die heutige Gegenwart spiegelt sich bereits in der Bibel wider: Es gibt Patch-Work-Familien, Leihmütter (siehe dazu: „Familie – biblisch-kompliziert!“) und es gibt die Geschichte Hagars, der alleinerziehenden Mutter. Sie wurde mit ihrem Sohn Ismael im wahrsten Sinne des Wortes von Abraham in die Wüste geschickt.
Am Morgen stand Abraham auf, nahm Brot und einen Schlauch mit Wasser, übergab beides Hagar, legte es ihr auf die Schulter, übergab ihr das Kind und entließ sie. Sie zog fort und irrte in der Wüste von Beerscheba umher.
Abraham versorgt Hagar mit dem Nötigsten für eine Reise und schickt sie in die Wüste, ohne dass Hagar weiß, wo sie hingehen kann. Abraham legt alle Last auf ihre Schultern. Der Satzbau ist im Hebräischen kompliziert. In einem ersten Schritt nimmt Abraham den Reiseproviant und gibt ihn Hagar. Die verwendete Präposition deutet darauf hin, dass Abraham Hagar den Proviant nicht nur einfach gibt, sondern ihr „anvertraut bzw. in ihre Obhut gibt“. Abraham legt alles auf Hagars Schulter und dann folgt im Satzbau noch die Aussage „auch das Kind“. Wörtlich übersetzt kann man den hebräischen Text in Genesis 21,14 folgendermaßen wiedergeben: „Am Morgen stand Abraham auf, er nahm Brot und einen Wasserschlauch, gab [es] in Hagars Obhut, legte [es] auf ihre Schulter – auch das Kind – und schickte sie fort. Sie ging fort und irrte umher in der Wüste Beerscheba.“ Abraham versorgt Hagar zwar mit Reiseproviant, aber er sorgt nicht für ihre Zukunft. Er kümmert sich weder um sie noch um das Kind, vielmehr gibt er das Kind einfach in ihre Obhut, so wie er ihr Wasser und Brot gibt. Das Kind wird als Betroffener nicht in den Blick genommen. Die Verantwortung für Abrahams Sohn liegt nun vollends bei Hagar, die in die Wüste geschickt wird und dort ziellos umherirrt. Auch wenn in der Handlung Abrahams sein Sohn nur als Objekt betrachtet wird, ist er mit der Mutter der direkt Leidtragende.
Als das Wasser im Schlauch zu Ende war, warf sie das Kind unter einen Strauch, ging weg und setzte sich in der Nähe hin, etwa einen Bogenschuss weit entfernt; denn sie sagte: Ich kann nicht mit ansehen, wie das Kind stirbt. Sie saß in der Nähe und weinte laut.
Ohne die Fürsorge und den Schutz einer Großfamilie beziehungsweise eines Familienvaters waren Hagar und Ismael in der Wüste dem Tod ausgeliefert. Ohne Wasser bleibt der Mutter nur noch das verzweifelte Zusehen beim Tod ihres Kindes. Hagar wirft das Kind unter einen Strauch und entfernt sich, um das Elend nicht mitansehen zu müssen. Abraham hatte Hagar weggeschickt. Zwar konnte sie nicht über ihr Schicksal entscheiden, aber zumindest ist sie das Subjekt der folgenden Handlung. Ismael ist das leidende Objekt. Er wird zum Sterben hingeworfen, ohne selbst die Möglichkeit zum Handeln zu haben. Abraham kümmert sich nicht um seinen Sohn, Hagar kann ihn nicht versorgen und Ismael ist allem hilflos ausgeliefert. Hagar ist keine schlechte Mutter, sie hat keine andere Wahl, als das Kind sterben zu lassen. Sie selbst zerbricht an der Situation. In dieser Situation erweist sich Gott als fürsorgender Vater.
Gott hörte den Knaben schreien; da rief der Engel Gottes vom Himmel her Hagar zu und sprach: Was hast du, Hagar? Fürchte dich nicht, Gott hat den Knaben dort schreien gehört, wo er liegt. Steh auf, nimm den Knaben und halte ihn fest an deiner Hand, denn zu einem grossen Volk will ich ihn machen.
So wie Gott im Buch Exodus später das Klagen Israels unter der Sklavenherrschaft Ägyptens erhört, so erhört er hier das Weinen Ismaels. Der Todesschrei ist sozusagen der Weckruf, der Gott zum Eingreifen veranlasst. Die fehlende menschliche Verantwortung wird durch Gott ausgeglichen. Er wandelt die Not sogar in eine Verheißung. So wie dem verantwortungslosen Vater Abraham zuvor verheißen wurde, dass aus ihm ein großes Volk entstehen wird (siehe Genesis 12,2), wird nun Hagar verheißen, dass Gott ihren Sohn zu einem großen Volk machen will. Während die Mutter das Weinen des Kindes in ihrer Machtlosigkeit nicht ertragen kann, erhört Gott das Schreien. Dieser Kontrast ist keine Kritik am Handeln Hagars. Die Verheißung betont ihre positive Rolle als alleinerziehende Mutter. Sie ist direkt angesprochen und sie wird aufgefordert, den Knaben wieder zu sich zu nehmen und ihn fest an der Hand zu halten. Gott will Ismael zu einem großen Volk machen, aber dafür muss Hagar ihn dementsprechend leiten und erziehen. Die Verheißung liegt in der Verantwortung Hagars und Gott ermöglicht dies.
Gott öffnete ihr die Augen, und sie erblickte einen Brunnen. Sie ging hin, füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben zu trinken.
Gott hilft nicht nur mit den warmen Worten einer Verheißung, sondern er hilft direkt. Gott zeigt ihr einen Brunnen, an dem sie ihren Wasserschlauch wieder füllen kann, um Ismael zu trinken zu geben. In der damaligen Zeit war ein Brunnen wahrscheinlich ein tiefes (manchmal ausgemauertes) Loch in der Erde, in dem am Boden Wasser quillt. Solche Brunnen waren von Ferne kaum zu erkennen und durch geringste Bodenerhebung bereits verdeckt. Gott hilft mit den Gegebenheiten, in denen Hagar und Ismael sich befinden. Gott ermöglicht ein gutes Leben für Hagar und Ismael als eine Ein-Eltern-Familie.
Gott war mit dem Knaben. Er wuchs heran, ließ sich in der Wüste nieder und wurde ein Bogenschütze. Er ließ sich in der Wüste Paran nieder, und seine Mutter nahm ihm eine Frau aus Ägypten.
Fürsorge und Unterstützung
Hagar war eine Magd Sarahs, der Frau Abrahams. Da Sarah nicht schwanger wurde, forderte sie Abraham auf, Hagar zur Zweitfrau zu nehmen und zu schwängern. Am Ende der Geschichte steht Hagar als alleinerziehende Mutter völlig hilflos dar. Jede alleinerziehende Mutter, jeder alleinerziehende Vater hat ihre/seine ganz eigene Geschichte. Aber keine sollte ohne Fürsorge in die Wüste geschickt werden. Abraham hätte mehr Verantwortung zeigen müssen. Gott hingegen hat in der Wüste Hagars und Ismaels Verzweiflung nicht ignoriert und nicht durch ein übernatürliches Wunder, sondern durch den gegebenen Brunnen geholfen. Es bedarf kein übernatürliches Wunder, sondern die begleitende Fürsorge in den Gegebenheiten. Gott ermöglicht für Ismael und Hagar das Leben. Zudem verweist er auf die bedeutungsvolle Rolle Hagars in der Erziehung Ismaels, die zur Erfüllung seiner Verheißung führen wird. Die alleinerziehende Hagar trägt bei zur Erfüllung der göttlichen Verheißung, weil Gott es ihr ermöglicht, ihren Sohn abgesichert großzuziehen. Für die Zukunft Hagars und Ismaels reichte kein Reiseproviant, sondern begleitende Fürsorge.
Bildnachweis
Titelbild: „Baby Child Newborn Arms“, fotografiert von jakobking85. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | „Familien mit minderjährigen Kindern in der Familie nach Lebensform und Kinderzahl im Jahr 2015“, Statistisches Bundesamt [Stand: 15. Juli 2016]. |
2. | ↑ | „Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf“, Anne Lenze im Auftrag der Bertelsmann Stiftung [Stand: 15. Juli 2016]. |
3. | ↑ | „Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf“, Anne Lenze im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, S. 80 [Stand: 15. Juli 2016]. |
4. | ↑ | „Keine Privatsache“, Christine Fink, Der Freitag Nr. 28/2016, 14.07.2016. |
Danke sehr für die klaren Gedanken über diese Begebenheit.
Als alleinerziehende Mutter kann ich das nur bestätigen.
Gott hat für meine drei Kinder und mich wunderbar gesorgt.
Jetzt sind sie erwachsen und helfen mir.
Wo kann ich nachlesen, wie die Geschichte mit Ismael weitergeht? Welches Volk ist das Volk seiner Verheißung ?
Genesis 25,12-18