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Gemäß dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist der Staat verantwortlich für die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums jedes Bürgers.1) Im Angesicht dessen klingt die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht wie eine Utopie, sondern es geht um eine zu diskutierende Alternative zur momentanen Form des Sozialstaates. Über eine finanzielle und existenzsichernde Zuwendung, die jedem Menschen mit dauernder Aufenthaltserlaubnis ohne Rücksicht auf das Einkommen, Arbeit oder Lebensweise zusteht, wurde am Sonntag in der Schweiz per Referendum abgestimmt. In Finnland, in der kanadischen Provinz Ontario und in Kenia werden Pilotprojekte geplant.2)
Lilien und Ameisen
Mit dem Buch der Sprichwörter könnte man den Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens Faulheit vorwerfen. Ihre Forderung sei nichts anderes als „Herrrschaftsideologie der Internet-Bourgeoisie und […] Sozialphilosophie des Digitalprekariats, das seine Scheinselbstständigkeit mit einer pauschalen Geldleistung absichern zu können hofft“3). Ist die Konsequenz des Grundeinkommens nicht, dass Faulheit bezahlt wird?
Geh zur Ameise, du Fauler, betrachte ihr Verhalten, und werde weise!
Die in Israel am weitesten verbreitete Ameisenart ist die Ernteameise (messor semirufus).
Stetig, ihr ganzes Leben sammeln diese Ameisen Körner und bringen sie in die unterirdischen Nester, wo sie nach Pflanzenart sortiert und von den Schalen befreit werden. Die Samen werden dann verarbeitet, indem sie stundenlang zerkaut und mit Enzymen angereichert werden. So entsteht das sogenannte „Ameisenbrot“, das die Grundnahrung dieser Ameisenart darstellt. Sie arbeiten aus eigenem Antrieb, um zu leben.
Sie hat keinen Meister, keinen Aufseher und Gebieter, und doch sorgt sie im Sommer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat. Wie lang, du Fauler, willst du noch daliegen, wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig schlummern, noch ein wenig die Arme verschränken, um auszuruhen. Da kommt schon die Armut wie ein Strolch über dich, die Not wie ein zudringlicher Bettler.
Die Arbeit bestimmt die Existenz der Ameise, ohne das es ihr autoritär vorgeschrieben wird. Sie erarbeitet sich ihr Überleben und ihr Leben ist ihre Arbeit. Wenn man sie betrachtet kann man gemäß dem Buch der Sprichwörter weise werden. Wenn im Alten Testament von Weisheit (חכמה, gesprochen ḥokhmāh) gesprochen wird, geht es nicht nur um eine intellektuelle Kompetenz, sondern es handelt sich ganz allgemein um durch Erfahrung gewonnene Erkenntnis. So gehören auch handwerkliche Fähigkeiten zur Weisheit (siehe zum Beispiel Exodus 35,25-26 und Exodus 28,2-4). Weisheit ist handlungsorientiert und sie spiegelt sich in der Lebenspraxis des Menschen wieder und zeigt sich in der dauernden Bemühung des Menschen. Die Aussage Jesu über die Lilien auf dem Feld und die Vögel am Himmel scheint dementsprechend nicht sehr weise zu sein und man könnte ihm die Kritik aus dem Buch der Sprichwörter entgegenhalten. Im Matthäusevanglium sagt er:
Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, daß ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen! Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr das alles braucht. Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben. Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.
Als eine ökonomische Naivität wurden diese Verse kritisiert, die durch jeden verhungerten Spatz wiederlegt werden kann.4) Aber es geht hier nicht um eine Minderung des Arbeitsethos und auch nicht um eine Aufforderung zur Faulheit. Es geht nicht darum, dass positives Kümmern und Sorgen falsch seien. Es geht um das Königreich Gottes. Einen Vers zuvor fordert Jesus eine klare Entweder-Oder-Entscheidung:
Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.
Der Vergleich mit den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes ist eine Ermutigung zur eigenen Indienststellung, zur Arbeit für das Königreich Gottes, zur Nachfolge Jesu. Weder die Vögel noch die Lilien sind „faul“, ihre Arbeit besteht in der Verwirklichung dessen, wozu sie bestimmt sind. Für den Menschen bedeutet das nicht, dass ihm alles kostenlos zufallen wird, sondern dass er sich in der Befolgung des Willens Gottes seine „Schätze im Himmel“ sammeln kann (Matthäus 6,19-21) und zugleich am Himmelreich Gottes auf Erden mitarbeitet. Selbst im Paradies gab es kein bedingungsloses Grundeinkommen. Zwar waren Eva und Adam bestens durch Gott versorgt. Der Garten war mit köstlichen Früchten gefüllt. Aber der Mensch wurde nicht allein zum Essen in den Garten gesetzt:
Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.
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Arbeit und Fürsorge
Nachdem Adam und Eva im Paradies von der verbotenen Frucht gegessen hatten, verstellt ihnen Gott den Zugang zum Paradies und verheißt dem Menschen ein Arbeiterleben in Mühsal:
Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen.
Dieses düstere Menschenbild dramatisiert sich bei einem simplen Blick in die Welt, in der viele Menschen sich nicht einmal ihr zum Überleben notwendige Existenzminimum erarbeiten können. Darin unterscheidet sich die heutige Welt nicht von der biblischen Welt. Realistisch verheißt Gott im Buch Deuteronomium seinem Volk vor dem Einzug ins verheißene Land, in dem Milch und Honig fließen:
Doch eigentlich sollte es bei dir gar keine Armen geben; denn der Herr wird dich reich segnen in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt und das du in Besitz nimmst, wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst, auf dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, achtest und es hältst.
Es gibt in der Sozialgemeinschaft Israel, die unter dem Segen Gottes steht, in ihrem Land eigentlich keinen Grund für Armut. Aber selbst im Angesicht des Segens ist das Gotteswort realistisch und wenige Verse später heißt es:
Die Armen werden niemals ganz aus deinem Land verschwinden. Darum mache ich dir zur Pflicht: Du sollst deinem notleidenden und armen Bruder, der in deinem Land lebt, deine Hand öffnen.
Die Realität der Armut wird mit dem Willen und dem Gebot Gottes konfrontiert. Nicht Gott schafft die Armut ab, sondern er beauftragt die Gemeinschaft dazu. Ein Werkzeug hierzu ist die in Deuteronomium 14,28-29 vorgeschriebene Armensteuer: alle drei Jahre sollen 10 Prozent der Jahresernte zur Versorgung von Bedürftigen eingesammelt und gelagert werden.
Grundeinkommen
Die Sozialgemeinschaft trägt die Verantwortung dafür, dass Arbeit kein Elend verursacht und Armut gemindert wird. Hierzu bietet die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens eine zu diskutierende Möglichkeit. In dieser Diskussion kann die Bibel unter anderem zwei wichtige Aspekte einbringen: 1.) Auch die Gewährung eines Grundeinkommens ist keine Wunderwaffe. Die Gleichheit im Empfang des Grundeinkommens darf nicht zu einer Blindheit für die sozialen Probleme innerhalb der Gesellschaft führen. Selbst Gottes Segen beendet die Armut nicht (Deuteronomium 15,11). 2.) Im Weltbild der Bibel gehört die Arbeit zum Menschsein und sie prägt die Existenz. Selbst das Paradies war nur zum Preis der Arbeit zu haben und der Mensch konnte über es nicht bedingungslos verfügen (Genesis 2,15).
Bildnachweis
Titelbild: „Basic Income Demonstration in Berlin“, fotografiert von stanjourdan. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0.
1. Bild im Textverlauf: „ Ameisen der Gattung Messor tragen Getreidekörner in ihren Bau ein “, fotografiert von Donkey shot. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0.
2. Bild im Textverlauf: „ Hand Money “, fotografiert von Mizianitka. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Siehe das Sozialstaatsgebot des deutschen Grundgesetzes (Art. 20 und 28 GG) in Verbindung mit dem vom Grundgesetz (Art. 1 GG) verlangten Schutz der Menschenwürde. |
2. | ↑ | Vgl. „Marathonlauf in die Zukunft“, Timo Reuter, Der Freitag 22/2016, Printausgabe 02.06.2016. |
3. | ↑ | „Das Lebensmodell eines Lottogewinners“, Christoph Butterwegge, Der Freitag 22/2016, Printausgabe 02.06.2016. |
4. | ↑ | Vgl. „Atheism in Christianity“, Ernst Bloch, New York 1972, S. 138. |
Seit Jahren kommt das Thema bedingungsloses Grundeinkommen hier bei uns auf, allerdings gehen die Meinungen zu diesem Thema sehr weit auseinander. Aktuell wäre es sicherlich auch gar nicht umsetzbar, dennoch würde es vielen Menschen endlich wieder mehr Lebensqualität bieten. Allein aus diesem Grund sollte das Thema nicht einfach beiseite geschoben werden.