Im Erzbistum Köln wird über die Veröffentlichung der Missbrauchsuntersuchung einer Münchener Anwaltskanzlei, die wegen fachlicher Mängel zurückgezogen wurde, gestritten. Und während des Seligsprechungsverfahrens des Gründers der Schönstatt-Bewegung, das mittlerweile bereits 45 Jahre andauert, eröffnen sich Abgründe. Doch längst steht die katholische Kirche in Deutschland nicht mehr am Abgrund, sondern ist den entscheidenden Schritt in den freien Fall bereits gegangen. Zur Erinnerung: Nachdem der Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, der Jesuit Klaus Mertes aufgrund mehrerer ihm bekannt gewordener Missbrauchsfälle aus den 1970er und 1980er Jahren einen Brief an die Absolventen der betroffenen Jahrgänge schrieb, um damit „beizutragen, dass das Schweigen gebrochen wird“, begann die gesamtgesellschaftliche Debatte über Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Dieses Schweigen war gebrochen – und es folgte ein anderes Schweigen: das der langsamen, zögernden Aufarbeitung. Zehn Jahre sind vergangen. Vielleicht gab es Lernprozesse in der kirchlichen Hierarchie, doch Gerechtigkeit fehlt weiterhin.
Zwar wird innerhalb der Kirche die Taufe gespendet, doch selbst ist sie weder reingewaschen noch geheiligt. Oh, wie weit sind wir vom Gottes Reich entfernt:
Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden?
Müsste die Kirche es nicht besser wissen? Liegen die Unrechtsstrukturen dieser Welt nicht hinter uns und steht die Tür zum Reich Gottes nicht vor uns weitgeöffnet? Paulus benennt die Unrechtsstrukturen dieser Welt sehr deutlich. In seinem Katalog der menschlichen Abgründe richtet er seinen Blick auch auf Menschen, die Kinder missbrauchen. Nein, „Knabenschänder“ werden das Reich Gottes nicht erben. Und was ist mit denen, die die Gerechtigkeit unterdrücken? Was ist mit denjenigen, die die Kinderschänder deckten? Was ist mit einer Kirche, die sich dem Missbrauch in den eigenen geheiligten Reihen nicht frontal stellt, nicht öffentlich und persönlich Verantwortung übernimmt? Was ist das für ein Gottesvolk, das die restlose und schmerzvolle Aufklärung verzögert und somit das Leid der Menschen unterdrückt? Es ist eine Kirche, die wieder die Bedeutung der Worte lernen muss, die sie doch seit Jahrhunderten betet:
Wende dich uns zu, du Gott unsres Heils, lass von deinem Unmut gegen uns ab! Willst du uns ewig zürnen, soll dein Zorn dauern von Geschlecht zu Geschlecht? Willst du uns nicht wieder beleben, dass dein Volk an dir sich freue? Lass uns schauen, HERR, deine Huld und schenk uns dein Heil! Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der HERR seinem Volk und seinen Frommen, sie sollen sich nicht zur Torheit wenden. Fürwahr, sein Heil ist denen nahe, die ihn fürchten, seine Herrlichkeit wohne in unserm Land.
Lasst uns so handeln, dass wir in Gottesfurcht den Zorn Gottes von unserer Kirche abwenden – denn wir dürfen nie vergessen: Gott steht nicht auf der Seite der Kirche, sondern auf der Seite der Leidenden und Unterdrückten.1)
Einzelnachweis
1. | ↑ | Lesenswert zu dem Thema dieses Textes ist auch Werner Kleines “Standpunkt” auf katholisch.de: “Für solide Aufklärung bei Missbrauch – nicht nur im Erzbistum Köln“. |