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„Gott hat zu mir gesprochen!“ – dieser Satz ist ein sicherer und schneller Weg in die psychiatrische Klinik; oder zumindest in die Isolation von der aufgeklärten Gesellschaft. Eine zu hohe innere Gottesgewissheit könne nur ein Anzeichen einer krankhaften Psyche sein. Gottes Stimme finde sich in der Vergangenheit – er habe zuzusagen ausgesprochen. Im Christentum verschwanden im 3. Jahrhundert die Propheten und Prophetinnen. Sie, die ein Ohr für das Wort Gottes hatten, waren anfangs noch ein wichtiges Element in der Kirche – die Kirche in der Zeit des Apostel Paulus sah noch deutlich anders aus:
Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm. So hat Gott in der Kirche die einen erstens als Apostel eingesetzt, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer; ferner verlieh er die Kraft, Machttaten zu wirken, sodann die Gaben, Krankheiten zu heilen, zu helfen, zu leiten, endlich die verschiedenen Arten von Zungenrede.
Man könnte das Amt des Propheten in den paulinischen Briefen vielleicht mit der Funktion eines Predigers vergleichen:
Wer aber prophetisch redet, redet zu Menschen: Er baut auf, ermutigt, spendet Trost.
Aber ihnen werden „Offenbarungen“ zuteil, die Paulus auch „prophetische Eingebungen“ nennt. Diese sind in der kreativen, charismatischen Gemeinde sogar nicht nur auf die Propheten begrenzt – aber es gibt keinen Zwang sie zu glauben, sondern diese Offenbarungen müssen kritisch hinterfragt werden:
Auch zwei oder drei Propheten sollen [im Gottesdienst] zu Wort kommen; die anderen sollen urteilen. Wenn aber noch einem andern Anwesenden eine Offenbarung zuteilwird, soll der erste schweigen; einer nach dem andern könnt ihr alle prophetisch reden. So lernen alle etwas und alle werden ermutigt. Die Äußerung prophetischer Eingebungen ist nämlich dem Willen der Propheten unterworfen.
Während dann im weiteren Laufe der Geschichte Propheten in der Kirchenordnung noch positiv erwähnt werden, zeigt sich dann bereits um 100 n. Chr., dass die Funktion von Propheten langsam auf Bischöfe und Diakone qua Amt überging: „Wählet euch Bischöfe und Diakonen, würdig des Herrn, Männer voll Milde und frei von Geldgier, voll Wahrheitsliebe, erprobte; denn sie sind es, die für euch versehen den heiligen Dienst der Propheten und Lehrer.“ (Didache 15,1). Der prophetische Anspruch ging völlig auf diejenigen über, die der Gemeinde ihre Gegenwart und Zukunft aus den gegebenen Glaubensdokumenten der Tradition erklären: Prophetie wandelte sich zur belehrenden Auslegung.
Durchdringend
Doch die biblische Prophetie wird nicht durch ein Amt bestimmt, sondern durch das gesprochene Wort Gottes. Der Prophet ist sich gewiss, unmittelbar die Stimme Gottes zu vernehmen – „Spruch des HERRN“. Dies schließt keinen Reflexionsprozess und keine Abwägung aus. Aber in den Büchern der Propheten dringt die göttliche Stimme in die Welt hinein – immer wieder „Spruch des HERRN“ -, wird durch eine auserwählte Person verkündet – und das zu Verkündende erzwingt unbedingten Gehorsam. Es ist ein Mensch der Gottes Wort hör- oder lesbar macht. Im Buch des Propheten Jeremia ist die Wehrlosigkeit des Menschen gegenüber der Macht der Stimme Gottes dramatisch und poetisch niedergeschrieben:
Du hast mich betört, o HERR, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja, sooft ich rede, muss ich schreien, Gewalt und Unterdrückung! muss ich rufen. Denn das Wort des HERRN bringt mir den ganzen Tag nur Hohn und Spott. Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so brannte in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht.
Der Prophet ist zu seiner Berufung gezwungen. Die Stimme Gottes überwältigt, ergreift Besitz, durchdringt ein Leben, um die ganze Welt zu durchdringen.
Hören
Aber nicht jeder Prophet wird von der Stimme Gottes überwältigt und versteht, von nun an im Dienst des Allmächtigen zu stehen. Die Stimme Gottes kann ihren Weg in die Welt auch durch eine einfache Anrede beginnen. „Samuel“, mit der Nennung seines Namens beginnt die Geschichte des Propheten, der den Hirtenjungen David zum König von Gottes Gnaden salben wird. Samuel jedoch rechnet nicht mit der göttlichen Stimme in der Welt und rennt daher zu seinem Herrn:
Der HERR rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen!
Es kann nicht sein, was nicht sein soll. Die Unwahrscheinlichkeit wird durch das Denkbare besiegt. In dieser Situation braucht es eine Hilfe zum Perspektivwechsel, um die Wirklichkeit anders zu betrachten:
Da rief der HERR den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der HERR den Knaben gerufen hatte. 9 Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, HERR; denn dein Diener hört.
Nur in einem Kontext des Glaubens kann das Erkennen der Stimme Gottes ermöglicht werden – und dann gilt es zum Dienst bereit zu sein.
Stille
In unserer Zeit gibt es scheinbar keine Propheten mehr, die eine direkte Botschaft Gottes an die Welt übermitteln. Wir sind verkopft und hören in die Vergangenheit. Was sagt das über die Gegenwart aus? Ist Gottes Stimme verstummt? Wenn sie in die Welt noch hineinreden würde, gäbe es keine Möglichkeit sie nicht zu hören. Oder sind die psychiatrischen Kliniken vielleicht voll von Propheten? Selbst der Autor dieses Textes würde keinem Menschen vertrauen, der eine direkte Botschaft Gottes im Hier und Jetzt an die Welt übermittelt, ohne dass man selbst in der Lage wäre, die göttliche Stimme zu vernehmen. Haucht der Heilige Geist nur noch wortlos in unserer Zeit? Oder müssen wir als Kirche nicht zu uns selbst sagen: „Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich ruft, dann antworte: Rede, HERR; denn dein Diener hört.“ Enden wir dann in einer verrückt-machenden Stille oder erklären wir die für verrückt, die eine Stimme hören? Es wird wieder Zeit für Propheten und Prophetinnen, die Gottes Stimme hören, die aufbauen, ermutigen und Trost spenden.
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Titelbild: Gespräch. Fotografiert von Marisa Sias. Lizenz: Pixabay-Lizenz.