Annus Liturgicus·Ecclesiastica

Glauben ist ein Tuwort Das tödliche Fehlen der Nächstenliebe

Man kann vieles in der Gesellschaft, in der Politik und in der Kirche aus biblischer Perspektive kommentieren – das hat der Blog, auf dem dieser Text erschienen ist, in den letzten Jahren vielfältig belegt. Die Bibel ist für Christinnen und Christen, die ihren Standpunkt in dieser Welt suchen, kein unverzichtbares Buch – auch wenn nur 23% der Katholikinnen und Katholiken die Heilige Schriften ihrer Religion für unverzichtbar halten.1) Ja, die Bibel ist für den Glauben der Menschen ein unbequemes Buch, ein schweres geschichtliches Artefakt, das man durch sein Leben schleppt und in dem es viele Stolpersteine gibt: Ihr Inhalt sei frauenfeindlich, diskriminierend, gewaltverherrlichend. Nicht jeder Stimme, die im Kanon erklingt, stimmt man zu.

In diesen Tagen, in denen nun das Sommerloch hinter der nördlichen Hemisphäre liegt, und zum Anfang der Zeit des Verwelkens das Leben in der Gesellschaft, der Politik und der Kirche wieder Fahrt aufnimmt, werden in den Heiligen Messen unbequeme Worte aus dem Jakobusbrief2) verkündet – sie sind unbequem für die Kirche, ihre Rolle in der Gesellschaft und für jeden einzelnen Christen und jede einzelne Christin: der Glauben ohne Werke der Nächstenliebe ist tot.

Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Jakobus 2,14

– so fragt der Autor des Jakobusbriefes seine Adressaten und auch die heutige Christenheit. Seine Antwort ist ein Schlag in den Magen:

So ist der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Jakobus 2,17

Der Glaube an die Menschwerdung Gottes, an den Tod und die Auferstehung Jesu, ja an die gesamte Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit ist nutzlos, wenn sie nicht zur Gottes- und Nächstenliebe führt. Die Erzählung der Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten führt zur Offenbarung Gottes Willen. Die Einhaltung des alttestamentlichen Gesetzes ist die Antwort des Gottes Volkes auf die Befreiung. Und für Christinnen und Christen ist die Einhaltung dessen, was der Autor des Jakobusbriefes das „vollkommene Gesetz der Freiheit“ nennt:

Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft und an ihm festhält, wer es nicht nur hört und es wieder vergisst, sondern zum Täter des Werkes geworden ist, wird selig sein in seinem Tun. Jakobus 1,25

– und hier beginnt für einige der unbequeme Teil des Glaubens. Glauben ist ein Tuwort. Gottesdienst bedeutet, die Not der Leidenden zu wenden (Jakobus 1,27). Gemeinschaft bedeutet, nicht nach dem Ansehen einer Person, sei sie arm oder reich, zu urteilen (Jakobus 2,1). Glauben ist Nächstenliebe:

Wenn ihr jedoch das königliche Gesetz gemäß der Schrift erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!, dann handelt ihr recht. Jakobus 2,8

Glauben ohne Werke der Nächstenliebe ist Selbstbetrug. Ein solcher mag vielleicht für diejenigen, deren Glauben tot ist, passend sein – und für sie ist auch die mahnende Stimme im Jakobusbrief verzichtbar. Doch der christliche Glauben ist in dieser Welt, in der Kirche und in der Gesellschaft, nicht in schöner Ästhetik und schönen Worten zu erkennen, sondern nur in Taten.

Du glaubst: Es gibt nur einen Gott. Damit hast du Recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern. Willst du also einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? Jakobus 2,19-20

Christinnen und Christen, und mit ihnen die Kirche, sind Täter! – Täter der Nächstenliebe; ansonsten sind sie nutzlos.

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Bildnachweis

Titelbild: von Pxhere. Lizenz: Gemeinfrei.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Jeder zweite Katholik: Bibel ist kein unverzichtbares Buch“, Die Tagespost, 2. September 2021.
2. Eine ausführliche Einleitung von Werner Kleine in den Jakobusbrief gibt es hier: “Tatwort glaube“.
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