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Die Stimme der Kirche ist heiser geworden. Trotzdem scheint die Öffentlichkeit sich noch für kirchliche Themen zu interessieren. Vor allem, wenn Streit, Konflikt und Polarisierungen im Raum stehen, scheint sich auch die sonst wenig kirchenaffine Öffentlichkeit wohlig zurückzulehnen, um dem Schauspiel zu folgen. Wenn man den Konflikt zwischen zwei Kardinäle wie Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki wunderbar mit Dolchstoß-Metaphern in Verbindung bringen kann, wie es in der FAZ vom 22.9.2019 geschah1), dann wird die Frage nach den strittigen Inhalten alleine schon optisch durch eine Bildgebung in den Hintergrund gerückt, die an die Konfrontation zweier Boxer vor dem großen Kampf erinnert. Was sind schon ein episches „Rumble in the Jungle“ zwischen Ali und Foremann, wenn zwei Kirchenmänner im römischen Ringen um die Wahrheit kämpfen. Popcorn für alle! Die Show kann beginnen!
Wahrnehmungen
Was wird da in der Welt von der Kirche wahrgenommen? Die Vertreter der selbsternannten Hüterin der Wahrheit sprechen in vielen Zungen – und niemand ist da, der die episkopale Kakophonie auflösen könnte. Nicht dass Dissonanzen an sich schädlich wären. Ganz im Gegenteil. In jeder Symphonie sind sie das Salz in der Suppe, schaffen Dramaturgie, Fortschritt im Klang, ein Schweben zwischen Anspannung und Auflösung. Es ist die Dissonanz, die die Lösung mit Spannung erwarten lässt. Keine Erkenntnis ohne Dissonanz. Eine Dissonanz aber macht nur im Ganzen einen Sinn. Die vielstimmige Besserwisserei, die offenkundige Unfähigkeit zu dialogischem Ringen, die Kommunikationen hinter den Rücken der jeweils anderen, das Streiten über und in Banden, die Parteiungen – all das ist nicht in sich schädlich, wohl aber wenn es zum beherrschenden Gestaltgebungsprinzip der Kirche wird. Und das gilt nicht nur für die Art und Weise, wie die, die Hirten sein sollten, miteinander reden oder eben nicht reden. Auch sonst ist die Kirche der Gegenwart von unversöhnlichen Polarisierungen gekennzeichnet. Dem Engagement meist weißhaariger Frauen, die es satt haben, bloß als Beterinnen und Helferinnen herhalten zu dürfen, sondern in der Bewegung „Maria 2.0“ fordern, dass das Wort Jesu nicht nur wohlfeil verkündet, sondern auch gelebt wird, wird flugs ein schlecht kopiertes, aber zumindest in der Namensgebung veraltet anmutendes Update „Maria 1.0“ mit dem Anspruch entgegengesetzt, hier würde man dem Original folgen – das freilich tut man gerade nicht, wenn man die Bewegung „1.0“ nennt; Originale brauchen keine Versionsbezeichnungen!
Man könnte die Liste gegenwärtiger kirchlicher Formatierungsversuche noch erweitern. Die Frage nach der Machtverteilung in der Kirche gehört dazu. Die Frage an sich ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass Jesus seinen Jüngern gerade den Machtverzicht in die apostolische DNA einschreibt:
Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Machtphantasien
Die Erzählung aus dem Markusevangelium zeigt freilich, dass das Streben nach Macht selbst den Aposteln nicht fremd war. Sie, die sich in der unmittelbaren Gemeinschaft und Nachfolge Jesu befinden, sollten es doch eigentlich besser wissen. Aber auch sie verteilen nicht nur das Fell eines nicht erlegten Bären; sie begreifen auch nicht, dass es gar keine Bären zu erlegen gilt. Menschenfischer sollten sie sein (vgl. Markus 1,17 parr), aber keine machtgeilen Minister. Die Seuche der Macht aber befällt sie trotzdem – und wurde offenkundig durch Handauflegung und Gebet an ihre Nachfolger weitergegeben. Sicher, selbst der Papst folgt seinem Herrn ebenso in der fußwaschenden Demutsgeste wie die anderen geweihten Häupter, die Christus als das Haupt der Kirche repräsentieren sollen. Die damit verbundene Haltung aber haben offenkundig nicht alle verinnerlicht:
Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr danach handelt.
Kaum einer – wenn überhaupt einer – von denen, die gerne vom „Dienst der Leitung“ reden, geriert sich wie ein Sklave der zu Leitenden. Im Gegenteil: Die Kirchengeschichte hat aus den Menschenfischern monarchische Episkopen gemacht. Das mag dem Wirken des Heiligen Geistes geschuldet sein, der durch die Zeiten weht – muss es aber nicht. Genauso könnte es eine inkulturative Anpassung an einen Zeitgeist gewesen sein, als man im frühen vierten Jahrhundert der allgemeinen Zeitrechnung mit der konstantinischen Wende beginnend, die das Christentum zur Staatsreligion werden ließ, die Hierarchien des profanen römischen Verwaltungsapparates kirchlich adaptierte. Hat man Sklaven jemals in Purpur gewandet gesehen? Und sind die, die jetzt das Purpur tragen, wirklich bereit, mit ihrem Blut für den Gekreuzigten einzustehen? Was ist aus der Kirche Jesu Christi geworden, in der um Macht gerungen wird? Da ist ein Fehler im ekklesialen Content Management System!
Form und Inhalt
Die Kirche ist außer Form geraten. Deshalb hängt sie in den Seilen. Sie ist angezählt. Mühsam wird allenthalben versucht, sie in Zukunfts- und Dialogprozessen, ja auch in synodalen Wegen wieder in Form zu bringen. Meist versuchte man es bisher mit etwas strukturellem Doping. Verschlankungskuren sollten die Kirche wieder fit machen – machten sie aber nicht. Weil man offenkundig spürte, dass ein wenig Kosmetik ebenso wenig bringt, wie dem Boxer Muskeln auf den Leib zu malen, wird immer wieder propagiert, man müsse auch über die Inhalte reden. Gerne wird dann das versatile verwendbare Adjektiv „geistlich“ – wahlweise auch „spirituell“ – verwendet. Das hat etwas Einhauchendes und Beseelendes. Leider wissen viele aber nicht, was unter „geistlich“ genau zu verstehen ist. Irgendetwas Frommes vielleicht oder etwas Biblisches. Eine Rückbesinnung auf die Wurzeln vielleicht, den Herrn, der seine Jünger auffordert, sich wie Sklaven und nicht wie Herren zu benehmen. Aber nein – das würde ja Veränderung bedeuten. Nein – ein geistliches Placebo muss es auch tun. Tut es aber offenkundig nicht. Oder vielleicht doch? Man muss es einfach nur immer und immer wieder sagen … bis das schale Salz tatsächlich nach nichts mehr schmeckt.
Andere versuchen es wiederum mit einer ganz anderen Strategie. Sie versuchen die in den Seilen hängende Kirche stark zu reden. Marketing ist das Gebot der Stunde. Man kann sich die Kirche halt auch schönreden. Hier und da gründen sich dann tatsächlich innovative Initiativen, deren Nachhaltigkeit man zwar erst in einigen Jahrzehnten überprüfen könnte. Immerhin aber haben sie jetzt Potential, ein wenig Lebendigkeit vorzugaukeln – allein: Sie entfalten bestenfalls lokale Relevanz und beleben nicht den offenkundig ausgelaugten Leib Christi der Gegenwart.
Das freilich mag an einem fundamentalen Denkfehler liegen, der viele pastorale Strategen befällt: Sie wollen Kirche vermarkten, als sie sei die Kirche selbst die Marke, ein Zweck in sich! Tatsächlich scheint das ein fundamentales Wahrnehmungsproblem auch innerhalb der Kirche zu sein. Egal ob Traditionalisten oder selbsternannte Progressive – sie alle sehnen sich nach einer Kirche, die ihren Bedürfnissen passt. Die einen erklären da meist den Zustand der Kirche vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum prototypischen Idealzustand, die anderen den Zustand der Kirche unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den damals aufkommenden verheißungsvollen Visionen einer Aufhebung des Zölibates, der Weihe von Frauen (in welche Ämter auch immer) und der Aufhebung des real existierenden Schismas zwischen Klerikern und Laien. Es wird so oder so um die Form der Kirche gerungen, die gleichzeitig zum Inhalt erklärt wird. Dabei ist die Kirche selbst nie Ziel der Verkündigung; vielmehr ist sie
„in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“2)
Die Kirche ist also eindeutig die „bloß“ äußere Form, die einem Inhalt Gestalt geben soll. Sie ist nicht selbst ihr Inhalt – der ist von ihr verschieden. Aber um welchen Inhalt geht es da?
Der Schatz
Paulus ringt im 2. Korintherbrief – obschon er der Gründervater der korinthischen Gemeinde ist – um seine Anerkennung durch die Gemeinde, gerade weil auch Apostel (und ihre Nachfolger) ohne die Gemeinde ebenso bedeutungslos sind, wie die Gemeinde ohne ihre Hirten. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit von Apostel und Gemeinde, die Paulus unumwunden ins Wort bringt:
Denn das ist unser Ruhm – und dafür zeugt auch unser Gewissen – , dass wir in der Welt, vor allem euch gegenüber, in der Aufrichtigkeit und Lauterkeit, wie Gott sie schenkt, unser Leben führten, nicht aufgrund menschlicher Weisheit, sondern aufgrund göttlicher Gnade. Denn wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest und kennt; ich hoffe, ihr werdet noch ganz erkennen, wie ihr uns zum Teil schon erkannt habt, nämlich dass wir euer Ruhm sind, so wie ihr unser Ruhm seid, am Tag unseres Herrn Jesus.
Der Konflikt zwischen Apostel und Gemeinde, der sich offenkundig an der Frage des Umgangs mit Spendengeldern entzündete3), belastet nicht nur den Verkünder Paulus als Person. Das Bild, das eine so zerstrittene Gemeinde bzw. Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde abgibt, ist auch nicht dazu angetan, das Evangelium zum Leuchten zu bringen – denn genau darum geht es:
Wenn unser Evangelium dennoch verhüllt ist, ist es nur denen verhüllt, die verloren gehen; denn der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläubigen verblendet. So strahlt ihnen der Glanz des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Bild ist, nicht auf. Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.
Beziehungsdefinitionen
Die Stärke des Evangeliums liegt darin, dass es selbst in zerbrechlichen Gefäßen leuchtet. Es ist aber gerade die Rückbesinnung auf diesen Urgrund, aus dem die Gemeinde erst erwächst. Für Paulus ist dieses Fundament in Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi gelegt (vgl. 1 Korinther 15,14.17). Von diesem Evangelium sagt er:
Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet werden, wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündet habe, es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen.
Gerade weil für ihn in Kreuzestod und Auferstehung Jesu nicht nur eine radikale Selbstentäußerung, sondern auch Selbsterniedrigung stattgefunden hat (vgl. Philipper 2,5-11), kann es sich für die Verkünderinnen und Verkünder des Evangeliums nicht gehören, sich wie Herren aufzuführen und damit sich selbst zu verkünden (vgl. 2 Korinther 4,5); vielmehr definiert Paulus seine Beziehung zu den Korinther auf eine ganz andere Art und Weise:
Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.
Hat man solche Worte ernsthaft gesprochen in der Kirche der Gegenwart gehört – nicht als Lippenbekenntnis, sondern als gestaltgebendes ekklesiales Prinzip?
Gestaltungen
Jeder Inhalt braucht eine Form, sonst kann er kein Inhalt sein. Die Form selbst verändert zwar den Inhalt nicht, wohl beeinflusst sie die Wahrnehmung des Inhalts. Ob man jemandem ein Buch in Zellophan foliert oder liebevoll als Geschenk verpackt überreicht, ändert nichts am Inhalt des Buches, sagt aber wohl viel über den Zustand der Beziehung zwischen Geber und Nehmer aus. Auch ob der Inhalt in ein reich verziertes Buch gedruckt oder elektronisch auf einem Tablet konsumiert wird, ändert nichts am Inhalt – wohl aber an der Weise und vielleicht auch der Wertigkeit der Rezeption. Es ist ganz und gar nicht unerheblich, wie etwas informiert, also in Form gebracht wird. Die Form ist das kommunikative Medium, über das ein Inhalt erst rezipiert werden kann. Und das betrifft nicht nur materielle Darreichung von Inhalten, sondern auch die Art und Weise wie Inhalte kommuniziert werden. Da kann jede Menge verkehrt laufen. Wer etwa traurige Botschaften mit einem Lächeln auf den Lippen überbringt, gilt im besten Fall als zynisch; wer hingegen lustige Botschaften mit einem traurigen Blick formuliert, ist ein Clown. Wer hingegen mit Mimik und Gestik Ablehnung signalisiert, während die Worte Zustimmung äußern, schafft einen Double Bind oder ist ein Heuchler. In jedem Fall gräbt er dem so Angesprochenen eine kommunikative Falle, aus der sich dieser kaum befreien kann. Deshalb ist es Paulus ja so wichtig, den Korinther gegenüber klarzustellen:
Denn wir schreiben euch nichts anderes, als was ihr lest und kennt.
und:
Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde – durch mich, Silvanus und Timotheus – , ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Denn er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum ergeht auch durch ihn das Amen zu Gottes Lobpreis, vermittelt durch uns. Gott aber ist es, der uns mit euch auf Christus hin stärkt und der uns gesalbt hat. Er hat uns auch sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil den Geist in unsere Herzen gegeben.
Nur in der Einheit von Apostel und Gemeinde kann das Evangelium wahrhaft in die Welt leuchten. Sicher: Es leuchtet auch in zerbrechlichen Gefäßen. Das Licht der Welt erlischt nicht einfach. Wenn es aber hell leuchten und die Welt erhellen soll, dürfen sich die Männer und Frauen in der Kirche nicht wie Armleuchter gebärden, sondern wie Fackelträgerinnen und -träger, die das Licht des Evangeliums in die Welt tragen. Deshalb mutet Paulus im Streit mit der korinthischen Gemeinde sich und der Gemeinde einen eindeutigen Appelle zu:
Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde. Also kennen wir von jetzt an niemanden mehr dem Fleische nach; auch wenn wir früher Christus dem Fleische nach gekannt haben, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so. Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!
Wenn sich die Straße vor dir in zwei Wege teilt, nimm den dritten Weg. Talaxianisches Sprichwort
Content Management
In diesem Zitat sieht man, wie Paulus Form und Inhalt zusammenführt: die Botschaft eines Gottes, der in Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi die Welt mit sich versöhnt, kann nur in der Versöhnung selbst zum Ausdruck gebracht werden. Wie will eine zerstrittene Kirche, in der jede und jeder glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, in der sich alle Seiten als Herrinnen und Herren wähnen, die über den Glauben der jeweils anderen urteilen, die Versöhnung Gottes mit den Menschen glaubhaft verkünden. Das Content Management der Kirche ist schwer beschädigt. Bugs und Viren haben sich in das System gefräst und bringen es immer wieder zum Absturz. Hier helfen keine kosmetischen Reparaturen mehr. Keine Verschnörkelungen im Frontend vermögen die tiefsitzenden Störungen im Backend zu übertünchen. Die Kirche ist heiser geworden. Es droht der Blackout. Wenn das Licht der Welt von seinen eigenen Trägern nicht erstickt werden soll, ist ein Neuformatierung des Systems notwendig.
Format!
Als Jesus in der Fremde Samariens am Jakobusbrunnen einer Samariterin begegnet, fordert er sie unumwunden auf:
Gib mir zu trinken!
Dass die einfache Bitte einem Skandal gleichkommt, einer kommunikativen Schieflage, wird sofort in der Antwort der Samariterin und der folgenden Erklärung des Evangelisten Johannes deutlich:
Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Hier stehen sich zwei Fronten bipolar gegenüber. Hier könnte das Gespräch zu Ende sein. Ist es aber nicht. Aus niedrig-weltlichem, weil durstverursachtem Anlass entspinnt sich ein Gespräch um die Wahrheit, das zeigt, dass Geistlichkeit etwas Alltägliches ist, nichts Besonderes, sondern eine Haltung, die sich hier darin zeigt, dass der Mann Jesus das Gespräch mit der samaritischen Frau nicht einfach abbricht, sondern ihr auf Augenhöhe begegnet und die Gelegenheit nutzt, ihr Zug um Zug sein Evangelium zu verkünden. Dabei steht am Anfang die Frage um ein fehlendes Schöpfgefäß, mit dem das Wasser geschöpft werden kann. Die Frau selbst hat einen Krug dabei (vgl. Johannes 4,28), den sie schließlich stehen lässt, denn das irdene Gefäß wäre ohnehin nicht in der Lage gewesen, das Wasser des Lebens zu fassen. Dieses ist gefasst in der Gestalt Jesu, von dem Johannes bezeugt:
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Das Wort Gottes ist Gestalt geworden. Noch vor der Hingabe am Kreuz und der Auferstehung ist es in Jesus da. Vor der Eucharistie kommt das Hören des Wortes. Eucharistie, jene Feier von Kreuzestod und Auferstehung, ist nur möglich, wenn das Wort Gottes Gestalt annimmt. Und es nimmt in der fremden Samariterin Gestalt an, die ihren Krug stehen lässt, um zur Zeugin des fleischgewordenen Wortes zu werden:
Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten: Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Christus?
Ach nähme das Wort Gottes doch auch heute wieder Gestalt in den Verkünderinnen und Verkündern an, ach würde die Kirche sich nicht selbst zum Zweck erheben, sondern sich als zerbrechliches Gefäß begreifen, das den einen Schatz beherbergt, der Erfolg würde auch heute noch wie bei der Samariterin vom Jakobsbrunnen auf dem Fuße folgen:
Aus jener Stadt kamen viele Samariter zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.
Reset!
Dass dem nicht so ist, sagt nichts über einen vermeintlichen Glaubensmangel in der Welt aus, sondern über das Unvermögen einer aus der Form geratenen Kirche, die lieber um sich selbst kreist, als ihrer Bestimmung der Verkündigung des Evangeliums zu folgen. Wer soll so einer Kirche, die nach irdischer Art in sich zerstritten um Macht und inneren Einfluss streitet, glauben, dass das Reich Gottes nahe ist. Niemand kann so etwas angesichts dieser kleiner werdenden Schar glauben, die sich immer weniger als heiliger denn als schäbiger Rest entpuppt. Wenn sich das ändern soll, muss man wohl zurück zu den Wurzeln. Der Appell Jesu, der dort zu hören ist, ist eindeutig:
Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!
Unterscheidet deshalb die wichtigen von den unwichtigen Themen. Das wichtigste Thema ist: Gebt dem Wort Gottes heute Gestalt! Heute! Was hindert Euch daran? Der Zölibat? Dann schafft ihn ab, damit ihr frei für das Wort werdet. Hindert euch die unselige Hierarchie, die mehr zur Last, denn zum Segen wird? Dann trennt euch vom Klerikalismus und werdet einander wieder zu echten Dienerinnen und Dienern! Ihr aber haltet immer noch an den alten Schläuchen fest und vergesst darüber, dass das Wort Gottes stets neu ist und neue Schläuche benötigt. Löst die Fragen endlich, damit ihr wieder frei werdet, dem Wort Gottes Gestalt zu geben und es zum Leuchten zu bringen – und seid gewarnt: eine Lösung ist nie da, wenn die Diskussion nicht endet. Das sind jedenfalls nicht die Worte des ewigen Lebens, auf die die Welt wartet. Die Zeit ist längst erfüllt. Worauf wartet ihr noch? Bekehrt euch! Lasst euch mit Gott versöhnen! Seht ihr das nahe Reich Gottes immer noch nicht?
Bildnachweis
Titelbild: Glühbirne (Dietmar Dorsch) – Quelle: pixabay – lizenziert mit pixabay-Lizenz zur freien Nutzung
Bild 1: Hildegardis-Codex, sogenannter Scivias-Codex, Szene: Die wahre Dreiheit in der wahren Einheit (Ausschnittbearbeitung: Werner Kleine) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als gemeinfrei
Zitat: Talaxianisches Sprichwort zitiert von der Figur “Neelix” in der Fernsehserie “Raumschiff Voyager” 7/20 “Die Veröffentlichung” (Erstausstrahlung in Deutschland 18.1.2002)
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu Thomas Gutschker, Breit lächeln – und den Dolch in den Rücken stoßen, in: FAZ online, 22.9.2019, Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/machtkampf-unter-katholiken-breit-laecheln-und-den-dolch-in-den-ruecken-16396235.html [Stand: 22. September 2019]. |
2. | ↑ | Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ über die Kirche, Nr. 1 (Quelle: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html [Stand: 22. September 2019]). |
3. | ↑ | Vgl. hierzu Werner Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Analyse des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen Bedeutsamkeit von Apostel und Gemeinde, BBB 141, Berlin 2002, S. 54ff. |