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In Deutschland werden jährlich 50 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen geschreddert.1) Dieser Nachwuchs der Legehennen eignet sich industriell nicht zur Mast und ist somit nicht rentabel für die Betriebe. Die Fleischindustrie folgt momentan der Gewinnmaximierung durch Massentierhaltung unter nicht-artgerechten Zuständen. Vor kurzem erst wurden wieder Videoaufnahmen aus einem Schweinezuchtbetrieb veröffentlicht, die ein grausames Bild zeichnen: „Zu sehen sind Schweine mit riesigen Nabelbrüchen. Viele Tiere haben blutig gebissene Schwanzstummel. Etliche husten, humpeln oder kommen kaum mehr hoch. In den Gängen liegen tote, verwesende Tiere, bei einem treten die Innereien aus.“2) Diese Bilder spiegeln nicht den Gesamtzustand in der Fleischindustrie wieder, aber sie zeigen, wozu Massentierhaltung führen kann. Es fehlen zukunftsorientierte, ethisch und ökonomisch durchdachte Strategien und Leitlinien für eine rentable und artgerechte Tierhaltung.3) Die Wahrnehmung der Tierwelt ist für viele Menschen in den Industrieländern, gerade in den Städten, kein Teil des Alltags mehr und zugleich ist der Umgang mit Nutztieren oft völlig den marktwirtschaftlichen Zwängen untergeordnet. Es fehlt die Konfrontation mit dem Leben der Tiere, die einen zwingt über die Tierwelt als Bestandteil der Menschenwelt nachzudenken.
Das Miteinander
Das Alte Testament wurde in einer Zeit geschrieben, in der vor allem Schaf- und Ziegenherden die Hauptlebensgrundlage der agrarischen Gesellschaft bildeten. Dieses Angewiesen-Sein auf die Tierzucht, führte zu einer hohen Wertschätzung. Gott erschuf gemäß dem zweiten Schöpfungsbericht4) (Genesis 2,4-25) die Tiere als Hilfe für den Menschen:
Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen.
Ebenso wie der Mensch wurden die Tiere aus dem Ackerboden geformt, aber sie sind dem Menschen doch untergeordnet. Gott schafft sie für den Menschen und die Benennung der Tiere durch den Menschen zeigt, dass er über sie verfügt. Sie werden für den Menschen zwar als „Hilfe, die ihm entspricht“ geschaffen, aber diesen Sinn können sie nicht erfüllen. Nur die Frau ist dem Menschen in diesem Sinne eine Hilfe, indem sie ihm gleichwertig ist. Bereits im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,3) verdeutlicht sich, dass die Tiere und die Menschen nicht gleichberechtigt sind. Gott beauftragt den Menschen, über die Tierwelt zu herrschen:
Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. […] Gott segnete sie [die Menschen], und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.
Als Abbild Gottes soll der Mensch als Stellvertreter Gottes über die Tierwelt herrschen. Damit ist kein Unterdrücken und kein Ausbeuten gemeint – der Mensch ist aufgefordert als gerechter König über die Tiere zu herrschen. Im Buch der Weisheit wird dieser Auftrag an den Menschen folgendermaßen interpretiert:
Den Menschen hast du [Gott] durch deine Weisheit erschaffen, damit er über deine Geschöpfe herrscht. Er soll die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten und Gericht halten in rechter Gesinnung.
Der Mensch trägt somit Verantwortung für die Tiere, sie sind seiner Fürsorge übergeben. Gemäß Genesis 1,29 sollten die Menschen anfangs sogar Vegetarier sein und erst nach der Sintflut, also nachdem Noah unter anderem die Tiere gerettet hatte, erlaubt Gott die Tiere zu essen (Genesis 9,3). Aber selbst der Wandel des Menschen zum Fleischesser mindert die Würde der Tiere nicht. Zwar legt Gott Furcht und Schrecken vor den Menschen auf die Tiere (Genesis 9,22-23), aber der Bund Gottes mit den Menschen gilt auch den Tieren:
Dann sprach Gott zu Noach und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde, die mit euch aus der Arche gekommen sind. Ich habe meinen Bund mit euch geschlossen: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.
Der besondere Schutz Gottes
Als Geschöpfe Gottes stehen auch die Tiere unter dem besonderen Schutz Gottes und es gibt Gesetze, die die Rechte des Menschen gegenüber den Tieren einschränken. So darf zum Beispiel einem Ochsen beim Dreschen kein Maulkorb angelegt werden (Deuteronomium 25,4). Ebenso wie einem menschlichen Arbeiter steht auch einem Nutztier sein Lohn zu. Dem arbeitenden Tier soll ein Teil des Ertrags seiner Arbeit zukommen und nicht um einer Gewinnmaximierung willen verweigert werden. Ebenso soll die Arbeitskraft weder eines Menschen noch eines Tieres ausgebeutet werden. In den Zehn Geboten ist der Ruhetag für alle Menschen und für die Tiere fest verankert:
Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Rind, dein Esel und dein ganzes Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat.
Gemäß den Zehn Geboten soll der Ruhetag zu Ehren Gottes eingehalten werden. Im Buch Exodus findet sich aber auch noch eine zweite Begründung:
Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremde zu Atem kommen.
Der Ruhetag dient auch dem Schutz der Arbeitstiere. Der Mensch kann nicht grenzenlos über die Tiere verfügen, sondern muss Gott zu Ehren und den Tieren zum Schutz den Ruhetag einhalten. Sowohl der Mensch als auch die Tiere unterstehen der Herrschaft Gottes. Die Herrschaft Gottes schließt nicht aus, dass die Tiere auch gegessen werden dürfen. Aber in den Gesetzen spiegelt sich auch ein gewisser Respekt vor dem Leben der Tiere wieder. So darf man, wenn man ein Nest findet, zwar die Jungen herausnehmen, aber die Vogelmutter soll man unbeschadet lassen (Deuteronomium 22,2); und das neugeborene Vieh darf frühestens acht Tage nach der Geburt geopfert werden, da es mindestens sieben Tage bei seiner Mutter bleiben soll (Levitikus 22,27).
Tier- und Menschenwohl
Nutztiere leben in unserem Wirtschaftssystem meistens nicht im Paradies. Sie dienen zur Nahrung und der Mensch verfügt über sie. Es stellt sich die Frage, wie eine Nutztierhaltung aussehen kann, die sowohl tiergerecht als auch ökonomisch sinnvoll ist. Das Alte Testament erinnert den Menschen an seine Verantwortung gegenüber den Tieren als Geschöpfe Gottes – auch sie haben Rechte. In der Tierhaltung zeigt sich das wahre Gesicht des Menschen. Der Umgang mit den Tieren zeigt, wie er/sie die Verantwortung als Stellvertreter Gottes auf der Welt versteht – in den Worten des Sprichwörterbuches:
Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht, doch das Herz der Frevler ist hart.
Bildnachweis
Titelbild: „ Chicks hatching (Gallus gallus domesticus)“, USDA Image Number: 95cs1973. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. „Verbrüderung mit dem Küken“, Dagny Lüdemann, ZEIT Online, 13.10.2016 [Stand: 14.10.2016]. |
2. | ↑ | „CDU-Politiker sollen Tierquäler sein“, Nils Klawitter, SPIEGEL Online, 07.10.2016 [Stand: 14.10.2016]. |
3. | ↑ | Vgl. dazu den „Brandbrief zur Entwicklung der Tierhaltung in Deutschland“ der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen im Bundestag, 13.10.2016 [Stand: 14.10.2016]. |
4. | ↑ | Zuvor wird die Schöpfung der Welt bereits in Gen 1,1-2,3 erzählt. |