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Fake News und alternative Fakten – die subjektive Wahrnehmung wird scheinbar zur vorgetäuschten Realität. Fakten scheinen nicht mehr „hart“ zu sein, sondern „situationselastisch“. Doch Fakten alleine dienten noch nie dazu, Menschen zu überzeugen: Erst die Interpretation von Fakten schafft Urteile, die politisch wie gesellschaftlich relevant sind. Nur eine Diskussion verschiedener Interpretationen wird der Komplexität von Fakten gerecht.
Das leere Grab
In der Erzählung des Matthäus-Evangeliums ist das leere Grab am Ostersonntag als ein Fakt dargestellt, der selbst von den Juden nicht bestritten wird. Die Hohepriester und die Ältesten sollen sich gar zur Lüge zusammengeschlossen haben, um das leere Grab als Fake News zu diskreditieren. Die Soldaten, die das Grab bewacht hatten, wurden bestochen.
Sie [die Hohepriester – TMS] gaben ihnen viel Geld und sagten: Erzählt den Leuten: Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn [den Leichnamen – TMS] gestohlen, während wir schliefen.Matthäus 28,12-13
Diese Lüge ist für den Leser nicht nur am Akt der Bestechung direkt sichtbar. Wie hätten die Soldaten wissen können, dass die Jünger Jesu den Leichnamen Jesu gestohlen haben, wenn sie selbst doch schliefen? Der Autor des Matthäus-Evangeliums will mit seiner Art des Erzählens die Absurdität dieses wohl in seiner Leserschaft kursierenden Gerüchtes zurückweisen. Der heutige Leser steht jedoch vor einer Glaubensfrage: Ist die Darstellung des Matthäus-Evangeliums Fake News oder die zugrundeliegende Erzählung der Wegnahme Jesu Leichnams durch die Jünger?
Die Schlange und die Wahrheit
Dass die Interpretation von Fakten nicht notwendig zur richtigen Handlung führt, lehrt die Paradieserzählung im Buch Genesis. Den Menschen ist im Paradies nur ein Gebot aufgetragen: Er darf nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen (Genesis 2,17). Die Schlange hinterfragt listig dieses Gebot im Gespräch mit Eva und interpretiert Gottes dahinterstehende Motive:
Sobald ihr [Menschen – TMS] davon [vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse – TMS] esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.Genesis 3,5
Nachdem Eva vom Baum gegessen hat und Adam, ohne es zu hinterfragen, es ihr gleichgetan hat, erkennen sie, dass sie nackt sind – und der Leser und die Leserin erfahren, dass die Schlange mit ihrer Interpretation recht hatte.
Dann sprach Gott, der HERR: Siehe, der Mensch ist wie einer von uns geworden, dass er Gut und Böse erkennt.Genesis 3,22
Damit der Mensch nun nicht gänzlich wie ein Gott wird, versperrt er ihnen im Folgenden den Zugang zum vorher freizugänglichen Baum des Lebens und verhindert so, dass sie ewig leben können. Die Interpretation des Gebotes durch die Schlange war richtig, sie hat die Wahrheit gesprochen. Aber Evas und Adams Reaktion darauf war die erste Gebotsübertretung der Menschheit gegen Gott und der Verlust des Paradieses.
Der Streit
Als Mose und sein Bruder Aaron im Auftrag Gottes zum Pharao gehen, um ihm mitzuteilen, dass Israel in die Wüste ziehen soll, interpretiert er ihre Worte als Fake News:
Der Pharao erwiderte: Wer ist der Herr, dass ich auf ihn hören und Israel ziehen lassen sollte? Ich kenne den HERRN nicht und denke auch nicht daran, Israel ziehen zu lassen.Exodus 5,2
Er interpretiert das Verlangen Moses und Aarons als eine Lüge, die nur der Faulheit dient:
Warum, Mose und Aaron, wollt ihr die Leute zum Nichtstun verleiten? Fort mit euch, tut euren Frondienst!Exodus 5,4
Was folgt ist ein Kampf der Zauberkünste bzw. ein Gegeneinander der Argumente. Der Pharao fordert ein Zeichen, das die Worte Moses und Aarons beweisen. Im Auftrag Gottes wirft Aaron seinen Stab vor die Füße des Pharaos und er wurde zu einer Schlange. Aber ebenso taten die Weisen und Beschwörungspriester des Pharaos.
Jeder warf seinen Stab hin und die Stäbe wurden zu Schlangen. Doch Aarons Stab verschlang ihre Stäbe.Exodus 7,12
Aber selbst dies konnte den Pharao nicht überzeugen. Es folgt die Erzählung der zehn Plagen, die Ägypten treffen. Die Magier des Pharaos konnten ebenso wie Mose und Aaron das Wasser in Blut verwandeln und Frösche über das Land kommen lassen (Exodus 7,14-8,11). Doch im Folgenden sind sie unterlegen und sie können Mose und Aaron, die Stechmücken, Ungeziefer, die Viehseuche, Geschwüre, Hagel, Heuschrecken und Finsternis über das Land hereinbrechen lassen, nichts entgegensetzen. Doch diese Beweise der Macht Gottes führen nicht dazu, dass der Pharao das Volk Israel ziehen lässt – das Herz des Pharaos war verhärtet in seiner Machtlosigkeit. So kommt es zur letzten Plage: der Tod jedes Erstgeborenen in Ägypten. Gott wird am Ende den Streit gewonnen haben. Seine sichtbaren Argumente, von Mose und Aaron vorgebracht, zwingen den Pharao in die Knie.1)
Konfrontation mit Argumenten
Die Wahrheit ist in den seltensten Fällen in der eigenen Filterblase zu finden. Die Lücken des eigenen Verstehens lassen sich zwar einfacher mit Meinungen, Gerüchten und Vorurteilen füllen. Dies spart Zeit, während das Falsifizieren, Korrigieren und Aufklären durch eine Diskussion Zeit kostet. Aber nur das Abwägen der anderen Positionen verhindert blinden Fundamentalismus. So stellt zum Beispiel die Anfrage des Judentums, ob Jesus Christus wirklich auferstanden ist, einen heilsamen Stachel im Fleisch des Christentums dar, der immer wieder neu zur Argumentation des Glaubens herausfordert. Wozu der Mangel am Willen zur Diskussion führen kann, zeigt bereits die Paradieserzählung. Zwar redet Eva noch mit der Schlange und lässt sich überzeugen. Adam hingegen isst die Frucht trotz des Verbotes, ohne sein Handeln zu hinterfragen, ohne mit Eva oder der Schlange darüber zu diskutieren. Auch die Schlange und auch die ägyptischen Magier hatten gute Argumente auf ihrer Seite. Aber nur die Konfrontation der Argumente führt näher zur Wahrheit.
Bildnachweis
Titelbild: Graphic on fake news websites von VOA News. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Die Auseinandersetzung zwischen Gott und dem Pharao beginnt mit einer Lüge Moses und Aarons. Während Gott Mose mitgeteilt hatte, dass er sein Volk aus Ägypten herausführen wird in das verheißene Land (Exodus 3,7-8), sagen Mose und Aaron dem Pharao, sie wollen das Volk nur in die Wüste führen, um ihrem Gott ein Fest zu feiern (Exodus 5,1). |