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Der Papst denkt daran, über etwas nachzudenken – und die Welt steht Kopf. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Diakonat der Frau. Papst Franziskus hat am 12. Mai 2016 während einer Audienz für die Vereinigung der Ordensoberinnen frei auf ihm gestellte Fragen geantwortet1). Dabei ging es unter anderem um die Frage des Frauendiakonates und warum Ordensfrauen in der Eucharistiefeier nicht predigen dürfen. Während er zur Frage der Predigt darauf verwies, dass diese in der Eucharistiefeier dem Priester vorbehalten sei, sagte er mit Blick auf die Frage des Diakonates für Frauen Folgendes:
„Ich erinnere mich, dass das ein Thema war, das mich ziemlich interessiert hat, als ich nach Rom gekommen bin für die Versammlungen und in der Domus Paolo VI. wohnte. Dort gab es einen guten syrischen Theologen, der die historisch-kritische Ausgabe und die Übersetzung der Kirchenhymnen von Ephräm dem Syrer gemacht hat. Eines Tages habe ich ihn dazu befragt und er hat mir erklärt, dass es in der Frühzeit der Kirche einige ‚Diakonissen’ gab. Doch was sind diese ‚Diakonissen’? Waren sie geweiht oder nicht? Das Konzil von Chalcedon (451) spricht darüber, aber es ist etwas unklar.“2)
Die Klarheit der Begriffe
Der Papst hat also nicht die Einführung des Diakonates der Frau angekündigt, sondern die Erforschung dessen, was man unter dem Begriff „Diakonisse“ verstand. Er hat die Einrichtung einer Kommission angekündigt, die sich mit diesem Thema beschäftigen wird, von dem er selbst – auf den eben erwähnten syrischen Theologen verweisend – sagt:
„Es scheint (…), dass die Rolle dieser Diakonissen darin bestand, bei der Taufe von Frauen zu helfen, beim Eintauchen. Sie tauften sie aus Anstandsgründen und übernahmen auch die Salbung auf dem Körper der Frauen bei der Taufe. Und noch eine merkwürdige Sache: Wenn es ein Ehe-Urteil gab, weil der Mann die Frau schlug und diese zum Bischof ging und sich beschwerte, waren die Diakonissen beauftragt, die blauen Flecken, die auf den Körpern der Frauen durch die Schläge des Mannes hinterlassen worden waren, zu sehen und den Bischof zu informieren. Daran erinnere ich mich.“3)
Die Naherwartung einer Einführung eines Diakonates der Frau ist also unbegründet. Hinzu kommt, dass der Papst auch in dem anderen Punkt – die Predigt von Ordensfrauen in der Eucharistiefeier – auf die Klarheit der Begriff drängt, wenn er auf zwei Versuchungen hinweist:
„die eines Feminismus, der vergesse, dass die Würde der Frau in der Kirche ihr aus der Taufe zukommt, und der Versuchung des Klerikalismus, wenn Priester ohne auf Zusammenarbeit und Synodalität zu setzen alles alleine entscheiden wollten. Dieser Klerikalismus werde oft genug von Laien unterstützt, die sich selber ‚klerikalisieren’ ließen.“4)
Überhebungen
Manch einer deutet diese Äußerungen des Papstes als Verweigerung einer Belohnung des Engagements von Frauen mit Weiheämtern5). Man kann diese Äußerung aber auch auf dem Hintergrund einer generellen Skepsis Papst Franziskus’ gegenüber einem durchaus verbreiteten Klerikalismus deuten. In seinem Dialog mit dem italienischen Journalisten Eugenio Scalfari stellt er fest:
„Wenn ich einen Klerikalen vor mir habe, werde ich schnurstracks antiklerikal. Klerikalismus sollte eigentlich nichts mit dem Christentum zu tun haben. Der heilige Paulus, der als Erster zu den Heiden und den Glaubenden anderer Religionen gesprochen hat, hat uns das als Erster gelehrt.“6)
Wie wenig das Amt eine Bedeutung in sich hat oder eine Belohnung für den Träger des Amtes darstellt, wird nach einer in der Apostelgeschichte überlieferten Begebenheit deutlich, bei der Paulus die Ältesten der Gemeinde zu Ephesus ermahnt:
Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Aufsehern bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat. Ich weiß: Nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen.
Die Aufgabe der Gemeindeleiter besteht gerade darin, die Gemeinde zu behüten und nach außen – und bisweilen sogar nach innen! – zu verteidigen. Sie dienen der Auferbauung der Gemeinde. Leiter zu sein, ist nicht nur kein Verdienst oder eine Belohnung, es ist ein Auftrag, der keinen Ruhm verspricht.
Die Profanierung des Klerikalen
Das hier verwendete Wort „Aufseher“ ist die wörtliche Übersetzung des im Urtext zu findenden griechischen Begriffs ἐπίσκοπος (gesprochen: epískopos). Als griechisches Lehnwort klingt es eingedeutscht im Wort „Bischof“ an7). Allerdings hatte Paulus wohl kaum ein Amt des „Bischofs“ im Sinn, zumal die von Jesus selbst ausgewählten zwölf Apostel noch lebten8). Der ἐπίσκοπος, von dem Paulus spricht, ist in der Tat eher eine Leitungsfunktion, wie sie aus dem Verwaltungswesen der griechischen Städte bekannt war. Die Amtsvorsteher dort wurden auch als ἐπίσκοπος bezeichnet9). Der Begriff als solches ist als völlig profaner Herkunft. In diesem Sinne benutzt Paulus selbst ihn auch in der Adressierung des Philipperbriefes:
Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, mit ihren Aufsehern und Dienern. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Es ist nur schwer vorstellbar, dass Paulus, der sonst immer auf seiner nicht unumstrittenen apostolischen Autorität besteht, weil nach seiner Auffassung vor Damaskus seinen eigenen Auftrag selbst und unmittelbar durch die Erscheinung des Auferstandenen erhalten hat, hier ein Amt installiert, das eine unmittelbare Konkurrenz bedeuten würde. Unumstritten ist der paulinische Anspruch auf sein Apostolat aber gerade deshalb nicht, weil er eben den in Apostelgeschichte 1,21-22 erwähnte Kriterien gerade nicht genügt. Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, vermeidet es, Paulus diesen Titel zuzugestehen. Paulus selbst sieht sich in den Eingängen seiner Briefe mehrfach genötigt, seinen eigenen Anspruch auf unmittelbare Bestellung durch den Auferstandenen zu bekunden. So beruft er sich etwa am Beginn des 1. Korintherbriefes sogar auf den unmittelbaren Willen Gottes:
Paulus, durch Gottes willen berufener Apostel Christi Jesu, und der Bruder Sosthenes an die Kirche Gottes, die in Korinth ist.
Belohnungsverzicht
Tatsächlich scheint Paulus auf eine Profanierung seiner Berufung Wert gelegt zu haben. Die Versuchung, aus der Erwählung auch das Recht auf Privilegien abzuleiten, war schon in der frühen Kirche gegeben. Paulus selbst verweist auf entsprechende Unterhaltsrechte der Apostel, von denen er sich selbst aber distanziert:
Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes. Das aber ist meine Rechtfertigung vor denen, die abfällig über mich urteilen: Haben wir nicht das Recht, zu essen und zu trinken? Haben wir nicht das Recht, eine gläubige Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und wie Kephas? Sollen nur ich und Barnabas auf das Recht verzichten, nicht zu arbeiten?
Während die Apostel sich offenkundig von den Gemeinden aushalten ließen, verdiente er selbst seinen Lebensunterhalt mit eigener Hände Arbeit:
Ihr erinnert euch, Brüder, wie wir uns gemüht und geplagt haben. Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen, und haben euch so das Evangelium Gottes verkündet.
Dass er das als Zeltmacher tat, wird nicht nur aus der von ihm verwendeten Auferstehungsmetaphorik in 2 Korinther 5,1 deutlich, sondern auch aus der Bemerkung in Apostelgeschichte 18,3, als es im Zusammenhang der Begegnung von Paulus mit Aquila und Priszilla heißt:
Und da sie das gleiche Handwerk betrieben, blieb er bei ihnen und arbeitete dort. Sie waren Zeltmacher von Beruf.
Der Mond erhält seinen Glanz vom Licht der Sonne. Nimmt er aber den Platz der Sonne ein, wird es finster auf der Erde.
Die Glaubwürdigkeit des Privilegienverzichts
Der große Erfolg der Ausbreitung des frühen Christentums liegt zweifellos im Wirken des Paulus begründet. Er mag nicht der einzige Verkünder der frohen Botschaft an die Nichtjuden gewesen sein, die man allgemein als „Heiden“ bezeichnete. Die antiochenische Gemeinde als solche darf hier wohl als Motor der Heidenmission angesehen werden. Paulus selbst aber ist allein schon deshalb ein herausragender Protagonist, weil es seine Schriften sind, die durch den Eingang in den neutestamentlichen Kanon bis heute wirksam sind. Es ist gerade der Verzicht auf Privilegien, die die Authentizität seiner Verkündigung verbürgen und ihn letztlich auch gegen Angriffe von außen immun machen. Der konfliktreiche Hintergrund des in 2 Korinther 1-9 enthaltenen Briefes und die dortige Kommunikationsstrategie zur Konfliktbewältigung legen davon ein beredtes Zeugnis ab, weil Paulus hier erneut konsequent auf Privilegien und der Gemeinde gegenüber übergeordnete Ansprüche verzichtet und stattdessen die wechselseitige Bedeutsamkeit von Apostel und Gemeinde betont:
Und wenn wir euch schreiben, meinen wir nichts anderes, als was ihr lest und versteht; ich hoffe, ihr werdet noch ganz verstehen, was wir meinen und was ihr zum Teil schon verstanden habt, nämlich, dass ihr am Tag Jesu, unseres Herrn, auf uns stolz sein dürft, so wie wir auf euch.
Respekt entsteht im Verzicht auf Unterwerfung
Wie sehr umgekehrt das Privileg selbst zur Falle werden kann, zeigt die berühmte Begegnung zwischen Paulus und Petrus in Antiochien. Kurz zuvor fand das sogenannte Apostelkonzil statt, von dem Lukas in Apostelgeschichte 15,1-35 und Paulus autobiographisch in Galater 2,1-10 berichten. Streitpunkt war die Frage der Heidentaufe bzw. die Frage einer vorgängigen Beschneidung nach dem Brauch des Mose, also dem jüdischen Gesetz entsprechend. Paulus, der – ausgehend von der Theologie der antiochenischen Gemeinde – den Heiden das Evangelium des vom Kreuzestod Auferstandenen verkündete und die Praxis der Heidentaufe favorisierte, sah sich wohl persönlich genötigt, diese Praxis vor den von Jesus Christus selbst ausgewählten Aposteln zu rechtfertigen:
Vierzehn Jahre später ging ich wieder nach Jerusalem hinauf, zusammen mit Barnabas; ich nahm auch Titus mit. Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung, legte der Gemeinde und im besonderen den «Angesehenen» das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige; ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin.
Paulus anerkannt also die besondere Autorität der von Jesus Christus selbst bestellten Apostel. Gleichwohl betont er, dass er ihnen auf Augenhöhe begegnet:
Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen. Denn was die falschen Brüder betrifft, jene Eindringlinge, die sich eingeschlichen hatten, um die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, argwöhnisch zu beobachten und uns zu Sklaven zu machen, so haben wir uns keinen Augenblick unterworfen; wir haben ihnen nicht nachgegeben, damit euch die Wahrheit des Evangeliums erhalten bleibe.
Das Kriterium ist nicht die Erwählung, sondern die Wahrheit des Evangeliums. Selbst die persönliche Berufung durch Jesus verschafft keinen Wahrheitsanspruch in sich. Die Wahrheit muss vielmehr errungen werden. Das geht nur auf Augenhöhe, im konstruktiven Streit und mit der notwendigen Beharrlichkeit denen gegenüber, die ihre Reputation nur aus einem scheinbaren Herausgehobensein beziehen:
Aber auch von denen, die Ansehen genießen – was sie früher waren, kümmert mich nicht, Gott schaut nicht auf die Person -, auch von den «Angesehenen» wurde mir nichts auferlegt.
Paulus setzt sich durch. Ob ihm tatsächlich gar nichts auferlegt wurde, muss mit Blick auf die sogenannten Jakobusklauseln aus der Apostelgeschichte hinterfragt werden. Dort wird das Ergebnis dieser wegweisenden Begegnung des Paulus und seiner Mitstreiter mit dem jesuanischen Zwölferkreis in einem Schreiben an die heidenchristlich orientierte Gemeinde in Antiochia folgendermaßen zusammengefasst:
Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!
Paulus hingegen konstatiert souverän und voller Selbstbewusstsein:
Im Gegenteil, sie sahen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Beschnittenen – denn Gott, der Petrus die Kraft zum Aposteldienst unter den Beschnittenen gegeben hat, gab sie mir zum Dienst unter den Heiden – und sie erkannten die Gnade, die mir verliehen ist. Deshalb gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als die «Säulen» Ansehen genießen, mir und Barnabas die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft: Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Beschnittenen. Nur sollten wir an ihre Armen denken; und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht.
Captio privilegii
Im Anschluss an das Apostelkonzil kommt es dann aber in Antiochien zu einer folgenreichen Begegnung, bei der einer der Zwölf das Gesicht verliert. Petrus, von Paulus oft auch mit seinem hebräischen Namen Kephas angesprochen, kommt nach Antiochien. Als Jude ist ihm die unmittelbare Tischgemeinschaft mit Nichtjuden, also Heiden, eigentlich nicht möglich. Doch er hat nicht nur seine eigenen Erfahrungen gemacht, dass der Geist Gottes eigene Wege geht (vgl. hierzu den ganzen Erzählkomplex Apostelgeschichte 9,32-12,25); auch das Apostelkonzil hatte doch die Gemeinschaft von Juden- und Heidenchristen beschlossen. Und so pflegt er auch in Antiochien zuerst die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen. Petrus mag sich wohl im Glanz eines besonderen Auserwähltseins gesonnt haben. Er gehörte schließlich zum „inner circle“ des Apostelkollegiums – zu jenen dreien, die Paulus als die „Säulen“ bezeichnet und zwar in folgender Reihenfolge: Jakobus, Kephas und Johannes (vgl. Galater 2,9).
Es sind genau diese drei, die auch in den Evangelien immer herausgehoben erwähnt werden. Es sind diese drei Apostel, die Zeuge der Verklärung Jesu werden (vgl. Markus 9,2-8 parr); sie sind es auch, die mit ihm im Garten Gethsemane nach dem letzten Abendmahl wachen sollen und unmittelbare Zeugen seiner Verhaftung werden (vgl. 14,32-42 parr).
Man mag dieses Dreierkreis durchaus als Leitungsgremium des Apostelkollegiums bezeichnen. Innerhalb dieses Leitungsgremiums ist aber aber wohl nicht Petrus gewesen, der die höchste Autorität hatte. Die kam Jakobus zu. Nach ihm sind nicht nur die sognannten „Jakobusklauseln“ benannt, die durchscheinen lassen, dass er es ist, der die Beschlüsse des Apostelkonzils abschließend formuliert:
Als sie geendet hatten, nahm Jakobus das Wort und sagte: Brüder, hört mich an!
Er wird auch in der Trias der Namen bei Paulus zuerst erwähnt. Vor allem aber ist folgende Begebenheit aufschlussreich, die sich im Zusammenhang der Tischgemeinschaft von Heiden- und Judenchristen in Antiochien zugetragen hat:
Bevor nämlich Leute aus dem Kreis um Jakobus eintrafen, pflegte er zusammen mit den Heiden zu essen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich von den Heiden zurück und trennte sich von ihnen, weil er die Beschnittenen fürchtete.
Schein und Sein
Petrus/Kephas hatte also kein Problem mit der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen, bis die Leute aus dem Kreis des Jakobus eintrafen. Vor ihnen knickt er ein. Das sieht wenig nach einem selbstbewussten Apostelfürsten aus, dem die Schlüssel des Himmelreiches anvertraut sind. Wohl deutet das aber darauf hin, dass Petrus mehr als großen Respekt vor Jakobus hatte. Wenn es überhaupt einen Apostelfürsten im engeren Sinn gab, ist das Jakobus gewesen – nicht Petrus. Dass Petrus wirkungsgeschichtlich zum Apostelfürsten und – fälschlicherweise – zum ersten Papst gekürt wurde10), dürfte im frühen Märtyrertod des Jakobus begründet sein. In der Apostelgeschichte heißt es:
Um jene Zeit ließ der König Herodes einige aus der Gemeinde verhaften und misshandeln. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten.
Im Zuge dieser Maßnahmen wird auch Petrus verhaftet (vgl. Apostelgeschichte 12,3-4), später aber auf wunderbare Weise gerettet (vgl. Apostelgeschichte 12,6-18).
Nach dem Tod des Jakobus rückt Petrus gewissermaßen nach und wird in der folgenden Geschichte der frühen Kirche zur prägenden Gestalt. Das um das Jahr 80 n.Chr.11) geschriebene Matthäusevangelium wird Jesus schließlich sagen lassen:
Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.
Nur, um wenige Verse später nach der ersten Leidensankündigung zu konstatieren:
Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen! Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.
Der Wahrheit geweiht ...
Petrus ist nur dann der Fels, auf dem die Grund der Kirche gründet, wenn er das im Sinn hat, was Gott will. Es ist letztlich die Wahrheit, auf der die Kirche aufgebaut ist. Es ist die Wahrheit, die die Kirche zu verkünden hat. Die Reaktion des Paulus ist da angesichts des um das eigene Ansehen besorgten Verhaltens des Petrus/Kephas in Antiochien unschamhaft eindeutig und angemessen respektlos:
Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte.
Die Einheitsübersetzung von 1978 ist hier zu klerikal vorsichtig. Das griechische κατὰ πρόσωπον αὐτῷ ἀντέστην (gesprochen: katà prósopon autô antésten) heißt wörtlich übersetzt: In sein Gesicht hinein widerstehen. Das klingt nach einem wahrhaftig handfesten Austausch schlagkräftiger Argumente.
... allen Menschen verpflichtet
Was dem Paulus missfiel, war der petrinische Wankelmut. Was nutzt es, unmittelbar vom Herrn berufen zu sein, wenn man die Wahrheit verrät. Die Wahrheit verpflichtet die Verkünder gerade den Menschen gegenüber. Die Kirche kann sich keinen Klerikalismus mehr erlauben. Die Wahrheit ist letztlich zu profan, um sich einer ontologischen Superiorität zu rühmen, die letztlich dazu führt, dass sich die Geweihten der Welt und den Menschen gegenüber überheben. Dafür hat der Sohn Gottes sich nicht seiner Gottheit entäußert (vgl. Philipper 2,6-7), um selbst einen Lernprozess durchzumachen. Der irdische Jesus weiß sich anfänglich nur zu den versprengten Schafen Israels gesandt und mahnt seine Apostel, sich von den Heiden fern zu halten:
Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Der vom Kreuzestod Auferstandene wird die gleichen Apostel schließlich in alle Welt senden:
Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.
Die heilsame Wirkung paradoxer Interventionen
In festgefahrenen Situationen können paradoxe Interventionen heilsame Wege aufzeigen. Die Situation der Kirche der Gegenwart ist in vielerlei Hinsicht festgefahren12). Die Frage der Weihe von Frauen ist durch das Apostolische Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ (OS) von Papst Johannes Paul II (22.5.1994) entschieden. Manche Kirchenrechtler messen der entsprechenden Äußerung in OS 4 den Grad einer unfehlbaren Äußerung bei13). Auch Papst Franziskus hat hierzu mehrfach festgestellt, dass diese Tür zu sei.
Wo Türen endgültig geschlossen sind, muss man neue Wege suchen, will man sich nicht den Kopf einrennen. Die paradoxe Intervention, die auch Papst Franziskus in den Blick zu nehmen scheint, liegt in der Entklerikalisierung des Amtes. Der Verzicht auf die seinsmäßige Überhebung, die ontologische Superiorität, die allein der Wahrheit verpflichtete Profanierung des Überheiligen, die Hinordnung auf den Menschen und der Verzicht auf das Privileg eines Berufungsbewusstseins, das gepaart ist mit einem individuellen Abgesondertsein, zeigt einen Weg aus der ekklesialen Erstarrung auf. Merkwürdig ist nur, dass selbst diejenigen, die zu Recht die volle Gleichberechtigung der Frau auch in der Kirche – ohne falsche Vertröstung – fordern, den Blick immer nur in die Besonderheiten des Himmels heben, mahnen doch die Engel nach der Himmelfahrt des Auferstandenen die Apostel:
Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?
Das vor Augen liegende übersehen selbst die, die als vermeintlich Fortschrittliche Ansehen zu haben scheinen: Die Zukunft liegt in der Entklerikalisierung des kirchlichen Amtes. Mit der Entklerikalisierung wird sich auch vieles andere wie von selbst fügen. Um dieser Wahrheit willen gilt es auch heute noch, wie einst Paulus mit offenem Visier zu streiten.
Bildnachweis
Titelbild: Earth eclipses Sun (Apollo 12) (Ausschnittbearbeitung: Werner Kleine) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als gemeinfrei
Autor Zitation: Werner Kleine
Video: Kath 2:30 – Episode 26: Der Laie (Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – Quelle: Vimeo – alle Rechte bei den Rechteinhabern
Bild 1: Fist bump (gingher) – Quelle: flickr – lizenziert als CC BY-NC-SA 2.0
Dieser Beitrag wurde am 17. Mai 2016 veröffentlicht, dem 18. Geburtstag meiner Tochter. Ihr widme ich diesen Text.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu und zum Folgenden die Meldung von Radio Vatikan vom 13. Mai 2016 „Frauen in der Kirche: Fragen zu Diakonat und Predigt“ – Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2016/05/13/frauen_in_der_kirche_fragen_zu_diakonat_und_predigt/1229406 [Stand: 15. Mai 2016]. |
2. | ↑ | Radio Vatikan, Frauen als Diakone? Was der Papst genau sagte (13.5.2016) – Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2016/05/13/frauen_als_diakone_was_der_papst_genau_sagte/1229538 [Stand: 15. Mai 2016]. |
3. | ↑ | Radio Vatikan, Frauen als Diakone? Was der Papst genau sagte (13.5.2016) – Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2016/05/13/frauen_als_diakone_was_der_papst_genau_sagte/1229538 [Stand: 15. Mai 2016]. |
4. | ↑ | Radio Vatikan, Frauen in der Kirche: Fragen zu Diakonat und Predigt“ – Quelle: http://de.radiovaticana.va/news/2016/05/13/frauen_in_der_kirche_fragen_zu_diakonat_und_predigt/1229406 [Stand: 15. Mai 2016]. |
5. | ↑ | So etwa der Theologe Peter Otten in einem Facebook-Post vom 14. Mai 2016 – Quelle: https://www.facebook.com/peter.otten.73/posts/1182618138438363?pnref=story [Stand: 15. Mai 2016]. |
6. | ↑ | Radio Vatikan, Überraschung: Papst-Interview in „La Rebubblica“ (1.10.2013) – Quelle: http://de.radiovaticana.va/storico/2013/10/01/überraschung_papst-interview_mit_„la_repubblica“/ted-733261 [Stand: 15. Mai 2016]. |
7. | ↑ | Aus episkopos wurde im Altdeutschen „biskop“ schließlich das hochdeutsche „Bischof“. |
8. | ↑ | Die heutigen Bischöfe verstehen sich als in der apostolischen Sukzession stehende Nachfolger der Apostel – bestellt durch Handauflegung und Gebet. Apostel im engeren Sinn konnte eben nur sein, wer von Jesus unmittelbar in den Zwölferkreis bestellt wurde. Nach dem Judas Ischariot aufgrund seines Verrates nicht mehr zum Zwölferkreis gehören konnte, war aufgrund der Symbolhaftigkeit der Zahl 12 in ihrer Verwiesenheit auf die 12 Stämme Israels, eine Nachwahl nötig. Als Kriterium gilt für die verbliebenen elf Apostel: „Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel) aufgenommen wurde, – einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein.“ (Apostelgeschichte 1,21-22) |
9. | ↑ | Das Wort ἐπίσκοπος ist ein Kompositum aus ἐπί (gesprochen: epí/auf) und σκοπεῖν (gesprochen: skopeîn/sehen). Es bezeichnet als wörtlich denjenigen, der auf etwas schaut. |
10. | ↑ | Damit ist freilich nichts über die Legitimität das Papstamtes an sich gesagt. Der 1999 verstorbene Bonner Neutestamentler Prof. Dr. Helmut Merklein wies in diesem Zusammenhang in seinen Oberseminaren udn Doktorandenkolloquien gelegentlich darauf hin, dass der Heilige Geist ja nicht mit dem Ende der neutestamentlichen Überlieferung aufgehört habe, zu wirken. Vielmehr könne sich das Wirken des Heiligen Geistes gerade auch in diesen kirchlichen Entwicklungen niederschlagen. Das gelte aber eben auch für zukünftige Entwicklungen. Gerade in der Untersuchung dieser Perspektive sah er im Übrigen eine besondere Herausforderung der kirchengeschichtlichen Forschung. H. Merklein pflegte im Übrigen in diesem Zusammenhang zu betonen, dass der Konjunktiv bei seinen Aussagen immer zu beachten sei. |
11. | ↑ | Vgl. zur zeitlichen Einordnung der Entstehung des Matthäusevangeliums U. Luz, Das Evangelium nach Mathtäus (Mt 1-7), EKK I/1, Zürich 1992, S. 75f. In jedem Fall setzt das Matthäusevangelium das Markusevangelium voraus, das nach 70 n.Chr. entstanden ist. Der Terminus post quem ist dort die Zerstörung Jerusalems, auf die das Markusevanglium bereits zurückblickt. Andererseits muss das Matthäusevangelium vor 110 n.Chr. abgefasst worden sein, weil es im Brief des Ignatius an die an die Smyrnäer (Ign Sm 1,1f) offenkundig vorausgesetzt wird (vgl. hierzu H. Conzelmann/A. Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, UTB 52, Tübingen 1985, S. 262; gegen U. Luz, Matthäusevangelium, S. 75). Der in der Diktion des Matthäusevangeliums sich andeutende Konflikt mit dem Judentum führt freilich zu der Frage, ob das Matthäusevangelium auf den unmittelbar bevorstehenden oder zeitlich nah zurückliegenden Bruch mit dem Judentum schaut (Argument für eine frühere Datierung), oder aus einer zeitlich größeren Distanz auf den Konflikt zurückblickt (Argument für eine spätere Datierung). Die im Matthäusevangelium zu findende drastische Diktion gerade mit Blick auf das jüdische Volk, wie sie sich etwa in Matthäus 27,25 findet, ist freilich dann besser aus der Situation eines unmimttelbaren Konfliktes erklärbar. Das spricht insgesamt für eine frühere Datierung. |
12. | ↑ | Vgl. hierzu das anlässlich des 80. Geburtstages von Karl Kardinal Lehmann veröffentlichten Interviews mit Daniel Deckers: Monika Nellessen, „Fundamentaler Relevanzverlust von Kirchlichkeit“, in: Kardinal Lehman. Eine Ära, Sonderbeilage Rhein-Main-Presse (14.5.2016), S. 20f. – Quelle: http://www.allgemeine-zeitung.de/sonderbeilagen/Lehmann/pubData/source/lehmann_klein_Neu.pdf [Stand: 15. Mai 2016]. |
13. | ↑ | So auch die Kongregation für die Glaubenslehre in einer Antwort auf den Zweifel bezüglich der im Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis vorgelegten Lehre vom 28.10.1995: „Diese Lehre fordert eine endgültige Zustimmung [‚assensum definitivum‘], weil sie, auf dem geschriebenen Wort Gottes gegründet und in der Überlieferung der Kirche von Anfang an beständig bewahrt und angewandt, vom ordentlichen und universalen Lehramt unfehlbar vorgetragen worden ist (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 25,2). Aus diesem Grund hat der Papst angesichts der gegenwärtigen Lage in Ausübung seines eigentlichen Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), die gleiche Lehre mit einer förmlichen Erklärung vorgelegt, in ausdrücklicher Darlegung dessen, was immer, überall und von allen Gläubigen festzuhalten ist, insofern es zum Glaubensgut gehört.“ |