Ecclesiastica

Die tätige Reue Ninives Anmerkungen zum Bußgottesdienst des Erzbistums Köln

„Ich möchte dabei öffentlich das schuldhafte Versagen so vieler Verantwortlicher der Kirche bekennen“, schreibt der Apostolische Administrator des Erzbistums Köln, Weihbischof Rolf Steinhäuser, in seiner Einladung zum Bußgottesdienst am 18. November – dem Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Werden an diesem Tag die Kruzifixe im Kölner Dom verhüllt werden, um Jesus Christus, in einem symbolischen Akt, den Anblick auf die klaffende Wunde in der katholischen Kirche zu ersparen? Sollten die Kreuze vielleicht verhüllt werden, damit ihr Anblick den Opfern des sexuellen Missbrauchs erspart bleibt? – denn hingen nicht auch Kreuze an den Orten, wo der Missbrauch geschah?

“Mit dem Bußgottesdienst bekennen wir unsere Schuld gegenüber dem Herrn, aber auch den Betroffenen gegenüber. Ihnen ist durch sexualisierte Gewalt immenser Schmerz und großes Leid zugefügt worden”, erklärt Weihbischof Rolf Steinhäuser die Intention des Bußgottesdienstes. An erster Stelle steht Gott – und das darf auch nicht verwundern. Gegen ihn haben zahlreiche Priester, Mönche und Nonnen gesündigt, indem sie sich an Gläubigen, vor allem Kindern vergangen haben. Diese Schuld liegt auf der Kirche als Glaubensgemeinschaft, die in dieser Situation zitternd in den Himmel schaut und sich verwundert fragen sollte: Hat Gott uns aufgrund unserer Taten verworfen? – Gott steht auf der Seite der Opfer und die Kirche steht alleine dar.

Wer darf hinaufziehn zum Berg des HERRN, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Hände hat und ein reines Herz. Psalm 24,3-4

So betet die Gemeinschaft der Gläubigen. Diese Worte der in Psalm 24 entworfenen Einlassliturgie zur Begegnung mit Gott sind eine Mahnung. Die Kirche ist nicht der untergegangene Tempel in Jerusalem, aber man darf nicht denken, dass man sich am Altar des Herrn und im Schatten des Tabernakels verstecken kann.

Buße ist auch so ein theologischer Begriff, hinter dem man sich leicht verstecken kann. Doch es ist eben nicht mit einem Wort getan, sondern es geht um „tätige Reue“, eine wegweisende Umkehr. Danach kann nichts so sein, wie es vorher war – das Vorherige muss sterben. Schon in der Welt des Alten Testaments war bekannt, das schöne Worte nicht genügen.

Die Buße muss freiwillig geschehen, äußerlich sichtbar sein und mit einer Selbsterniedrigung und Selbstdemütigung einhergehen. Trauer- und Bußriten sind im Alten Testament eng miteinander verwandt: die Kleider werden zerrissen, es wird gefastet, das Haupt wird mit Asche bestreut etc. Diese Riten machen die Trauer, bzw. die Buße zu einem sozialen Vorgang – sind eine Annäherung an die Zone des Todes und der Krankheit. Diejenigen, die sich so an Gott wenden, verdeutlichen, dass nur noch er ihnen helfen kann; sie entledigen sich ihrer Macht und distanzieren sich vom Leben. Dahinter steht der Glaube, dass Gott sich den Erniedrigten, die elend und arm sind, zuwendet (siehe Psalm 109,21-22) – nur bei ihnen ist er zu finden.

Ein drastisches Beispiel hierfür gibt die Stadt Ninive im Buch des Propheten Jona. Der Prophet wider Willen wird in eine Stadt geschickt außerhalb des Landes Israel, die zu einer Chiffre für eine gewalttätige Großmacht geworden ist. Ninive wurde unter Sanherib (705-681 v. Chr.) zur Hauptstadt des neuassyrischen Großreiches, das für den Untergang des Nordreiches Israel verantwortlich ist und Jerusalem belagerte (vgl. 2 Könige 18-19). Diese Stadt, die im heutigen Gebiet Mossuls im Irak liegt, wird jedoch nicht als blutrünstige, imperiale Macht benannt, sondern in den Worten Gottes am Anfang des Buches als „große Stadt“ gewürdigt. Es ist eine bedeutende Stadt – und diese Bezeichnung stellt vielleicht einen Querverweis innerhalb der Bibel auf Jeremia 22,8-9 dar, wo Jerusalem als eben eine solche bedeutende Stadt, „eine große Stadt“ bezeichnet wird. Im hebräischen Text ist es daher auch von Bedeutung, dass Gottes Wort nicht aufgrund der Bösartigkeit der Stadt als Metapher für das Reich, sondern durch die Schlechtigkeit ihrer Bürger [‎רָעָתָם – gesprochen: ra’atam] ausgelöst wird. In Jona 3 verkündet der Prophet nun der Stadt den Untergang -und dann steht dort geschrieben:

Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an. Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte, stand er von seinem Thron auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein Bußgewand und setzte sich in die Asche. Jona 3,5-6

Die Reaktion der Bewohner Ninives – jedes einzelnen wie der Text betont – ist überraschend.: Sie beginnen an Gott zu glauben. „Glauben“ bedeutet hier, dass sie ihr Schicksal völlig in die Hände Gottes legen. Der Leser und die Leserin erfährt, dass die Bewohner radikal auf den Ruf Jona reagieren, indem sie selbst rufen – sie rufen ein Fasten aus und kleiden sich in Sackgewänder. Fasten ist im Alten Testament zuvorderst ein Trauerritus, in dem sich der Trauernde dem Toten angleicht. Wie Weinen und Totenklage ist es eine Äußerung der Trauer durch Selbstminderung. Als Antizipation des Todes dient das Fasten in der Hebräischen Bibel auch als nonverbale Dimension des Bittgebets (vgl. Psalm 35,15). Und auch der mächtige, namentlich nicht genannte König erniedrigt sich gänzlich. Er verlässt den Ort seiner Macht, den Thron, legt seine königliche Pracht ab, den Königsmantel und kleidet sich wie alle seine Bewohner in Sacktuch. Er geht sogar noch einen Schritt weiter als das, was er von seinem Volk verlangen wird. Er tauscht den Thron mit einem Platz auf der Asche, die den Tod symbolisiert.

Die katholische Kirche ist nicht Ninive – bisher ist kein Prophet aufgetreten, der Gottes Urteil gegen sie ausgesprochen hat. Doch wenn die Kirche sich nicht selbst erniedrigt und demütigt, wird sie nicht wirklich umkehren. Am 18. November wäre ein guter Tag, Messgewänder zu zerreißen, von der Kathedra hinabzusteigen und klagend, weinend und fastend aus den Kirchen hinauszugehen und sich in aller Öffentlichkeit vor den Opfern des sexuellen Missbrauchs in die Asche zu setzen – und Gott und die Opfer um Vergebung zu bitten. Der Weg aus der Asche zurück zum Altar Gottes wird kein leichter sein – es bedarf unschuldiger Hände und reine Herzen.

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