Es war kein Skandal, dass der New Yorker Erzbischof Kardinal Timothy Dolan auf dem Nominierungsparteitag der US-Republikaner zur Eröffnung ein Gebet gesprochen hat. Doch seine Rechtfertigung verdient Kritik: „Beten heißt, zu Gott zu sprechen. Das ist nicht politisch oder parteilich.“ Man kann vorzüglich darüber streiten, was für ein Politiker Donald J. Trump ist. Viele – nicht alle – seiner politischen Entscheidungen sind nicht christlich. Doch auch ihm darf die Fürsprache vor Gott nicht verwehrt werden. Ruhigen Gewissen nämlich kann der Beter darauf vertrauen, dass Gottes Wille und nicht ein demagogischer, menschenverachtender Wille obsiegen werde.
Und ja, auch ein Gebet ist politisch – und dies nicht nur aufgrund eines bestimmten Kontextes, sondern weil Gott parteiisch ist. Im Gebet der Psalmen bekennen wir:
Ich weiß, der HERR führt die Sache des Elenden, Recht schafft er den Armen.
Das Fundament eines jeden Gebets ist die Erinnerung an das Schöpfungshandeln und die Befreiungstaten Gottes in der Geschichte des Volkes Israels und an die Erlösung der Menschen durch das Leben, den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. Das Gebet ist grundgelegt in der Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit – die nicht einfach nur auf politische Revolution zielt, sondern auf eine Neuschöpfung der Welt, um die Armen, Elenden und Unterdrückten zu befreien.
Bei Donald J. Trumps Amtseinführung wählte Erzbischof Kardinal Timothy Dolan weise Worte als Gebet. Er zitierte aus dem Buch der Weisheit und betete so stellvertretend für den neuen Präsidenten Worte, die dem König Salomo in der Tradition in den Mund gelegt wurden:
Gott der Väter und Herr des Erbarmens, du hast das All durch dein Wort gemacht. Den Menschen hast du durch deine Weisheit bereitet, damit er über deine Geschöpfe herrscht. Er soll die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten und Gericht halten in rechter Gesinnung. Gib mir die Weisheit, die an deiner Seite thront, und verstoß mich nicht aus der Schar deiner Kinder!
Man wünscht sich mehr Herrscher in dieser Welt, die sich an diesen Worten ausrichten. Nicht Macht, sondern Demut und Weisheit seien die leitenden Maßstäbe der Mächtigen – denen Gott ein weises und hörendes Herz schenke. Im Angesicht jeden Unrechts in der Welt sollte unser Gebet laut und deutlich erklingen – dazu inspirieren uns die Psalmen, die uns mit dem weisen König David für seinen Thronnachfolger Salomo und jeden politischen Entscheider beten lassen:
Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten. Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden durch rechtes Urteil. Dann tragen die Berge Frieden für das Volk und die Hügel Gerechtigkeit. Er schaffe Recht den Elenden des Volks, er rette die Kinder der Armen, er zermalme die Unterdrücker.
Oh Gott, bereite den Unterdrückern ein gerechtes Ende! Darum bitten wir im Angesicht aller, die andere Menschen unterdrücken.
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Titelbild: Von pxhere, fotografiert von G. Freihalter – Lizenz: gemeinfrei.