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Tod kann Leben schenken – dieser abstrus klingende Satz ist der Hoffnungsschimmer derjenigen, die todkrank auf eine Organspende warten. Dennoch sinkt die Bereitschaft zur Organspende. Generell ist das Vertrauen der Menschen in die ethische Kompetenz der Transplantationsmedizin erschüttert.1) Der letzte traurige Höhepunkt einer Reihe von Skandalen ist der Fall zweier Oberärzte aus Leipzig, die medizinische Daten manipuliert haben sollen, damit ihre Patienten anderen Todkranken gegenüber bei der Vergabe von Spenderlebern bevorzugt wurden.2)
Seit den Anfängen operiert die Transplantationsmedizin auf einem schmalen ethischen Grad. Für sie bedeutet der Tod des einen das Leben des anderen. Damit stellt sich grundlegend die Frage, wann ein Mensch tot ist. Die Deutsche Bischofskonferenz hat nun eine Handreichung herausgegeben, in der der Ganzhirntod als grundlegendes Kriterium für den Tod eines Menschen festgehalten wird und die Organspende für Christen als eine Erscheinungsform der Nächstenliebe bezeichnet wird.3) Beide Punkte hängen eng miteinander zusammen, denn der Tod definiert, wann die Nächstenliebe zu einer Person zur Nächstenliebe zu einer anderen Person wird.
Das Ende des Lebens
Die Bibel kennt weder den Herztod noch den Ganzhirntod als Kriterium, wann ein Mensch tot ist. Sie erklärt den Moment des Todes nicht medizinisch, sondern, man könnte sagen, sie definiert ihn empirisch beziehungsweise theologisch deutend – zum Beispiel: Wer nicht mehr atmen kann, ist tot. Wer verblutet, verliert sein Leben.
Der Atem und das Blut
Im zweiten Schöpfungsbericht wird der Mensch aus dem Staub des Erdbodens geformt und Gott kündigt den Menschen nach dem Sündenfall an, dass sie zum Staub zurückkehren werden. Was die Menschen zu einem lebendigen Wesen macht ist der Lebensatem, den Gott schenkt:
Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Der Lebensatem heißt auf hebräisch: נִשְׁמַ֣ת חַיִּ֑ים (gesprochen: nischmat chaijm). Das verwendete Wort נשמה (gesprochen: neschama) bezeichnet in anderen Texten auch die ganz konkrete Luftbewegung durch die Nase: Zum Beispiel ist in Psalm 18,6 das hörbare Atmen durch die Nase ein Bild für den Zorn Gottes. An anderen Bibelstellen kann ganz umfassend das Lebendige bezeichnen:
Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!
In Genesis 2,7 wird ein zweites interessantes hebräisches Wort verwendet: נֶ֥פֶשׁ חַיָּֽה (gesprochen: nefesch chaja – „lebendiges Wesen“). Das hebräische Wort נפש (gesprochen: nefesch) ist sehr schwer zu übersetzen: Es kann „Atem“, „Verlangen“, „Lebenskraft“, „das Selbst“ bedeuten. Die Grundbedeutung scheint sowohl im Hebräischen als auch in anderen altorientalischen Sprachen jedoch „Kehle“ zu sein. Somit ist der Ort des Atems, die Kehle beziehungsweise der Rachen, in der hebräischen Sprache zum Bild für die Lebenskraft selbst geworden. Sogar der Leichnam, dem das Lebendige gänzlich fehlt, kann mit diesem Begriff alsנֶ֥פֶשׁ מֵ֖ת (gesprochen: nefesch met) bezeichnet werden: der Leichnamen ist eine tote Kehle beziehungsweise ein totes Leben.
Beide Begriffe, נשמה und נפש, hängen eng mit dem Atem zusammen und haben sich zu Begriffen für das Leben allgemein entwickelt. Dementsprechend werden in der Hebräischen Bibel diese Worte auch verwendet, um den Tod einer Person auszudrücken.
Nach einiger Zeit erkrankte der Sohn der Witwe, der das Haus gehörte. Die Krankheit verschlimmerte sich so, dass zuletzt kein Atem [נשמה] mehr in ihm war.
Die Mutter, die sieben Söhne gebar, welkte dahin, verhauchte ihr Leben [נפש].
In keiner dieser Textstellen wird durch diese Bildsprache jedoch ein medizinisches Kriterium aufgestellt, wann eine Person lebt und wann eine Person tot ist. Zugrunde liegt die Wahrnehmung, dass das Atmen ein Zeichen des Lebens ist, das als Geschenk von Gott gegeben oder aber auch wieder genommen werden kann (vgl. Psalm 104,29-30).
Ebenso wie der Atem ist in der Hebräischen Bibel ist auch das Blut Zeichen des Lebens:
Die Lebenskraft [נפש] des Fleisches sitzt nämlich im Blut.
Eine schwierige Frage
In biblischer Zeit war jemand tot, wenn er nicht mehr atmete. Wer viel Blut verlor, starb daran. Zugleich verstanden die Autoren aber auch, dass diese Beobachtungen nur empirischer Natur sind und so wurde zum Beispiel aus den mit der Atmung zusammenhängenden Begriffen Ausdrücke für die Lebenskraft und das Leben allgemein. Die Atmung wurde im Denken der Hebräischen Bibel sozusagen zum Symptom der Lebenskraft.
Mit der heutigen Medizin kann selbst ein Mensch, dessen Gehirn vollends abgestorben ist, durch Maschinen weiterhin am Leben gehalten werden. Sauerstoff kann weiterhin in seine Lungen gelangen und das Herz das Blut durch den gesamten Körper pumpen. Die Frage, ob ein Mensch in diesem Zustand noch lebt oder nicht, lässt sich nicht einfach mit der Bibel beantworten. Aber auf dem Weg zu einer Antwort auf die philosophisch-theologische Frage, wann eine Person aufhört zu existieren, gibt die Bibel mit der Bildsprache über die Atmung einen wichtigen Wegweiser. Gott es ist, der den Lebensatem schenkt und ihn wieder nimmt:
Verbirgst du dein Gesicht, sind sie verstört; nimmst du ihnen den Atem, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub der Erde. Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen und du erneuerst das Antlitz der Erde.
Im Hintergrund dieser Psalmverse klingt Genesis 2,7 an. Allerdings wird hier nicht der Hebräische Ausdruck נִשְׁמַ֣ת חַיִּ֑ים (gesprochen: nischmat chaijm) verwendet, sondern das hebräische Wort: רוח (gesprochen: ruach). Die Grundbedeutung des Wortes ist „bewegte Luft“ und es kann „Wind“, „Atem“, „Lebenskraft“ und „Geist“ bedeuten. In Psalm 104,29-30 bezeichnet das hebräische Wort רוח das den Körper der Menschen und Tiere belebende Prinzip, das sich im Atem kundgibt. Gott ist der Herr über das Leben, er gibt es und nimmt es. Der Mensch darf das Leben eines anderen nicht mutwillig beenden – das ist die Forderung des fünften Gebotes des Dekalogs:
Du sollst nicht morden!
… mit dieser Forderung im Hintergrund muss die Theologie mit der Medizin und der Philosophie diskutieren, wann ein Mensch tot ist. Die Gesellschaft muss sich fragen, wie sie ein verlässliches Kriterium für den Tod definiert, das den Menschen es ermöglicht, aus Nächstenliebe zu einem Organspender zu werden. Einen wichtigen Beitrag für diese Debatte stellt die neu erschienene Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz dar.4)
Bildnachweis
Titelbild: „Breath of Life“ von Ian Iott. Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0.
Bild im Textverlauf: „Creation of Adam“, Mosaik, Monreale, 12. Jahrhundert. Gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | 2014 durften 864 Menschen nach ihrem Tod Organe zur Spende entnommen werden. 2009 waren es noch 1217 Organspender, deren Organe nach dem Tod transplantiert werden konnten, vgl. die Pressemitteilung der Deutschen Stiftung Organtransplantation “Zahl der Organspender stabilisiert sich auf niedrigem Niveau“, 20.01.2015 [Stand: 02. August 2015]. |
2. | ↑ | Vgl. „Organspendeskandal in Leipzig: Anklage gegen ehemalige Oberärzte erhoben“, Spiegel Online, 24.07.2015 [Stand: 01. August 2015]. In diesen Fällen zeigt sich auch, dass das Geschenk des Lebens für den einen für einen anderen den Tod bedeuten kann. |
3. | ↑ | Vgl. “Hirntod und Organspende” (DB-Kommission Nr. 41), Deutsche Bischofskonferenz, 2015. |
4. | ↑ | Siehe “Hirntod und Organspende” (DB-Kommission Nr. 41), Deutsche Bischofskonferenz, 2015. |
Interessanter Kommentar zur Handreichung der Bischofskonferenz in der Zeitung “Die Tagespost”: http://www.die-tagespost.de/Im-Blickpunkt-Zwischen-allen-Stuehlen;art456,162590
In Österreich ist man automatisch Organspender und braucht nicht um einen Ausweis ansuchen, hier lesbar: meinetransplantation.at. Man kann aber Widerspruch gegen eine Entnahme nach dem Tod einlegen. Ich bin ein Befürworter der Organspendeausweise und hoffe, dass das Thema mehr Präsenz in der Medienwelt finden wird und somit der Wille steigt…
Gruß