Wenn es ums Geld geht, hört der Spaß auf! Das war vor Jahren im Bistum Limburg so, als der Neubau einer bischöflichen Herberge die Budgets überschritt – und das scheint jetzt auch im Erzbistum Köln der Fall zu sein. Dort geht es um Gelder aus einem Sondervermögen, die – wohl ohne die zuständigen Gremien zu konsultieren – zur Finanzierung von zwei Missbrauchsgutachten und Beratern zur Krisenkommunikation eingesetzt wurden1). Man könnte nun angesichts des kommunikativen Desasters, das sogar päpstlich konstatiert wurde2), fragen, ob man solche Berater nicht selbst in Regress nehmen könnte. Schließlich kann von einer kommunikativen Bewältigung der Krise nicht nur nicht die Rede sein; im Gegenteil: der Konflikt um den Umgang mit den Missbrauchsgutachten, aber auch die Fragen der innerdiözesanen Strukturprozesse ist sukzessive immer weitergewachsen. Jetzt kommt auch noch die Frage des Umgangs mit dem Geld hinzu – eine Frage, die alles Moralische zu übersteigen scheint und schon in frühkirchlichen Zeiten zu erheblichen Konflikten geführt hat. Allein der Verdacht des unlauteren Umgangs mit dem Mammon genügt, um die Emotionen auf allen Seiten in Wallung zu bringen. Das Beispiel des Paulus und seines Werbens um die große Kollekte für die „Armen“ (vgl. Galater 2,10 – gemeint ist wohl die Jerusalemer Urgemeinde, an die nach Römer 15,25-29 die Sammlung überbracht werden soll) ist hier ein beredtes Zeugnis.
Die Kirche und das Geld
Dabei scheint die Frage des Umgangs mit dem Geld zuerst kein offenkundiges Thema für Paulus zu sein. Er hat sich um vieles gekümmert. Er hat die frohe Botschaft unter die Heiden des damaligen Römischen Reiches getragen. Er hat Gemeinden gegründet. Aber Geld? Überhaupt, Kirche und Geld3)? Tatsächlich gab und gibt es große Ressentiments, wie man schon an einem Zitat aus Goethes Faust 1, sieht; denn Goethe lässt den Mephistopheles auf dem Spaziergang mit Faust folgenden Satz sagen:
„Die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgefressen und doch noch nie sich übergeben. Die Kirch allein, meine lieben Frauen, kann Ungerechtes gut verdauen.“
Goethe wendet sich offenkundig damalige Praxis der Prunksucht. Die Kirche hat es mit dem Geldverdienen und dem Geldverwalten übertrieben. Ein Vorwurf, den man auch heute noch manchmal in der Kirche hört. Das ist sicher eine übertriebene Ansicht. Aber es ist eine Vorhaltung, die im Raum steht, so dass es uns heutigen Christen häufig noch unangenehm ist, wenn wir über Kirche und Geld reden.
Das war in der frühen Kirche noch ganz anders. Die Frage des Umgangs mit dem Geld, mit dem sogenannten Depositum, war etwas, das den damaligen Bischöfen ans Herz gelegt war. Geld zu haben, war keine Schande, ganz im Gegenteil. Man brauchte das Geld.
Der Wuppertaler Stadtheilige, Sankt Laurentius, dem auch die Wuppertaler Hauptkirche geweiht ist, hätte davon ein Lied singen können, wenn man ihn denn lang genug am Leben gelassen hätte. Denn in der Verfolgungszeit geht der römische Diakon Laurentius hin und verkauft die Kirchengüter, um es den Armen zu geben. Damit ist genau der Weg vorgezeichnet, den die alte Kirche mit dem Depositum, mit dem ihr anvertrauten Schatz, gegangen ist.
Das Geld war nicht um seiner selbst willen da. Wenn man es vermehren wollte – und man durfte und sollte es vermehren -, war es immer für die Armen, für die Witwen und besonders für die Märtyrer, die in den Gefängnissen saßen, bestimmt. Deshalb bezeichnet man die Geldspende, die ein Bischof einnahm, die er seinem Depositum zufügte, auch als Opfer. In der Geldspende, die über den Bischof an die Armen und Märtyrer weitergegeben wurde, partizipierte man an deren Glaubenszeugnis oder erfüllte den Auftrag des Herrn:
Was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.
Nicht Geld zu haben, war damals das Problem; der richtige Umgang mit Geld und den Vermögenswerten war vielmehr für die alte Kirche der ersten Jahrhunderte etwas ihr Wesenseigenes4). Die Kirche sollte über Kapital verfügen, und sie musste über Kapital verfügen, um den ihr anvertrauten Auftrag in Wort und Tat umzusetzen. Man kann das Evangelium nicht in die Tat umzusetzen, ohne dass sie wirtschaftliche Mittel zur Verfügung haben.
Dass die Kirche Geld hat, ist letzten Endes also nicht das entscheidende Problem. Wie sie es einsetzt, wofür sie es verwendet, das ist die Frage. Und das war schon das Thema der frühen Bischöfe. Sie wurden auch als „rechte Hausverwalter Gottes“ gesehen5). Das ist nicht nur eine Metapher; dahinter steckte tatsächlich auch der Bischof als Haushalter. Und die guten Bischöfe wussten eben, angemessen und gut mit ihrem Geld umzugehen. Die schlechten Bischöfe erwiesen sich als korrupt und als solche, die das Vermögen einfach verschleuderten oder in die eigene Tasche wirtschafteten. Das war damals das Kriterium.
Geld im Neuen Testament
Erste Spuren für den rechten Umgang mit Geld finden sich schon im Neuen Testament. Auf den ersten Blick scheint die Frage nach dem Geld eher nebensächlich zu sein. Bei genauem Hinsehen ist allerdings festzustellen, dass das Thema „Geld und Wirtschaftsgüter“ das Neue Testament in weiten Teilen prägt.
Nicht nur, dass die Apostel eine eigene Kasse hatten, die von Judas Iskariot verwaltet wurde (soh ein Hinweis in Johannes 12,6). Er war zwar derjenige, der später den Herrn verraten sollte. Vorher aber hatte er die Kasse unter sich, woraus sich nicht nur ablesen lässt, dass auch Jesus selbst mit Geld umging. Was mit dieser Kasse gemacht wurde, das erzählt eine schöne Begebenheit kurz vor dem Leidensweg Jesu (vgl. Markus 14,3-9 par):
Jesus ist in Betanien zu Gast, und es kommt eine Frau – in den Evangelien wird sie als Sünderin bezeichnet – und bringt sehr kostbares Öl mit, Nardenöl, und zwar in einer Menge, die man sich gar nicht vorstellen kann, sehr, sehr wertvoll, und sie salbt Jesus damit. Darüber empören sich einige aus der Gefolgschaft Jesu und beschweren sich:
Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können.
Im Johannesevangelium ist es Judas, der exklusiv als Beschwerdeführer auftritt (vgl. Johannes 12,4-6). Er ist also nicht nur der Verräter, der den Herrn ans Kreuz gebracht hat. Er hat hier durchaus eine positive Motivation. Freilich antwortet Jesus darauf:
Lass sie, damit sie es für den Tag meines Begräbnisses aufbewahrt! Die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer.
Die Apostel hatten also eine Kasse und einen Kassenwart. Aber auch die Gleichnisse Jesu sind in Teilen von einer Geld- und Wirtschaftsmetaphorik durchsetzt. Man denke nur an das Gleichnis von den Talenten etwa oder von dem Weinbergbauern.
Auch der Verrat des Judas ist ohne Geld nicht denkbar. Dreißig Silberlinge hat er bekommen; dabei steht mit Blick auf die Betanien-Szene zu vermuten, dass er diese Silberlinge nicht unbedingt in die eigene Tasche stecken wollte. Möglicherweise hat er damit etwas Gutes vorgehabt, wie es ohnehin die Ansicht mancher Exegeten ist, dass Judas den Herrn selbst in einer gewissen Weise unter Druck setzen wollte, damit er endlich sein Erlösungswerk umsetze. Freilich hat sich diese Intention des Judas als falsch erwiesen und ihn letzten Endes völlig desillusioniert. So bringt er das Geld zurück in den Tempel und wirft es den Hohepriestern vor die Füße. Die nehmen es aber nicht an, sondern kaufen davon in der Nähe Jerusalems einen Acker, den man dann Blutacker nannte. Man könnte in einer gewissen Weise sagen, dass damit, mit diesem dreckigen, schmutzigen Geld, die erste Bad-Bank der Welt gegründet wurde: damals in Jerusalem auf dem Blutacker.
Auch bei Paulus finden wir das Thema, den Umgang mit dem Geld, häufig: Im ersten Korintherbrief lesen wir im 9. Kapitel von der Selbstverständlichkeit, dass die Apostel, wenn sie ihre Frauen mit sich führen und umherreisen, von den Gemeinden einen entsprechenden Lohn und eine Versorgung bekommen. Gleichwohl warnt er im zweiten Korintherbrief vor dem Missbrauch dieser Vorgehensweise, wenn er sich gegen eine Verkündigung um Geld wehrt. Wohl gemerkt, Paulus hat nichts dagegen, dass man für die Verkündigung des Evangeliums Geld einnimmt: Der Arbeiter ist seines Lohnes Wert. Allerdings verweist er darauf, dass er selbst nie Geld mit der Verkündigung des Evangeliums verdient hat.
Gleichwohl aber mahnt er auch:
Wehe denen, die das Evangelium um Geld verschachern.
Es war damals offenkundig gang und gäbe, dass es Leute gab, die erzählten das, was die Leute hören wollten und nahmen damit Geld ein
Die Kollekte des Paulus für die Jerusalemer Urgemeinde
Sein zentrales Thema, das unmittelbar mit seinem apostolischen Wirken und mit seiner Art, das Evangelium unter die Völker zu bringen, verbunden ist, war aber das große Kollektenwerk6), die große Sammlung für die Armen in Jerusalem. Was hat es mit dieser Kollekte auf sich?
Die Kollekte war also auch ein äußeres Zeichen der Einheit und der Gemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen. Dass diese Vereinbarung des Apostelkonzils nicht ohne Sprengstoff war, erlebt Paulus schon kurze Zeit nach dem Apostelkonzil, als er Petrus in Antiochien trifft, und Petrus aufgrund einer Intervention der sog. „Jakobsleute“ die ursprünglich geübte Mahlgemeinschaft mit den Heiden aufgrund der Gebote der Tora verweigert. Im Galaterbrief heißt es, dass der Paulus dem Petrus ins Angesicht hinein widerstand (vgl. Galater 2,11).
Dieses Erlebnis in Antiochien, dieser paulinisch-petrinische Konflikt mag dann auch eine Grundangst in Paulus ausgelöst haben, was den Erfolg seiner Kollektenmission angeht. Auf der einen Seite musste diese Kollekte ein großer Erfolg werden, damit man in Jerusalem merkte: Ja, die heidenchristlichen Gemeinden suchen die Einheit mit der Jerusalemer Urgemeinde. Auf der anderen Seite hören wir aber auch im 15. Kapitel des Römerbriefes von der großen Sorge des Paulus, ob seine Sammlung in Jerusalem überhaupt angenommen würde (vgl. Römer 15,30-33). Denn dieses Geld, von Heiden gesammelt, war aus judenchristlicher Sicht unrein. Man hätte es also nicht annehmen dürfen, ohne sich unrein zu machen. Nimmt man es aber an, ist das ein unwiderlegbarer Beweis für die brüderliche Einheit heiden- und judenchristlicher Gemeinden.
Aus den Paulus-Briefen ist immer wieder zu erfahren, mit welchem Herzblut er diese Kollekte betrieben hat. Im Galaterbrief hört man von dem Auftrag allgemein, im Philipper-Brief, den er an eine Gemeinde schrieb, mit der er sehr freundschaftlich verbunden war, schreibt er: Mit euch bin ich auf Geben und Nehmen verbunden (Philipper 4,15). Die Korintherbriefe beschreiben hingegen, dass es um die Kollekte und den Umgang mit Geld zu einem erheblichen Konflikt mit einem schwer ausräumbaren Vorwurf gekommen ist.
Paulus und die Korinther – ein schwieriges Verhältnis
Das Verhältnis zwischen Paulus und den Korinthern war in sich wohl äußerst schwierig. Paulus hat in dieser Gemeinde sein Evangelium verkündet, aber die Korinther hatten vieles sehr überinterpretiert. Nicht nur, dass es dort zu wahren Exzessen, die dem vermeintlichen Wirken des Heiligen Geistes zuschrieb und gegen die Paulus sich im ersten Korintherbrief wendet. Nein, man hat auch die Gesetzesfreiheit, die Paulus ja verkündigt hat, in dem Sinne interpretiert: „Wenn wir schon erlöst sind, dann können wir auch leben, als wenn es keine Einschränkungen mehr gibt.“ Dieser Auffassung stellt Paulus im ersten Korintherbrief zu vielfältigen Fragen entgegen.
Bezüglich der Kollekte finden sich in 1 Korinther allerdinge nur eine eine kurze Mahnung, die Sammlung entsprechend seiner Weisungen durchzuführen:
Was die Geldsammlung für die Heiligen angeht, sollt auch ihr euch an das halten, was ich für die Gemeinden Galatiens angeordnet habe. Jeder soll immer am ersten Tag der Woche etwas zurücklegen und so zusammensparen, was er kann. Dann sind keine Sammlungen mehr nötig, wenn ich komme. Nach meiner Ankunft werde ich eure Vertrauensleute mit Briefen nach Jerusalem schicken, damit sie eure Liebesgabe überbringen. Ist es der Mühe wert, dass ich selbst hinreise, dann sollen sie mit mir reisen.
In Korinth gab es also Schwierigkeiten an verschiedenen Stellen. Auch bezüglich der Sammlung gab es wohl ein grundständiges Misstrauen, weshalb den Vertrauensleuten eine besondere Rolle zukommt. Daher verwundert es nicht, dass Paulus die Gemeinde nach seinem Gründungsbesuch ein zweites Mal visitiert hat. Bei diesem zweiten Besuch muss es einen Vorfall gegeben haben, auf den der zweite Korintherbrief zurückblickt7). Es hat einen Menschen gegeben, auf griechisch steht da nur das Wörtchen τις (gesprochen: tis). Das könnte man im Deutschen übersetzen mit „irgendjemand“, „derjenige, welcher“. Die Korinther wussten schon, wer es war. Das maskuline Genus des Wörtchens „τις“ kennzeichnet ihn als männlich. Im Raum stehen mehrere Vorwürfe. Einer bezieht sich auf die Erscheinung des Paulus:
Ja, die Briefe, wird gesagt, die sind wuchtig und voll kraft, aber sein persönliches Auftreten ist matt und seine Worte sind armselig.
Außerdem war man ihm wohl unlautere Absichten bezüglich des ihm anvertrauten Geldes vor. Tut er etwa nur so, als würde er von seiner eigenen Hände Arbeit leben? Das hatte er bereits im ersten Korintherbrief geschrieben:
Haben wir nicht das Recht, eine Schwester im Glauben als Frau mitzunehmen, wie die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und wie Kephas? Haben nur ich und Barnabas kein Recht, nicht zu arbeiten?
Paulus war Zeltmacher und hat von dieser Arbeit gelebt (vgl. Apostelgeschichte 18,3)
Paulus war durchaus eine impulsive Persönlichkeit. Wie man das bei solchen Menschen häufig erlebt, war er zugleich äußerst sensibel. So ist er nach dem sogenannte „korinthischen Zwischenfall“ auf den 2 Korinther 2,5 anspielt, wie er selbst schreibt, überstürzt aufgebrochen und bei Nacht und Nebel nach Ephesus gereist.
Jetzt schreibt er von Ephesus aus erneut Briefe an die Korinther8). Eine besondere Rolle spielt das in 2 Korinther 1-9 vorliegende Schreiben, mit dem er das unterbrochene Kollektenwerk wieder in Gang bringen will. Das kann er nur, wenn er das verloren gegangene Vertrauen – denn dieser Vorwurf ist ja in der Öffentlichkeit passiert – wiederherstellen kann.
Er kündigt in diesem Schreiben seinen dritten Besuch an. Bevor er aber selbst kommt, schickt er seinen Mitarbeiter Titus mit dem Brief nach Korinth, um das begonnene Werk zu Ende zu führen. Ephesus liegt ein einige hundert Kilometer weiter östlich. Dazwischen befindet sich die Ägäis. Man musste also entweder wochenlang über den Landweg marschieren oder doch eine beschwerliche und gefährliche Seereise auf sich nehmen.
Viel geht, wenn Vertrauen geht. Markus Röntgen
Kontrolliertes Vertrauen – die paulinische Strategie zum Umgang mit Geld
Paulus musste sich also gut überlegen: „Wie verfasse ich diesen Brief? Welche Strategie schlage ich ein, angesichts dieses Dilemmas?“ – ein Dilemma, das er selbst durch seine überstürzte Abreise mitverursacht hatte. Welche Strategie hilft, jetzt doch noch die Kollekte entsprechend zuwege zu bringen?
Paulus baut eine wunderbar gegliederte, sehr diffizil aufgebaute Argumentation, in der er erst über die Bedeutung des Evangeliums für die Korinther referiert und warum es auf keinen Fall dazu kommen darf, dieses Evangelium zu verraten – und sie würden es verraten, wenn sie ihrem Gründungsvater, sprich ihn selbst als Paulus, abspenstig würden.
Schließlich kommt er dann in 2 Korinther 8f, nachdem er sich gewissermaßen brieflich zumindest einseitig mit den Korinthern versöhnt hat, auf das eigentliche Thema zu sprechen kommt: Den notwendigen Abschluss der Kollekte.
Hier erweist sich Paulus als ausgesprochener Meister der Rhetorik9). Zuerst nämlich stellt er den Christen in Korinth, die Christen in Makedonien, also in Philippi und Thessaloniki, als Vorbild dar. Dort lief die Kollekte ausgesprochen gut. Paulus hält den Korinthern aber auch den „Gegenwert“ vor, den die Makedonier von der Jerusalemer Gemeinde empfangen. Worin dieser Gegenwert in Jerusalem besteht, davon wird er später schreiben.
Im Anschluss an diese etwas spezielle „Motivation durch Neiderregung“ stellt Paulus seinen Mitarbeiter Titus als seinen Generalbevollmächtigten vor. Er gibt außerdem Anweisungen, wie die Kollekte jetzt durchgeführt werden soll. Im Hintergrund steht dabei immer der Vorwurf, Paulus wirtschafte alles in seine eigene Tasche. Er muss also vorsichtig vorgehen. So gibt er den Korinthern die Empfehlung, nur das zu geben, was möglich ist, auch wenn die armen Makedonier doch über die Maßen gegeben haben, brauchen die Korinther so weit es gar nicht gehen zu lassen. Es reicht, wenn jeder das gibt.
Das Ziel ist der große Ausgleich, von dem er Folgendes sagt:
Wer viel gesammelt hatte, hatte nicht zu viel, und wer wenig, hatte nicht zu wenig.
Paulus zitiert damit aus dem Buch Exodus 16,18 die Situation, in der Gott seinem Volk, das in der Wüste unterwegs war, das Manna gibt. Dieses Manna wurde eingesammelt. Wer viel hatte, hatte nicht zu viel. Wer wenig hatte, hatte nicht zu wenig, weil es einen inneren Ausgleich gibt. Sprich, wer viel hat, soll auch viel geben. Wer wenig hat, braucht nur wenig zu geben. Letzten Endes zählt das Ergebnis der Gesamtgemeinde.
Paulus geht jetzt den nächsten Schritt und stellt dar, wie er mit dem Geld umzugehen gedenkt:
Dank sei Gott, der den gleichen Eifer für euch auch Titus ins Herz gelegt hat, denn Titus war mit meinem Vorschlag einverstanden, und sein Eifer war so groß, dass er aus eigenem Entschluss gleich zu euch abreiste. Zusammen mit ihm haben wir den Bruder geschickt, der wegen seiner Verkündigung des Evangeliums in allen Gemeinden Anerkennung findet und außerdem von den Gemeinden dazu bestimmt wurde, unser Reisegefährte zu sein, wenn wir diese Liebesgabe zur Ehre des Herrn und als Zeichen unseres guten Willens überbringen. Denn angesichts der großen Spende, die von uns überbracht werden soll, möchten wir vermeiden, dass man uns verdächtigt. Es liegt uns nämlich daran, dass alles einwandfrei zugeht, nicht nur vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen. Wir haben aber mit den beiden noch einen weiteren Bruder geschickt, dessen Eifer wir vielfach und bei vielen Gelegenheiten feststellen konnten und der sich in diesem Fall noch eifriger zeigt und weil er viel von euch erwartet. Was nun Titus angeht, er ist mein Gefährte und mein Mitarbeiter, der für euch tätig ist. Unsere anderen Brüder aber sind Abgesandte der Gemeinden und ein Abglanz Christi. Legt also ihnen gegenüber und damit vor den Gemeinden das Zeugnis eurer Liebe ab und zeigt, dass wir euch zu recht gerühmt haben.
Vertrauenbildende Maßnahmen
Wie stellt man Vertrauen her? Indem man neutrale Zeugen herbeiholt. Und Paulus war sich nicht zu schade, seine Karten offen zu legen. Die Gemeinden hatten offenkundig zwei Personen benannt, die ihm als Gewährszeugen an die Seite gestellt werden sollten. Es scheint fast so, als habe Paulus dies selbst eingefordert. Diese Personen sollten als Zeugen seines Leumundes, seiner Legitimität und seiner Vertrauenswürdigkeit fungierten.
Titus ist sein enger Mitarbeiter. Es wird vermutet, dass Titus vermögend war. Das macht ihn, was diese Geldspende angeht, unverdächtig. Aber er bleibt Mitarbeiter des Paulus und als solcher Partei. Wichtiger sind für Paulus daher die beiden von den Gemeinden beauftragten Brüder, die den rechten Verlauf der Kollekte überwachen. Sie dürften auch der Gemeinde in Korinth durchaus bekannt seien. Paulus ehrt und adelt sie, indem er sie als Abglanz Christi bezeichnet.
Die Kollekte kann nur gelingen, wenn Paulus das uneingeschränkte Vertrauen der korinthischen Gemeinde wiedererlangt. Dieses Vertrauen kann er nur dann wiederherstellen, wenn er transparent vorgeht. Es muss in allen Teilen des Umgangs mit dem korinthischen Geld deutlich werden: Wo bleibt dieses Geld? Wie sind die Wege, die dieses Geld geht?
Es gab damals keine Konten, keine Überweisungsträger, kein Online-Banking. Es gab nur den Geldbeutel, der mitgeführt wurde. Es ist deshalb fraglich, ob die Geldspende in einem Gesamtbetrag nach Jerusalem gebracht wurde. Die Gefahr, überfallen zu werden, das Geld auf diese Weise zu verlieren, war viel zu groß. Oder hat Paulus es in kleine Teile gestückelt und in kleinen Beträgen nach Jerusalem geschickt? Teilt man das Geld, stellt sich schon allerdings die Frage: Wo bleiben diese kleinen Geldbeträge? Außerdem bleibt die Frage, wer das Geld überbracht hat: Im Römerbrief ist er sich noch sicher, dass er gehen will (vgl. Römer 15,28), aber im ersten Korintherbrief weiß er es wieder nicht (vgl. 1 Korinther 16,3). Um hier möglichen Vorwürfen zu begegnen, entwirft Paulus ein Modell, mit dem er die notwendige Transparenz den Gemeinden gegenüber gewährleisten kann. Hier spielen die Beauftragten der Gemeinden eine zentrale Rolle.
Paulus geht in 2 Korinther aber noch weiter. Im 9. Kapitel empfiehlt er die Beauftragten noch einmal ausdrücklich. Seinen Teil für die Glaubwürdigkeit hat er jetzt beigebracht. Jetzt sollen allerdings auch die Korinther ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen, indem alles vorbereitet ist, wenn die Abgesandten denn kommen. Man soll nicht erst dann anfangen zu sammeln; vielmehr soll alles vorbereitet sein. Vor allen Dingen wendet er sich gegen jede Form von Geiz und Neid, zwei Grundübel, die Paulus schon in Korinth erkennt, die aber auch unsere Gegenwart bestimmen.
In der Beziehung zwischen Apostel und Gemeinde geht es um ein Vertrauen auf Gegenseitigkeit. Das ist zur Zeit der Abfassung von 2 Korinther mit Blick auf Paulus noch gestört. Er möchte das Vertrauen der Gemeinde wiedererlangen, aber er möchte auch dieser Gemeinde wieder vertrauen können. Ziel ist letzten Endes – und darauf kommt er dann zum Schluss des 9. Kapitels zu sprechen – der große Ausgleich, um den es geht, wer gibt, möchte dafür einen Gegenwert bekommen:
Denn dieser heilige Dienst füllt nicht nur die leeren Hände der Heiligen, sondern wird weiterwirken als vielfältiger Dank an Gott. Vom Zeugnis eines solchen Dienstes bewegt, werden sie Gott dafür preisen, dass ihr euch gehorsam zum Evangelium Christi bekannt und dass ihr ihnen und allen selbstlos geholfen habt. In ihrem Gebet für euch werden sie sich angesichts der übergroßen Gnade, die Gott euch geschenkt hat, eng mit euch verbunden fühlen. Dank sei Gott für sein unfassbares Geschenk.
Auch für die fromme Gabe gilt letztlich eine Erfahrung des Alltag: Wer in einen Laden geht und etwas für zehn Euro kauft, möchte dafür einen angemessenen Gegenwert. Dass diese Grundweisheit in den letzten Monaten nicht beachtet wurde, war ein Teil der ausgelösten Weltwirtschaftkrise der Jahr 2009/2010. Es ist also natürliche, dass auch die Korinther für ihre Spende einen Ausgleich bekommen wollen. Sie empfangen das Gebet und den Dank der Heiligen Jerusalem, dieser für die Urkirche so wichtigen zentralen Gemeinde des antiken Christentums. Die so hergestellte Einheit, die durch Annahme der Spende in Jerusalem signalisiert wird, bedeutet letzten Endes auch das Heil für die von Paulus gegründeten heidenchristlichen Gemeinden. Er fasst das unter den Begriff der Gerechtigkeit:
Gott, der Samen gibt für die Aussaat und Brot zur Nahrung, wird auch euch das Saatgut geben und die Saat aufgehen lassen; er wird die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.
Indem die Korinther das Geld geben, arbeiten sie an der Gerechtigkeit, dass die Jerusalemer Gemeinde in wirtschaftlich schwerer Zeit leben kann, aber auch an ihrer eigenen Gerechtigkeit, weil ihre Anerkennung durch die Jerusalemer Gemeinde ihr Heil bedeutet.
Die Kollekte ist also mehr als eine bloße Geldsammlung. Es ging nicht nur um eine wirtschaftliche Frage von Plus und Minus oder der Transparenz der Vertriebswege. Der Erfolg der Kollekte ist von eminenter theologischer Relevanz. Paulus umschreibt die Kollekte daher nicht ohne Grund mit einer Reihe theologischer Begriffe. Im Griechischen heißt sie daher nicht nur λογεία (gesprochen: logeía – Sammlung). Die Kollekte ist auch eine Gnadengabe (χάρις – gesprochen: cháris). Sie ist ein Dienst an den Heiligen (διακονία – gesprochen: diakonía). Sie ist ein Segen, den die Korinther herabrufen (εὐλογία – gesprochen: eulogía), das gute Wort, und zwar in einer Doppelbedeutung. Einmal zu einem Segen für die Jerusalemer, aber auch dieser Segen fällt wieder auf sie zurück: Er wird zum Segen für sie selbst.
Die Kollekte erweist sich als Dienstleistung. Das griechische Wort für Dienstleistung ist λειτουρία (gesprochen: leitourgía), Liturgie. Die Durchführung dieser Kollekte ist Gottesdienst, nicht nur wie man ihn heute versteht; sondern in der Kollekte für die Armen in Jerusalem erweisen die Korinther einen Gottesdienst, der das Ziel hat, Gemeinschaft (κοινωνία – gesprochen: koinonía/Communio) zwischen Jerusalem und den Heidenchristen zu stiften. Daran sollen alle heidenchristlichen Gemeinden partizipieren, nicht nur die Makedonier, sondern eben auch die Korinther.
All diese Begriffe wählt Paulus nicht zufällig. Sie sind Schlüsselbegriffe in seinem theologischen Denken. Sie spielen in seinen Briefen immer wieder eine Rolle und sind ganz eminent mit seinem Evangelium verbunden. Er sieht die Kollekte in diesem Kontext: Das Geld für die Armen in Jerusalem, das die von ihm gegründeten Gemeinden einsammeln sollen, ist ein Ausweis der Wirksamkeit seines Evangeliums.
Vertrauenssache Geld
Was bedeutet das alles für uns heute? Für Christen ist der Umgang mit Geld etwas scheinbar Unselbstverständliches. Noch heute redet man über Geld besser nicht, und wenn man etwas mehr hat, als man zum Leben braucht, denkt man vielleicht eher an das Kamel, das schneller durch das Nadelöhr geht, als dass sein Reicher ins Himmelreich kommt. Und doch kann auch die Kirche ohne Geld nicht wirklich wirksam sein.
Die Frage ist deshalb nicht, ob wir Geld haben, sondern wie wir mit dem Geld umgehen. Verantwortung ist das eigentliche Thema. Wer Geld hat, ist auch für den Umgang mit ihm verantwortlich. Geld hat man nicht für sich, so wie man die Freiheit nicht für sich hat, sondern Geld hat man eigentlich, um damit an der Gerechtigkeit dieser Welt zu wirken. Wie gesagt, die Bischöfe wurden in der alten Kirche gerade deshalb als Haushalter Gottes bezeichnet. Die Didaskalia im dritten Jahrhundert schreibt den Bischöfen ins Stammbuch:
„Werdet gute Geldwechsler.“
Die Grundübel unserer Zeit scheinen wieder Geiz und Neid zu sein, wie damals schon in Korinth. Es wird einem nicht nur schwindelig bei den Summen man heutzutage in den Medien hört, wenn über die Wirtschaftkrise berichtet wird. Wieviel Geld ist da nicht verbrannt worden? Wieviel Geld bringen Superreich in Steueroasen unter um Hyperreich zu werden? Geld, das sie im Leben nicht ausgeben können und eigentlich nicht zum Leben brauchen.
Vielleicht sollten wir deshalb auch wieder lernen, Geldverwaltung als Gottesdienst zu sehen: Das kann das Stoßgebet „Gott hilf“ sein, wenn wir auf unser Konto schauen, oder wir könnten sagen: „Herr, was kann ich mit diesem Geld anstellen, um deinen Namen auszurufen in dieser Welt?“ Wo aber der Umgang mit Geld intransparent ist, steht schnell der Vorwurf unlauterer Absichten im Raum. Vertrauen ist kaum schneller zerstört als in Geldfragen. Umgekehrt kann der gerechte Umgang mit Geld geradezu vertrauensbildend wirken, wie Jesus selbst feststellt:
Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es zu Ende geht.
Paulus formuliert daraus eine Grundregel zum Umgang mit Geld:
Gott, der Samen gibt für die Aussaat und Brot zur Nahrung, wird auch euch das Saatgut geben und die Saat aufgehen lassen. Er wird die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.
Wahrlich: Beim Geld hört der Spaß auf – in Limburg, Köln und anderswo. Es wird nicht leicht sein, immer die lauteren Absichten erkennen zu lasse – wenn es sie denn gibt. Wenn das Vertrauen einmal vergegangen ist, geht auch noch vieles andere mit …
Bildnachweis
Titelbild: Euro Münzgeld und Portmonee – Nahaufnahme (Geld, Kleingeld, Münzen) (Christoph Scholz) – Quelle: flickr – lizenziert als CC BY-SA 2.0
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu die Meldung „Heiliger Stuhl behält sich Entscheidugn vor“ auf der Homepage des Erzbistums Köln – Quelle: https://www.erzbistum-koeln.de/news/Apostolischer-Administrator-veranlasst-kirchenrechtliche-Pruefung/ [Stand: 9. Dezember 2021]; siehe auch Daniel Deckers, Wie viel Geld bei der Missbrauchsaufarbeitung an Juristen floss, FAZ online, 6.12.2021- Quelle: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-koeln-wie-viel-geld-an-juristen-floss-17668936.html?premium [Stand: 9. Dezember 2021] oder Annette Zoch, Neue Prüfung für Köln, Süddeutsche online, 8.12.2021 – Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/erzbistum-koeln-gutachten-pruefung-1.5483731 [Stand: 9. Dezember 2021]. |
2. | ↑ | Vgl. hierzu die „Mitteilung des Heiligen Stuhls“, veröffentlicht am 24.9.2021 – Quelle: https://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/.content/.galleries/news/2021/2021_downloads/210924ErklaerungRom.pdf [Stand: 9. Dezember 2021]. |
3. | ↑ | Vgl. zum Folgenden R. Staats, Deposita pietatis – Die Alte Kirche und ihr Geld, in: ZThK (76) 1979, S. 1-29. |
4. | ↑ | Vgl. zum Folgenden R. Staats, Deposita pietatis – Die Alte Kirche und ihr Geld, in: ZThK (76) 1979, S. 3 |
5. | ↑ | Vgl. zum Folgenden R. Staats, Deposita pietatis – Die Alte Kirche und ihr Geld, in: ZThK (76) 1979, S. 7 |
6. | ↑ | Zur Kollekte für die Jerusalemer Urgemeinde siehe u.a.J. Eckert, Die Kollekte des Paulus für Jerusalem, in: P.-G. Müller (Hrsg.), Kontinuität und Einheit, Freiburg i. Br. 1981, S. 65-80; J. Gnilka, Die Kollekte der paulinischen Gemeinden für Jerusalem als Ausdruck ekklesialer Gemeinschaft, in: R. Kampling/T. Söding (Hrsg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments, Freiburg i. Br. 1996, S. 301-315 sowie H.-G. Sundermann, Der schwache Apostel und die Kraft der Rede (hier besonders der Exkus „Paulus und das Geld“ auf S. 227-240. |
7. | ↑ | Vgl. zum sog. korinthischen Vorfall auch W. Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Untersuchung des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen Bedeutsamkeit von Apostel und Gemeinde (BBB 141), Berlin 2002, S. 54ff. |
8. | ↑ | Zur literarkritischen Diskussion und Analyse von 2 Kor siehe W. Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Untersuchung des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen , Bedeutsamkeit von Apostel und Gemeinde (BBB 141), Berlin 2002S. 37-48. |
9. | ↑ | Eine entsprechende Analyse des rhetorischen und textpragamatischen Aufbaus, der auch aus Sicht der moderner Kommunikationstheorie interessant ist, findet sich W. Kleine, Zwischen Furcht und Hoffnung. Eine textlinguistische Untersuchung des Briefes 2 Kor 1-9 zur wechselseitigen Bedeutsamkeit von Apostel und Gemeinde (BBB 141), Berlin 2002, S. 345-357 sowie S. 385-434. |