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Die Welt füllt sich wieder mit Demagogen, mit Volksverführern. Einige AfD-Politiker sind öffentlich rassistisch und beschwören die deutsche „Volksgemeinschaft“.1) In Amerika hetzt Donald Trump in den Wahlen zur republikanischen Präsidentschaftskandidatur offen gegen Muslime.2) In Ungarn sind Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus die politischen Werkzeuge, mit denen Victor Orbán seine Regierung führt.3) Völker lassen sich wieder aufhetzen und glauben daran, dass Zündstoff ein geeignetes Löschmittel sei. Schnell entwickeln sich Flächenbrände. In Facebook kursieren mehrere Vergewaltigungsvorwürfe gegen Flüchtlinge, die sich nach polizeilichen Ermittlungen als reine Lügen herausgestellt haben.4) In Berlin erzählt ein 13jähriges Mädchen, es sei von Arabern vergewaltigt worden – schnell stellt sich heraus, dass das Mädchen die Geschichte nur erfunden hat. Aber das Gerücht ist längst in der Welt und wird instrumentalisiert. Die NPD und das russische Außenministerium werfen den deutschen Behörden direkt Verschleierung vor.5) Und zur selben Zeit erfindet ein Helfer in Berlin die Geschichte eines syrischen Flüchtlings, der aufgrund der schlechten Bedingungen beim Warten vor dem Lasego gestorben sei.6)
Wahr und Falsch
Das biblische Verbot der Falschaussage (Exodus 20,16) rennt zunehmend ins Leere bzw. die Falschaussage ist die gewählte Waffe der Demagogen. Aber in Zeiten, wo ein Teil der deutschen Bevölkerung auf den Straßen „Lügenpresse!“ skandiert, scheint die Unterscheidung zwischen Propheten und Demagogen schwierig zu sein:
Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen.
Der Prophet Jesaja verkündet Unheil denjenigen, die Wahrheit ins Gegenteil verkehren. Aber die Bibel weiß auch darum, dass es schwer ist zwischen wahren und falschen Propheten zu unterscheiden. Eher stehen die Gutwettermacher und Schönredner in Verdacht als die Unheilverkünder.
Die Propheten, die vor mir und vor dir je gelebt haben, weissagten Krieg, Unheil und Pest gegen viele Länder und mächtige Reiche. Der Prophet aber, der Heil weissagt – an der Erfüllung des prophetischen Wortes erkennt man den Propheten, den der Herr wirklich gesandt hat.
Das Problem mit Propheten und deren Prophetien ist, dass man erst im Nachhinein weiß, ob sie im Recht oder im Unrecht waren. Aber im Buch Micha wird ein Unterscheidungsmerkmal aufgezeigt:
So spricht der Herr gegen die Propheten: Sie verführen mein Volk. Haben sie etwas zu beißen, dann rufen sie: Friede! Wer ihnen aber nichts in den Mund steckt, dem sagen sie den Heiligen Krieg an.
Falsche Propheten führen das Volk ins Unheil, weil sie nur auf ihr eigenes Heil bedacht sind. Der falsche Prophet benutzt das Volk zu seinem Vorteil. Falsche Propheten reden dem Volk nach dem Mund, wahre Propheten weisen das Volk zurecht.
Korach der Demagoge
Im Buch Numeri wird vom Aufstand des Korach gegen Mose berichtet. Scheinbar handelt es sich um den basisdemokratischen Willen, der sich gegen ein autoritäres System wendet. Korach wirft Mose als Anführer und Aaron als Hohempriester vor, dass sie sich ungerechtfertigt über das Volk erhoben haben:
Ihr nehmt euch zu viel heraus. Alle sind heilig, die ganze Gemeinde, und der Herr ist mitten unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herrn?
Korach und seine Anhänger berufen sich hierbei direkt auf ein Gotteswort – denn in Exodus 19,6 spricht Gott über ganz Israel:
… ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.
Gott ist der wahre König Israels und alle sind ihm unterstellt und alle sind gleichwertig, weil sie alle seine Priester und somit seine Diener sind. Im biblischen Israel stellt der Stamm der Leviten die Tempeldiener. Korach wie auch Aaron und Mose stammen aus diesem Stamm. Aus dem Stamm Levi wurde Aaron von Gott als Hohepriester ausgewählt (siehe Exodus 29,9) und darauf begründet sich das aaronitische Hohepriesteramt.7) Der Vorwurf Korachs an Mose und Aaron richtet sich klar gegen ihre Autorität und liest sich aus heutiger Sicht – auf den ersten Blick – als demokratisches Ansinnen; als würde Korach für das Volk sprechen und eintreten. Der Erzähler berichtet von einer großen Anhängerschar, die sich um Korach versammelt hat. Mit ihm stellen sich Abiram und Datan und 250 führende Männer Israels gegen Mose und Aaron. Auch ist der Ton dieser Gruppe sehr kritisch und direkt. Sie stehen den Beiden gegenüber und sagen:
… Ihr nehmt Euch zu viel heraus …
Die Reaktion Moses darauf ist verblüffend. Der, dem vorgeworfen wird, dass er sich über das Volk gestellt hat, wirft sich selbst ganz unterwürfig zu Boden. Seine Antwort ist keine laute Gegen-Agitation. Ganz demütig beugt er sich und zeigt seine eigene Kleinheit beziehungsweise Unbedeutendheit.
Als Mose das hörte, warf er sich auf sein Gesicht nieder.
Er schaltet nicht auf Angriff, er verteidigt nicht seine Stellung, sondern er tritt auf, wie ihn der Erzähler im Buch Numeri zuvor beschrieben hat:
Mose aber war ein sehr demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde.
Bereits als Gott ihn auserwählt hatte, verwies Mose auf seine Unzulänglichkeit (siehe Exodus 4,10) und auch nun, stellt er nicht sich in den Mittelpunkt, sondern überlässt Gott die Entscheidung.
Und er sagte zu Korach und seinem ganzen Anhang: Morgen früh wird der Herr zeigen, wer zu ihm gehört, wer der Heilige ist und wer sich ihm nähern darf. Wen der Herr erwählt, der darf sich ihm nähern.
Gott wird entscheiden, wer im Recht ist. Am Ende bestraft Gott die Aufständigen und den Grund dafür benennt Mose bereits in seiner Erwiderung an Korach:
Ist es euch noch zu wenig, dass euch der Gott Israels aus der Gemeinde Israels herausgehoben hat, um euch in seine Nähe zu holen, damit ihr an der Wohnstätte des Herrn Dienst tut, vor die Gemeinde tretet und für sie euren Dienst verrichtet? Er hat dich und alle deine Brüder, die Leviten, die bei dir sind, in seine Nähe geholt, doch nun wollt ihr auch noch das Priesteramt. Deshalb rottet ihr, du und dein ganzer Anhang, euch gegen den Herrn zusammen. Über ihn, nicht über Aaron, murrt ihr.
Mose wirft Korach deutlich vor, dass er sich gegen die geltende Ordnung stellt – aber dies nicht aus Gründen der Nächstenliebe oder der Suche nach Gerechtigkeit, sondern zum Eigenzweck. Die Leviten um Korach versuchen den Putsch und möchten selbst zu Priestern werden. Mose „rettet“ die Ordnung nun nicht, indem er sie einfach durchsetzt, sondern indem er sie bestätigen lässt. Er stellt sich selbst zur Disposition und wird dadurch gestärkt.
Demagogen und Propheten
Demagogen sind – wie die griechische Herkunft des Wortes aussagt – Menschen, die das Volk führen (δῆμος, gesprochen dēmos = Volk; ἄγειν, gesprochen: ágein = führen). In der Antike war ein Demagoge ein angesehener Redner und Führer des Volkes bei politischen Entscheidungen. In Numeri 16 ist Mose ein guter Demagoge. Er führt sein Volk, indem er selbst hinter seinem Amt zurücktritt und sich zur Disposition stellt. Korach und sein Anhang hingegen sind Demagogen in dem Sinne, den das Wort heute trägt. Sie sind Verführer des Volkes. Sie treten gegen Mose und Aaron auf, wollen eine Ordnung stürzen und benutzen dazu Argumente, die ihre eigentlichen Absichten verdecken. Etwas anzuprangern bedeutet nicht, im Recht zu sein. Sowohl ein Demagoge als auch ein Prophet können als Anwälte für die Benachteiligten auftreten – aber ein Volksverführer mißbraucht das Volk zu seinem eignen Nutzen. Wer sich selbst dient und nicht dem Guten, dem gelte: Wehe Dir!
Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen.
Bildnachweis
Titelbild: „Moses and Joshua Bearing the Law“, Illustration aus der Holman Bible (1890). Gemeinfrei.
Bild im Textverlauf: „The Prophet Amos “, Illustration von Gustav Doré aus Doré’s English Bible (1866). Gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. „Die AfD und die ‘Volksgemeinschaft’“, Patrick Gensing, tagescchau.de, 29.12.2015 [Stand: 05.02.2016]. |
2. | ↑ | Vgl. „Einreiseverbot für Muslime: Trumps Chaostheorie“, Veit Medick, SPIEGEL Online, 08.12.2015 [Stand: 05.02.2016]. |
3. | ↑ | Vgl. „Mit diesen Tricks manipuliert Orbán die eigene Bevölkerung“, Simon Rippon, cicero.de, 29.10.2015 [Stand: 05.02.2016]. |
4. | ↑ | Vgl. „Zahlreiche angebliche Vergewaltigungen durch Flüchtlinge in den vergangenen Monaten waren nur erfunden“, Tobias Lill, Huffington Post, 02.02.2016 [Stand: 05.02.2016]. |
5. | ↑ | Vgl. „Es muss doch was passiert sein“, Mechthil Küpper, faz.net, 29.01.2016 [Stand: 05.02.2016]. |
6. | ↑ | Vgl. „Angeblicher Todesfall am Lasego in Berlin: ‚Alles frei erfunden‘“, SPIEGEL Online, 27.01.2016 [Stand: 05.02.2016]. |
7. | ↑ | Seit dem jüdischen Ausleger Rashi (Rabbi Schlomo Jizchaki) wird diskutiert, ob der in Exodus 19,6 verwendete Begriff כהן (gesprochen: kohen), der der feststehende Begriff für „Priester“ ist, auch noch eine andere Bedeutung haben kann. Im Zweiten Buch Samuel wird berichtet, dass Davids Söhne כהנים (gesprochen: kohanim; Pluralform von כהן) waren. Das naheliegende Verständnis ist, dass die Söhne Davids Priester waren – aber David stammte nicht aus dem Stamm der Leviten, sondern gehörte zum Stamm Juda. Entweder waren also zu der Zeit Davids die Leviten noch keine Priester oder der Begriff כהן hat noch eine andere Bedeutung. In der griechischen Übersetzung des Alten Testament, der Septuaginta sind die Söhne Davids keine Priester sondern αὐλάρχαι (gesprochen: aularchai), also Fürsten oder Minister. Im gewissen Sinn sind auch die levitischen Priester Minister Gottes. |