150 – das war am 14. April 2015 die „Zahl der Woche“ in der Sendung „Frontal 21“, dem politischen Fernsehmagazin im ZDF1). Die nüchterne Zahl steht für 150 politisch motivierte Angriffe auf Flüchtlingsheime in Deutschland. Dazu gehören Schmierereien, Pöbeleien, aber auch Brandstiftung. In Tröglitz brannte erst vor kurzem ein Haus, in dem wenige Tage später Flüchtlinge einziehen sollten; in Wuppertal veranstalteten in der jüngeren Vergangenheit Angehörige der rechten Szene einen Rundgang durch ein Flüchtlingsheim, machten Fotos und stellten sie ins Internet2).
Die Provokationen sind keine Einzelfälle. Wie sehr die Provokateure mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, zeigt der Auftritt des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders bei einer Demonstration selbsternannter europäischer Patrioten, die das Abendland gegen die angebliche Bedrohung einer Islamisierung verteidigen wollen. Unter den 10.000 Pegida-Anhängern, die ihn hören wollten, befanden sich nicht nur Hooligans und Rechtsextremisten; dabei standen auch die Nachbarn von nebenan, die sich um den Wert des Eigenheimes sorgen und deshalb für die Aufrechterhaltung der abendländischen Kultur eintreten.
Zu den Errungenschaften des Abendlandes zählt die Formulierung der Menschenrechte. Ihre Wurzeln liegen auch – sicher nicht nur – in der jüdisch-christlichen Tradition. Zu den Menschenrechten gehört die sogenannte Genfer Flüchtlingskonvention. Nach ihr zählen zu den Rechten von Flüchtlingen unter anderem Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse, Religion oder Herkunftsland.
Der gesunde Christenverstand liegt im Wort Gottes
Die Bibel, die von vielen als Fundament des Abendlandes angesehen wird, ist auch ein Buch, das von Flüchtlingen erzählt und für Flüchtlinge eintritt – wie es Till Magnus Steiner in seinem Dei Verbum-Beitrag „Du sollst den Flüchtling lieben“ verdeutlicht hat. Fremdenfeindliche Ideologien sind damit nicht nicht vereinbar. Die Barmer Theologische Erklärung hält deshalb gegen die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten fest:
„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.“ 3)
Jesus Christus ist das fleischgewordene Wort Gottes. In seinem Reden und Handeln offenbart sich das Wort Gottes selbst. Das Wort Gottes ist eben keine bloße Theorie. Es verwirklicht sich vor allem in der Tat. Deshalb mahnt Jesus:
Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt.
Das in Jesus Christus fleischgewordene Wort Gottes taugt also nicht zur bloßen Betrachtung. Es muss im Leben derer, die ihm nachfolgen, immer wieder neu Gestalt annehmen. Christen haben deshalb nicht nur eine Botschaft, sondern sie sollen selbst eine Botschaft an die Welt sein. In diesem Sinn erinnert Paulus bereits die Korinther an die Konsequenzen der Christusnachfolge:
Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch.
Für Paulus ist gerade hierin der Neue Bund besiegelt, der eben nicht nur im eingemeißelten Buchstaben begründet ist, sondern im Wirken des Geistes selbst. In Gott selbst ist die Befähigung zur tatkräftigen Verkündigung des Wortes Gottes begründet:
Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.
Das hat Konsequenzen für die, die in der Nachfolge des fleischgewordenen Wortes Gottes stehen:
Weil wir eine solche Hoffnung haben, treten wir mit großem Freimut auf.
Paulus spricht hier von sich selbst. Er stellt sein Auftreten den Korinther als vorbildhaft dar. Sein Verhalten ist von Freimut (griechisch: παρρησία/sprich: Parrhesía) geprägt.
Die Wahrheit ist nicht immer bequem
Die, die in der Nachfolge Jesu stehen, sollen ihr Verhalten an seinem Beispiel ausrichten. Nicht umsonst verkündet Jesus im Johannesevangelium:
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Jesus redet und handelt in der Öffentlichkeit. Er versteckt seine Botschaft nicht hinter verschlossenen Türen. Er fürchtet den öffentlichen Gegenwind nicht. Er verkündet seine Botschaft, auch wenn das, was er sagt, unbequem ist und Widerstand hervor ruft.
Da sagten einige Leute aus Jerusalem: Ist das nicht der, den sie töten wollen? Und doch redet er in aller Öffentlichkeit, und man lässt ihn gewähren. Sollte der Hohe Rat wirklich erkannt haben, dass er der Messias ist?
Auch hier findet sich wieder das schon von Paulus verwendete Wort παρρησία/ Parrhesía (hier übersetzt mit „Öffentlichkeit“). Παρρησία/Parrhesía setzt also das voraus, was man heute als Zivilcourage bezeichnet. Zivilcourage ist eine Herausforderung, der sich jede Nachfolgerin und jeder Nachfolger Christi stellen muss. Gerechtigkeit entsteht nicht durch Lippenbekenntnisse. Gerechtigkeit muss erwirkt werden. Das Streben nach Gerechtigkeit wird deshalb zum Lakmustest, an dem die wahre Geisteshaltung sichtbar wird:
Was haben denn Gerechtigkeit und Gesetzwidrigkeit miteinander zu tun? Was haben Licht und Finsternis gemeinsam? Was für ein Einklang herrscht zwischen Christus und Beliar4)? Was hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen gemeinsam? Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit Götzenbildern? Wir sind doch der Tempel des lebendigen Gottes; denn Gott hat gesprochen: Ich will unter ihnen wohnen und mit ihnen gehen. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Zieht darum weg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und fasst nichts Unreines an. Dann will ich euch aufnehmen und euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Herrscher über die ganze Schöpfung.
Mit Zivilcourage frei und mutig für die Gerechtigkeit
Das Wort Gottes wird in denen immer wieder neu lebendig, die seine Gerechtigkeit bezeugen und in Taten umsetzen. Den Flüchtling zu lieben ergibt sich nicht erst aus der Genfer Flüchtlingskonvention. Gerade weil das existentielle Erlebnis der Flucht zu den Grunderfahrungen gehört, die in der Bibel überliefert werden, können Christen sich nicht gleichgültig verhalten. Dieses Bewusstsein wächst und mit ihm auch das Engagement für Flüchtlinge, wie etwa die „Aktion Neue Nachbarn“ des Erzbistums Köln zeigt. Initiativen und Aktionen können allerdings nur der Anfang sein. Zum Schwur aber kommt es da, wo Menschen mit Zivilcourage freimütig (ἐν παρρησίᾳ) gegen die Provokateure und ihre menschenverachtenden Parolen auftreten – so wie in Tröglitz, Wuppertal und anderswo. Christen sollten dabei in der ersten Reihe stehen.
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Titelbild: © Mopic | Dreamstime.com – Photo: Lonely Explorer
Foto “Ja-Sager und Nein-Sager”: © Werner Kleine – Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE
Einzelnachweis
1. | ↑ | Quelle: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2383672/Die-Zahl:-150-Angriffe (Stand: 14.4.2015) |
2. | ↑ | Quelle: http://www.wz-newsline.de/lokales/wuppertal/rechte-im-fluechtlingsheim-buergermeister-fordert-ein-sicherheitskonzept-1.1910117 (Stand: 17.4.2015) |
3. | ↑ | Barmer Theologische Erklärung, These 1. Die Barmer Theologische Erklärung war das theologische Fundament der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie wurde als „Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK)“ auf der ersten Bekenntnissynode, die vom 29. bis 31. Mai 1934 in der Gemarker Kirche in Wuppertal Barmen zusammenkam, verabschiedet. Mehr zur Barmer Theologischen Erklärung unter http://de.wikipedia.org/wiki/Barmer_Theologische_Erklärung. |
4. | ↑ | Beliar (griechisch: Βελιάρ, hebräisch: בליעל/sprich: Belial) ist eine dämonische Gestalt, die im Neuen Testament nur an dieser Stelle erwähnt wird, im Alten Testament aber 27mal vorkommt. Die Bezeichnung wird meist mit Blick auf extrem negativ beschriebene Taten, aber auch Menschen verwendet, seltener steht er für eine personifizerte Unheilsmacht. Das Wort findet sich außerdem in den Schriftrollen von Qumran, insbesondere in den Schriften, die den mythischen Endkampf zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis thematisieren. In ähnlicher Weise wird er auch hier von Paulus verwendet. Hier wie dort hat der mythische Kampf Auswirkungen auf die irdische Wirklichkeit, in der die, die nach der Gerechtigkeit streben, gegen die Verkünder der Unwahrheit antreten. Die Verheißung – auch hier bei Paulus – aber gilt: Das Gute wird siegen. |
“Was kann die Kirche tun, um den Flüchtlingen zu helfen?” – auf diese Frage hat Kurienkardinal Antonio Maria Vegliò, der Präsident des päpstlichen Migrantenrates eine klare und wichtige Antwort gegeben: “Jeder Christ hat eine prophetische Stimme und ist aufgerufen, die Situation anzuklagen. Es reicht ein Blick in die Bibel : Unsere Religion hat eine Vergangenheit der wirtschaftlichen und politischen Migrationen. Auch wir waren wandernde Völker auf der Suche nach einem besseren Leben. Diese christlichen Wurzeln müssen der Motor sein, um den Unglücken etwas entgegen zu setzen. Wir Christen müssen einen Diskussionsrahmen schaffen, der frei ist von wirtschaftlichen und politischen Einflüssen und Interessen. Jeder Christ muss die Migranten verteidigen, indem er ihre Rechte, ihre Würde und ihre Gotteskindschaft betont.” (Quelle: http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/kirche_2/150423_interview_fluechtlinge_veglio.php)