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Großbritannien hat sich für den Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden. Ganz Großbritannien? Nein. Schottland, Nordirland und die Wähler unter 30 Jahren, haben sich deutlich für den Verbleib in der Europäischen Union entschieden. Es ist eben nicht jede Entscheidung des Souveräns eine souveräne Entscheidung. Am Ende bleibt ein Scherbenhaufen – doch dieses Chaos wird von den Rechtspopulisten in Europa gefeiert. Es sei ein „Sieg der Freiheit“ schrieb Marie Le Pen auf Twitter und forderte direkt nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses: „Wie ich es seit Jahren fordere, brauchen wir jetzt dasselbe Referendum in Frankreich und in den Ländern der EU.”1)
Ein Referendum verspricht direkte Demokratie und mehr Selbstbeteiligung des Volkes. Allerdings ist in Großbritannien auch deutlich geworden, dass falsche Propheten leicht mit ihren Lügen ein Volk verführen können. Von den Versprechen der Brexit-Befürworter war am Tag nach dem Referendum fast nichts mehr übriggeblieben.2) Der Blick auf die Wahrheit der Gegenwart und die Hoffnung auf eine gute Zukunft wurden durch die Glorifizierung der Vergangenheit vernebelt. Wenn man Menschen mit Erinnerungen an volle Fleischtöpfe aus der Vergangenheit lockt, fällt eine Entscheidung gegen eine Europäische Union, die als die das Leben auszerrende Wüste gezeichnet wird, leicht. Immer gibt es Stimmen, die aus abstrakten Ängsten das Bild einer scheinbar besseren Vergangenheit zeichnen. Auch die Israeliten sind einem solchem Trugbild schon verfallen.
Das tägliche Manna
In der Wüste, nach dem Auszug aus Ägypten, dem Sklavenhaus, und auf dem Weg in das verheißene Land, sehnte sich das Volk nicht nach der Zukunft, sondern wollte sich in die Vergangenheit retten.
Die Israeliten sagten zu ihnen [zu Mose und Aaron]: Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.
Kurz vor dieser Klage wird berichtet, wie das Volk Israel drei Tage lang durch die Wüste Sur wanderte und kein Wasser fand. Selbst wenn sie Wasser fanden, war es untrinkbar. Das Volk murrte und sprach zu Mose:
Was sollen wir trinken?
Die berechtigte Frage wird vor Gott gebracht und Gott vollbringt ein Wunder:
Er [Mose] schrie zum Herrn, und der Herr zeigte ihm ein Stück Holz. Als er es ins Wasser warf, wurde das Wasser süß.
Der Gott, der Israel aus dem Sklavenhaus in Ägypten befreit hat, zeigt, dass er auch der Versorger Israels in der Wüste ist. In der Wüste versorgt er sie mit überlebenswichtigem Wasser. Dem Volk geht es gut. Aber mit der nächsten Wüste konfrontiert, murren sie wieder gegen Mose. Anders als zuvor wird aber nun nicht berichtet, dass das Volk Hunger oder Durst litt. Sondern sie murren angesichts des Weges in das verheißene Land, der ihnen bevorsteht.
Dann kamen sie nach Elim, dort aber gab es zwölf Wasserquellen und siebzig Palmen, und dort lagerten sie am Wasser. Die ganze Gemeinde der Israeliten brach von Elim auf und kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und dem Sinai liegt. Es war der fünfzehnte Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus Ägypten. Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron.
Sie sehen die Wüste und erinnern sich an die Fleischtöpfe und das Brot, womit sie in Ägypten als Sklaven versorgt waren. Die neue Freiheit deuten sie als Todesurteil (Exodus 16,3). Und wieder greift Gott als Versorger seines Volkes ein:
Da sprach der Herr zu Mose: Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen. Das Volk soll hinausgehen, um seinen täglichen Bedarf zu sammeln. Ich will es prüfen, ob es nach meiner Weisung lebt oder nicht.
Gott versorgt sein Volk mit dem Himmelsbrot „Manna“ am Morgen und mit Wachteln am Abend. Es ist dafür gesorgt, dass jeder mit seinem täglichen Brot und Fleisch versorgt ist. Aber Gott stellt seine Fürsorge auch unter eine Bedingung, die Mose dem Volk mitteilt:
Das ordnet der Herr an: Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht, ein Gomer je Kopf. Jeder darf so viel Gomer holen, wie Personen im Zelt sind. Die Israeliten taten es und sammelten ein, der eine viel, der andere wenig. Als sie die Gomer zählten, hatte keiner, der viel gesammelt hatte, zuviel, und keiner, der wenig gesammelt hatte, zu wenig. Jeder hatte so viel gesammelt, wie er zum Essen brauchte. Mose sagte zu ihnen: Davon darf bis zum Morgen niemand etwas übriglassen.
Die Menge an Manna allein, die jeder einsammeln sollte, wird mit einem Gomer pro Person angegeben. Vermutlich handelt es sich dabei ca. um 2-4 Liter.3) Dies stellt eine beträchtliche Menge dar, die die Großzügigkeit der Gottesgabe verdeutlicht. Doch trotz des Überflusses sollen keine Reserven angelegt werden, sondern das Volk soll jeden Tag aufs Neue seinem Gott vertrauen.
Doch sie hörten nicht auf Mose, sondern einige ließen etwas bis zum Morgen übrig. Aber es wurde wurmig und stank. Da geriet Mose in Zorn über sie.
Nahrung auch für den nächsten Tag aufzubewahren, klingt vernünftig. Aber es ist in diesem Fall eine egoistische Handlung mit der ein Zweifel gegenüber Gott einhergeht: Wird Gott uns auch morgen versorgen?
Manna und Sabbat
Mit dem Manna ist in der Erzählung in Exodus 16 ein zweites Gebot verknüpft. Am siebten Tag, an dem gemäß der Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 Gott selbst ruhte, wird das Volk am Morgen kein Himmelsbrot finden. Stattdessen erhält es bereits am sechsten Tag eine doppelte Ration.
Am sechsten Tag sammelten sie die doppelte Menge Brot, zwei Gomer für jeden. Da kamen alle Sippenhäupter der Gemeinde und berichteten es Mose. Er sagte zu ihnen: Es ist so, wie der Herr gesagt hat: Morgen ist Feiertag, heiliger Sabbat [Ruhetag] zur Ehre des Herrn. Backt, was ihr backen wollt, und kocht, was ihr kochen wollt, den Rest bewahrt bis morgen früh auf! Sie bewahrten es also bis zum Morgen auf, wie es Mose angeordnet hatte, und es faulte nicht, noch wurde es madig. Da sagte Mose: Esst es heute, denn heute ist Sabbat zur Ehre des Herrn. Heute findet ihr draußen nichts. Sechs Tage dürft ihr es sammeln, am siebten Tag ist Sabbat; da findet ihr nichts.
Sowohl für den sechsten Tag als auch für den siebten Tag der Woche war das Volk somit versorgt. Aber selbst im Überfluss verlangt der Mensch noch mehr:
Am siebten Tag gingen trotzdem einige vom Volk hinaus, um zu sammeln, fanden aber nichts. Da sprach der Herr zu Mose: Wie lange wollt ihr euch noch weigern, meine Gebote und Weisungen zu befolgen?
Das Murren des Volkes
Das Volk Israel murrt immer wieder auf seinem Weg aus Ägypten bis hin zum Sinai, wo Gott einen Bund mit ihnen schließt und ihm die Grundordnung für das Leben im verheißenen Land gibt. Obwohl Gott sich immer wieder als zuverlässiger Fürsorger erweist, lässt die abstrakte Gefahr der Wüste und die Erinnerung an eine vermeintlich bessere Vergangenheit das Volk zweifeln. Aber Gott erweist sich immer wieder als die bessere Zukunft. Immer wieder wirbt er um sein Volk und führt es so in das verheißene Land. Die Fürsorge geht jedoch auch einher mit Forderungen bzw. Geboten, die Teil des Weges sind. Es ist leicht, nein zum Weg und nein zu den Geboten zu sagen. Die Nein-Stimmen wird es immer geben, entscheidend ist das nicht nachlassende Werben für den Weg. Die Herausforderung für Europa liegt jetzt darin, in dauernder Fürsorge die Menschen in eine bessere Zukunft zu leiten und dafür zu werben. Zumindest in der Bibel ist das Volk trotz aller Kritik nicht zurück in die Vergangenheit geflüchtet, sondern vorwärts in eine bessere Zukunft vorangegangen.
Bildnachweis
Titelbild: „Sanddüne“, fotografiert von Sebaldeval. Lizenz: gemeinfrei.
Bild im Textverlauf: „ Gathering of the Manna“, flämische Darstellung, ca. 1460-1470. Lizenz: gemeinfrei.
Einzelnachweis
1. | ↑ | „Le Pen fordert EU-Referendum in Frankreich: ‘Sieg der Freiheit’“, faz.net, 24.06.2016 [Stand 01. Juli 2016]. |
2. | ↑ | „Diese Wahlversprechen der Brexit-Befürworter sind bereits in Rauch aufgegangen“, finanzen.net, 28.96.2016 [Stand: 01. Juli 2016]. Siehe auch „Wenn es im Land des Abends dämmert. Über die gefährliche Macht des Aberglaubens und den Ausweg der Erinnerung“, Werner Kleine, Dei Verbum [Stand: 01. Juli 2016]. |
3. | ↑ | In Exodus 16,36 wird ein Gomer als ein Zehntel eines Epha angegeben. Der Wert dieser Maßeinheiten ist heute nicht mehr bekannt. Aussagen im Talmud und verschiedener früher Rabbinen deuten darauf hin, dass ein Gomer ca. 2-4 Liter sind. |