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Advent. Wieder ist Advent – jene Zeit, in der die Menschen glühweintrunken auf das Weihnachtsfest zu schwanken, um dann, nachdem sie sich am Heiligen Abend Glückseligkeit erbrechend das Fest des Friedens und der Familie begehen, am Weihnachtsmorgen mit einem ordentlichen Kater aufzuwachen. Wer in diesen Tagen durch die Innenstädte läuft, ahnt, was in Bethlehem zu Zeiten jener von Lukas behaupteten Steuerschätzung (vgl. Lukas 2,1) los gewesen sein muss, als dieses Paar aus dem fernen Nazareth einen Platz zum Nächtigen suchte, aber kein Dach über dem Kopf fand.
Besinnungslärm
Die Zeiten ändern sich und bleiben doch gleich. Das Weihnachtsfest und mit ihm die Adventszeit lenken den Blick auf die Ankunft des menschgewordenen Gottessohnes; und doch wird gerade diese Fleischwerdung des Wortes Gottes nicht mehr in der Nüchternheit des Glaubensbekenntnisses gefeiert, sondern in der zunehmenden Buntheit biederen Brauchtums.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die Jahr für Jahr mit dem ersten Advent den Besinnungsnotstand ausrufen. Der Advent als stade – also als stille – Zeit fordert seinen Tribut. Ruhe und Besinnlichkeit haben sofort Einkehr zu halten. Dieser ganz besondere Stressfaktor unterscheidet sich nur qualitativ von dem der Geschenkekäufer.
Sicher darf man den Menschen nicht die Freude an der Adventszeit nehmen. Auf ganz eigene Weise spiegelt es ja den lauten Trubel und die lärmende Geschäftigkeit wieder, die auch Lukas als Hintergrund für seine Überlieferung der Geburt des Gottessohnes malt. Erst vor dieser lauten und lärmenden Folie wird der Kontrast zur bethlehemitischen Grotte deutlich. Das Geschehen dort ist abseitig, ein Randgeschehen, weltverändernd.
Schockblindheit
Doch in diesem Jahr scheinen Advent und Weihnachten eine besondere Herausforderung darzustellen. Der Solinger Bürgermeister und Vorsitzende des Kölner Diözesanrates Tim Kurzbach stellt mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen fest, die durch die vielen aus ihrer Heimat Vertriebenen, die hier Schutz suchen, entstehen:
„Ich will mir nicht vorstellen, dass Katholiken festlich erbaut aus der Christmette kommen, am leeren, beheizten Pfarrheim vorbeigehen und wissen, dass ein paar Hundert Meter weiter die Flüchtlingsfamilien in Zelten hausen.“1)
Und Papst Franziskus konstatiert angesichts der Pariser Terror-Anschläge und der weltweiten Kriege, dass es trotz des Weihnachtsfestes eigentlich keinen Grund zum Feiern gäbe:
„’Es wird Lichter geben, es wird Feste geben, glänzende Bäume, alles wird geschmückt sein.’ Doch gleichzeitig gebe es Kriege in der Welt. ‚Die Welt hat den Weg des Friedens nicht verstanden’, sagt der Papst. Deshalb sei Weihnachten angesichts der vielen Probleme in der Welt eine Scharade, ein Affenzirkus. ‚Was wird bleiben’, fragte der Papst weiter. ‚Ruinen, Tausende Kinder ohne Bildung, so viele unschuldige Opfer und viel Geld in den Taschen der Waffenhändler.’ Das alles widerspreche dem Gedanken der Weihnachtszeit.“2)
Schockblind aber nehmen die Dinge ihren gewohnten Lauf.
Zeit der Erhebung
Die Eucharistiefeier zum 1. Adventssonntag beginnt mit dem Stoßgebet von Psalm 25:
Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. Mein Gott, dir vertraue ich. Lass mich nicht scheitern, lass meine Feinde nicht triumphieren! Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden.
Das lateinische „Ad te levavi“ hat dem ersten Adventssonntag seinen Namen gegeben. Die ersten Worte, die in der Eucharistiefeier im Advent erklingen sind gleichzeitig Programm. Der Advent ist eine Zeit der Erhebung.
Wie sehr gerade eine solche Erhebung angesichts von Not und Leid, Terror und Bedrohung für diejenigen ansteht, die in Jesus den menschgewordenen Gottessohn sehen, wird im Evangelium des 1. Adventssonntages im Lesejahr C ausgesprochen:
Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.
Bedrohungswechsel
Lukas hat den Text für eine konkrete Gemeinde geschrieben. Sie hat ihn bewahrt und überliefert. So erklingt er durch die Zeiten bis in unsere Tage hinein. Durch die Zeiten hindurch hat er sich immer wieder als aktuell erwiesen. Die Art der Bedrohung wechselte, das Bedrohtsein blieb. Kaum eine Generation fühlte und fühlt sich wohl unbedroht. Wohl keiner Generation blieb und bleibt das „Vergehen vor Angst in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen“ (vgl. Lukas 21,26) erspart. Auch gegenwärtig ist die Zukunft ungewiss. Die Bedrohung durch den Terror, die aufkeimenden Nationalismen in verschiedenen europäischen Staaten, die Entwicklung im Nahen Osten – all das stellt eine Herausforderung für die dar, die sich in der Nachfolge Jesu Christi wähnen, der doch die Feindesliebe predigte.
Die allzeit aktuellen visionären Worte Jesu sehen in diesen Ereignissen eine Krise im Wortsinn; das griechische Wort κρίσις (gesprochen: krísis) meint in der ursprünglichen Bedeutung „Unterscheidung“. Im Angesicht der Krise unterscheiden sich die Geister. Es ist eben nicht gleichgültig, ob man sich in der Krise angstvoll niederbeugt und dem bloßen Instinkt folgt3) oder ob man sich aufrichtet, das Haupt erhebt und die Herausforderung derart erhobenen Hauptes annimmt. Letzteren verheißt Jesus, dass sie den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit kommen sehen (vgl. Lukas 21,27a).
Betörungspotential
Das hört sich zuerst nach einer Vertröstung auf jenseitige Zeiten an. Tatsächlich aber ist das eine äußerst gegenwärtige Herausforderung. Der Verheißung lässt Jesus im Lukasevangelium nämlich eine Reihe höchst irdischer Mahnungen folgen:
Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, (so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.
Die große Gefahr angesichts der Krise ist die Selbstbetäubung. Rausch und Trunkenheit mögen dazu beitragen, die kleinen und großen Sorgen des Alltages vorübergehend zu vergessen. Dem Rausch aber folgt der Kater. Auch die Berauschung an einer wie auch immer gearteten Ästhetik – etwa in der Liturgie – kann anästhetisch sein, wenn sie lediglich der feierlichen Betörung und nicht der aktuellen Fleischwerdung des Wortes Gottes dient. Wer sich diesen Betörungen hingibt, wird, was er beschwört: töricht.
Nüchternheitsgebot
Der Umgang mit Krisen erfordert Nüchternheit, Gelassenheit und Verstand. Weil nach der Krise immer auch vor der Krise ist, darf man verwundert sein, dass die Menschen von Krisen immer wieder überrascht sind. Es mangelt den Menschen offenkundig an einer nüchternen Wachsamkeit, so dass es vielen ergeht wie den törichten Jungfrauen in dem von Matthäus überlieferten Gleichnis:
Dann wird es mit dem Himmelreich sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Mit den Gleichnissen liegt ein ursprüngliches Element der jesuanischen Verkündigung vor. Als Bilderzählungen verlangen sie zwingend die Mitarbeit der Hörerinnen und Leser. Ihre Anschaulichkeit schafft in den Leserinnen und Hörern Bildwelten, die sie unmittelbar ergreifen. Gerade das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen fordert die Rezipienten nicht nur heraus, selbst Stellung zu beziehen; es schafft je nach eigener Haltung auch einen Impuls zur Verhaltensänderung.
Avanti Dilettanti?
Anders als viele andere Gleichnisse Jesu, die meist im Präsens erzählt werden, herrscht hier das nur im Altgriechischen zu findende Tempus des Aorist vor. Üblicherweise steht er für einmalige, punktuelle Handlungen. Im Zusammenhang einer Gleichniserzählung kommt er einer gnomischen Verwendung nahe4). Dann steht er für die Formulierung allgemeiner Maximen.
Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen ist also eine Lehrerzählung, mit deren Hilfe Jesus die ihm Zuhörenden und es heute Lesenden einen Spiegel vorhält. Es ist eine Zeit der Entscheidung. Die Chance, am Hochzeitsfest teilzunehmen, ist einmalig. Es gibt keine zweite Möglichkeit. Entweder man ist dabei, oder man verliert.
Die klugen Jungfrauen haben beizeiten vorgesorgt. Weil niemand weiß, wann die Zeit entscheidungsreif ist – sprich: wann die nächste Krise kommt – haben sie ihre Vorräte entsprechend bestellt.
Die törichten Jungfrauen hingegen haben nicht so gehandelt. Sie haben sich bestenfalls am Tagesgeschäft orientiert.
Die klugen und die törichten Jungfrauen – man könnte sie heutzutage als Profis und als Dilettanten bezeichnen. Die Profis wissen, was die Stunde geschlagen hat. Ausbildung, Erfahrung und Vor-Sicht ermöglichen ihnen in der Krise eine angemessen – eben professionelle Reaktion.
Amateure hingegen hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Bestenfalls können sie noch improvisieren. Was aber, wenn die geringen Erfahrungsvorräte aufgebraucht sind.
Zeit zum Aufstand
Das Gleichnis Jesu weiß: Wenn die Zeit der Entscheidung kommt, dann ist es Zeit, aufzustehen:
Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.
Das gilt zuerst einmal für alle Beteiligten. Jetzt aber offenbart sich, ob Souveränität dem Aufstand folgt oder Kopflosigkeit. Wer aufgestanden ist, muss auch aufbrechen. Die Frage ist eben nur, in welche Richtung. Diejenigen, die vorbereitet sind, gelangen durch die Krise hindurch zum Fest. Sie erleben einen wahren Fortschritt, der ohne Arbeit nicht zu erreichen ist. Die Törichten aber hasten kopflos zurück in die Dunkelheit.
Die Schlussmahnung Jesu am Ende des Gleichnisses ist daher folgerichtig:
Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Wachet auf!, ruft die Stimme
Da also ist der Sinn des berühmten adventlichen Rufes: Wachet! Wachet allezeit! Das erinnert an die Aufforderung Jesu am Ende der weiter oben zitierten Lukasüberlieferung:
Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.
Allezeit zu beten und zu wachen – das meint wohl kaum ein immerwährendes Gebet mit fromm gefalteten Händen. Es meint eine Lebenshaltung:
„Es ist die Haltung, die den Alltag durchdringt, das Denken und Handeln, das Entscheiden und das Vollziehen des Menschen in all seinen Dimensionen. Das Leben selbst wird so zum Gebet, ohne dass auch nur ein frommes Wort gesprochen würde.“5)
Nicht wieder wie alle Jahre
Wer offenen Auges und erhobenen Hauptes durch die Zeiten geht, der kann in diesem Jahr nicht Advent und Weihnachten feiern wie alle Jahre wieder. Das Wort will in diesem Jahr auf besondere Weise Fleisch werden. Das Fest des Friedens kann nur feiern, wer den Frieden übt. Die großen Herausforderungen der Welt mögen den Einzelnen überfordern. Aber jede und jeder kann das Ihre und das Seine beitragen und in seiner kleinen Welt, in ihrer Stadt und seiner Nachbarschaft damit beginnen. Es genügt vielleicht schon, die Mächte der eigenen Angst vor der Veränderung einer Welt, die in Bewegung geraten ist, zu bekämpfen. Die Zeiten haben sich immer geändert. Stillstand ist der Tod.
Ob sich die Welt jetzt zum Guten oder zum Schlechten verändert? Das hängt nicht zuletzt daran, wie klug oder wie töricht die Menschen sich jetzt verhalten. Allzu viele scheinen kopflos zu sein und der Angst Raum zu geben. Allzu viele suchen ihr Heil in populistisch-unhaltbaren Parolen. Allzu viele berauschen sich am Glanz der Lichter und an vergänglichen Hochgefühlen. Viele aber – bei weitem noch nicht genug – wissen, dass jetzt die Zeit ist, mit nüchternem Verstand aufzustehen und die anstehenden Aufgaben in Angriff zu nehmen. Betörend ist das nicht. Es gibt keinen anderen Weg. Selten war es so deutlich wie heute: Die Welt braucht den Aufstand der Verständigen – und keine Dilettanten!
Bildnachweis
Titelbild: Advent, Advent – .marqs / photocase.de – lizenziert unter Photocase Basislinzenz
Bild 1: Drei der fünf törichten Jungfrauen zeigen ihren Kummer (Magdeburger Dom) – Chris73 – Quelle: Wikicommons – lizenziert unter CC BY-SA 3.0
Bild 2: Drei der fünf klugen Jungfrauen zeigen ihre Freude (Magdeburger Dom) – Chris73 – Quelle: Wikicommons – lizenziert unter CC BY-SA 3.0
Einzelnachweis
1. | ↑ | Quelle: http://www.katholisch.de/aktuelles/standpunkt/wirklichkeitstest-weihnachten [Stand: 29.11.2015]. |
2. | ↑ | Quelle: http://www.focus.de/politik/videos/angesichts-der-anschlaege-papst-franziskus-bezeichnet-weihnachten-als-affenzirkus_id_5105882.html [Stand: 29.11.2015]. |
3. | ↑ | Vgl. hierzu den im Weblog „Kath 2:30“ veröffentlichten Beitrag „Geistwitterung“ vom Autor dieses Beitrages: http://www.kath-2-30.de/2015/11/28/geistwitterung/ [Stand: 29.11.2015]. |
4. | ↑ | Zum gnomischen Aorist vgl. F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 1990, §333. Der gnomische Aorist drückt eine für alle Zeiten gültige Handlung aus. Er wird deshalb im klassischen Griechisch vor allem für Sentenzen verwendet. Im Neuen Testament findet er meist in Vergleichungen oder im Zusammenhang mit solchen Verwendung. Der Aorist bezeichnet hier also eine allgemein gültige Aussage. |
5. | ↑ | W. Kleine, Geistwitterung (http://www.kath-2-30.de/2015/11/28/geistwitterung/ [Stand: 29.11.2015]). |
Ironie? Facebook zeigt mir nach meinem Like folgenden Artikel darunter an: “Super leckere Rumkugeln für die gemütliche Weihnachtszeit”. Passt absolut, oder?