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Wenn erleuchtete Kreuze bei politischen Demonstrationen durch Innenstädte getragen werden, erweckt das gewollt oder ungewollt die Assoziation mit den brennenden Kreuzen des Ku-Klux-Klans. Das sogenannte „cross burning“ ist die Wiederbelebung einer alten schottischen Tradition, in der ein brennendes Kreuz als Aufruf zur Versammlung (u.a. im Kriegsfall) genutzt wurde.1) Der Ku-Klux-Klan versteht das Verbrennen als „Erleuchtung“ des Kreuzes zur Hervorhebung des Glaubens der Mitglieder. Auch die Anhänger der AfD, der PEGIDA sowie anderen Gruppierungen am rechten Rand wollen mit den Kreuzen, die sie erleuchtet durch die Dunkelheit tragen, ein Zeichen setzen und ihre Identität damit markieren: Es geht vielen Anhängern um die christliche Kultur, den Widerstand gegen die Regierung und gegen den Islam; ganz nach dem Motto, das auf einem Plakat auf einer Demonstration der AfD in Erfurt zu lesen war: „Gottes Mutter, lieb‘ Maria, schütz‘ uns vor Merkel und der Scharia.“2)
Das Ende ist nahe,…
Die Demonstranten verstehen sich als prophetische Stimme: Sie warnen vor dem Untergang Deutschlands. Im Alten Orient verstand man Propheten als Personen, die Botschaften einer Gottheit an Könige, Völker oder andere dritte Personen vermittelte. Ganz in diesem Sinne lassen sich auf den Demonstrationen auch Transparente finden, auf denen Bibelverse (= Wort Gottes) als Botschaft in den Himmel gestreckt werden, zum Beispiel: „Was du tust, bedenke das Ende.“3) Dieser Vers stammt aus dem Buch Jesus Sirach und lautet vollständig zitiert:
Bei allem, was du tust, denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen.
Diese Mahnung schließt eine Reihe von Betrachtungen zum richtigen Verhalten gegenüber anderen Personen ab.
… handle!
Es geht in Sirach 7,18-36 um die fundamentalen Beziehungen eines Menschen: seine Beziehungen zu Freunden, zur Ehefrau, zu den Haussklaven, zu den Eltern und zu anderen sowie den damit verbunden Pflichten. Die Aufzählung erreicht in den Versen 29-31 im Aufruf zur Gottesfurcht und Gottesliebe ihren Höhepunkt. Dem ganzen Kapitel geht es zentral um die Haltung der Gottesfurcht, die das Herz alles Tuns sein soll. Es wird nicht einfach nur zum Meiden von Sünde und Unrecht aufgerufen, sondern zur Gottesliebe:
Fürchte Gott von ganzem Herzen, seine Priester halt in Ehren! Lieb deinen Schöpfer mit aller Kraft und lass seine Diener nie im Stich. Ehre Gott und achte den Priester, entrichte ihm den Anteil, wie es dir geboten ist: den Speiseanteil vom Schuldopfer und die freiwillige Abgabe, die gesetzlichen Schlachtopfer und die heilige Abgabe.
Für Jesus Sirach ist hierbei die Gottesliebe und Gottesfurcht untrennbar verbunden mit der Anerkennung und Sorge für die Priester als Repräsentanten des Göttlichen in der Welt. Von besonderer Bedeutung ist in dem Kapitel, dass sich der Blick von der Liebe zu Gott am Beispiel der Achtung und Versorgung der Priester anschließend auf die Hilfsbedürftigen ausweitet:
Streck deine Hand auch dem Armen entgegen, damit dein Segen vollkommen sei.
Für Jesus Sirach ist ein weiser Mensch nicht jemand, der seinen Mitmenschen nur mit gutgemeinten Ratschlägen hilft, sondern jemand der auch selbst caritativ aktiv wird. Bereits das Buch Deuteronomium, worauf Jesus Sirach hier anspielt, weist daraufhin, dass erst die Versorgung der personae miserae, denjenigen, die unter Armut leiden (zum Beispiel: Fremde, Waise und Witwen), zum Segen Gottes führt (siehe Deuteronomium 14,28-29). Allumfassend radikal verlangt Jesus Sirach gar:
Schenk jedem Lebenden deine Gaben und auch dem Toten versag deine Liebe nicht!
Es geht Jesus Sirach nicht nur um den Nächsten, nicht einfach um den anderen Israeliten, sondern jedem Lebenden und jedem Toten soll die Zuwendung gelten. Mit den Gaben sind dabei nicht nur einfach Sachspenden oder Geldspenden gemeint, sondern es handelt sich um eine Aufforderung zur gelebten Empathie:
Entzieh dich nicht den Weinenden, vielmehr trauere mit den Trauernden! Säume nicht, den Kranken zu besuchen, dann wirst du von ihm geliebt.
Insgesamt sind die Verse 32-35 eine Aufforderung zur gelebten umfassenden Güte. So beschreibt Jesus Sirach das rechte Handeln im Angesicht des Todes, dem jeder Mensch ins Gesicht schauen muss. Am Ende steht die Verantwortung vor Gott, die zum mitmenschlichen Handeln herausfordert und zur gegenseitigen mitmenschlichen Liebe führt.
Gottes Wort auf Plakaten
Jesus Sirach benennt sehr deutlich, worin sich für ihn böses und gutes Handeln unterscheiden. Bereits zu Beginn des siebten Kapitels verweist er auf die Konsequenz des bösen beziehungsweise guten Handelns:
Tu nichts Böses, so trifft dich nichts Böses.
Die griechische Übersetzung formuliert noch drastischer:
Tue nichts Böses, und nicht wird Böses dich ergreifen/überwältigen.
Diese Mahnung ist die Fortsetzung des abschließenden Ratschlags des vorherigen Kapitels. Wer das Böse meiden will, soll intensiv die Gebote Gottes meditieren, sie lesen und auslegen:
Achte auf die Furcht vor dem Herrn, sinn allezeit über seine Gebote nach! Dann gibt er deinem Herzen Einsicht, er macht dich weise, wie du es begehrst.
Wer der Weisheit letzten Schluss begehrt, sollte sich daher nicht mit einfachen Parolen oder Teilversen zufriedengeben, sondern sich mit den Texten beschäftigen, auf die er oder sie sich bezieht. Identität bildet sich nicht in Satzfragmenten sondern in Zusammenhängen.
Bildnachweis
Titelbild: „PEGIDA-Demonstration, Dresden, 25. Januar 2015“ von Kalispera Dell. Lizenziert unter CC BY 3.0.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. den Wikipedia-Artikel zu „Cross burning“ [Stand: 23. Oktober 20115]. |
2. | ↑ | Siehe das Video „AfD-Demo in Erfurt: ‚Merkel muss weg‘“, Spiegel Online Video, 22.10.2015 [Stand: 23. Oktober 2015] – das Plakat ist zu sehen in Minute 0:31. |
3. | ↑ | Siehe das Video „AfD-Demo in Erfurt: ‚Merkel muss weg‘“, Spiegel Online Video, 22.10.2015 [Stand: 23. Oktober 2015] – das Plakat ist zu sehen in Minute 2:38. |
Zu diesem Thema auch sehr lesenwert ist der neue Text auf TheoPop: “Liebe Pegida – lasst das Kreuz zuhause!” http://theopop.de/2015/10/liebe-pegida-kreuz/
Großartig! Dankesehr. Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, und wenn man das so liest, meint man fast, die Bibel versuche mit diesen Leuten zu reden.