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Das ungeformte Leben im Mutterleib Biblische Aspekte zum Thema „Abtreibung“

Ist ein Embryo nur ein „Zellhaufen“ oder ist er bereits ein „embryonaler Mensch“? Diese Frage wird indirekt durch den am 9. März 2015 erschienen sogenannten Tarabella-Bericht des Europäischen Parlaments wieder aufgeworfen. Der Bericht befasst sich mit der Gleichstellung von Männern und Frauen. Er fordert, dass „Frauen nicht zuletzt durch den einfachen Zugang zu Empfängnisverhütung und Abtreibung die Kontrolle über ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte haben müssen“1). Es geht um die Liberalisierung der Abtreibungspolitik. Diese Forderung wurde in katholischen Medien als Ruf nach einem „Recht auf Abtreibung“2) bzw. einem Ruf nach „Abtreibung als Menschenrecht“3) verstanden und verurteilt; aus der Sicht der Katholischen Kirche gilt:

“Das menschliche Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlichen Wesen die Rechte der Person zuzuerkennen, darunter das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben.”4)

Der Katechismus der Katholischen Kirche unterstreicht diese Lehre durch Verweise auf zwei Bibelstellen: Jeremia 1,5 und Psalm 139,15.

Von Anfang an in Beziehung zu Gott

Gott offenbart dem Propheten Jeremia, dass er dazu geschaffen wurde, gesendet zu werden und Gottes Wort zu verkünden. Die Gottesrede blickt weit zurück im Leben des Propheten:

Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt. Jeremia 1,5

Schon vor der Geburt und schon bevor Gott Jeremia im Mutterleib formte, hatte er ihn als Propheten bestimmt. Aber bei der Lektüre muss man vorsichtig sein: Es geht hier um keine biologische, sondern um eine theologische Aussage. Biologisch betrachtet könnte man fragen: Was bedeutet das Geformt-Werden? Beginnt es mit der Befruchtung der Eizelle? Beginnt es mit der Embryonalphase ab der 5. Woche, wenn der Kopf und der Rumpf sich entwickelt, wenn das Herz das erste Mal schlägt? Biblisch geht es aber um eine andere Aussage: Dem Menschen kommt seine Würde nicht durch eine vorherige Leistung zu. Der Mensch entsteht dem Schöpfer als ein Gegenüber. Der einzelne Mensch ist von Gott gewollt und durch die „Schöpfung des einzelnen Menschen“ erkennt und anerkennt Gott sein Geschöpf. So kann der Beter in Psalm 139,15 beten:

Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Psalm 139,15

Ebenso wie in Jeremia 1,5 wird auch hier, in Psalm 139,15 ausgesagt, dass Gott bereits zum entstehenden Menschen in enger Beziehung steht. Der Beter erkennt, dass er selbst, bevor er überhaupt ein selbsthandelndes Wesen geworden ist, bereits durch die Beziehung zu Gott seine Würde erhalten hat. Gemäß dem Psalm besteht die Beziehung Gottes zum Menschen schon lange vor der eigentlichen Entstehung des Menschen im Mutterleib:

Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war. Ps 139,16

Zwischen Biologie und biologischer Gemeinschaft

Die Bibel kann aber auch ganz untheologisch, eher naturwissenschaftlich klingen:

Im Schoß der Mutter wurde ich zu Fleisch geformt, zu dem das Blut in zehn Monaten gerann durch den Samen des Mannes und die Lust, die im Beischlaf hinzukam. Weisheit 7,2b-3

In der Medizin wurde die Eizelle erst 1827 entdeckt. Für das Buch der Weisheit ist es neben dem Samen des Mann die Lust des Beischlafs, die das Kind mit zustande bringt. An anderen Bibelstellen wird deutlich, dass Frauen und Männern bei der Zeugung gleichwertige Rollen zukommen: Kinder werden sowohl als Frucht des väterlichen (Micha 6,7) wie des mütterlichen Leibes (Genesis 30,2 und Lukas 1,42) verstanden. Besonders auffallend ist, dass das hebräische Wort für „Kind“ ילד (gesprochen jeled) direkt zusammenhängt mit den hebräischen Worten für das „Zeugen“ durch den Mann, für das „Gebären“ durch die Frau und das „Geborenwerden“ der Kinder – dies wird sehr deutlich in einem kurzen einleitenden Vers des Buches Jeremia:

Denn so spricht der Herr über die Söhne und Töchter, die an diesem Ort geboren werden [הילודים, gesprochen hajjillodim], über ihre Mütter, die sie gebären [הילדות, gesprochen hajjillodot], und über ihre Väter, die sie zeugen [המולדים, gesprochen hammolidim] in diesem Land: … Jeremia 16,3

Hier zeigt sich, dass der Beginn des Lebens als ein Prozess zu verstehen ist, in dem Vater, Mutter und Kind in enger Gemeinschaft zusammenhängend gesehen werden. Die Phase von der Zeugung bis zur Geburt bildet ein Ganzes.

Gibt es ein Vorher-Nachher im Mutterleib?

Man könnte nach der Lektüre der bisherigen angeführten Bibelstellen annehmen, dass es ganz selbsttverständlich ist, dass die Bibel von keiner gewollten Abtreibung berichtet. Aber vielleicht unterscheidet zumindest ein Gesetzestext im Buch Exodus zwischen zwei Phasen der Entstehung des Kindes im Mutterleib:

Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine schwangere Frau treffen, sodass sie eine Fehlgeburt hat, ohne dass ein weiterer Schaden entsteht, dann soll der Täter eine Buße zahlen, die ihm der Ehemann der Frau auferlegt; er kann die Zahlung nach dem Urteil von Schiedsrichtern leisten. Ist weiterer Schaden entstanden, dann musst du geben: Leben für Leben. Exodus 21,22-23

Der hier aufgezeigte Rechtsfall ist nur skizzenhaft beschrieben und die Deutung ist umstritten: Es geht um eine Verletzung, die einer Schwangeren als unbeteiligte Dritte durch zwei sich handgreiflich streitenden Männer zugefügt wird. Die Verletzung der schwangeren Frau führt dazu – so der hebräische Originaltext –, dass „ihre Kinder hinausgehen“. Im Folgenden unterscheidet der Text zwischen einem Fall, in dem „kein weiterer Schaden“ entsteht, und einem Fall, in dem „weiterer Schaden“ entsteht. Im hebräischen Text ist es offen, was für ein „Schaden“ gemeint ist. Der Übersetzer, der den hebräischen Text ins Griechische übertragen hat, ist sehr frei mit dem Text umgegangen, und hat ihn durch seine eigene Interpretation vereindeutigt. In der griechischen Übersetzung des Textes, der Septuaginta, wurde die Unterscheidung der verschiedenen „Schäden“ direkt auf die Kinder bezogen: Im Falle, dass es sich um ein noch nicht „ausgebildet/geformtes“ Kind handelt, muss der Verursacher eine Strafe zahlen. Falls es sich um ein „ausgebildetes“, das heißt wohl „als Mensch erkenntliches“ Kind handelt, dass durch den Vorfall stirbt, dann handelt es sich um ein Tötungsdelikt und es gilt: „Leben für Leben“. Gemäß dieser Interpretation des Gesetzestextes durch den Übersetzer könnte die Frage aufbrechen, ob z. B. erst der Fötus, also ein Embryo nach der Ausbildung der inneren Organe, dem erwachsenen Menschen rechtlich gleichgestellt sei. Aus der Perspektive der Gottesrede in Jeremia 1,5 ist eine solche Unterscheidung nicht denkbar – und der Beter von Psalm 139 bekennt (wörtlich übersetzt):

Mein Ungeformtes sahen deine [Gottes] Augen. Psalm 139,16a

Rückblickend erkennt der Psalmist, dass er vom Anfang seiner Existenz an, bereits als „ungeformter Mensch“ von Gott behütet wurde.

Biologisch und theologisch

Die Bibel bietet biologisch betrachtet keine Antwort auf die Frage, wann und wie das Leben des Menschen anfängt. Es geht der Bibel nicht darum einen Zeitpunkt festzulegen, mit dem das Leben offiziell beginnt: Der Lebensbeginn im Mutterleib ist eine Lebensphase, in dem das zukünftige Kind, behütet von Gott, geformt wird als „Frucht“ des Vaters und der Mutter – und wenn man Psalm 139 betet, spricht man zu Gott:

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. Psalm 139,14

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Bildnachweis

Humanstemcell“ von Ryddragyn. Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.

Einzelnachweis   [ + ]

1. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2015 zu der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union, Abschnitt 47 (Stand 07. April 2015).
2. Recht auf Abtreibung. EU-Parlament verabschiedet Gleichstellungsbericht, domradio, 10.03.2015 (Stand 07. April 2015).
3. EU-Parlament für Menschenrecht auf Abtreibung, kath.net, 11.03.2015 (Stand 07. April 2015).
4. Katechismus der Katholischen Kirche, 2270 (Stand 07. April 2015).
Weitere Beiträge:

2 Replies

  1. Zu “Das ungeformte Leben im Mutterleib”:

    Es gibt zentrale Punkte in der Bibel, die die theologischen Aussagen zur Abtreibung zweifelhaft erscheinen lassen, z.B.:

    1. Wie jeder weiß, wurden Frauen die durch Ehebruch schwanger wurden, gesteinigt – ein Schicksal, das z.B. auch Maria drohte, was aber der Engel verhinderte. Dabei starb natürlich auch das ungeborne Leben.

    2. Die Bibel unterscheidet sehr stark zwischen Fleisch = dem Irdischen und Geist und Liebe = Bezug zu Gott. Geformtes Fleisch muss also noch keinen direkten Bezug zu Gott haben. Vielmehr wird in der Bibel die Grundauffasssung vertreten, dass zuerst das Fleisch “geformt” wird und dann der Geist, die Beseelung erfolgt. (zB. Genesis)

    3. Das “fluchbringende Wasser”, 4. Mose 5:. Hier fordert Gott im Gesetz sogar Abtreibung bei Verdacht: Wenn eine Frau im Verdacht steht, Ehebruch begangen zu haben, wird ihr ein Mittel verabreicht, das mit Gottes Hilfe die mögliche Schwangerschaft durch den fremden Samen abtötet und sie unfruchtbar macht. Ist sie unschuldig, kann sie weiter Kinder bekommen.

    • Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und die darin enthaltenen Verweise auf interessante Bibelstellen. Im Folgenden ein paar Anmerkungen zu denen, von Ihnen genannten Punkten:

      zu 1.): Im Alten Testament findet sich ein Gesetz, dass die Tötung als Strafe für ehebrüchige Frauen vorsieht: „Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen.“ (Deuteronomium 22,22) Bestraft wird hier der außereheliche Geschlechtsverkehr. Dabei spielt es rechtlich keine Rolle, ob die Frau durch den Ehebruch schwanger geworden ist oder nicht. Wie auch die Erzählung in Johannes 8,1-11 zeigt, in der sich Jesus gegen die Steinigungsstrafe bei Ehebruch wendet, wird auch in dem Gesetz in Deuteronomium als Beweis für den Ehebruch nicht die Schwangerschaft angeführt, sondern das „Ertappen“.

      Zu 2.): Die Bibel besitzt nicht ein Konzept, wie das Menschsein zu verstehen ist. In der ersten Schöpfungsgeschichte wird kein Unterschied zwischen „Fleisch“ und „Geist“ gemacht. Dort heißt es einfach: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Genesis 1,27). Im zweiten Schöpfungsbericht heißt es dann: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Genesis 2,7). Dieser zweite Bericht unterscheidet zwischen dem leblosen Körper und dem Lebensatem bei der Schaffung des ersten Menschen. Bei der Schöpfung der Frau wird eine solche Unterscheidung bereits nicht mehr genannt. In Genesis 2,22 heißt es: „Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.“

      Zu 3.): Im Buch Numeri wird ein Ritual beschrieben, wie vorzugehen ist, wenn eine Frau beim Ehebruch nicht direkt „ertappt wird“ (siehe Deuteronomium 22,22), sondern sie verdächtigt wird, ohne dass es sich beweisen lässt, dass sie Ehebruch begangen hat. In diesem Fall wird durch die priesterliche Handlung um ein Gottesurteil gebeten, weil ein Urteil gerade aufgrund menschlicher Mittel nicht zu fällen ist. Im Babylonien suchte man solch ein Gottesurteil, indem die verdächtigte Frau in einen Fluß geworfen wurde. Ging sie unter, war sie schuldig, konnte sie sich retten und ans Ufer gelangen, galt sie als unschuldig. Das „fluchbringende bittere Wasser“, da in dem Gesetz in Numeri 5 zum Gottesurteil führt, ist, wie es Vers 17 beschreibt „heiliges Wasser“, also Wasser aus dem Heiligtum, das mit Staub vom Boden des Heiligtums vermischt wird. Der Text sagt somit nicht, dass es sich um ein besonderes Abtreibungsmittel oder ähnliches handeln würde.