den Artikel
Ostern ist Revolution! Eigentlich. Jedenfalls hört man in Osterpredigten immer wieder, dass seit Ostern alles neu sei. Der Tod ist besiegt, das Leben lebt, das Grab ist leer, der Heiland erstanden. Erlösung, wohin man schaut. So tönt es jedenfalls von den Kanzeln – zumindest von vielen. Betrachtet man hingegen den Zustand der real existierenden Kirche, dann stellt sich mittlerweile nicht wenigen nicht nur die alte Frage Friedrich Nietzsches, ob die Erlösten nicht erlöster aussehen müssten. Auch die behauptete österliche Umwälzung wird wohl nur auf den Grabesstein bezogen. Alles andere soll bitte schön so bleiben, wie es sich seit Jahrhunderten etabliert hat. Das Grab ist leer, der Stein weggewälzt – mehr Revolution ist schwer verträglich. Dafür hat die Kirche ja jetzt die Tradition, bei der vermeintlich immer alles schon so war, wie es Jesus selbst vermeintlich verfügt habe. Der hat zwar eine Bewegung mit dem Ziel ins Leben gerufen, das nahe Reich Gottes in Wort und Tat zu verkünden, und dazu als Zeichen der Restituierung Israels in symbolischer Anlehnung an das alte Zwölfstämmevolk zwölf Apostel berufen; von einer Kirchengründung aber war der irdische Jesus wohl weit entfernt wie von der Einsetzung eins priesterlichen Amtes, ohne das eine Kirche – seine Kirche? – nicht sein könne. Im Gegenteil! Sein irdisches Handeln zeichnet sich geradezu durch eine kultkritische Haltung aus, eine Haltung, die sich konträr zu einer rein priesterlich und kultisch vermittelten Erfahrung des Gottes Israels verhält. Hier hat seine Praxis der Sündenvergebung ihre innere Mitte, die ihn nicht ohne Grund in Konflikt mit der Tempelaristokratie bringen wird. Die nahm für sich in Anspruch, allein zuständig für den Sühnekult und damit für die Sündenvergebung zu sein. Die jesuanische Botschaft hingegen steht dazu in unmittelbarem Widerspruch – und das von Anfang an.
Unvermitteltes Heil
Das ohne priesterlich-kultisch vermittelte Heil der Vergebung der Sünden bringt Jesus nach dem Markusevangelium schon in der Zeit des galiläischen Frühlings in Konflikt mit den Schriftgelehrten. Bereits im zweiten Kapitel findet sich dort die Erzählung der Heilung des Gelähmten. Die Szene ist eindrucksvoll. Es versammeln sich so viele Menschen, dass im Haus kein Platz mehr ist, ja nicht einmal mehr vor der Tür (vgl. Markus 2,2). Die Männer, die den Gelähmten bringen, müssen deshalb, um zu Jesus zu kommen, auf das Dach steigen, dasselbe einreißen und den Gelähmt hinunterlassen. Die Eindrücklichkeit der sicher nicht gewaltfreien Zerstörung der Dachkonstruktion übertönt den eigentlichen noch viel eindrücklicheren Impuls, mit dem Jesus den ideologischen Überbau des damaligen religiösen Verständnisses dekonstruiert:
Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Einige Schriftgelehrte aber, die dort saßen, dachten in ihrem Herzen: Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?
Das ist ein Skandal! Nur Gott kann Sünden vergeben – und das nur vermittelt durch entsprechende Opfer, priesterlich dargebracht im Tempel JHWHs in Jerusalem. Der Konflikt, in dem Jesus sich von nun an sich stetig steigernd befinden wird, nimmt hier seinen Ausgang: Unvermitteltes Heil? Wo kommt man da hin? Was erlaubt sich dieser Mann?
Die nachfolgend geschilderte Heilung des Gelähmten überstrahlt dann erneut das eigentlich Geschehen. Dabei geht es gerade nicht um das scheinbar wunderbare Geschehen physischer Heilung. Jesus selbst stellt die Relationen sicher:
Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben! oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Liege und geh umher?
Die vermeintliche Unmöglichkeit, Sünden zu vergeben, wird durch die offenkundige Unmöglichkeit, einen Lahmen gehend zu machen, konterkariert. Das Ziel aber ist gerade nicht die Heilung der Lähmung. Sie bildet nur die Folie, auf der das Eigentlich sichtbar werden soll:
Damit ihr aber erkennt, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, auf der Erde Sünden zu vergeben – sagte er zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Liege und geh nach Hause!
Die staunenden Reaktionen der Umstehenden beziehen sich zuerst wohl auf die äußere Heilung (vgl. Markus 2,12). Im Reden und Handeln Jesu aber ist es die unvermittelte Sündenvergebung, auf die der eigentliche Fokus liegt. Das nämlich wird im Fortgang des Markusevangeliums deutlich. Unmittelbar an die Erzählung von der Heilung des Gelähmten schließt sich dort nämlich die Schilderung des Mahles mit den Zöllnern und Sündern an. Auch hieran nehmen die jüdischen Autoritäten – diesmal Schriftgelehrte und Pharisäer (vgl. Markus 2,16) Anstoß. Wie sehr Jesus aber an der unvermittelten Heilserfahrung der Menschen gelegen ist, wird an seiner Replik auf die Kritik an seinem Handeln deutlich:
Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
Kalkulierter Traditionsbruch
Die nähere Betrachtung der markinischen Schilderungen macht selbst bei leichtem Kratzen an der textlichen Oberfläche deutlich, dass es diesem Mann aus Nazareth um viel mehr als bloß um ein paar wohltätige Handlungen gegangen ist. Seine Botschaft geht tiefer. Gott ist den Menschen nah. Gottes Name – JHWH – „Ich bin da“ – ist Programm. Es bedarf dazu keiner kultischen Vermittlung. Im Gegenteil: Jesus zerstört die überkommenen Traditionen und die mit ihr verbundenen traditionellen Deutungen der Thora. Schon wenige Verse später wird er deshalb in einem weiteren Konflikt, bei dem die Pharisäer das Handeln seiner Jünger, am Sabbat Ähren abzureißen, konstatieren:
Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.
Das stellt die herrschenden Verhältnisse scheinbar auf den Kopf, tatsächlich aber auf die Füße. Scheinbare Heilsgewissheiten werden zerstört, unmittelbare Möglichkeit der Erfahrung von Heil offenbar. Es kann kaum verwundern, dass dieser kalkulierte und fortdauernde Traditionsbruch sein provokantes Potential entfaltet. Wer sich so mit den vermeintlichen Kultvermittlern anlegt, die ihre Macht eben aus dieser Exklusivität kultischen Sühnehandelns ableiten, muss mit entsprechenden Reaktionen rechnen:
Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.
(Selbst-)Ermächtigungen
Die Machtlosen aber lernen aus dem Handeln Jesu. Sie werden zunehmend ermächtigt – mehr noch: sie ermächtigen sich selbst, so wie die an Blutungen leidende Frau. Immer wieder drängen sich Menschen um Jesus – auch als dieser auf dem Weg zum Haus des Synagogenvorstehers Jaïrus ist, dessen Tochter vermeintlich im Sterben liegt (Jesus selbst wird sie später schlafend vorfinden – vgl. Markus 5,39). In diesem Gedränge kommt es zu einer wahrhaft wunderbaren Selbstermächtigung:
Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt. Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden. Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte. Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
Scheinbar geht es hier nicht mehr um Sündenvergebung; jedenfalls taucht die Formel von der Sündenvergebung nicht auf. Das braucht sie auch nicht, denn die an Blutfluss leidende Frau hat sich selbst zum Glauben ermächtigt. Sie such das Heil unvermittelt von sich aus. Deshalb kann Jesus ihr sagen:
Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet.
Diese Botschaft wird sich von nun an häufiger finden. Wie auch immer: Jene, denen die Sünden vergeben werden, und jene, deren Glauben hilft, erfahren unvermitteltes Heil. Der Unterschied zwischen diesen und jenen liegt in der Erkenntnis: Während jenen das unvermittelte Heil noch zugesagt werden muss, haben diese es schon erkannt. Hier wie dort aber wird der Traditionsbruch sichtbar. Wenn das Heil unvermittelt erfahren werden kann, braucht es keine kultische Vermittlung mehr. Das ist das eigentlich Revolutionäre, das Umstürzlerische an der wort- und tatkräftigen Botschaft Jesu.
Niederschmetternde Konsequenzen
Im Mittelpunkt der religiösen Praxis des offiziellen Judentums zur Zeit Jesus stand der Tempel in Jerusalem. Zweifellos gab es allerdings auch verschieden Strömungen, die sich kritisch mit dem Tempelkult auseinandersetzten. Am vielleicht bekanntesten ist die Bewegung der Essener (verschiedentlich auch als Essäer bezeichnet), die den Tempelkult in sich als unrein kritisierten. Die kultkritische Haltung Jesu ist als solche also nicht singulär. Im Unterschied zu den Essenern, deren Lebenspraxis wohl auf strenger Askese beruhte, pflegt Jesus einen lebensfrohen und genussfreudigen Stil. Das zeigt sich nicht nur an dem schon erwähnten Mahl mit den Zöllnern und Sündern, sondern auch an einer Bemerkung Jesu, die wohl auf einen an ihn gerichteten Vorwurf zurückgeht:
Denn Johannes ist gekommen, er isst nicht und trinkt nicht und sie sagen: Er hat einen Dämon. Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt und sie sagen: Siehe, ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder! Und doch hat die Weisheit durch ihre Taten Recht bekommen.
Die Motivation Jesu, die im Johannesevangelium aufscheint, scheint also nicht rein spiritueller Natur gewesen zu sein:
Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.
Das Leben ohne nicht notwendige Joche leben zu können in der Erfahrung, selbstermächtigt und unvermittelt Heil zu erfahren, ist. Wo die religiös auferlegte Praxis dem entgegensteht, wird die Kritik Jesu an den religiösen Autoritäten niederschmetternd:
Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, selber aber wollen sie keinen Finger rühren, um die Lasten zu bewegen.
Im Unterschied dazu aber steht seine Botschaft:
Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
Ubi caritas et amor, Deus ibi est - Wo die Güte und die Liebe wohnt, da ist Gott! aus der Liturgie des Gründonnerstag
Kaputt machen, was kaputt macht
Diese Botschaft Jesu muss mit Blick auf die Bedeutung, die die offizielle Lehre dem Tempel in Jerusalem beimaß, Konsequenzen haben. In der Tat kommt Jesus nicht daran vorbei, hier Stellung zu beziehen. Er tut es – wie immer! – in Wort und Tat. Zuerst kommen die Worte:
Als Jesus den Tempel verließ, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten! Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese großen Bauten? Kein Stein wird hier auf dem andern bleiben, der nicht niedergerissen wird.
Das Heil ist eben nicht in Stein gemeißelt. Der Tempel ist eine Krücke für die Menschen, die dem unvermittelt erfahrbaren Heil nicht trauen. Diese Menschen gibt es bis heute. Ein Opfertier darzubringen, schafft ebenso ein scheinbares Recht auf Sühne, wie ein Ablassbrief oder eine Beichte. Dass Gott auch unvermittelt begegnen kann, wird da meist nicht in Rechnung gestellt. Ach, warum ist der Glaube vieler Frommer nur so klein, warum misstrauen sie der Größe Gottes? Stattdessen schaffen sie immer wieder Regeln und Riten, um das Heil Gottes rite et recte zu zähmen. Steht Jesus nicht genau dagegen auf den Barrikaden Jerusalems, als er die Opfertierhändler und Tempelgeldwechsler hinaustreibt?
Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug. Er belehrte sie und sagte: Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt daraus eine Räuberhöhle gemacht. Die Hohepriester und die Schriftgelehrten hörten davon und suchten nach einer Möglichkeit, ihn umzubringen. Denn sie fürchteten ihn, weil das Volk außer sich war vor Staunen über seine Lehre.
Die symbolische Kraft dieser Tat wird gerne unterschätzt. Jesus geht nicht einfach gegen irgendwelche Händler vor. Nein! Er wendet sich gegen Taubenhändler (in Johannes 2,14 werden außerdem noch Rinder und Schafe erwähnt), also jene Händler, die mit den für das Brandopfer benötigten Tieren ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Tat Jesu wendet sich primär gegen den Kult, nicht gegen die Händler als solches. Deshalb bringt er auch die Schriftgelehrten gegen sich auf. Der Evangelist Johannes führt diesen Aspekt konsequent zu Ende, wenn er Jesus sagen lässt:
Reißt diesen Tempel nieder und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten.
Niederreißen, um neu zu bauen
Johannes deutet dieses Wort in der ihm eigenen Weise. Möglich wird das durch den Glauben an die Auferstehung des Gekreuzigten. Dem spöttischen Einwand seiner Gegner, wie er ein massives Bauwerk, an dem 36 Jahre gebaut wurde, einreißen und neu bauen will, stellt der Evangelist eine bekenntnishafte Deutung entgegen:
Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.
In diesem Bekenntnis wird das Neue dessen deutlich, was die frühen Christen „Weg“ nannten (vgl. Apostelgeschichte 9,2). Hinter dieser Selbstdefinition steckt die Erkenntnis, dass es keiner starren Regeln mehr braucht, um mit Gott zu sein. Gott ist JHWH, der „Ich bin da“. Er ist mit den Menschen auf dem Weg des Lebens. Mehr noch: Das Heil ist unvermittelt erfahrbar, weil Gott da ist – im Menschen selbst. Ein steinerner Tempel als exklusive Kultstätte ist nicht mehr nötig. Im Gegenteil: Gott wohnt im Menschen selbst, so dass der Mensch an sich zum Tempel Gottes wird. Paulus muss deshalb wohl bis in die heutigen Zeiten immer wieder mahnen fragen:
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören. Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr.
Die Zähmung des Heiligen
Ostern ist Revolution! Ostern war Revolution! Schon vor Ostern stellte der Mann aus Nazareth die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße, als er sich wortgewaltig und tatkräftig gegen toxische Traditionen und eine septische Sakralität stellte. Der sich so anbahnende Konflikt mit den religiösen Autoritäten sollte ihn ans Kreuz bringen, wo er den Fluchtod, den Tod der Gottverlassenheit sterben wird (vgl. Deuteronomium 21,23). Aber Gott schert sich offenkundig nicht um die religiösen Konventionen, die man ihm so andichtet. Da mag man noch so sehr behaupten, Gott könne die Sünde nicht segnen – er kann doch! Er hat es nämlich schon getan, als er den Gekreuzigten auferweckte:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.
Ist es nicht paradox, dass eine Kirche, die sich auf den beruft, der den Armen die frohe Botschaft bringt, den Sündern das Heil zusagt, die Menschen ermächtigt, das Heil unvermittelt zu erleben, wieder Regeln, Riten und Traditionen schafft, um den Heiligen zu zähmen, auf dass sie die Heilsvermittlung kontrollieren können? Hat dieser Jesus von Nazareth wirklich einen neuen Kult gewollt mit priesterlich vermitteltem Heil? Menschen brauchen diese Gewissheiten offenkundig. Sicherer ist es, amtlich vermittelt das Heil zugesagt zu bekommen. Soziologisch kann es nicht verwundern, dass sich im Laufe der Kirchengeschichte Institutionen und Ämter entwickelten – und das schon in der frühen Kirche. Das alles kann durchaus auch Zeichen des Wirkens des Heiligen Geistes sein. Es kann …
Kann man aber einen göttlichen Geist, von dem Jesus sagt, er wehe, wo er will (vgl. Johannes 3,8), mit Regeln, Riten und Traditionen zähmen? Können Menschen feststellen, was Gott kann und was er nicht kann?
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des HERRN. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.
Unstopable!
Der Ewige lässt sich nicht binden, der Höchste nicht zähmen! Das mussten und müssen die Frommen zu allen Zeiten lernen, erfahren, erleben, erleiden … immer wieder neu. Ostern war Revolution! Ostern ist Revolution! Hätte Gott sich an die Regeln gehalten, die Menschen machen – das Grab hätte verschlossen bleiben müssen. So aber tritt der Heilige unvermittelt zu den Menschen, so dass sogar der Vorhang im Tempel zerreißen kann, der doch das Heilige den Blicken der Menschen entziehen sollten:
Und siehe, der Vorhang riss im Tempel von oben bis unten entzwei. Die Erde bebte und die Felsen spalteten sich.
Wahrlich: Wenn Gott da ist, bleibt kein Stein auf dem anderen. Wer auch immer sich angesichts dieses Gottes auf zähmende Traditionen beruft, sollte bedenke, dass das „Ich will so bleiben, wie ich bin“ der Werbespruch einer Diätmargerine ist. Wer so denkt, nimmt ab und nicht zu. Wer so denkt, wird kleiner und nicht größer. Eine Kirche, die so denkt, verzwergt sich und ist eben nicht Licht für die Welt. Wenn Gott schon bei den Menschen ist, worauf wartet ihr dann noch? Mit Jesus sollte man deshalb für all jene beten, die sich immer noch an der Zähmung des Höchsten versuchen und danach trachten, Gott vorzuschreiben, wie er zu sein hat:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!
Ostern war Revolution! Ostern ist Revolution! Gott ist da! Werdet deshalb den Menschen zum Segen, ermächtigt sie, damit sie das Heil ergreifen und erfahren – unvermittelt und unzähmbar.
Bildnachweis
Titelbild: Ruine des Klosters Heisterbach (Studio-laube) – Quelle: Wikicommons – lizenziert als CC BY-SA 3.0.