Raif Badawi, ein saudischer Blogger wurde im Mai 2014 wegen Beleidung des Islams gemäß der Scharia, dem religiösen Gesetz des Islams zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt. Am 09. Januar 2015 hat in Saudi-Arabien seine Bestrafung mit den ersten 50 Peitschenhieben begonnen. Abgesehen davon, dass das Urteil gegen ihn zurecht als „nicht nur unverhältnismäßig, sondern unmenschlich“1) beurteilt wurde, wird besonders die Bestrafung durch Peitschenhiebe, also die Körperstrafe als barbarische Tat verurteilt. In Deutschland ist die Körperstrafe gemäß den Europäischen Menschenrechtskonvention verboten. Ein Gesetz – wie das im Folgenden zitierte –, das die Körperstrafe befürwortet, kann als rückschrittlich, überholt und unmenschlich beurteilt werden:
Wenn zwei Männer eine Auseinandersetzung haben, vor Gericht gehen und man zwischen ihnen die Entscheidung fällt, indem man dem Recht gibt, der im Recht ist, und den schuldig spricht, der schuldig ist, dann soll der Richter, falls der Schuldige zu einer Prügelstrafe verurteilt wurde, anordnen, dass er sich hinlegt und in seiner Gegenwart eine bestimmte Anzahl von Schlägen erhält, wie es seiner Schuld entspricht. Vierzig Schläge darf er ihm geben lassen, mehr nicht. Sonst könnte dein Bruder, wenn man ihm darüber hinaus noch viele Schläge gibt, in deinen Augen entehrt werden.
Diese Verse stammen aus dem Alten Testament, dem ersten Teil der normativen heiligen Schrift des Christentums. Sie sind nachzulesen im Buch Deuteronomium, Kapitel 25, Verse 1-3 (=Deuteronomium 25,1-3) und zu verstehen als göttliches Gesetz, das es zu befolgen gilt. Gemäß dem Buch Levitikus sagt Gott selbst:
Ihr sollt auf alle meine Satzungen und alle meine Vorschriften achten und sie befolgen.
Biblische Körper- und Todesstrafe
Noch in der Zeit des Neuen Testaments wurde die im Buch Deuteronomium erwähnte Körperstrafe angewandt. Paulus selbst berichtet in seinem zweiten Brief an die Korinther davon, dass er zur Körperstrafe durch Prügel verurteilt wurde und sie erlitten hat (siehe 2 Korinther 11,24-25). Gemäß dem Alten Testament gehört die Körperstrafe zum Rechtssystem des biblischen Israel.2)
Die ethische Qualität der Bibel kann in den Augen eines Lesers vollends verlorengehen, wenn er oder sie zum Beispiel im Buch Deuteronomium nur wenige Kapitel vorher liest, dass ein erwachsener „störrischer und widerspenstiger Sohn“, der nicht auf seine Eltern hört, von den Ältesten der Stadt zum Tod durch Steinigung verurteilt werden soll (siehe Deuteronomium 21,18-19).
Solche Arten der Bestrafung gehören nicht mehr zum modernen Rechtssystem und die Bibel ist in diesem Punkt sozusagen „überholt“. Aber dennoch sind solche Gesetzestexte in der Bibel zu finden. Wie kann man als gläubiger Bibelleser mit solchen Texten umgehen?
Dem Bibeltext ausweisen
Historisch betrachtet ist der Text in Deuteronomium 25,1-3, der die Körperstrafe als rechtmäßige Bestrafung anerkennt, ein typischer Rechtstext des Alten Orients. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Formulierung in Deuteronomium 25,1-3 einen Fortschritt in der damaligen Rechtsprechung darstellt: Zwar gibt es hier die Möglichkeit eine Körperstrafe anzuordnen, aber die Zahl der auf einmal zugefügten Schläge wird auf vierzig begrenzt. Das Gesetz nimmt besondere Rücksicht auf die Würde des zu Bestrafenden. Eine solche Erklärung des biblischen Textes würdigt den Inhalt in seinem historischen Kontext – aber eine solche Erklärung lässt zugleich offen, welche Relevanz der Text für den Leser heute hat.
Positiv betrachtet könnte man antworten: Die Lehre des Textes ist es, dass bei der Bestrafung eines Menschen dessen Ehre beziehungsweise seine Würde beachtet werden muss – aber das Faktum, dass hier eine Prügelstrafe legitimiert ist, bleibt dennoch bestehen und kann nicht aus dem Text weg-argumentiert werden.3)
Wenn man nun die Körperstrafe nicht einfach aus dem Text verschwinden lassen kann, so könnte man ja zumindest darauf hinweisen, dass es andere Texte in der Bibel gibt, die viel „wichtiger“ sind: zum Beispiel das Gebot der Nächstenliebe, die Zehn Gebote und die Bergpredigt. Solche Texte haben eine bedeutende Wirkungsgeschichte und sie verbinden sich auch eher mit der positiven subjektiven Wahrnehmung der Bibel. Dennoch bleibt das Faktum bestehen, dass eben auch ein Text, wie zum Beispiel die Aufforderung einen erwachsenen widerspenstigen Sohn zu steinigen, zur Bibel gehört. Warum soll das Gebot der Nächstenliebe, wie es im Buch Levitikus zu finden ist (siehe Leviticus 19,18), heute noch eine besondere Geltung haben, während die Körperstrafe und die Steinigung zu verwerfen sind?
Auf eine solche Frage könnte man antworten: Das Gebot der Nächstenliebe besitzt weiterhin Gültigkeit, da es von Jesus gemäß dem Markusevangelium neben dem Gebot der Gottesliebe als wichtigstes Gebot definiert wird (siehe Markus 12,29-31). Aber Jesus sagt in der Bergpredigt eben auch:
Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein.
Sich dem Bibeltext stellen
Kein Weg führt daran vorbei, dass zum Beispiel auch Körperstrafen und sogar die Steinigung zur Bibel gehören. Solche Texte lassen sich weder historisch weg-argumentieren noch in ihrer Bedeutung relativieren – und dennoch muss ein Bibelleser die Aussagen dieser Textstellen nicht einfach hinnehmen. Die erste Reaktion, die einem beim Lesen solcher Textstellen überkommt – das Hinterfragen, Kritisieren und Zurückweisen –, gehört zum Bibellesen dazu. Wie in einem guten Gespräch gehört es dazu, der Stimme des Anderen zuzuhören. Aber es ist eben auch erlaubt zu antworten und zu widersprechen. Dabei hat weder die Bibel noch der Leser das letzte Wort. Ein Vorbild für diese Art der Lektüre finden sich bereits in der Bibel: Abraham. Im Buch Genesis teilt Gott Abraham mit, dass er nach Sodom und Gomorrha gehen wird, um Gericht über die Stadt zu halten. Abraham nimmt dies nicht einfach hin, sondern fragt ihn: „Willst du auch den Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?“ (Genesis 18,23) Dieses Hinterfragen der Absicht Gottes gehört essentiell zur Bibellektüre dazu. Der Bibeltext muss sich vor dem Leser verantworten und zugleich muss auch der Bibelleser sich vor dem Bibeltext rechtfertigen.
Nun könnte man theoretisch mit der Bibel auch die Bestrafung von Raif Badawi rechtfertigen. Ein Gericht hat ihn zur Körperstrafe verurteilt und dies steht völlig im Einklang mit Deuteronomium 25,1-3. Aber wer würde so argumentieren? Ganz im Gegenteil, im Angesicht der Entrüstung über die Bestrafung Raif Badawis kommt auch die Bibel auf die Anklagebank.
Bildnachweis
„Pieter Brueghel the Elder-Christus und die Ehebrecherin“ von Paul Perret after Pieter Brueghel the Elder – Universität Leipzig — Theologische Fakultät — Institut für Religionspädagogik — Religiöse Bilder und Kunstgestaltung im Unterricht File: Bruege02.jpg. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.
Einzelnachweis
1. | ↑ | So kommentierte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning in einer offiziellen Pressemitteilung bereits die erste Bestrafung von Raif Badawi, die „nur“ sieben Jahren Haft und viermal 150 Peitschenhieben vorgesehen hatte: Link |
2. | ↑ | Nun könnte man die ethische Bedeutung der Bibel retten, indem man argumentiert, dass gemäß der Bibel die Bestrafung durch die Körperstrafe in der Gewalt des Richters liegt. Wenn der Richter keine Körperstrafe verhängt, gibt es auch keine Körperstrafe. Diese Argumentation hebt aber nicht den Befund auf, dass die Körperstrafe als berechtigte Strafmaßnahme biblisch anerkannt ist. |
3. | ↑ | Bereits im Neuen Testament findet sich bei Paulus die Aussage, dass durch Jesu Kreuzestod die alttestamentlichen Gesetze aufgehoben wurden: „Er [Jesus Christus] hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf“ (siehe Epheser 2,15). Man könnte argumentieren, dass durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dem Kreuzestod, das alttestamentliche Gesetz seine Relevanz verloren hat und nur noch ein Relikt einer früheren Zeit ist. Man muß aber auch beachten, dass Paulus im Römerbrief schreibt: „Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut.“ (Römer 7,12) Auch würde kein Christ heute sagen, dass die Zehn Gebote und das Gebot der Nächstenliebe, die allesamt im Alten Testament zu finden sind, keine Relevanz mehr besäßen. |
Mutig und wohltuend, sich der Bibel in ihrer Gänze zu stellen! Ganz im Sinne von Franz Kafka, der ja auch empfohlen hat, nur die Bücher zu lesen, die einen “kratzen und beißen”. Weiter so!
Ich meine: Nein, man könnte die körperliche Bestrafung nicht mit der Bibel rechtfertigen, zumindest nicht aus christlicher Sicht. Diese Formen der Strafe wirken aus heutiger Sicht martialisch, aber in der Bronze- und Eisenzeit hätten sie eine ordnende und stabilisierende Funktion gehabt. Israel sah dieses Gesetz sogar als Errungenschaft! Dtn 4,8: “Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?” Man erhält übrigens einen Eindruck von dieser positiven Sichtweise, wenn man heute von islamischen Gesellschaften hört, die sich freiwillig die Scharia auflegen. So schwer man sich auch in diese Perspektive hineinversetzen kann.
Glücklicherweise sind Christen keineswegs daran gebunden. Wir befinden uns noch nicht einmal in der unangenehmen Situation, unsere Ablehnung der Körperstrafen rechtfertigen zu müssen (an der geltenden Rechtslage lässt sich auch durch Widerspruch nichts ändern…). Sie gehören zu einem zeitlich beschränkten, jahrtausendealten Rechtssystem, das heute niemand mehr rechtfertigen muss, der sich nicht zu einer jüdischen Theonomie bekennt. Jesus hat die staatstragende Form des mosaischen Gesetzes abgeschafft (Mk 12,13-17). Christen unterstehen der von Gott eingesetzten Staatsgewalt unter der sie leben. Und das ist auch gut so, denn an diesen Körperstrafen merkt man so deutlich wie an keiner anderen Stelle, wie prähistorisch dieses Gesetz tatsächlich ist. In dieser Situation sind wir im Westen freilich nur, weil die christliche Geistesgeschichte unser Verständnis von der Würde des Menschen entscheidend geprägt und auch unsere Gesellschaften weitergebracht hat, ohne zu vergessen, was schon das Alte Testament über Gerechtigkeit sagt.
Der Begriff der Menschenwürde ist eine Errungenschaft der jüdischen und christlichen Auslegungsgeschichte der Bibel. Die aus dem Alten Testament stammenden theologischen Aussagen über die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und über die Bedeutung der Nächstenliebe sind von hoher wirkungsgeschichtlicher Bedeutung im Judentum, im Christentum und durch beide Religionen in der Geistesgeschichte allgemein. Gerade deshalb stellen Texte, wie die angesprochenen Bibelstellen Dtn 21,18-19; 25,1-3 eine große Herausforderung dar. Solche Texte sind ein unangenehmer Stachel in der Tradition der beiden Religionen. Die Texte entstammen einer Zeit und einem Denken, dass heute als „überholt“ gilt – und dennoch haben diese Texte ihre Relevanz nicht vollends eingebüßt. Sie gehören bis heute sowohl im Judentum als auch im Christentum je zum Fundament des Glaubens, das interpretiert werden muss (vgl. zum Beispiel bereits Paulus ausführliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung des alttestamentlichen Gesetzes). Wichtig ist hierbei, dass die ersten Christen die alttestamentlichen Gesetze in ihrer Gesamtheit zwar nicht als verpflichtend auf sich genommen, aber auch nicht verworfen, sondern sie zum festen Bestandteil der Bibel bzw. Fundament des Neuen Testaments gemacht haben.
Ich glaube, wir denken ziemlich ähnlich. Ich versuche es noch einmal mit anderen Worten und entschuldige mich im Voraus für die Länge. Das ist eben ein sehr komplexes Thema.
Das mosaische Gesetz hatte verschiedene Funktionen. Eine davon war es, die juristischen Belange des Volkes zu klären – für zwischenmenschliche Gerechtigkeit zu sorgen. Diese Funktion konnte natürlich nur in dem Staatswesen zur Anwendung kommen, dessen rechtliche Verfassung das mosaische Gesetz bildete. Für damalige Verhältnisse war dieses Gesetz ohnegleichen, es war gerecht, es regelte das Zusammenleben in so vielen Facetten und Einzelfällen. Aber es war eben auch in eine Zeit und Gesellschaft gegeben, in der Sklaverei, Polygynie und Raubzüge normal waren. Ein humaner Strafvollzug nach modernem Vorbild wäre damals unrealisierbar gewesen. Körperstrafen waren ein probates Mittel, um Gerechtigkeit zu schaffen. Doch nur weil das Gesetz in diese Zeit gegeben und fest in ihr verankert war, macht das seine Justiz natürlich nicht gerechter als unseren modernen Strafvollzug. Es wird dadurch aber auch nicht unbedingt schlechter.
Konzepte wie Gerechtigkeit, Menschenwürde, Resozialisierung und Chancengleichheit sind tief im AT verankert, aber sie spiegeln sich noch nicht voll in diesem juristischen Teil des Gesetzes wieder. Das hätte sich in der damaligen Zivilisation auch kaum umsetzen lassen. Das Volk Israel hat ja schon mit dem Sabbat oder dem Verbot von Mischehen im Gesetz fast unüberwindliche Schwierigkeiten! Die von der Bibel beeinflusste Geistesgeschichte hat teils Jahrtausende gebraucht, um solche Ideale in der Praxis christlich geprägter Gesellschaften zu verankern. Daher muss man sich über diese Gesetze nicht schämen, sondern kann sie wie Dtn 4,8 als gerechte Errungenschaft ihrer Zeit verstehen.
Die Juden im ersten Jahrhundert hatten einige Schwierigkeiten mit der römischen Herrschaft. Es kam für sie dem Götzendienst nahe, dass nun nicht mehr Gott, sondern ein heidnischer Kaiser ihr weltlicher Souverän war. “Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt, und Gott, was Gott gebührt” legt den Grundstein der christlichen Zwei-Reiche-Lehre.
Doch Jesu Antwort richtet sich ja zunächst an Juden. Jesus hat so die staatskonstituierende Funktion der Torah faktisch beendet. Gottes Volk muss nicht mehr nach einem eigenständigen Staat Israel streben, es besteht ja auch gar nicht mehr nur aus Israel. Stattdessen soll es in Frieden in weltlichen Staaten leben (2Tim 2,1-2) und ihrer Regierung gehorchen, die samt ihrem Rechtsvollzug von Gott eingesetzt ist und ihm dient (Röm 13,1-7). Ich muss auch an Galater 3,15-29 denken, das dem Gesetz eine von vornherein festgelegte begrenzte Wirkung bescheinigt. Das Gesetz war ein Erzieher oder Zuchtmeister, das “wegen der Sünden” gegeben war – sicherlich nicht nur im geistlichen, sondern auch im juristischen Sinn. Doch es galt eben nur den Juden, und das auch nur bis zum Eintreffen der Verheißung Abrahams durch Christus.
Meiner Ansicht nach sind Mt 22,21 und Röm 13,-17 anders zu interpretieren:
Röm 13,1-7 ist ein gutes Beispiel für einen weiteren sehr schwierigen Text in der Bibel, der eine sehr negative Wirkungsgeschichte hatte. Aber zuvor eine kurze Anmerkung zu Mt 22,21 und der Aussage „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ In der Interpretation dieser Aussage wurde vor allem durch die Ausleger der Reformation der erste Teil des Verses überinterpretiert. Im Kontext des Verses geht es nur um die Fangfrage der Pharisäer, ob es erlaubt sei, dem nicht-jüdischen, weltlichen Herrscher (also dem römischen Kaiser) Steuern zu zahlen. Es geht hier nicht, um das generelle Verhältnis der Staatsmacht zur Religion. Eine Interpretation, die den ersten Teil von Mt 22,21 betont, übersieht die eigentliche Intention der Aussage. Hier steht nicht nur „gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“, sondern der Satz endet in der Aussage „[gebt] Gott, was Gott gehört“. Das ist der unerwartete Höhepunkt dieses Textabschnittes: Was bedeutet es, Gott zu geben, was ihm zusteht? Gemäß Jes 41,2 ist Gott derjenige, der Könige unterwirft. Gott steht höher als die weltliche Macht. Gott ist der Herr über den gesamten Erdkreis und alle seine Bewohner (Ps 24,1). Es wird deutlich, dass die beiden Aussagen in Mt 22,21 auf zwei verschiedenen Ebenen stehen: Dem Kaiser stehen die Steuern zu, aber der Gehorsam gegenüber Gott betrifft mehr als die Steuern. Der Mensch ist Gott absoluten Gehorsam schuldig. Damit bricht die Fragestellung auf, was Gehorsam gegenüber Gott bedeutet.
Mit dieser Frage gelangen wir zu Röm 13,1-7. Besonders Paulus‘ Aussage „es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt“ ist für heutige Leser fast unerträglich (vgl. auch Joh 19,11). Ist auch jedes staatliche Unrechtssystem von Gott gewollt; ist man jeder Staatsgewalt gegenüber zum Gehorsam verpflichtet? Zur Beantwortung dieser Frage ist der kurz später stehende Vers 4 wichtig: „Sie [die Staatsgewalt] steht im Dienst Gottes und verlangt, dass du das Gute tust.“ Die Staatsgewalt ist verpflichtet nach dem Willen Gottes zu handeln, d.h. sie soll dem Guten verpflichtet sein. Aber was ist, wenn der Staat sich eben nicht dem Guten verpflichtet? Auf diese Frage gibt Apg 5,29 (vgl. auch Apg 4,19) eine Antwort: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Zitat aus dem vorliegendem Text: „Ein Gesetz – wie das im Folgenden zitierte –, das die Körperstrafe befürwortet, kann als rückschrittlich, überholt und unmenschlich beurteilt werden:“
warum Äpfel mit Birnen vergleichen oder wie stimmt Christus überein mit Beliar?
Ich finde es ärgerlich eine Diskussion über biblische Themen, die auch unter Christen kontrovers diskutiert werden, auch noch mit schlechten Beispielen aus einer anderen Kultur zu erschweren. Der Islam leugnet die Gottessohnschaft Jesu Christi und damit auch seine Gerechtigkeit. Der Islam hat daher eine andere Gesetzesgrundlage, sowie sehr rigide Vorstellungen was den ‚Schutz‘ des Islam angeht. Ein Urteil wie das zum Thema als Vorlage genommene wäre nach dem mosaischen Gesetz gar nicht möglich.
Aber zum eigentlichen Thema, nämlich dem Zeitgemässen oder nicht Zeitgemässen.
Dazu wäre erst einmal die Frage zu klären ob man sich (als Christ) der göttlichen Ordnung verpflichtet fühlt oder nicht. Wenn man diese Frage für sich mit ‚Ja‘ beantwortet, beinhaltet das notwendigerweise die Befolgung seiner Gebote, oder anders formuliert, das Streben nach seiner – Gottes – Gerechtigkeit. Daraus folgt die Wahl der Bezugsquellen zur persönlichen Meinungs- bzw. Erkenntnisbildung.
Folgt man dem NT nach Veränderungen des mosaischen Gesetzes findet man folgendes:
– die Korrektur des Scheidungsrechts in die ursprünglich gedachte Form (Matth. 19,1-9)
– die Aufhebung der Speisegebote (Mk. 7,19; Hebr. 13,9)
– die Aufhebung der Feiertage bzw. des Sabbaths (Apg. 20,7; Kol. 2,16)
– die Aufhebung der Beschneidung (Apg. 15,20; Apg 16,3; Gal. 5,6)
– die Aufhebung der Opfergesetze (Hebr. 10,18)
sonst nichts.
Sowohl Jesus als auch Paulus bestätigen das mosaische Gesetz grundsätzlich (Matth. 5,17; Apg. 24,14) eben bis auf diese Einschränkungen, die so vermutlich (bis auf die Scheidung), nur in der Heilszeit der Heiden/Gemeinde gültig sein werden. (man beachte die Opfergesetze beim Propheten Hesekiel im 1000-jährigen Friedensreich)
Nun nahm die Entwicklung einen anderen Verlauf als der Ratschluss Gottes es mit dem Volk Israel nach der Herausführung aus Ägypten vorsah. So waren etwa Gefängnisse gar nicht vorgesehen, sondern die Zehn-Städte, in die Totschläger fliehen konnten und sich so der Hinrichtung entziehen konnten. Darüber hinaus waren die Strafen der Hinrichtung, Körperstrafe und/oder Wiedergutmachung und natürlich die Opferung vorgesehen.
Bereits kurz nach dem Auszug aus Ägypten, noch vor der ‚offiziellen‘ Gesetzgebung am Horeb, legte Gott dem Volk Israel Ordnung/Gesetz und Recht vor. Ebenfalls stellt Gott seine Macht über Krankheit und Heilung heraus, oder wie im Luther-Text: „…ich bin dein Arzt“. (2.Mo. 15,22-26) In der Gesetzgebung und der Ahndung von Vergehen/Sünde legt Gott als Schöpfer des Menschen die richtigen Massnahmen bzw. das richtige und passende Strafmass fest. Dieses Gesetzeswerk ist mit der Gesetzgebung bzw. Gesetzessammlung des Hammurabi nicht vergleichbar und ist immer noch, wenigstens z.T., Vorlage moderner Rechtsprechung, und wie bereits erwähnt, von Jesus und Paulus ausdrücklich bestätigt.
Aus der Historie Israels ergab es sich leider nicht, dass Israel die vorgesehene Vorbildfunktion eingenommen hat. Ein Nacheifern der übrigen Völker dem Volk Israel, Gott und seinen Geboten ebenfalls zu folgen hat deshalb nie stattgefunden. (5. Mo. 4,5-6) Stattdessen wurde Israel letztendlich von Gott dem Hohn und Spott preisgegeben. (5. Mo. 28,37; Jer. 24,9)
Weil nun die Vorbildfunktion Israels nicht zustande gekommen ist haben die Staaten bzw. Völker bis heute recht unterschiedliche Rechtsvorstellungen, die zudem von religiösen, kulturellen und politischen Faktoren bestimmt werden und sich mit der Zeit verändern. Teile der göttlichen Gesetzgebung in Anlehnung an ein anderes staatliches Gesetz oder aus eigener Vorstellung als nicht zeitgemäss hinzustellen, ist daher sehr gewagt und unterliegt immer, ob gewollt oder nicht, einer gewissen Prägung, Bildung, kulturellem Hintergrund und seiner Zeit.
Spr. 20,30: „Blutige Striemen (Striemen der Wunde) reinigen den Bösen (reinigen den Willen), und Schläge die Kammern des Leibes.“ (in Klammern Übersetzungsvarianten bzw. wörtliche Übersetzung aus der Elberfelder entnommen)
Dieser Vers beschreibt die Wirkung die der „Arzt“ (2. Mo. 15,26) bei einer Körperstrafe erzielen möchte.
Versetzen wir uns einmal in die Zeit der Anfänge. Wäre es denkbar diese Art der Bestrafung einer Gefängnisstrafe vorzuziehen? Die damit einen Entzug des Delinquenten aus dem gesellschaftlichen Leben und beiden Seiten eine möglicherweise notwendige spätere Resozialisierung ersparen würde?
Kommen uns Striemen nicht auch anders bekannt vor? Gehörte es nicht zu Gottes Heilsplan das wir durch Striemen Heilung erfahren sollten? Nicht nur Jesu Kreuzestod war für unsere Erlösung notwendig, sondern offenbar eine Körperstrafe für alle Sünden die dieser Art der Bestrafung nach Gottes Gerechtigkeit unterliegen. (Jes. 53,5; 1. Petr. 2,24) Manche mögen einwenden dort steht doch Wunden. Je nach Lesart, gemeint sind die Wunden oder Striemen der Geisselung, nicht die Wunden der Kreuzigung.
Erlaubt sei noch ein kleiner ‚Schlenker‘ zum 2. Thess. 2,7. „Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam…“ Hat die Relativierung der göttlichen Autorität von Christen auch einen gewissen Anteil daran? Wie auch immer: gerichtet wird es bestimmt! (1. Kor. 3,14-15)
Und nun zum Ende der menschlichen Regierungen. Jes. 2,3 spricht von der Weisung die von Zion ausgehen wird. Der Text zielt auf die Zeit nach der Heilszeit der Heiden/Gemeinde, also dem 1000-jährigen Friedensreich mit Jesus Christus als Oberhaupt. Das verwendete hebräische Wort ‚torah‘ (übersetzt mit Weisung) verweist eindeutig auf das Gesetz. Welches Gesetz? – wenn nicht das uns bekannte aus AT und NT. Also hat das Gesetz Gültigkeit solange diese Welt besteht!
Darum erschliesst es sich mir ganz und gar nicht warum die Anwendung von Gesetzen, die dem mosaischen Gesetz nicht widersprechen, heute keine Anwendung mehr finden sollten. Viel mehr sollte man sich selbst hin und wieder fragen in wieweit der Zeitgeist im eigenen Gedankengut Einfluss nehmen darf.
Es gilt noch immer: „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ (Hebr. 13,8), oder vielleicht noch treffender: „Wer tut und macht das? Wer ruft die Geschlechter von Anfang her? Ich bin‘s, der HERR, der Erste, und bei den Letzten noch derselbe.“ (Jes. 41,4)
Warum also sollte Gott seine Gesetze bzw. Gerechtigkeit in dieser Heilszeit irgendwelchen Befindlichkeiten anpassen?