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Nicht immer verbirgt sich hinter der Maske das wahre Gesicht. Manch einer, dem die Maske weggerissen wird, verliert es gleich ganz. Wenn das Kostüm zum Exoskelett wird, das in Ermangelung eines Rückgrates Haltung simuliert, mag der Mummenschanz eine Zeit gelingen. Die eitle Selbstbespiegelung äußeren Anscheins aber ist energieintensiv. Sie wird früher oder später dem steigenden Unterdruck des Inneren nicht standhalten können und implodieren. In sich zusammengefallen bleibt da, wo noch vor Kurzem prächtiges Farbenspiel die Augen betörte und die Macht des äußeren Anscheins die verführte, die auch bereit sind, in Gold göttlichen Abglanz und nicht ein irdenes Edelmetall zu sehen, weniger als ein Häufchen Elend. Gerade in der Kirche ist die Gefahr offenkundig groß, den Mangel an innerer Haltung mit äußerem Gepränge zu kompensieren. Da wird wieder Birett getragen, als wäre die Zeit stehen geblieben. Brustkreuze hingegen werden wahlweise, wenn es nicht passt, auch mal abgelegt. Talare hingegen werden wieder gerne getragen, auch wenn ihre symbolische Konnotation in einem kulturellen Kontext keinen Sinn mehr machen, der die Standesschranken längst überwunden hat. In der Kirche scheint die Zeit ewig währender Karnevaliade noch lange nicht vorbei zu sein. Der eitle Tand, das weltliche Bedürfnis, dem Schein ein Sein abzuringen, feiert auch in der Kirche weiterhin fröhlich Urständ. Wer durch die Weihe seinsmäßig über die anderen erhöht wurde, will das doch schließlich auch zeigen – sonst hat man doch gar nichts davon. Es ist kein Wunder, dass angesichts solcher Entwicklungen die Versetzung in den Laienstand als höchste Strafe für die verhängt wird, die die Christusähnlichkeit zwar behaupten, aber schon im Ansatz nicht verstanden haben, dass Jesus Kinder segnete und nicht Hand an sie legte.
Desillusion
Vor den Augen der Welt fallen nun die Masken. Manch einer verliert dabei sein Gesicht. Der australische Kardinal George Pell wurde unlängst für schuldig befunden, sich in den 1990er Jahren des Missbrauchs schuldig gemacht zu haben1). Ihm wird wohl die gleiche Kirchenstrafe der Laisierung drohen, wie dem ehemaligen Erzbischof von Washington Theodore Edgar McCarrick, der zwar nicht von einem weltlichen, doch aber von einem Kirchengericht des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden wurde2). Man merke wohlgemerkt auf: Laie-Sein scheint eine Strafe zu sein. Das kirchliche Framing ist schon bemerkenswert, stützt es doch ein durch und durch komplementäres hierarchisches Gefüge, dass viele, die sich von klerikalem Prunk und Gehabe blenden lassen, sich bis heute gar nicht vorstellen können und wollen, dass die, die Männer Gottes vorgeben zu sein, solches tun können. Ungeachtet der Tatsache, dass George Pell nach anfänglicher Beteuerung seiner Unschuld einige der ihm zur Last gelegten Missbrauchsfälle mittlerweile selbst einräumt3), möchten sich manche ihre Illusionen nicht nehmen lassen4). Sie ertragen die Desillusion nicht, die mit dem Fall der Masken einhergeht. Hinter der Maske verbirgt sich eben das wahre Gesicht – und das ist nicht das, was viele erwartet haben. Hinter der Maske der feigen Missbraucher wartet: Nichts!
Affront!
Natürlich ist die Desillusion ein Affront! Die Kritiker reiben sich die Hände. Die Kleingläubigen, die zu den sogenannten „Würdenträgern“ aufblickend schon glaubten, ein Stück Himmel erhaschen zu können, wohl nichtsahnend, dass sie den Himmel hätten sehen können, wenn die „Würdenträger“ nicht im Weg stehen würden. Stattdessen versuchen manche derer, die etwas zu sein scheinen, bis heute, die Deutungshoheit über Gott in den gesalbten Händen zu halten. Sie wissen dann, was Gott will. Und damit man diesen Willen Gottes hören kann, fordern sie permanent auf, still zu sein und zu schweigen. Still ist es freilich meistens nicht, denn in die Stille hinein reden sie dann selbst und erklären mit vielen Worten, warum Gott so ist, wie sie es wollen. Dann mahnen sie das Halten von Geboten an oder sprechen hier und da Verbote aus. Und knien und beten soll man vor dem lieben Heiland. Und der Heiland …
… schweigt nicht!
Leisetreterei war jedenfalls Jesu Sache nicht. Er, auf den sich die berufen, die ihm durch die Weihe ähnlich geworden zu sein glauben, hat sich jedenfalls damals schon nicht zähmen lassen.
In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.
Das steht in diametralem Gegensatz zur gängigen Auffassung, die Botschaft Jesu bedürfe einer amtlichen Vermittlung. Die Offenbarung ist sogar Unmündigen (νηπίοι – gesprochen: nepíoi) zugänglich – und zwar unmittelbar. Mehr noch: Ihnen ist die Botschaft offenbar, den Weisen und Klugen gerade nicht. Deshalb wird die Fortführung der Rede Jesu auch zur Mahnung an alle, die glauben zu wissen, was Gott will:
Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
Anstatt permanent neue Gebote und Regeln aufzustellen, die festlegen, was regulär und was irregulär ist und damit die Menschen ängstigen, sie würden des Heils verlustig gehen, wenn sie sich nicht an diese Regeln halten würden, verkündet Jesus einfach, er sei gütig und die Seelen würden bei ihm Ruhe finden. Das ist doch verrückt!
Die Entlarvung
In der Tat: Nicht nur die mächtigen Zeitgenossen Jesu werden ihn der Verrücktheit geziehen haben. So wirft man ihm vor, er sei besessen:
Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.
Auch seine Familie hält ihn angesichts seines Verhaltens für verrückt:
Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.
Das alles passt nicht zu dem lieben Heiland, der die braven Glaubenden zu stiller Verehrung mahnend von Andachtsbildchen anschmachtet. Ganz im Gegenteil: Dieser Jesus von Nazareth ist ein Narr im besten Sinn des Wortes gewesen. Der wahre Narr zieht selbst dann fröhlich pfeifend seiner Wege, wenn seine jüngere Schwester, die Satire, sich bei Kritik manchmal beleidigt darauf beruft, doch eigentlich alles dürfen zu müssen. Vernarrt in den Drang, das wahre Gesicht aufzudecken, lässt der echte Narr auch dann nicht locker, wenn die Mächtigen ihn der Narretei zeihen. Und so hält Jesus, dieser Narr von Nazareth, den religiösen Führern seiner Zeit, den Pharisäern und Schriftgelehrten, den Spiegel vor:
Da sagte der Herr zu ihm: O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raffsucht und Bosheit. Ihr Unverständigen! Hat nicht der, der das Äußere schuf, auch das Innere geschaffen? Gebt lieber als Almosen, was ihr habt; und siehe, alles ist für euch rein.
Und das ist nur der Anfang der Entlarvung, des Aufbrechens der äußeren Hülle. Wird die Larve ein inneres Leben bergen? Oder entlarvt sie sich als taube Nuss? Die Rede Jesu ist unerbittlich:
Weh euch Pharisäern! Ihr liebt den Ehrenplatz in den Synagogen und wollt auf den Straßen und Plätzen gegrüßt werden. Weh euch: Ihr seid wie Gräber, die man nicht mehr sieht; die Leute gehen darüber, ohne es zu merken.
Das ist an Sarkasmus kaum mehr zu überbieten. Kein Wunder, dass sich die so Angesprochenen beleidigt fühlen (vgl. Lukas 11,45). Nach Narrenart lässt er nicht locker:
Weh auch euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen unerträgliche Lasten auf, selbst aber rührt ihr die Lasten mit keinem Finger an. Weh euch! Ihr errichtet Denkmäler für die Propheten, die von euren Vätern umgebracht wurden. Damit bestätigt und billigt ihr, was eure Väter getan haben. Sie haben die Propheten umgebracht, ihr errichtet ihnen Bauten. Deshalb hat auch die Weisheit Gottes gesagt: Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen senden und sie werden einige von ihnen töten und andere verfolgen, damit das Blut aller Propheten, das seit der Erschaffung der Welt vergossen worden ist, von dieser Generation gefordert wird, vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias, der zwischen Altar und Tempelhaus umgebracht wurde. Ja, das sage ich euch: An dieser Generation wird es gerächt werden. Weh euch Gesetzeslehrern! Ihr habt den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen und die, die hineingehen wollten, habt ihr daran gehindert.
Shout out loud!
Die Worte Jesu hallen bleibend aktuell durch die Zeiten. Wie damals aber lauern die, die etwas zu sein scheinen, nach einer Möglichkeit, den Heiligen zu zähmen. Sie legen ihm Ketten aus Dogmen an und Richtschnüre aus Canones. Sie lauern ihm nach wie vor auf, um ihn in seinen Worten zu fangen (vgl. Lukas 11,54). Das Wort Gottes aber hat bleiben schöpferische Kraft. Nichts kann ihm im Weg stehen. Und so geschah und geschieht es:
Unterdessen strömten Tausende von Menschen zusammen, sodass es ein gefährliches Gedränge gab. Jesus begann zu sprechen, vor allem zu seinen Jüngern: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das heißt vor der Heuchelei! Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, im Licht hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert, das wird man auf den Dächern verkünden.
Wieder einmal versammeln sich Tausende, um Jesus zu hören. Tausende bei den Brotvermehrungen, Tausende bei den großen Reden, eine Menschenmenge begleitet ihn in Jericho, Tausende auch jetzt. Wie redet so ein Heiland zu Tausenden in einer Zeit, in der es keine Verstärkeranlagen gab? Wie schon? Mit lauter Stimme! Tausende wollen ihn hören, Tausende sollen ihn hören, Tausende hören ihn! Sie können das nur, wenn Jesus laut gesprochen hat und eben nicht leise säuselnd hauchend, wie manch fromm scheinen Wollende in diesen Tagen, die ihren Stimmen diesen unsäglich hauchigen Touch geben, der wohl das Wehen des Geistes andeuten soll, tatsächlich aber eher eine logopädische Indikation in sich trägt. Gut für die Stimmbänder, die man braucht, um jesusähnlich die Botschaft in die Welt zu rufen, ist das nicht. Wer so verkünden will, wie Jesus, wird merken, dass das eine ganzkörperliche Angelegenheit ist. Zu Tausenden zu sprechen erfordert Kraft. Das ist echte Arbeit, die man nicht kniend verrichten kann. Dafür muss man aufrecht stehen, Haltung haben und zeigen, und eine Leidenschaft in sich tragen, in der der Bote sich mit der Botschaft identifiziert. Da sind keine Masken, durch die man sprechen kann. Wer so spricht, ist ein Narr, der keine Masken mehr nötig hat. Wie alle anständigen Narren spricht er die Wahrheit aus.
Mit Anstand gegen die Tyrannei der Raupen
Das Kennzeichen des Narren Jesu ist eben seine ἁπλότης (gesprochen: haplótes), seine Aufrichtigkeit und Lauterkeit. Deshalb lässt Lukas ihn in seinem Evangelium vor der großen Weherede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten sagen:
Niemand zündet eine Leuchte an und stellt sie in einen versteckten Winkel oder unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, damit alle, die eintreten, das Licht sehen Die Leuchte des Leibes ist dein Auge. Wenn dein Auge gesund (ἁπλοῦς – gesprochen: haploûs) ist, dann ist dein ganzer Leib hell. Wenn es aber krank ist, dann ist auch dein Leib finster. Achte also darauf, dass das Licht in dir nicht Finsternis ist! Wenn nun dein ganzer Leib hell ist und nichts Finsteres in ihm ist, dann wird er ganz hell sein, wie wenn die Leuchte dich mit ihrem Strahl bescheint.
Von dieser närrischen Lauterkeit, die zur Einsicht führt, ist die ἀ-φρονήσις (gesprochen: aphronésis) zu unterscheiden, die schon der Wortbedeutung nach die Abwesenheit von Verstand und Klugheit (φρόνησις – gesprochen: phrónesis) intendiert. Nicht ohne Grund bezeichnet Jesus die Pharisäer deshalb in Lukas 11,40 als ἄφρονες (gesprochen: áphrones), als Unverständige.
Anstand, Lauterkeit und Aufrichtigkeit sind die Waffen, mit denen der wahre Narr die Wahrheit aufdeckt und die Unverständigen entlarvt, indem er ihnen die Masken wegreißt. Dafür ist Energie nötig und Kraft. Lauter Widerstand ist nötig, bloß betend und kniend wollen nämlich nur die eine Kirche, die hinter dem Schein der Masken den Schutz vor denen suchen, die Rechenschaft fordern.. Wer hingegen Jesus wirklich nachfolgt, darf nie schweigen – in diesen Zeiten schon gar nicht! Lautere Narren schweigt nicht: Shout out loud!
Bildnachweis
Titelbild: Broken mask (Josef Stüfer) – Quelle: flickr – lizenziert als CC BY-NC-ND 2.0
Bild 1: Vanitas (Johann Caspar Lavater) – Quelle: wikicommons – lizenziert als gemeinfrei
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu Heike Vowinkel, „Darth Vader der katholischen Kirche“, Welt online, 3.3.2019, Quelle: https://www.welt.de/politik/ausland/plus189682843/Kinderschaender-Kardinal-George-Pell-Darth-Vader-der-katholischen-Kirche.html [Stand: 3. März 2019]. |
2. | ↑ | Vgl. hierzu etwa Heike Vowinkel, „Darth Vader der katholischen Kirche“, Welt online, 3.3.2019, Quelle: https://www.welt.de/politik/ausland/plus189682843/Kinderschaender-Kardinal-George-Pell-Darth-Vader-der-katholischen-Kirche.html [Stand: 3. März 2019]. |
3. | ↑ | Vgl. hierzu https://www.dw.com/de/george-pells-anwalt-bittet-um-verzeihung/a-47727652 [Stand: 3. März 2019]. |
4. | ↑ | So etwa der katholische Autor und Papstbiograph George Weigel, wie kath.net zu berichten weiß (Quelle: http://kath.net/news/67095 [Stand: 3. März 2019]). |
Da spricht jemand mit Wucht und wacker dazu.
Punkt für Punkt bin ich dabei: auch als (Alt-) Reformierter.
Eine kräftige kerygmatische Verkündigung.
Mit dieser Impetus wird das Wort unseres HERRN wahr.
Parrhesia in der Nähe von Kohlbrügges Wirkungsort,
nahe der Entstehungsort des
(Barthianische) Barmer Bekenntnis – wohltuend.
Unspektakulär und doch wirkmächtig.
Prächtig.
(Über ein Bildsuche (Vanitas – Lavater) auf Ihr HP gelandet.)