Die vorgeschlagenen Optionen zur Lösung der Griechischen Staatschuldenkrise sind sehr unterschiedlich: weitere Hilfsprogramme und Reformen, der Ausstieg aus dem Euro, ein Schuldenschnitt? Es scheint kein Patentrezept zu geben. Nach der Wahl in Griechenland sind die Fronten verhärtet. Während des Wahlkampfs hat Alex Tsipras, der heutige Regierungschef Griechenlands einen klaren Schuldenschnitt verlangt, da das Land unter der Zinslast zusammenbräche. Griechenland sitzt auf einem Schuldenberg von über 318.000.000.000 Euro1) und bezahlt dafür ca. 2,4% Zinsen.2) Die Geldgeber, vor allem die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) weisen hingegen darauf hin, dass Griechenland die Kredite bereits zu einem politischen Vorzugszins erhalte.3)
Verarmung und Zinsverbot
Wenn man von „Zins“ spricht, meint man den Preis, den ein Schuldner für die Zurverfügungstelllung von Geld zahlen muss. Im Angesicht der Krise Griechenlands und dessen de facto Staatspleite lässt sich fragen, ob es gerecht ist, dass ein Staat der zum Überleben am Kredittropf hängt, dafür Gebühren bezahlen muss. Das Buch Levitikus kennt für den Fall der Verarmung eines Israeliten eine klare Gesetzgebung: Wer verarmt, erhält einen Kredit ohne Zinsen zahlen zu müssen:
Wenn dein Bruder verarmt und sich neben dir nicht halten kann, sollst du ihn, auch einen Fremden oder Halbbürger, unterstützen, damit er neben dir leben kann. Nimm von ihm keinen Zins und Wucher! Fürchte deinen Gott und dein Bruder soll neben dir leben können.
Diese Bibelstelle zielt auf ein Solidarität innerhalb des Volkes Israel: Keiner soll seiner Armut überlassen werden. Die Armut wird sehr plastisch beschrieben. Das hier mit „verarmt“ übersetzte hebräische Wort ימוך (gesprochen: jamuch) ist ein sehr plastischer Ausdruck und bedeutet „herunterkommen“: der soziale Abstieg. Dieses Bild wird umso deutlicher im Fortgang des Verses: „und sich neben dir nicht halten kann“. Wörtlich übersetzt heißt es: „und seine Hand ins Wanken gerät bei dir“. Die Hand ist hierbei das Symbol für die Selbständigkeit und eigene Handlungsfähigkeit. Der Arme verliert seine Handlungsfähigkeit und ist auf die Hilfshandlung eines Anderen angewiesen, der ihm durch seine Unterstützung das Leben ermöglichen soll; nicht nur das Überleben an sich sondern das Leben im Schutz des Anderen („neben dir“). Das biblische Gesetz stellt den Armen in den Verantwortungsbereich des Helfenden.
Der arme Schuldner
Wer ist nun der Bruder und wer ist der zur Hilfe Verpflichtete? Die Bezeichnung „Bruder“ bezeichnet im Kontext des Buches Levitikus nicht nur den Bruder im familiären Sinn: Das Volk Israel wird als Familiensippe verstanden. Das Gesetz zielt auf die Solidarität der Israeliten untereinander. Aber der Text geht noch einen Schritt weiter: „auch einen Fremden oder Halbbürger“ soll man unterstützen, wenn er verarmt. Die Begriffe „Fremder“ und „Halbbürger“ bezeichnen eindeutig Nichtisraeliten. Das Gesetz fordert somit Solidarität und Hilfe auch über die Grenze des eigenen Volkes hinweg – und die Solidarität und Hilfe findet ihren Ausdruck darin, dass ein Kredit ohne Zinsen vergeben werden soll.
Gemäß der Einheitsübersetzung darf der Kreditgeber keinen „Zins und Wucher“4) nehmen. Ob die Hebräische Sprache ein Wort für „Wucher“ besitzt, ist umstritten. Wenn man die beiden verwendeten hebräischen Worte נשך (gesprochen: neschech) und תרבית (gesprochen: tarbit) betrachtet, scheint es sich eher um verschiedene Konzepte der Zinsnahme zu handeln. Das erste Wort leitet sich von dem Verb „abbeißen“ ab und das zweite Wort von dem Verb „vermehren“. Es wird vermutet, dass im Falle von נשך-Zinsen bei der Vergabe des Kredits ein bereits um die Zinsen verringerter Betrag ausgezahlt wurde – sozusagen bereits etwas „abgebissen“ wurde –, während jedoch bei Abbezahlung der vollständige Kreditbetrag zurückgezahlt werden musste. תרבית-Zinsen stellen wohl hingegen die heute bekannte Form von Zinsen dar: Der Kreditbetrag muss mit einem Zuschlag – also vermehrt – zurückgezahlt werden. In der Bibelstelle wird somit deutlich, dass auf keine Weise dem Kreditgeber ein Gewinn durch die Kreditvergabe zukommen darf. Der Zweck des Kredites ist nicht der materielle Gewinn des Kreditgebers, sondern der Nutzen für den Kreditempfänger: „damit er neben dir leben kann“.
Die Lösung
Auch Leviticus 25,35-36 löst nicht die Griechische Haushaltskrise: Griechenland ist pleite und trotz der erneuten Verlängerung des Hilfsprogramms um vier Monate, wird mit Sicherheit weiterhin über neue Hilfsprogramme, über den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro und über einen Schuldenschnitt diskutiert werden müssen. Mit der Bibel lässt sich keine Finanzkrise lösen – aber sie kann dazu herausfordern, in der Europäischen Solidaritätsgemeinschaft neu zu überdenken, ob es gerecht ist für Hilfsprogramme Zinsen zu verlangen.
Bildnachweis
„Parthenon“ von Onkel Tuca! – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Staatsverschuldung von Griechenland – das bedeutet: die Staatsverschuldung Griechenlands beträgt ca . 180 % Prozent des Bruttoinlandsproduktes. |
2. | ↑ | Griechenland zahlt weniger Zinsen als der Bund |
3. | ↑ | Zum Vergleich: Deutschlands ausstehende Anleihen weisen durchschnittlich 2,7 % Zins aus. |
4. | ↑ | Der Begriff „Wucher“ enthält eine klare moralische Wertung: ein Zins, der unangemessen hoch ist. Keine moralische Bewertung enthält hingegen der Begriff „Zins“. |