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Sprache ist verräterisch. Immer, wenn in diesen Tagen von der „priesterlichen Lebensform“ die Rede ist, sind die Assoziationen extraterrestrischer Spezies nicht fern, Aliens aus einem anderen Universum, eben außerirdische Lebensformen. Gemeint ist wahrscheinlich die zölibatäre Lebensweise. Eine Weise, zu leben, ist natürlich nicht so besonders, wie eine eigene Lebensform zu sein. Der Klerikalismus treibt viele Blüten – und das nicht erst seit der Entdeckung, dass auch unter den Soutanen die Gnade die Natur voraussetzt. Trotzdem scheint zum Selbstverständnis vieler Priester das Bewusstsein zu gehören, in einen besonderen Stand erhoben worden zu sein, so dem Gewöhnlichen enthoben und über die Moral, die man selbst verkündet, erhaben zu sein.
Walle! Walle …
Wie sehr diese besondere, dem Irdischen so offenkundig entrückte priesterliche Lebensform in der DNA der römisch-katholischen Kirche wirkt, zeigen zwei Zitate des Pfarrers von Ars, die Benedikt XVI in seinem Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ (natürlich hat ein Priester nicht einfach Geburtstag – den haben ja, einem üblichen, von Priestern oft gehörten Bonmot zufolge ja selbst Kühe) von Johannes Maria Vianney, eben des ehemaligen Pfarrers von Ars. Bereits im ersten Abschnitt des Briefes stellt Benedikt XVI fest, dass der Pfarrer von Ars zu sagen pflegte:
„Das Priestertum ist die Liebe des Herzens Jesu.“1)
Wie zentral auch für Benedikt XVI das Priesteramt für die Kirche bei gleichzeitiger Erhabenheit, der die Glaubenden konsequenterweise nur in dankbarer Demut begegnen können, ist, wird schlussendlich in einem längeren Zitat deutlich:
„‚Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein…‘Und als er seinen Gläubigen die Bedeutsamkeit der Sakramente erklärte, sagte er: ‚Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht. Wer hat ihn da in den Tabernakel gesetzt? Der Priester. Wer hat Eure Seele beim ersten Eintritt in das Leben aufgenommen? Der Priester. Wer nährt sie, um ihr die Kraft zu geben, ihre Pilgerschaft zu vollenden? Der Priester. Wer wird sie darauf vorbereiten, vor Gott zu erscheinen, indem er sie zum letzten Mal im Blut Jesu Christi wäscht? Der Priester, immer der Priester. Und wenn diese Seele [durch die Sünde] stirbt, wer wird sie auferwecken, wer wird ihr die Ruhe und den Frieden geben? Wieder der Priester … Nach Gott ist der Priester alles! … Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen.‘“2)
Gott gehorcht dem Priester – diese Hybris muss man erst einmal zustande bringen. Jesu Erwählung entspricht das jedenfalls nicht, denn der mahnt seine Jünger:
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt.
Und weiter:
Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten.
Die Verhältnisse sind also eigentlich eindeutig bestimmt. Jesus richtet das Wort, das den Abschiedsreden im Johannesevangelium entnommen ist, an seine Apostel. Nach römisch-katholischer Auffassung ist Lehre und Vollmacht der Apostel im Bischofsamt aufgehoben. Die Bischöfe geben ihrerseits einen Teil der Vollmachten durch Handauflegung und Gebet3) an die Priester weiter, die diese primär als Mitarbeiter des Bischofs, dem sie durch Treueeid verbunden sind, ausüben. Insofern gilt das an die Apostel gerichtete Wort Jesu auch ihnen: Nicht Gott gehorcht dem Wort der Priester, sondern der Priester hat dem Wort des Herrn zu folgen.
Wieso Knecht sein, wenn man herrschen kann?
Das Knechtsein ist dem Menschen in der Regel nicht angenehm. Die demütige Rede vom Dienst, den viele Geweihte eilfertig im Munde führen, kaschiert denn meist auch, dass sie gerne Herren über den Glauben der Menschen sind. Genau das intendiert ja auch das obige Zitat des Pfarrers von Ars. Alles kreist um den Priester, der sich durch die Weihe vom Knecht zu einer neuen Lebensform gewandelt hat, auf deren Wort sogar Gott hört. Überwältigt von der eigenen Hochwürde vergisst er, wo sein Platz ist. Es ergeht ihm wie dem alten Besen in Goethes Zauberlehrling:
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!
Anders dagegen sieht die Wandlung vom Knecht zum Freund bei Jesus in den zitierten Abschiedsworten an seine Jünger aus. Als von ihm erwählte Freunde partizipieren sie an seinem Schicksal:
Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.
Genau diesem Schicksal wollen aber bereits die Apostel Jesu zu dessen Lebzeiten entgehen. Ihn deutlich missverstehend verteilen sie nämlich schon einmal die besten Posten im Reich Gottes unter sich:
Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr auf dem Weg gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten auf dem Weg miteinander darüber gesprochen, wer der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.
Deshalb nennen sich die Päpste dem Wort des Herrn folgend, wenn sie erhöht auf der Kathedra sitzen auch gerne Diener der Diener aller …
Lippendiener
Mit den Lippen lässt sich leicht Demut heucheln. Die Versuchung der Macht ist einfach zu groß. So wie die Gnade die Natur voraussetzt, so sind auch die Apostel und ihre durch Handauflegung und Gebet bestellten Nachfolger nie frei von rein irdischen Machtgelüsten. Das muss schon Jesus selbst erfahren, als sich – zumindest in der Dramaturgie des Markusevangeliums – schon kurz nach seiner Mahnung, Erster sei der, der der Diener aller sei – zwei seiner Apostel eilfertig und sicher mit der nötigen äußeren Demut an ihn wenden:
Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst. Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deiner Herrlichkeit einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen! Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde? Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die es bestimmt ist. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.
Echte Nachfolge Jesu ereignet sich also in echter Demut, echtem Dienst, echter Hingabe. Das konsequente Schicksal Jesus, das sich im Kreuzestod zeigt, ist der alleinige Maßstab. Jedwede Herrschaft, die nur mit den Lippen demütig ist und von einem Dienst des Leitens redet, als ginge es nicht um Macht, verrät nicht nur die Botschaft Jesu; sie schafft sogar eigene Maßstäbe und lässt Jesus einen netten Mann sein, ein Herrgottchen, das aufs Wort gehorcht. Wo ist der Pantokrator, wenn man ihn mal braucht?! – möchte man da haareraufend ausrufen! Was habt ihr aus den Tempeln des Heiligen Geistes gemacht? Seilschaften, Machtgerangel, kleidertragende Männer, die die Capa magna wie Karnevalskostüme tragen, eitle Gestentänzer im Haus des Herrn, bei denen das Volk zu Zuschauern degradiert wird, zu Antwortgebern, damit das heilige Spiel fortläuft mit Priester in der Mitte – Priestern, die vorgeben, in der Person Christi zu handeln, sich aber wohl längst an seine Stelle gesetzt haben.
Platzhalter
Die Gefahr, dass der Priester sich mit Christus selbst verwechselt, ist groß. Sie findet sogar, wie so oft, eine biblische Begründung. Es heißt doch im 2. Korintherbrief:
Wir sind also Gesandte an Christi statt und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!
Kontextlos liest sich der Satz tatsächlich, als würden die, die an Christi statt handeln, als exklusive Werkzeuge Gottes agieren. Freilich zeigt das einleitende „also“ bzw. „daher“ (οὖν – gesprochen: oûn) einen Zusammenhang mit dem vorhergehenden Kontext an, als dessen Schlussfolgerung der Satz fungiert:
Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat.
Das Handeln „an Christi statt“ ergibt sich aus dem „Sein in Christus“. Erst, wenn man sich vollständig vom Alten verabschiedet hat und Neues geworden ist, kann das Versöhnungswerk Gottes in Christus verstanden werden. Es ist das Versöhnungswerk, das in Kreuzestod und Auferstehung Christi sichtbar wird – jenem Kelch, den die Nachfolger Jesu, wenn sie seine Minister sein wollen, ebenfalls trinken müssen. Niemand, der auf einem Thron sitzt und sich den Ring küssen lässt, nimmt ein Kreuz auf sich. Niemand, der in einen Stand erhoben wurde, hat sich wie der Menschensohn erniedrigt. Niemand, der aus Handauflegung und Gebet das Privileg der Macht ableitet, kann Diener der Diener sein. Sie handeln eben nicht an Christi statt, sondern haben ihn verdrängt und sich auf seinen Platz gesetzt.
Nomen est omen
Paulus selbst hat da wohl einen Lernprozess hinter sich. Während er angesichts eines tiefgreifenden Konfliktes mit der korinthischen Gemeinde in 2 Korinther 5,20 die kommunikative Form einer Bitte wählt, kann er der Gemeinde im 1. Korintherbrief ebenfalls in einer konfliktiven Situation noch mit dem Stock drohen:
Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und im Geist der Sanftmut?
Solches demütigendes statt demütiges Reden kam freilich vor 2.000 Jahren in Gemeinden nicht gut an, selbst wenn es sich um den Gründungsvater der Gemeinde handelte. Aber Paulus lernt, so dass er im 2. Korintherbrief feststellt:
Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.
Solche Einsichten findet man heute bestenfalls in Lippenbekenntnissen. Statt von Mitarbeitern sprechen selbst Priester von Untergebenen, deren Vorgesetzter sie sind. Manch einer scheut sich nicht, seine Leitungsposition immer wieder lautstark zu betonen und – wenn es sein muss – auch mal, indem er mit der Faust auf den Tisch schlägt. Sie lassen sich – auch wenn „Hochwürden“ heute aus der Mode gekommen ist, – immer noch als (heiliger) Vater, Pater, Pastor und Hirte anreden. Das sind alles komplementäre Beziehungsdefinitionen, die das Gegenüber degradieren, in einen niederen Stand versetzen und de facto abwerten. Wie kann es sonst sein, dass die Versetzung in den Laienstand für Geweihte als Höchststrafe gilt – wobei sie die Weihe als solches gar nicht verlieren4). Dabei mahnt Jesus seine Jünger in den Wehereden gegen die religiösen Führer seiner Zeit ausdrücklich:
Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein.
Da ist sie wieder, die Aufforderung, Diener zu sein, die viele Kleriker so gerne missbrauchen, um den Missbrauch der Macht zu kaschieren. Oft kann man dann förmlich sehen, wie der Dienst der Leitung und die Bürde der Macht sie niederdrückt – und sie sich doch als Lehrer, Vater und Pastor anreden lassen. Letzteres geschieht sogar angesichts des Missbrauchsskandals, wenn der neu ernannte und geweihte Bischof von Hildesheim angesichts der Ungeheuerlichkeit des Skandals feststellt:
„Das Bild des guten Hirten hat tiefe Risse erhalten. Es ist ein großer Schadensbefund, der uns dazu auffordern muss, die Bedingungen und Strukturen zu überdenken, unter denen der Dienst des Priesters ausgeübt wird. Ich meine damit besonders Auswüchse von priesterlicher Macht in unserer Kirche, die ich für schädlich halte. Die Studie stellt ganz deutlich fest: Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch hängen klar zusammen.“5)
Wenn ich einen Klerikalen vor mir habe, werde ich im Nu zum Antiklerikalen. Franziskus (Bischof von Rom)
Zurechtrückungen
Auch hier findet man also noch die Totalidentifikation des Priesters mit Christus – eben Totalidentifikation, nicht Handeln an Christi statt. Der Priester erscheint als guter Hirte. Dabei heißt es doch im Hebräerbrief:
Der Gott des Friedens aber, der Jesus, unseren Herrn, den erhabenen Hirten der Schafe, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut eines ewigen Bundes, er mache euch tüchtig in allem Guten, damit ihr seinen Willen tut.
Tatsächlich gilt das Hirtenbild hier exklusiv. Es ist nicht übertragbar. Ebenso spricht der Hebräerbrief nur von einem einzigen wahren Priester:
Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten.
Er allein ist, es, der Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks und nicht Aarons ist (vgl. Hebräer 7,11-28). Und da gibt es nur einen einzigen wahren Priester, der Jesus selbst ist:
Denn es wird bezeugt: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks.
Der Satz findet sich als biblischer Mottospruch auf zahlreichen Karten, mit denen zur Priesterweihe eingeladen wird. Dort ist er reichlich fehl am Platz, bezieht er sich ja gerade nicht auf das Weihepriestertum, sondern auf Jesus Christus als einzig wahrem Hohepriester, der einen neuen Bund begründet. Niemand kann sich nach biblischem Zeugnis ohne Schaden darauf berufen, an der Stelle Christi zu stehen. An seiner statt zu handeln, darf nie heißen, ihn zu ersetzen. Er allein ist der gute Hirte und nicht Bischöfe oder Priester, die biblisch gar nicht bezeugt sind. Bei dem sehr wohl biblisch bezeugten Bischofsamt haben die frühen Christen sich wohl etwas dabei gedacht, dass sie für dessen Amtsbezeichnung einen Begriff aus dem hellenistischen Verwaltungswesen übernommen haben: ἐπίσκοπος (gesprochen: epískopos). Das Wort, von dem sich auch das deutsche „Bischof“ ableitet, heißt wörtlich übersetzt: Aufseher im Sinne eines Amtsleiters. Das ist zu profan um geistlich hochwürdig sein zu können.
Kehraus
Der Klerikalismus treibt wahrlich viele Blüten. Eilfertig reden jetzt selbst die Priester von der notwendigen Entklerikalisierung, die sich sonst genussvoll als „Herr Pastor“ anreden lassen. Es ist chic, antiklerikal zu sein. Aber sind die Bekenntnisse auch ernst gemeint? Die Taten werden es zeigen, denn die in der Selbstüberhöhung liegenden Versuchungen führen zu vielfältigem Missbrauch. Der sexuelle Missbrauch hat hier seine Wurzeln, wie die eindrücklichen Erinnerungen der ehemaligen Ordensschwester Doris Wagner zeigen, die als Nonne von einem Ordenspriester vergewaltigt wurde:
„Ich glaubte fest daran, dass alles, was der Papst und die Bischöfe lehrten, wahr war. Alles Übel in der Kirche rührte daher, dass so viele Gläubige nicht auf ihre Hirten hörten.“6)
Er zeigt sich aber auch da, wo Pfarrer statt Ermöglicher zu sein, wie es mittlerweile in vielen Papieren gefordert wird, immer noch nach eigenem Gutdünken und oft ohne Argumente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eher beherrschen als leiten. Sie zeigt sich da, wo von Charismenorientierung geredet wird (was auch immer dieser Begriff meint) und dann doch nur das Leitungscharisma einer priesterlichen Lebensform gilt. Wo nur Priester, Priester, Priester gilt, hat der Geist nicht nur keinen Raum mehr, der Kirche Atem zu verleihen; es zeigt sich auch, dass die Kirche gewissermaßen gentechnisch verändert wurde. Ihre Ur-DNA sieht nämlich Christus in der Mitte, an dessen Stelle nichts und niemand anderes stehen darf. Er ist der einzige Hirte, der wahre Priester, der einzige Mittler zwischen Gott und Menschen. Nur von hierher kann die eigentliche Funktion der Amtsträger definiert werden:
Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur vorherbestimmten Zeit, als dessen Verkünder und Apostel ich eingesetzt wurde – ich sage die Wahrheit und lüge nicht – , als Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit.
Woher kommt uns Hilfe?
Goethes Zauberlehrling rettet der Meister, der die alten Besten auf ihre Plätze verweist:
“In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.”
Es ist wohl an der Zeit, dem Meister selbst zu lauschen. Jesus aber mahnt, niemanden Vater und Lehrer zu nennen – außer Gott. Die Gefahr und Auswüchse des Klerikalismus zu bannen, fängt bei jeder und jedem Einzelnen an. Hören wir auf, die Priester als Hirten oder Pastöre anzureden. Hören wir auf, die Ringe zu küssen. Hören wir mit der falschen Demut auf, weil wir keine Priester sind, sind wir doch in der Taufe Christus gleichgestaltet worden. Mehr geht nicht – auch nicht durch die Priesterweihe. Ja – auch den Papst dürfte man nicht mehr heiliger Vater nennen, wenn man mit den Worten des wahren Meisters ernst macht. Priester sind auch und zuallererst Menschen. Und sie sollten es bleiben, also eine ganz normale Lebensform, wie sie zur Erde gehört – auch wenn Ihr das noch in zölibatärer Weise tut …
Einzelnachweis
1. | ↑ | Zitiert nach Benedikt XVI, Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ von Johannes Maria Vianney, Vatikan 2009 (Quelle: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html#_ftnref2 [Stand: 30. September 2018] – darin als Quellenangabe (Fußnote 2): „Le Sacerdoce, c’est l’amour du cœur de Jésus” (in Le curé d’Ars. Sa pensée – Son cœur. Présantés par l’Abbé Bernard Nodet, éd. Xavier Mappus, Foi Vivante, 1966, S. 98). In der Folge: Nodet. Dieser Satz ist unter der Nummer 1589 auch im Katechismus der Katholischen Kirche zitiert.“ |
2. | ↑ | Zitiert nach Benedikt XVI, Schreiben zum Beginn des Priesterjahres anlässlich des 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ von Johannes Maria Vianney, Vatikan 2009 (Quelle: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html#_ftnref2 [Stand: 30. September 2018] – darin als Quellenangabe (Fußnote 4): „Le Sacerdoce, c’est l’amour du cœur de Jésus” (in Le curé d’Ars. Sa pensée – Son cœur. Présantés par l’Abbé Bernard Nodet, éd. Xavier Mappus, Foi Vivante, 1966, S. 97) und später Fußnote 5 ebd., S. 98-99. |
3. | ↑ | Zur Weitergabe von Vollmachten bzw. Beauftragungen durch Handauflegung und Gebet siehe etwa Apostelgeschichte 13,3, 1 Timotheus 4,14; 5,22 oder 2 Timotheus 1,6; auch die Beauftragung der sieben Diakone in der Apostelgeschichte vollzieht sich durch Handauflegung und Gebet (vgl. Apostelgeschichte 6,6). |
4. | ↑ | Vgl. hierzu https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Missbrauch-Wie-es-mit-schuldigen-Priestern-weitergeht-id28722982.html [Stand: 30. September 2018]. |
5. | ↑ | Statement von Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ zu den Ergebnissen der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie), Hildesheim, 25.9.2018, Quelle: https://www.bistum-hildesheim.de/fileadmin/dateien/PDFs/missbrauch/Statement_Bischof_mhg-Studie.pdf [Stand: 30. September 2018]. |
6. | ↑ | Zitiert nach Evelyn Finger, Wolfgang Thielmann, Veronika Völlinger, Marc Widmann, Das Schweigen, in: Zeit online, 26.9.2018, Quelle: https://www.zeit.de/2018/40/katholische-kirche-sexueller-missbrauch-schweigen-deutschland/komplettansicht [Stand: 30. September 2018]. |
Danke für Ihre erklärenden, engagierten und offenen Worte! Die Tage erzählte mir jemand, dass einem Biologielehrer an einer kath. Schule gekündigt wurde, weil er seinen Freund geheiratet hat! Und das heute! Zur gleichen Zeit mit der immer noch nicht wirklich aus tiefem Herzen bedauerten Missbräuche und Irrwege und dem fehlenden, unmissverständlichen Willen zum Dienen! Und dem Wissen, wie es mit diesem Thema in den eigenen Reihen aussieht und wie verlogen und überheblich auch hier der Umgang mit den Menschen ist. Ich verstehe die Wut vieler Menschen, die sich um ihren „Gebet – und Glaubensraum“ betrogen fühlen und der Institution den Rücken kehren. Wie soll die Rückbesinnung geschehen! Alles weg und nochmal von vorn ……..???? Erleben wir das noch?
Der Priester – Als Makler Gottes?
Waren die “Kleriker” früher wirklich der Meinung, dass eine Seele nur Dank der Vermittlung eines Priesters in den Himmel “springt”?
Ohne Priester kein Himmel – Sondern die Hölle?
Sind es nicht die Taten und Handlungen der Seelen, die das Tor zum Himmel öffnen?
Heute im Evangelim:
“Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als das ein Reicher in den Himmel kommt!”
Für mich haben Makler einen eher negativen Ruf. Die machen nur etwas, wenn eine Maklergebühr herausspringt! Also besteht die Gefahr, wenn ein Priester der Vermittler ist, das ein Preis in Münzen zu bezahlen ist. Die Gefahr besteht dass gute Taten nicht umgemünzt. das heisst in bare Münzen verwandelt werden können.
Ich muss schmunzeln beim Gedanken, dass heute gute Taten einer Seele in einer Art App vermerkt, ebenso die Schlechten!
Ich hoffe nicht, dass die digitale Revolution im Himmel noch nicht Einzug gehalten hat.
Aus aktuellem Anlass aus Bayer fällt mir die die Geschichte eine Münchners ein der in den Himmel kommt!
Oder auf Gott kann sich die CSU beim Wähler nicht mehr verlassen!