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Christlicher Glaube ereignet sich im Widerspruch. Das Paradox gehört zum Wesen des christlichen Glaubens. Wer nur oberflächlich auf den Glauben schaut, wird an den immanenten Paradoxa scheitern. Die Allmacht Gottes etwa erweist sich nur dann als vollständig allmächtig, wenn sie auch die Ohnmacht einschließt. Wäre ein allmächtiger Gott nicht zugleich auch ohnmächtig, könnte er etwas nicht; folglich wäre er eben nicht allmächtig.
Allein dieses einfache Denkbeispiel zeigt schon, wie sehr diejenigen, die glauben, den Glauben eben auch mit dem Verstand durchdringen müssen. Wer bloß glauben möchte, wird sich nur allzu schnell in die Widersprüche verwickeln, die ihm die Religionskritik nicht ohne intellektuelles Recht als Spiegel vorhält. Die Konsequenz besteht dann entweder im Sieg des Zweifels, der in die Verzweiflung am Glauben führt, oder der Rückzug von einer verzweifelten Welt in die vielfältigen Formen eines sich als vermeintlich glaubenssicher tarnenden, letztlich aber infantil bleibenden Fundamentalismus, der unfähig ist, sich mit der Welt und ihren Fragen intellektuell auseinandersetzen und bereits hier schon an der Mahnung des 1. Petrusbriefes scheitert:
Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt. 1 Petrus 3,15
Allzeit bereit!
Der griechische Text verwendet für das mit „Rechenschaft“ übersetzte Wort den Terminus ἀπολογία (gesprochen: apología). Der Begriff entstammt dem Gerichtswesen und meint nicht nur „Rechenschaft“, sondern auch „Verteidigung“. Vor Gericht geht es nicht um das, was man glauben möchte oder persönlich schön findet. Vor Gericht geht es um die Wahrheitsfindung auf der Basis von Zahlen, Daten und Fakten und deren Auswertung mit den Mitteln der Logik und Vernunft.
Wenn der Autor des 1. Petrusbriefes seine Adressaten daran erinnert, allzeit bereit (ἕτοιμοι ἀεί – gesprochen: hétoimoi aeí) bereit zu sein, ausnahmslos jedem (παντί – gesprochen: pantí) Rechenschaft über die eigene Hoffnung abzulegen, dann verweist er in der Tat nicht nur auf die intellektuelle Redlichkeit des Glaubens, sondern auch auf die Notwendigkeit, diesen mit den Mitteln der Rhetorik, der Vernunft und bisweilen auch der Logik gegen Anfragen zu verteidigen. Ein banales „Das muss man halt glauben“ verbietet sich nicht nur; es hat vor dem Gerichtshof der Öffentlichkeit auch keinen Bestand.
Der Glaube im Lichte intellektueller Redlichkeit
Die Verkündigung des Glaubens ist also schon aus neutestamentlicher Sicht eine Herausforderung, die sich nicht vor der intellektuellen Redlichkeit verstecken darf. Der Glaube muss verstanden werden. Erst dann kann man fest in ihm stehen1). Nicht ohne Grund erinnert Paulus gerade auch im Konflikt an diese Notwendigkeit:
Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest. 2 Korinther 1,24
Gleichzeitig kann er sie auch angesichts der dem christlichen Glauben eigenen Paradoxa mahnend fragen:
Fragt euch selbst, ob ihr im Glauben seid, prüft euch selbst! Erfahrt ihr nicht an euch selbst, dass Jesus Christus in euch ist? Sonst hättet ihr ja schon versagt. 2 Korinther 13,5
Hintergrund der im Ton harschen Anfrage des Paulus an die korinthische Gemeinde ist ein Misstrauen wenigstens eines Teils der Gemeinde ihm gegenüber:
Denn ihr verlangt einen Beweis dafür, dass durch mich Christus spricht, der nicht in seiner Schwachheit, sondern in seiner Kraft unter euch wirkt. Zwar wurde er in seiner Schwachheit gekreuzigt, aber er lebt aus Gottes Kraft. Auch wir sind schwach in ihm, aber wir werden zusammen mit ihm vor euren Augen aus Gottes Kraft leben. 2 Korinther 13,3-4
Das Paradox von Kraft in Schwachheit erschließt sich wohl nicht nur den Korinther nicht auf den ersten Blick. Dabei hat es einen tiefen Grund im Glauben selbst, mit dem die Korinther sich wohl immer wieder auseinandergesetzt haben und mit dem sie sich wohl fundamental schwergetan haben. Es ist das Paradox der Auferstehung des Gekreuzigten, das streng genommen ein doppeltes Paradox ist.
Wer nicht glauben kann, muss hören
Fast 2000 Jahre nach Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi hat sich die Christenheit an die intellektuelle Herausforderung des Auferstehungsglaubens gewöhnt. Dabei ist allein schon die Behauptung der Auferstehung in sich eine starke Anfrage an jeden vernünftigen Menschen, widerspricht die Wiederkehr von Toten doch grundständig jeder menschlichen Erfahrung. Gleichwohl besteht Paulus darauf, dass es gerade die Auferstehung des Gekreuzigten ist, die die schlechthinnige Basis des christlichen Glaubens ist:
Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube. 1 Korinther 15,14
Und wenige Verse später:
Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. 1 Korinther 15,17-18
Es ist offenkundig, dass die paulinische Verkündigung der Auferstehung des Gekreuzigten bei mindestens einem Teil der Gemeinde auf Skepsis gestoßen ist. Zurecht verweigern sie sich, einfach zu glauben. Sie wollen Beweise, Argumente, Wissen, Zeugen – eben Zahlen, Daten, Fakten.
Beweisaufnahme
Paulus redet sich nicht heraus. Er begegnet den Skeptikern mit den Mitteln der Vernunft:
Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet werden, wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündet habe, es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen. Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Zuletzt erschien er auch mir, gleichsam der Missgeburt. Denn ich bin der Geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht – nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir. Ob nun ich verkünde oder die anderen: Das ist unsere Botschaft und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt. 1 Korinther 15,1-11
Zuerst erinnert Paulus die Korinther an den Grund, auf dem sie stehen. Die Wortwahl erinnert an das „Feststehen“, das nicht nur in Jesaja 7,9 an die besondere Bedeutung des Glaubens erinnert2), sondern auf das sich Paulus eben auch in 2 Korinther 1,24 beziehen wird. Gleichzeitig betont er, dass die Korinther diesen Glauben, der eben mehr als bloßes Fürwahrhalten, sondern zutiefst Ergebnis eines Erkenntnisprozesses ist, eben nicht unüberlegt angenommen haben. Die Wendung ἐκτός εἰ μὴ εἰκῇ ἐπιστεύσατε (gesprochen: ektós ei mè eikê episteysate), die wörtlich übersetzt
außer wenn ihr umsonst gläubig geworden wärt 1 Korinther 15,2 (Übersetzung Werner Kleine)
heißt, baut mehr als einen bloß rhetorischen Gegensatz auf. Sie erinnert auch an die Notwendigkeit eines reflektierten Glaubens.
Deshalb erinnert Paulus die Korinther an das Glaubensbekenntnis, von dem er betont, dass er überliefert habe, was auch er empfing. Es ist eben einfach nur sein Bekenntnis. Er hat es schon vorgefunden. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die relative Chronologie der paulinischen Biographie, dann muss dieses Bekenntnis, das er in 1 Korinther 15,3-5 präsentiert, schon vor seiner Bekehrung vor Damaskus existiert haben. Es hat also seinen Ursprung wenige Jahre, wenn nicht Monate nach den in diesem Bekenntnis dargestellten Ereignissen.
ZDF - Zahlen, Daten, Fakten
Ausgangspunkt des Bekenntnisses ist der Tod Jesu, der hier als „Sterben für unsere Sünden“ dargestellt wird (vgl. 1 Korinther 15,3). Ein expliziter Hinweis auf den Kreuzestod fehlt zwar auf den ersten Blick. Berücksichtigt man aber, dass der Tod am Kreuz mit Verweis auf Deuteronomium 21,23 in sich als Fluch- bzw. Sündertod galt, dann kann die Wendung „Sterben für unsere Sünden“ als wenig subtiler Hinweis auf den Kreuzestod verstanden werden. Ähnlich drückt Paulus sich auch aus, wenn er auf die Bedeutung des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu zu sprechen kommt:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. 2 Korinther 5,21
Der Tod am Kreuz ist ein historisches Faktum, dass durch den Hinweis auf das Begrabenwerden noch unterstrichen wird. Bis hierher können sicher auch Ungläubige noch mitgehen, denn der Tod Jesu ist auch außerbiblisch bezeugt, etwa in den Annalen des Tacitus3) oder bei Flavius Josephus4).
Schwieriger wird es mit der behaupteten Auferweckung am dritten Tag. Um sie vor dem Gerichtshof der Vernunft glaubhaft erscheinen zu lassen, bedarf es entweder harter Beweise oder eben glaubwürdiger Zeugen.
Paulus entscheidet sich für den zweiten Weg. Er benennt insgesamt über 513 Zeugen, wobei er gleich zweimal den Zwölferkreis erwähnt, einmal mit Kephas – das ist das hebräische Äquivalent des vertrauter klingenden Namens Petrus – und einmal mit Jakobus als Protagonisten, und einmal sich selbst. Bemerkenswerterweise stützt er seine Beweisführung aber weder auf sein eigenes Zeugnis noch auf das des Zwölferkreises. Der Grund liegt in der Beweiskraft. Ihm selbst könnte man gerade angesichts der vorhandenen Skepsis eben doch Voreingenommenheit unterstellen; trotzdem bringt er sich selbst ins Spiel, weil er gerade auf der persönlichen Offenbarung und Begegnung mit dem Auferstandenen seinen eigenen apostolischen Anspruch aufbaut (vgl. etwa 1 Korinther 1,1; 2 Korinther 1,1; vor allem aber Galater 1,1).
Auch der Zwölferkreis ist – so merkwürdig es aus der Perspektive der Gegenwart, in der die Kirche in den Zwölfen doch die Garanten des Glaubens schlechthin sieht – zeitgenössisch wohl anfragbar gewesen: Sind die, die zum engsten Kreis Jesu gehört haben, nicht doch zu parteiisch, ja vielleicht sogar Verschwörer? Der Vorwurf, der im Zusammenhang mit der matthäischen Erzählung vom leeren Grab überliefert wird, deutet an, dass ein solcher Verdacht durchaus im Raum stand:
Am nächsten Tag gingen die Hohepriester und die Pharisäer gemeinsam zu Pilatus; es war der Tag nach dem Rüsttag. Sie sagten: Herr, es fiel uns ein, dass dieser Betrüger, als er noch lebte, behauptet hat: Ich werde nach drei Tagen auferstehen. Gib also den Befehl, dass das Grab bis zum dritten Tag bewacht wird! Sonst könnten seine Jünger kommen, ihn stehlen und dem Volk sagen: Er ist von den Toten auferstanden. Und dieser letzte Betrug wäre noch schlimmer als alles zuvor. Pilatus antwortete ihnen: Ihr sollt eine Wache haben. Geht und sichert das Grab, so gut ihr könnt! Darauf gingen sie, um das Grab zu sichern. Sie versiegelten den Eingang und ließen die Wache dort. Matthäus 27,62-66
Es sind daher die von Paulus in 1 Korinther 15,6 erwähnten über fünfhundert Brüder, denen der Auferstandene zugleich erschien. Das „zugleich“ (ἐφάπαξ – gesprochen: ephápax) schließt aus, dass es sich hier um eine Einbildung Einzelner gehandelt haben könnte. Eine Massenpsychose wäre zwar möglich; aber kann dann ein übereinstimmendes Zeugnis entstehen, um das es Paulus hier geht? Er erwähnt ja nicht ohne Grund, dass die meisten noch am Leben, mithin also von den Korinthern selbst befragbar sind.
Ob die Korinther von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, ist nicht überliefert. Unwahrscheinlich ist das angesichts der in der Gemeinde herrschenden Skepsis Paulus gegenüber, die in beiden kanonischen Korintherbriefen immer wieder aufscheint, nicht. Wie auch immer: Die über fünfhundert Brüder sind die Hauptzeugen für die Tatsächlichkeit der Auferstehung Jesu. Da es einen 2. Korintherbrief gibt, in dem das Thema als solches erledigt zu sein scheint, denn Paulus beruft sich in 2 Korinther 5,1-10 auf eine Auferstehung im Tode, die ja in 1 Korinther 15 noch „bewiesen“ werden muss, kann davon ausgegangen werden, dass die „Beweisaufnahme“ des Paulus zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Faktisch hätte nach antiken Maßstäben bereits das übereinstimmende Zeugnis von zehn gerechten Männern genügt. Paulus bietet also einen mehr als überwältigenden Beleg für die Tatsächlichkeit der Auferstehung an.
Das doppelte Paradox
Trotzdem bleibt die Auferstehung des Gekreuzigten eine Herausforderung für jeden vernünftigen Menschen. Wer sie nicht glauben kann, hat sicher gute Gründe dafür – allein die allgemein menschliche Erfahrung scheint auf seiner Seite zu stehen. Und trotzdem bleibt das Zeugnis der von Paulus angeführten über 513 Zeugen, von denen zumindest die zwölf von Jesus erwählten Apostel und Paulus selbst bereit waren, für den Glauben selbst ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Es muss also im Leben dieser Menschen eine so fundamentale Erfahrung gegeben haben, die die damit verbundene Hoffnung, aber auch den Weg in ein neues Leben bewirkt hat.
Erscheint die Auferstehung des Gekreuzigten aber so nicht nur nicht als unvernünftig, sondern kann sogar als historisches Faktum begriffen werden, ergibt sich gleich ein zweites Paradox, das noch viel grundlegender ist. Es besteht eben in der Auferstehung eines Menschen, der am Kreuz starb. Es ist ja gerade das Kreuz, dass den dort Gestorbenen als Gottverlassenen und Verfluchten ausweist, heißt es doch im Buch Deuteronomium:
Ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter. Deuteronomium 21,23b
Die Auferstehung aber kann, so sie sich denn ereignet hat, doch nur mit Gottes Hilfe geschehen sein: Gott allein ist der, der Leben geben kann. Es entsteht somit das Paradox, dass der von Gott Verlassene von eben diesem Gott gerettet wird.
Wie fundamental die Herausforderung dieses Paradoxons ist, weiß auch Paulus, wenn er an die Korinther schreibt:
Wir dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 1 Korinther 1,23-24
Das paradoxe Wesen des christlichen Glaubens
Es ist dieses Urparadox des christlichen Glaubens, das zur Theologie führt. Man kann ein Paradox nicht einfach zu einer Seite hin auflösen, ohne die intellektuelle Redlichkeit zu verlieren. Die Anziehungskraft des Christentums gerade schon in der frühen Zeit bestand doch nicht darin, dass hier einfach Unglaubliches geglaubt wurde. Die Anziehungskraft des Christentums bestand vielmehr in seiner intellektuellen Fähigkeit, das Paradox zu durchdringen – ein Paradox, das doch letztlich sogar in die menschliche Existenz selbst eingeschrieben ist: Kann ein Wesen sich als Krone der Schöpfung begreifen, das im Zustand des Neugeborenseins im Unterschied zur Tierwelt völlig hilflos ist?
Das Neue Testament kennt viele Ansätze, das Paradox zu bewältigen. Vor allem Paulus hat sich intensiv mit ihm befasst. Es war ja wohl gerade der Glaube an einen Gekreuzigten, der ihm vor seiner Bekehrung als blasphemisch erschien. Was auch immer vor Damaskus geschehen ist, es hat Paulus im wahren Sinn des Wortes nicht nur die Augen geöffnet, sondern Erkenntnis verschafft – eine Erkenntnis, die er unter anderem im 2. Korintherbrief auf den Punkt bringt, wenn er schreibt:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. 2 Korinther 5,215)
Hier wird das Paradox nicht nur semantisch auf die Spitze getrieben, wenn der die Sünde, also den Zustand des Gottgetrenntseins, nicht kennt, zur Sünde gemacht wird: Jesus kann die Sünde nicht kennen, weil für Paulus – ungeachtet der in den ersten drei Jahrhunderten diskutierten christologischen Fragen, die sich hieraus ergeben – Gott in Jesus selbst gegenwärtig ist. Er wird gleichwohl zu Sünde gemacht, weil der Tod am Kreuz als Ausweis der Gottverlassenheit erscheint. Als Ziel erscheint die Gerechtigkeit der Menschen vor Gott.
Totalidentifikation
Paulus löst das Paradox nicht wirklich auf. Im Gegenteil: Erst im Paradox kommt der Mensch zu sich selbst. Weil Gott sich in Jesus total mit dem menschlichen Schicksal identifiziert, wird allein schon sichtbar, dass es keine wirkliche Trennung zwischen Gott und Mensch gibt. Gleichwohl erscheinen der Tod und die Sterblichkeit des Menschen aber als Trennungsschicksal. Die Totalidentifikation Gottes in Jesus führt deshalb auch den Tod – aber nicht in irgendeinen, sondern in den Sündertod am Kreuz. Für Paulus ist das eine nicht aufzuhebende Notwendigkeit:
Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 2 Korinther 5,19-20
Erst am Kreuz erweist sich die Identifikation Gottes mit dem Schicksal aller Menschen als wirklich total.
Ist die Identifikation im Tod total, gilt sie – und das gebietet die Logik – auch über den Tod hinaus. Gerade weil Jesus Christus von den Toten aufersteht, ist diese Auferstehung eben prototypisch für alle Menschen. Deshalb kann Paulus schreiben:
Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat. 2 Korinther 5,10
Alle werden zu Gott kommen, um dort im Gericht gerecht gemacht zu werden. Das Gericht Gottes erweist sich eben nicht als Strafgericht, sondern als Aufrichtung der letzten und unaufhebbaren Gerechtigkeit, die allen – und das gilt ohne Ausnahme – gilt.
Das Grab war voll, nun ist es leer ...
Das alles hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Reichen die von Paulus erwähnten Zeugen für eine solche Schlussfolgerung aus? Gibt es denn keine harten Beweise für die Auferstehung?
Man könnte meinen, dass das leere Grab doch Beweis genug sein müsste6). Dabei beruft Paulus sich selbst gar nicht auf das leere Grab. Das lebendige Zeugnis genügt ihm. Trotzdem kennt er aufgrund des Glaubensbekenntnisses, auf das er in 1 Korinther 15,3-5 rekurriert, die Grabtradition. Das „Begrabensein“ ist Teil des Paradoxons, spielt es doch nicht nur auf den Tod an, sondern auch auf eine zutiefst physische Komponente. Der Gekreuzigte, in dem Gott selbst da war, ist wirklich tot. Dabei ist Gott selbst doch unsterblich. Noch ein Paradox …
In der Tradition der Evangelien spielt die Entdeckung des leeren Grabes am Morgen des ersten Tages der Woche eine wichtige Rolle. Dabei fällt aber auf, dass das Grab selbst gar nicht leer ist. Im ältesten Evangelium, dem Markusevangelium ist es gefüllt mit einem Engel, der ein langes weißes Gewand anhat (vgl. Markus 16,5). Er ist es, der die ankommenden Frauen auf die leere Grabstelle hinweist, eine Stelle, die im Johannesevangelium wiederum nicht leer ist, wenn Johannes betont, dass dort die Leinentücher und das Schweißtuch, das um das Haupt Jesu gebunden war, zusammengewickelt da lagen (vgl. Johannes 20,6-7).
Hier wie dort, aber auch im Matthäus- und im Lukasevangelium ist es nicht die Entdeckung des leeren Grabes, die den Glauben an die Auferstehung weckt. Ein leeres Grab beweist eben nichts – nur, dass es leer ist. Es könnte eben viele Gründe für das Leersein geben – eben auch jenen, auf den Matthäus 27,62-66 anspielt, wenn die Gegner Jesu eine Verschwörung der Jünger verhindern wollen. Trotzdem muss das Grab Jesu sicher leer gewesen sein, weil ein vorhandener Leichnam von den Gegnern Jesu sicher als Gegenargument für die Auferstehung angebracht worden wäre. Das Vorhandensein des in Matthäus 27,62ff überlieferten Gerüchtes weist hingegen sogar eher darauf hin, dass das Grab de facto leer war.
Interessanter ist vielmehr, dass das leere Grab dann eben doch gar nicht so leer war. In ihm befinden sich himmlische Boten, die auf eine leere, wie unberührt scheinende Grablege hinweise, oder Leinenbinden, die doch nach der Verwendung an einem Gekreuzigten blutverschmiert sein müssten, jetzt aber sauber und ordentlich daliegen. Das ist das eigentliche Rätsel der Geschichten vom leeren Grab – eine weiteres Paradox, weil das Grab voll war, nun aber wie unberührt erscheint. Was hat es damit auf sich?
Auferstehung im Tod
Die Schilderung führt letztlich vor die Frage, wann sich die Auferstehung von den Toten ereignet. Das von Paulus in 1 Korinther 15,3-5 zitierte Glaubensbekenntnis spricht ja von einer „Auferstehung am dritten Tag nach der Schrift“. Im Lukasevangelium hingegen sagt Jesus zu einem Mitgekreuzigten, der ihn bittet an ihn in seinem Reich zu denken:
Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Lukas 23,43
Die zeitliche Dimension des „Heute“ (σήμερον – gesprochen: sémeron) ist nicht verhandelbar. Es geht von einer Auferstehung im Tode aus.
Ähnlich wird auch Paulus nach einem längeren Ringen zur theologischen Erkenntnis gelangen, dass der Tod selbst der Durchgang zur Auferstehung ist, wenn er an die Korinther schreibt:
Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel. Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. 2 Korinther 5,1-4
Bemerkenswerterweise schreibt Paulus hier nicht von hoffen oder glauben, sondern von Wissen (οἴδαμεν – gesprochen: oídamen). Wer sich auf die mit Zahlen, Daten, Fakten, vor allem aber durch Zeugenaussagen belegte Auferstehung des Gekreuzigten einlässt, der gewinnt Erkenntnis und Wissen – freilich ein Wissen, dass in steter intellektueller Herausforderung mit dem Paradoxen umgehen muss. Gerade das fordert gerade die an Christus Glaubenden, sich immer wieder des Verstandes bedienen zu müssen.
Der Glaube ist ein vernünftiges Abenteuer
In diesem Sinn ist der Glaube ein Abenteuer der Vernunft. Vernunft aber steht nicht für sich, sondern lebt vom Austausch. Der Intellekt braucht das Gegenüber, um sich bewähren zu können, um zu reifen und zu wachsen. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich der Glaube an die Auferstehung des Gekreuzigten gerade aus Begegnungen ergibt. Ein leeres Grab beweist nichts. Die Begegnung mit dem Auferstandenen hingegen ändert für die, die sie erfuhren, alles. Diese Begegnung, die sich am dritten Tag nach dem Kreuzestod ereignete7), wirft aber neue Fragen auf: Wie kann es sein, dass selbst enge Gefährtinnen und Gefährten des irdischen Jesus den Auferstandenen erst auf den zweiten Blick erkennen? Offenbar ist der Leib des Auferstandenen von einer ganz eigenen Qualität, völlig neu, und sie trägt doch die gesamte irdische Identität in sich – ein neues Paradox: Kontinuität in Diskontinuität.
Es wird Zeit, dass die Verkünderinnen und Verkünder wieder mit Verstand das Evangelium der Auferstehung des Gekreuzigten Verkünden. Sie werden auf Widerspruch stoßen, weil das Paradoxe für viele immer noch töricht und ärgerlich ist. Dabei ist allein diese Reaktion schon wieder paradox, wenn man bedenkt, dass Nichtglaubende den christlichen Glauben doch einfach ignorieren könnten, es aber nicht tun. Irgendetwas ist an dieser Botschaft der Auferstehung des Gekreuzigten, dass sie doch betrifft. Diese Chance sollten sich die Verkünderinnen und Verkünder nicht entgehen lassen. Christsein ist nichts für sedative Stuhlkreise. Christsein ist herausfordernd, weckt Zweifel, treibt zur Erkenntnis. Wer so glaubt, der erkennt, dass der Zweifel der Bruder des Glaubens ist. Es lebe das Paradox!
Bildnachweis
Titelbild: TalPassion – Ausschnitt Kreuzigung – Kohlezeichnung auf Jute – 2013 (Annette Marks/Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – alle Rechte vorbehalten.
Bild 1: TalPassion – Kreuzigung – Kohlezeichnung auf Jute 140×280 cm – 2013 (Annette Marks/Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – alle Rechte vorbehalten.
Bild 2: TalPassion – Maria von Magdala – Öl auf Jute 290×160 cm – 2014 (Annette Marks/Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – alle Rechte vorbehalten.
Weitere Informationen zur TalPassion unter www.talpassion.de.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. hierzu auch den Dei-Verbum-Beitrag „Glaube, liberal und konservativ“ von Till Magnus Steiner, Quelle: http://www.dei-verbum.de/glaube-liberal-und-konservativ/ [Stand: 25. März 2018]. |
2. | ↑ | Vgl. hierzu auch den Dei-Verbum-Beitrag „Glaube, liberal und konservativ“ von Till Magnus Steiner, Quelle: http://www.dei-verbum.de/glaube-liberal-und-konservativ/ [Stand: 25. März 2018]. |
3. | ↑ | Tacitus, Annalen 13-16. |
4. | ↑ | Flavius Josephus, Antiquitates 18,63f. |
5. | ↑ | Vgl. hierzu auch Galater 3,13 |
6. | ↑ | Zur Diskussion um das leere Grab siehe auch den lesenswerten Exkurs in Karl Lehmann: Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift. Früheste Christologie, Bekenntnisbildung und Schriftauslegung im lichte von 1 Kor. 15,3-5, Freiburg i.B. 2004, S. 58-63 |
7. | ↑ | Dabei ist zu die jüdische Tageszählung zu beachten. Der Karfreitag ist der erste Tag, der folgende Sabbat der zweite und der Sonntag schließlich der dritte Tag. |
Danke für diese sorgfältig recherchierten Artikel. Ich war bisher ein sehr gläubiger Mensch, mich brachten in den letzten Monaten die Ebooks von Victoria Rationi ins Grübeln, die doch auch viel Wahres (religionskritisches) beinhalten – ich würde mich freuen, wenn Sie ihre Kritikpunkte auch einmal rezensieren (z.B. “der nichtreligiöse gute Mensch”).
MfG Olivia
Vielen Dank für diesen Text. Leider bin ich selbst erheblich verunsichert durch die vor kurzem wieder aufgekommene, meines Erachtens in christlichen Kreisen zu schnell abgehakten “Scheintod”-Hypothese, die im Buch “Kein Tod auf Golgatha” von Johannes Fried erläutert wurde. Das Herausfordernde daran ist ja, dass ein Historiker hier den Text des Johannesevangeliums als historisch glaubwürdig einstuft und gerade an dem Text und nicht gegen ihn medizinisch plausibel bestreitet, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Insofern ist bereits die Aussage “Der Tod am Kreuz ist ein historisches Faktum” zu begründen, wenn der Glaube vor dem “Gerichtshof der Vernunft” (eine sehr schöne Wortschöpfung!) bestehen will. Ich selbst kriege das im Moment nicht gut hin und erlebe damit selbst ein Paradox, auf durchaus quälende Weise; denn jenseits dieses Zweifels glaube ich eine persönliche und innige Jesusbeziehung zu erleben, die mich in den letzten Jahren von Grund auf verändert hat. Allerdings, mein kritischer, psychologisch geschulter Verstand sagt mir auch hier: solches Erleben kann eine Self-Fullfilling-Prophecy sein und auch imaginierte Feen haben z.B. für Psychotherapiepatienten real positive Auswirkungen. Was also, wenn Christus gar nicht am Kreuz gestorben, sondern unbeabsichtigt durch den Lanzenstich in seine Seite gerettet worden ist (Joh 19,34)? Gibt es in der christlichen Apologetik denn eine Begründung dafür, weshalb Jesus schon nach ungewöhnlich kurzer Zeit am Kreuz gestorben sein soll, sehr zur Verwunderung des Pilatus (vgl. Mk 15,44)? Jedenfalls scheint mir der Glaube immer wieder ernsthafte intellektuelle Herausforderungen an uns zu stellen.
Lieber Herr Rode, vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihr Feedback. In der Tat hat das Buch von Johannes Fried für viel Verwirrung gesorgt. Vor allem wird ja immer wieder auf das Renommeé des arrivierten Historikers hingewiesen. Das aber allein ist ja kein ein Argument für die Glaubwürdigkeit seiner Thesen. Ganz im Gegenteil: Johannes Fried ist Mediävist, also Spezialist für die Historie des Mittelalters, jedoch weder für die Antike noch für die Exegese des Neuen Testamentes. Um das nur an einem Beispiel deutlich zu machen: Johannes Fried gibt dem Lanzenstich eine medizinisch relevante Interpretation, der die Pleurahöhle öffnete und so für eine Druckentlastung der Lunge sorgte, wodurch die durch eine postulierte CO2-Vergiftung intendierte Ohnmacht beseitigt werden konnte. In der Tat gibt es das und wird durch eine Punktation tatsächlich terapiert – mit einer kleinen Kanüle und nicht mit einem gut 20cm langen und mehrere cm breiten römischen Pilum. Der Lanzenstich war auch kein kleine Picks, sondern ein tiefer Stich ins Herz – eine Art Todesbeweis, weil man eben auf keinen Fall einen Gekreuzigten davon kommen lassen wollte. Ist es wirklich zu glauben, dass ein Pontius Pilatus, der nach den gängigen historischen Quellen mit äußerster Brutalität gegen Aufständische – und als solcher wurde Jesus ja hingerichtet – vorging, ohne äußeren Nachweis seines Todes den Leichnam freigegeben hätte? Das ist ja das nächste Problem: Dass der Leichname Jesu überhaupt freigegeben wurde – das ist ohne Bestechung gar nicht denkbar … Da wird sich Pilatus mit Sicherheit des Todes Jesu vergewissert haben – mit der üblichen röm. Methode des Lanzenstiches. Aber das geht noch weiter: Wie soll ein schwerst Gefolterter schon nach kurzer Zeit so wiederhergestellt worden sein, dass er die Stadt unbeachtet verlassen kann. Alleine die Nagelung der Beine/Füße verursachte schwerste Nerverschäden, die lebenslang ein “normales” Laufen unmöglich gemacht hätten. Ist es glaubhaft, dass die Jünger Jesu von all dem nichts wissen und von einer Auferstehung fabulieren, für die sie sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen? Kaum!
Wenn man Johannes Fried in Interviews hört, sind da sehr viele Konjunktive, sehr viele “hätte” und “könnte” dabei. Das ist nicht wissenschaftlich. Bei allem Respekt: Aus meiner Sicht als Exeget hat hier ein Historiker sein Renommé auf’s Spiel gesetzt. Ein netter Denkversuch, mehr nicht … Gerade der Tod am Kreuz ist ein erwiesenes historisches Faktum, wird er doch in außerchristlichen Quellen (Flavius Josephus, Tacitus, Plinius, der Jüngere und teilweise auch jüdische) bestätigt. Die Auferstehung mag eine Sache des Glaubens sein (die Paulus ja aber eben versucht, glaubhaft zu machen …); der Kreuzestod Jesu ist es gerade nicht. Er ist historisch greifbar. Da übersieht Johannes Fried so manches, was für sein behauptetes Renommeé merkwürdig ist – oder er verschweigt es … Das macht die Sache aber auch nicht besser. Kurz: Ich halte das für eine ausgemachte, freilich medienwirksame und monetär sicher lohnende Scharlatanerie. Lassen Sie sich nicht verwirren! Die Fakentlage deutet in eine andere Richtung. Mit herzlichem Gruß, Ihr Dr. Werner Kleine