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Die Zeit des Wahlkampfes gehört mehr den Floskeln als den großen Visionen. Ein Beispiel hierfür ist der Kampagne-Slogan der CDU: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“1) – hinter diesem Satz verbirgt sich das Parteiprogramm, das eine Vision für ein solches Deutschland vorstellt.2) Es gehört aber eben auch zum Wahlkampf, dass die meisten Leute nur den Slogan, aber nicht die dahinterstehenden Inhalte kennen. Schuld daran sind sowohl die Wähler als auch diejenigen, die gewählt werden wollen. Was will man denn mehr, als gut in Deutschland leben zu können? Im Wahlkampf herrscht die Sprache des Verkaufs. Es soll mit der Stimme bezahlt werden – ein offener Diskurs, eine wahre Debatte, ein Abwägen von Argumenten ist dabei fast hinderlich. Ein Wahlkampf ist orchestriert, wie man es deutlich am streng geregelten und durchgeplanten sogenannten „Fernsehduell“ zwischen Angela Merkel und Martin Schulz sehen kann. Journalistische Fragen treffen auf politische Antworten – ein lange eingeübter Tanz, bei dem der eigentliche Souverän nur passiver Zuschauer ist. Im Wahlkampf sollten nicht nur abstrakte Konzepte aufeinandertreffen und es bedarf keiner um sich selbst drehenden Talkshows, sondern die Politiker müssen sich verantworten im Angesicht des Alltags der Bürger.
Die Sprache des Volkes
Es bedarf im Wahlkampf keiner politischen Sprachspiele. Es müsste eine Sprache gefunden werden, die verständlich in den Alltag der Menschen mit ihren Nöten und Hoffnungen hineinspricht. Die Bedeutung einer solchen Sprache lernt man von den Assyrern, die im Buch Jesaja die Stadt Jerusalem bedrohen. Im Angesicht der Stadt trifft eine Gesandtschaft des assyrischen Königs Sanherib auf eine Gesandtschaft des judäischen Königs Hiskija. Es sind die politischen Eliten, die aufeinandertreffen: auf der einen Seite der assyrische Gesandte, der den Titel Rabschake (d.h. übersetzt Mundschenk)3) trägt, samt einer großen Streitmacht, auf der anderen Seite die drei nach dem König wichtigsten Männer am Hof: der Palastvorsteher Elijakim, der Staatschreiber Schebna und der Sprecher des Königs Joach. Der Inhalt der folgenden Rede des Assyrers ist manipulativ und ideologisch: Er will das Vertrauen Hiskijas und der Jerusalemer in die Richtigkeit der eigenen Entscheidungen und das Vertrauen auf JHWH erschüttern. Dazu spricht er mit den Gesandten des judäischen Königs nicht Aramäisch, die diplomatische Sprache der damaligen Zeit, sondern die Sprache der Bewohner Jerusalems. Diese versuchen dies zu unterbinden und unterbrechen seine Rede:
Da sagten Eljakim, Schebna und Joach zu dem Rabschake: Sprich doch aramäisch mit deinen Knechten, denn wir verstehen es. Sprich vor den Ohren des Volkes, das auf der Mauer steht, nicht judäisch mit uns! Jesaja 36,11
Diese Worte kann man als Schutz der Jerusalemer Bevölkerung gegen die Propaganda oder als Unterdrückung der Wahrheit auslegen. Der Rabschake wendet sich jedoch an die Bürger und folgt nicht diplomatischen Regeln. Mit drastischen Worten wendet er sich an das Volk – denn selbst in einer Königsherrschaft kann von einem Volk große Macht ausgehen.
Doch der Rabschake sagte: Hat mich mein Herr etwa zu nur deinem Herrn und zu dir gesandt, und nicht vielmehr zu den Männern, die auf der Mauer sitzen, um mit euch ihren Kot zu essen und ihren Harn zu trinken? Jesaja 36,12
Der Rabschake konfrontiert die Bewohner Jerusalems mit ihrer bedrohlichen Lage in der belagerten Stadt. Diese Worte und seine folgende Argumentation gegen JHWH bzw. dessen Machtlosigkeit, lassen die Gesandten Hiskijas unbeantwortet:
Da schwiegen sie und antworteten ihm mit keinem Wort, denn der Befehl des Königs lautete: ihr sollt ihm nicht antworten. Jesaja 36,21
Am Ende der Geschichte wird Jerusalem durch Gott gerettet. Hiskija sucht nicht die öffentliche Auseinandersetzung mit den Assyrern, sondern er betet zu Gott um Beistand. Die Geschichte lehrt, dass allein das Vertrauen auf Gott Sicherheit gewährt. Zugleich lässt die Geschichte eine Leerstelle offen, die aus demokratischer Perspektive betrachtet interessant ist. Wie reagierte das umstehende Volk auf die Rede des Rabschake? Klagten sie ihre politische Elite an? Stimmten sie den Worten Rabschakes zu? Oder stellten sie sich in ihrem Gottesvertrauen ihm gar entgegen?
Die Stimme des Volkes erklingt in der Geschichte nicht – obwohl es um ihr Schicksal geht. Man stelle sich nur den Moment vor, wenn einer der Umstehenden Elijakim, Schebna und Joach gefragt hätte: „Was wollt ihr dagegen tun, dass wir in unserer Verzweiflung hier, den eigenen Kot essen müssen?“ Was hätte Rabschake geantwortet, wenn die Jerusalemer ihn gefragt hätten: „Warum sollen wir Dir glauben? Ist es nicht besser, den eigenen Harn zu trinken, als versklavt zu werden?“ Was wäre, wenn die Entscheidung in der Hand des Volkes und nicht in der Hand der Politiker liegen würde?
Die Lehre und die Leerstelle
Von dem assyrischen Rabschake kann man lernen, dass Politik im Angesicht des Volkes gemacht wird. Es bedarf einer Sprache, die die Menschen in ihrem Alltag betrifft. Bei einer solchen Sprache ist die Grenze zwischen Wahrheit und Propaganda zugegebenermaßen verwischt. Daher bedarf es eines mündigen Volkes, für das nicht gesprochen oder geschwiegen wird, sondern ein Volk, das selbst die Stimme ergreift.
Bildnachweis
Titelbild: Hand Microphone, von BreakingTheWall. Lizenz: CC0 1.0 Universal.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. https://www.cdu.de/artikel/fuer-ein-deutschland-dem-wir-gut-und-gerne-leben |
2. | ↑ | Vgl. das CDU-Regierungsprogramm 2017-2021 [Stand: 01. September 2017]. |
3. | ↑ | Dies ist in der damaligen Zeit ein besonders hohes Amt. Zum Beispiel war Nehemia Mundschenk am persischen Hof und wurde mit einer Sondermission in Jerusalem betraut. Ein Mundschenk war eine Person, die dem König besonders nahestand und dem wichtige Angelegenheiten übertragen wurden. |