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Das Kreuz hat schon lange seinen Schrecken verloren. Es ist längst keine Last mehr, die man auf sich nehmen muss. Man schmückt sich vielmehr mit ihm. Für manche mag das Kreuzchen am Hals ein Bekenntnis sein, für andere hingegen ist es lediglich ein skurriles Mode-Accessoire, wie für den Pop-Sänger Justin Bieber, der es anlässlich der Verleihung der Brit Awards 2016 hipp um den Hals trug1). Die Popkultur weiß um den wohlkalkulierten Skandal der Verwendung religiöser Symbole. Sie finden mit schöner Regelmäßigkeit statt und lösen reflexhaft Proteste gerade bei Glaubenden aus. Die mediale Aufmerksamkeit für das nächste Album ist gesichert. Scandal sells! Und Religion ist in diesen Zeiten an sich skandalös.
Im Kreuzfeuer medialer Aufmerksamkeit
Das Kreuz ist also immer noch für einen aufmerksamkeitssteigernden Skandal gut. Das mussten jetzt auch Heinrich Bedfort-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), und Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München-Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), bei der ökumenischen Pilgerfahrt in das Heilige Land erfahren. Im Rahmen dieser Pilgerreise besuchten sie auch den Tempelberg. Hier kam es zu einer bemerkenswerten und in ihrer Symbolik kaum zu unterschätzenden Geste: Die ranghöchsten Vertreter der evangelischen und katholischen Christen in Deutschland legten ihre Amtskreuze ab2). Während von Reinhard Kardinal Marx diesbezüglich bisher keine Einlassung bekannt ist, rechtfertigte sich Heinrich Bedford-Strohm später, bei seinem Verhalten handele es sich
„in keinster Weise um eine Verleugnung des Kreuzes, sondern um eine Antwort auf den Wunsch der Gastgeber“3).
Hinzu komme, dass
„die Atmosphäre (…) an dem Tag wegen des jüdischen Laubhüttenfestes ohnehin ‚aufgeheizt’ gewesen [sei]. Als Repräsentant einer Religion habe er die Aufgabe, Frieden zu stiften. Deshalb habe er sich entschieden, das Kreuz abzunehmen.“4)
Abgesehen davon, ob es dann nicht besser gewesen wäre, den Tempelberg zu meiden und sich bei den Gastgebern freundlich und respektvoll aber bestimmt mit der Bitte um Respekt vor dem eigenen Glauben zu entschuldigen, wirft eine weitere Äußerung Heinrich Bedford-Strohms eine grundsätzliche Frage auf. Er stellt fest:
„Ich muss meinen Glauben für den ich begeistert einstehe, nicht durch ein Kreuz vor mir hertragen.“5)
Die Frage, die hier aufgeworfen wird, ist: Was bedeutet den Christen heute noch das Kreuz? – zumal dann, wenn es nicht mehr bloß privates Schmuckstück, sondern öffentlich sichtbares Zeichen einer Amtstracht ist.
Der vergessene Skandal
Die Allanwesenheit des Kreuzes in kirchlichen und in früheren Zeiten auch anderen öffentlichen Räumen hat dem Kreuz seinen Schrecken genommen. Es wurde zu einem religiösen Symbol degradiert. Aufruhr entstand immer nur dann, wenn Kreuze aus öffentlichen Räumen entfernt werden sollten. Manch eine Mutter und manch ein Vater etwa wanden ein, dass die eigenen Kinder in der Schule nicht auf einen Gemarterten schauen sollten. Bei aller Erregung, die dann selbst die Frommen von den Kniebänken auf die Straße bringt, wurde nur allzu schnell übersehen, dass hier ja zurecht die Grausamkeit des Dargestellten festgestellt wird. Diese Grausamkeit, die den frühen Christen faktisch in ihrer Umwelt vor Augen stand, verhinderte etwa, dass sie sich das Kreuz als Symbol wählten. Das Kreuz der Christen taugte eher zum Spott, wie das berühmte Graffiti in Rom aus dem frühen zweiten Jahrhundert, das einen Gekreuzigten mit Eselskopf und der Unterschrift „ΑΛΕΞΑΜΕΝΟΣ ΣΕΒΕΤΕ ΘΕΟΝ“ (gesprochen: Alexamenos sebete theon „Alexamenos betet Gott an“), zeigt. Man wusste noch um die Schmach des Kreuzestodes, der von Juden wie Christen in diesen Zeiten mit Blick auf einen Vers aus dem Buch Deuternomium als Fluchtod der Gottverlassenheit verstanden wurde:
Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, auf das die Todesstrafe steht, wenn er hingerichtet wird und du den toten an einen Pfahl hängst, dann soll die Leiche nicht über Nacht am Pfahl hängen bleiben, sondern du sollst ihn noch am gleichen Tag begraben, denn ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter.
Es verwundert also nicht, dass die frühen Christen Kreuze nicht öffentlich darstellten. Die älteste, heute noch greifbare öffentliche Darstellung der Kreuzigung Jesu stammt erst aus dem frühen fünften Jahrhundert. Sie findet sich auf der Protaltür der Basilika Santa Sabina in Rom.
Mit dem Kreuz konnte man nicht nur keinen Staat machen. Das Kreuz selbst war ein Skandal, ein intellektuelles Ärgernis, wie Paulus selbst im 1. Korintherbrief feststellt:
Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Das Gründungsparadox
Den Nichtglaubenden erscheint das Kreuz damals wie heute als skandalöses Ärgernis. Die Darstellung eines Gemarterten ist wahrlich kein schöner Anblick. Für Christen hingegen hat sich das Kreuz schließlich doch zum Siegeszeichen gewandelt. Der Grund hierfür ist die Auferstehung des am Kreuz gestorbenen Jesus von Nazareth. Dabei bedeutet diese Auferstehung des Gekreuzigten selbst ein neues Paradox, insofern die Auferstehung von den Toten selbst ja nur gottgewirkt sein kann: Der gottverlassen am Kreuz Gestorbene wird von Gott zum Leben erweckt.
Es ist dieses Paradox, dass die frühchristlichen Theologen umtreibt. Insbesondere Paulus reflektiert diesen scheinbaren Widerspruch immer wieder. Es mag sein, dass es gerade die Verehrung eines Gekreuzigten war, die ihn einst dazu antrieb, die als Blasphemiker zu verfolgen, die an einen Gekreuzigten glauben. Was ihm auch immer vor Damaskus zugestoßen sein mag – er hat hier einen Impuls für eine neue Sichtweise bekommen, ein tieferes Verstehen der inneren Zusammenhänge von Kreuzestod und Auferstehung, ein Erkennen der inneren Logik des Paradoxons von Kreuzestod und Auferstehung, auf die er in seinen uns erhaltenen Briefen dreimal ausdrücklich zu sprechen kommt. Im 2. Korintherbrief schreibt er:
Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.
Im Galaterbrief heißt es:
Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem er für uns zum Fluch geworden ist; denn es steht in der Schrift: Verflucht ist jeder, der am Pfahl hängt.
Schließlich stellt er im Römerbrief fest:
Weil das Gesetz, ohnmächtig durch das Fleisch, nichts vermochte, sandte Gott seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht, zur Sühne für die Sünde, um an seinem Fleisch die Sünde zu verurteilen; dies tat er, damit die Forderung des Gesetzes durch uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist leben.
Totalidentifikation
Die Diktion in den drei Passagen ist immer die Gleiche. Christus ist unter den Fluch gestellt bzw. zur Sünde gemacht worden. Der Kreuzestod an sich war Ausweis genug, dass der, der ihn erlitt, von Gott verlassen sein müsste, mithin verflucht und ein Sünder – ein von Gott Getrennter – war. Die Auferstehung hingegen entlarvt diese Sichtweise als Falsch. Es ist gerade das Paradox von Kreuzestod und Auferstehung, dass das Kreuz zum Heilszeichen werden lässt: Gerade weil Jesus den Fluchtod stirbt und trotzdem von den Toten auferweckt, wird dieses Schicksal als Botschaft Gottes verstanden. Paraphrasiert könnte man Paulus so übersetzen: In Jesus, der als Sohn Gottes nicht von Gott getrennt und daher die Sünde nicht kennen kann, identifiziert sich Gott völlig und total mit dem menschlichen Schicksal, zu dem auch der Tod gehört. Jesus stirbt allerdings den schlimmsten aller denkbaren Tode, den Fluchtod am Kreuz. So sollen auch die sich mit ihm identifiziert wissen, diesen Tod sterben. Diese Totalidentifikation gilt über den Tod hinaus, so dass allen Menschen verheißen wird, dass sie vor und von Gott die letzte endgültige Gerechtigkeit erfahren werden, den großen Ausgleich, von dem Paulus sagt:
Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.
Aufgekreuzt
Wie sehr der christliche Glaube auf dem Gründungsparadox von Kreuzestod und Auferstehung basiert, stellt Paulus bereits im 1. Korintherbrief fest. Dort überliefert er nicht nur das früheste christliche Glaubensbekenntnis, das das Paradox von Kreuzestod und Auferstehung6) formelhaft präsentiert:
Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift.
Er stellt schließlich unumwunden fest:
Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.
Wie wichtig ihm diese Feststellung ist, zeigt ihre paraphrasierende Weiterführung nur wenige Verse später:
Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren.
Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi sind die Basis des christlichen Glaubens. Die, die sich unter diesen Glauben stellen und durch die Taufe in die Kirche eingegliedert werden, Dei Verbum – Sakrament noch einmal, es wirkt:
Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.
In der Untertauchung starb der Mensch mit Christus, aus der Taufe gehoben erstand er mit ihm zu einem neuen Leben auf. Die Taufe kreuzt den Glauben auf. Es schreibt Kreuz und Auferstehung in die Getauften ein. Man muss das Kreuz nicht vor sich hertragen. Man hat es bereits in sich. Und das hat Konsequenzen.
Kreuzesschrecken
Der Schrecken des Kreuzes war den frühen Christen nur allzu bekannt. Aber auch die, die sich zur Auferstehung von den Toten bekannten, kannten die Todesangst. Das Leben ist den Lebenden lieb – und nur allzu schnell sind auch Glaubende bereit, das Bekenntnis zu opfern, wenn es um Leib, Leben und den eigenen Luxus geht. Der Autor des Schreibens an die Hebräer greift daher zu drastischen Mitteln, um die glaubensmüde gewordene Gemeinde aufzurütteln. Er vergleicht das Sühneopfer des Alten Bundes, das am Jom-Kippur-Tag immer wieder wiederholt werden muss (vgl. hierzu Hebräer 9,1-10) mit dem einmaligen Sühneopfer Jesu Christi (vgl. Hebräer 9,11-28), das ein für allemal die endgültige Sühne bewirkt hat und nicht nur nicht wiederholt werden muss, sondern gar nicht mehr wiederholt werden kann. Von hier aus stellt er dann aber eindringlich fest:
Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinweg zunehmen; beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.
Die Konsequenzen für die, die sich des Gekreuzigten zum eigenen Vorteil entledigen wollen, werden drastisch dargestellt. In ähnlicher Weise spricht Jesus selbst im Matthäusevangelium:
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.
Verbergung
Nun fordert Jesus selbst aber nichts Unmögliches. Im Gegenteil! In der Bergpredigt mahnt er:
Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Es ist also gar nicht nötig, den Glauben permanent und öffentlich zur Schau zu stellen. Es ist nicht nötig, in öffentlichen Restaurants auffällig das Kreuz zu schlagen und alle anderen damit zu beschämen. Es genügt ein stilles einfaches Gebet; Gott sieht gerade auf das Verborgene – und das im Guten wie im Schlechten. Denn gerade das Verbergen hat manchen frühen Christen dazu bewegt, gesellschaftlichen Erfordernissen Folge zu leisten, auch wenn sie eigentlich dem eigenen Glauben widersprachen. Die Rede ist hier von dem unter Kaiser Domitian, dessen Amtszeit von 81-96 n. Chr. währte, eingeführten Kaiserkult, der unter anderem dazu dienen sollte, die Treue zu dem als gottgleich verehrten Kaiser unter Beweis zu stellen – ein Unding für gläubige Christen, die allein dem Gott und Vater Jesu Christi göttliche Verehrung zuteilwerden lassen konnten.
Die Verweigerung des Kaiseropfers konnte lebensgefährlich sein. Manch eine Christin und manch ein Christ wird daher einen Kompromiss mit sich selbst geschlossen haben. Die Statue des Kaisers war ja ein Nichts, ein nichtgöttlicher Popanz, über den sich der Seher Johannes in seiner Offenbarung ja geradezu genüsslich und satirisch auslässt (vgl. Offenbarung 13,1-18). Manche mögen ihm deshalb in vorgeschobener Toleranz um des eigenen Lebens und Vorteils willen allein der Form Genüge tuend gefolgt sein. Ihnen aber hält der Seher Johannes entgegen:
Dann sah ich: Ein anderer Engel flog hoch am Himmel. Er hatte den Bewohnern der Erde ein ewiges Evangelium zu verkünden, allen Nationen, Stämmen, Sprachen und Völkern. Er rief mit lauter Stimme: Fürchtet Gott und erweist ihm die Ehre! Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen. Betet ihn an, der den Himmel und die Erde, das Meer und die Wasserquellen geschaffen hat. Ein anderer Engel, ein zweiter, folgte und rief: Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große, die alle Völker betrunken gemacht hat mit dem Zornwein ihrer Hurerei. Ein anderer Engel, ein dritter, folgte ihnen und rief mit lauter Stimme: Wer das Tier und sein Standbild anbetet und wer das Kennzeichen auf seiner Stirn oder seiner Hand annimmt, der muss den Wein des Zornes Gottes trinken, der unverdünnt im Becher seines Zorns gemischt ist. Und er wird mit Feuer und Schwefel gequält vor den Augen der heiligen Engel und des Lammes. Der Rauch von ihrer Peinigung steigt auf in alle Ewigkeit und alle, die das Tier und sein Standbild anbeten und die seinen Namen als Kennzeichen annehmen, werden bei Tag und Nacht keine Ruhe haben. Hier muss sich die Standhaftigkeit der Heiligen bewähren, die an den Geboten Gottes und an der Treue zu Jesus festhalten.
Identitätsverweigerung
Für den Seher Johannes steht ebenso wie für Jesus im Matthäusevangelium fest, dass Gott nichts verborgen bleibt. Die bloße Toleranz vortäuschende Huldigung des Kaiserbildes verleugnet nolens volens immer das Bekenntnis zu dem einen Gott und Vater Jesu Christi. Ihm allein gebührt der Duft des Weihrauchs. Das Rauchopfer, dass die Glaubenden in vermeintlicher Nichtigkeit vor der Kaiserstatue darbringen, wird ihnen deshalb zum Rauch der Peinigung. Er steigt selbst zum Himmel auf. Sie können ihr Verhalten vor Gott nicht verbergen. Wo Standhaftigkeit um des Glaubens willens gefragt gewesen wäre, haben sie nur den eigenen Vorteil gesucht. Das ist keine Toleranz. Es ist die Verweigerung der eigenen Identität, die sie in der Taufe empfangen haben.
Dabei ist wichtig festzustellen, dass selbst der Seher Johannes nur von einem einzigen Märtyrer mit dem Namen Antipas spricht:
Ich weiß, wo du wohnst; es ist dort, wo der Thron des Satans steht. Und doch hältst du an meinem Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet, auch nicht in den Tagen, als Antipas, mein treuer Zeuge, bei euch getötet wurde, dort, wo der Satan wohnt.
Er scheint also eine Ausnahme gewesen zu sein. Und auch das erhaltene Schreiben Plinius’ des Jüngeren an Kaiser Trajan (112 n. Chr.) lässt darauf schließen,
„dass man den Christen nicht nachspürte beziehungsweise sie ausfindig zu machen suchte. Nur auf Anzeige hin wird das Gericht aktiv. Dies bedeutete in der Praxis wohl weithin, dass man Christen, wenn sie nicht durch spezielle Aktionen auffällig wurden, tolerierte.“7)
Die Gefahr für die einzelnen Christgläubigen war also durchaus relativ. Man musste nicht damit stündlich damit rechnen, vor das Kaiserbild gezerrt zu werden8). Wer als Christin oder Christ trotzdem dem Standbild des Kaisers opferte, tat das aus freien Stücken und sicher nicht ohne Hintergedanken um den eigenen Vorteil. Die eigene christliche Identität wird damit dem gesellschaftlichen Renommee geopfert.
Ein Unsymbol
Heinrich Bedford-Strohm – und mit ihm sicher auch Reinhard Kardinal Marx – ist die gute Absicht sicher nicht abzusprechen. Vielleicht lag es wirklich nicht in ihrer Absicht, Öl in das Feuer eines ohnehin konfliktiven Ortes zu gießen. Die zwei Kirchenmänner sind auch so als Christen erkennbar gewesen – sicher. Und doch ist das Ablegen der Amtskreuze ein Unsymbol. Es handelt sich ja gerade nicht um beliebige Schmuckstücke, sondern um Zeichen eines Bekenntnisses, das durch die Taufe tief in die Identität der Getauften eingeprägt wurde. Bischöfe aber haben diesen Glauben auch nach außen zu verkünden und – wenn es sein muss – auch zu verteidigen. Nicht ohne Grund schreibt der Absender an Timotheus, der die Bischofswürde durch Handauflegung empfangen hat:
Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist. Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich also nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen.
Von Bekennermut zeugt das Ablegen der Kreuze nicht, auch wenn Erzbischof Marx den Kardinalspurpur als Zeichen der Bereitschaft zum Blutzeugnis für den Glauben trägt. Es wäre besser gewesen, man hätte die Kreuze anbehalten, sich respektvoll bei den Gastgebern für die Einladung bedankt und wäre fröhlich von dannen geschritten – denn auch der christliche Glaube an den vom Kreuzestod Auferstandenen verdient Respekt. Er ist der Grund, auf dem die Kirche steht – auch und gerade wenn das Kreuz Andersglaubenden ein Ärgernis und der Welt eine Torheit ist. Für Christen aller Konfessionen ist es das Symbol für die Weisheit und Liebe Gottes, der den Menschen in die tiefsten Tiefen des Todes folgt, um sie zur letzten Gerechtigkeit zu führen. Die Botschaft, die diesmal vom Berg des Tempels, in dessen Sichtweite Jesus am Kreuz starb, ausging, sie ist schal. O sola scriptura! Auch alle gut gemeinten Erklärungsversuche macht sie nicht schmackhafter.
Bildnachweis
Titelbild: Eingeprägt 1 (Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal) – alle Rechte vorbehalten
Bild 1: Graffiti “Alexamenos betet seinen Gott an” (Comrade King – Ausschnitbearbeitung: Werner Kleine)- Quelle: flickr.com– gemeinfrei
Bild 2: Kreuzigungsdarstellung der Portaltür Santa Sabina in Rom (Nick Thompson) – Quelle: flickr.com – lizenziert als CC BY-NC-SA 2.0
Video: baptízein – Kath 2:30 Episode 19 (Christoph Schönbach/Katholische Citykirche Wuppertal – Quelle: Vimeo – alle Rechte vorbehalten
Bild 3: Eingeprägt 2 (Christoph Schönbach/Katholische Citykriche Wuppertal – alle Rechte vorbehalten
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. Hierzu Maria Hunstig, Heiliger Bimbam, in: Süddeutsche online, 2. März 2016, Quelle: SZ-Magazin [Stand: 6. November 2016]. |
2. | ↑ | Vgl. hierzu Michael Wolffsohn, Kardinal und Bischof verzichten aufs Kreuz, in: Bild online, 3.11.2016, Quelle: Bild online [Stand: 6. November 2016]. |
3. | ↑ | Zitiert nach: idea, Bedford-Strohm verteidigt Auftreten auf dem Tempelberg, 28.10.2016, Quelle: idea [Stand: 6. November 2016]. |
4. | ↑ | idea, Kreuz abgelegt: Bedford-Strohm verteidigt Entscheidung gegen Kritik, 6.11.2016, Quelle: idea [Stand: 6. November 2016]. |
5. | ↑ | Zitiert nach: idea, Kreuz abgelegt: Bedford-Strohm verteidigt Entscheidung gegen Kritik, 6.11.2016, Quelle: idea [Stand: 6. November 2016]. |
6. | ↑ | Zum Beweis der Tatsächlichkeit der Auferstehung siehe Werner Kleine, Grüße aus Banalistan, Quelle: Dei Verbum – Grüße aus Banalistan [Stand: 6. November 2016]. |
7. | ↑ | Tag des Herrn (Katholische Wochenzeitung für das Erzbistum Berlin und die Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg), 1999, Verweigerung oder Anpassung, Quelle: Tag des Herrn – Katholische Wochenzeitung – online [Stand: 6. November 2016]. |
8. | ↑ | So auch Hans-Josef Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie und Gnosis, Studienbücher Theologie, Bd. 9,2, Stuttgart 1996, S. 74, der feststellt: “Vor einer einseitigen Überschätzung des Kaiserkultes für das Neue Testament wird man eher warnen. Paulus z.B. hätte so unbefangen von der gottgegebenen Gewalt der Obrigkeit nicht reden können, wie er das in Röm 13,1-7 tut, wenn der Kaiserkult für ihn ein alle andere dominierendes Problem gewesen wäre. Auch für die Christenverfolgungen wird di eBedeutung des Kaiserkults meist zu hoch angesetzt. (…) Die Annahme, dass Christen jederzeit udn überall in Gefahr gestanden hätten, zum Opfertest vor ein Kaiserbild geschleppt zu werden udn bei Nichtbestehen das Martyrium erleiden zu müssen, stellt einen krassen Anachronismus dar. |