den Artikel
Wenn jemand sich selbst tötet, stellt dies gemäß dem Gesetzbuch keine Straftat dar. So kann rechtstheoretisch die Beihilfe zum Suizid nicht bestraft werden.1) Nach einer intensiven Debatte hat der Bundestag nun einem Gesetzentwurf zugestimmt, der Beihilfe zum Suizid teilweise unter Strafe stellt – außer im Falle von Familienangehörigen.2) Bischof Felix Genn, hat in einem Interview mit katholisch.de bereits vor der Bundestagsdebatte betont, dass kirchlicherseits die Hospitzbewegung, die christliche Antwort gegen die Aktive Sterbehilfe ist und dabei besonders auf das Ernstnehmen des leidenden Menschen verwiesen.3) Sowohl den Befürwortern als auch den Gegner der Suizidbeihilfe geht es um das Leid der Sterbenden. In der gesetzlichen Frage geht es nicht um ein theoretisches Problem, sondern hinter der abstrakten Debatte um die Suizidbeihilfe steht in den einzelnen Fällen das explizite Leid einer Person, die sich den Tod wünscht.
Ijob sehnt sich nach dem Tod
Wenn eine Hiobsbotschaft den Tod im Leben ankündigt, das Leid überhand nimmt und es keinen Ausweg mehr gibt, dann kann aus dem Lebensdrang der Todeswunsch werden. Das Leben kann unerträglich werden. Dieser Abgrund, mit dem man konfrontiert ist, spiegelt sich in den Worten Ijobs wieder:
Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Mann ist empfangen.
Im Angesicht des Leides will Ijob spurlos vergehen. Die Freude über das Leben hat sich in Leid und Qual verkehrt. Er erfährt das Leben als nicht lebenswert. Ein heilloses Leben leben zu müssen, gleicht einem Fluch. So verflucht er selbst sein Leben und wünscht sich, dass er das Licht des Tages nie erblickt hätte. Drastisch wünscht er sich rückblickend, dass wenn er schon geboren werden musste, so doch zumindest am besten direkt wieder gestorben wäre:
Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich?
Sein Wunsch, sein heilloses Leben von den Anfängen her austilgen zu können, wird zu der klagenden Frage nach dem Warum des Leidens. Es klingt wie eine Frage, die keine Antwort mehr erwartet. Hinter ihr steht der Wunsch, dass die Frage sowie die Qual des Lebens im Tod dem Schweigen verfällt. Die Antwort ist im Endeffekt ein Lobpreis auf den Tod der als Zur-Ruhe-Kommen verstanden wird.
Still läge ich jetzt und könnte rasten, entschlafen wäre ich und hätte Ruhe.
Der Tod wird in Ijob 3,1-26 als positiver Wert empfunden, der das Lebensleid im Nichts verschwinden lässt. Aber auch wenn Ijob den Todeswunsch äußert (vgl. auch Ijob 7,21), begeht er keine Selbsttötung. Für Ijob scheint Gott nicht mehr sein Zufluchtsort zu sein, sondern der Tod bietet sich als Ort der Ruhe an – im Tod sucht Ijob die Geborgenheit, die er von Gott erwartet. Mit dieser Suchbewegung fragt er: Wo ist Gott in meinem Leiden? Im Buch Ijob ist der Todeswunsch ein rhetorisches Mittel im Kampf um das Leben und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit.
Selbsttötung in der Bibel
Dieser Kampf um den Lebenswillen kann auch verloren gehen. Die Bibel kennt die Selbsttötung als letzten Ausweg. Bereits tödlich verwundet, stürzt sich Saul in sein eigenes Schwert, um sein Leiden zu beenden (1 Samuel 31,4).4) Der königliche Berater Ahitofel fällt König David in den Rücken, indem er sich an dem Aufstand dessen Sohns Absalom beteiligt – als sich Absalom dann von Ahitofel abwendet, zieht dieser die Konsequenz aus seiner Situation und erhängt sich (2 Samuel 17,23). Der Suizid Ahitofels wird vom biblischen Erzähler nicht verurteilt, sondern es wird berichtet, dass er im Grab seines Vaters beerdigt wurde. Mit dieser Aussage wird die Selbsttötung nicht explizit gutgeheißen. Aber das ordentliche Begräbnis ist Ausdruck einer Ehrerbietung, die vielleicht als positive Beurteilung der Handlung durch den Erzähler gewertet werden kann. Im Buch Tobit hingegen wird deutlich, dass in biblischer Zeit die Selbstötung in der Gesellschaft auch als Schande wahrgenommen wurde. Nachdem Sara, die Tochter Raguels Spott und Hohn von den Mägden ihres Vaters erleiden muss, wünscht sie sich selbst den Tod:
… sie [Sara] wurde so traurig, dass sie sich erhängen wollte. Aber sie dachte: Ich bin die einzige Tochter meines Vaters. Wenn ich das täte, wäre es eine große Schande für ihn und ich wäre schuld daran, dass der alte Mann vor Kummer ins Grab sinkt.
Sara setzt ihren Todeswunsch nicht in die Tat um, da ihre Selbsttötung Schande über ihren Vater bringen würde. Generell gibt es weder im Alten noch im Neuen Testament ein explizites Verbot der Selbsttötung und die verschiedenen Suizide, von denen in der Bibel berichtet wird, werden auch nicht einhellig bewertet. Ingesamt wird von nur sehr wenigen Selbsttötungen in der Bibel berichtet. Es ist nur ein Randthema. Im Zentrum zum Beispiel des Buches Ijob und der Psalmen steht eher der Kampf um das Leben, bzw. der Kampf mit Gott und gegen Gott um das Leben.
Der Gott des Lebens und des Todes
Die Psalmen5) sind einerseits ein Lobpreis auf den die Lebensfülle schenkenden Gott und andererseits ein emphatischer Protest gegen den mitten im Leben präsenten Tod. In den Psalmen wird die Erfahrung wiedergespiegelt, dass der Tod so massiv in das Leben einbrechen kann, dass ein Mensch sich eher tot als lebendig versteht. Zum Beispiel in Psalm 88 zeigen sich sehr plastisch die verschiedenen Gesichter des Todes, denen der Beter mit einer Klage entgegentritt. Die Klage richtet sich an Gott und das Gebet ist ein Kampf gegen Gott mit Gott. Das Gebet beginnt mit Worten der Zuflucht:
Herr, du Gott meines Heils, zu dir schreie ich am Tag und bei Nacht.
– und zugleich klagt der Beter Gott an:
Du hast mich versetzt in die tiefste Grube, an finstere Orte, in Meerestiefen.
Für den Beter ist der Gott, an den er sich wendet, der Gott der Rettung und er ist der Grund des Leids. Es ist ein Protest gegen Gott und gegen den Tod. Dieser Protest ist aber offen für die Hoffnung, dass es mitten im Sterben Leben geben kann. Diese Hoffnung wird nicht in der Hingabe zum Tod gesehen, sondern in Gott, der von seinem Wesen her als Retter definiert wird. Aber auch die Psalmen spiegeln die harte Realität wieder: Am Ende seines Weges stirbt der Mensch. Psalm 39 reflektiert diese Vergänglichkeit alles Lebens. Es ist das aufrichtige Gebet eines hin- und hergerissenen Menschen – hin- und hergerissen zwischen Leben und Tod:
Hör mein Gebet, Herr, vernimm mein Schreien, schweig nicht zu meinen Tränen! Denn ich bin nur ein Gast bei dir, ein Fremdling wie all meine Väter. Wende dein strafendes Auge ab von mir, sodass ich heiter blicken kann, bevor ich dahinfahre und nicht mehr da bin.
Die zum Gebet in Psalm 39 angebotenen Worte, legen dem Beter nahe, dass die Auflösung des Leids nicht in seiner eigenen Hand, sondern in der Hand Gottes liegt. Den Ausweg, den der Psalm bietet, ist die fragende Zuwendung zu Gott. Es wird nicht die Rettung vor dem Tod erbeten, sondern die Erkenntnis, dass der Tod zum Leben gehört.
Herr, tu mir mein Ende kund und die Zahl meiner Tage! Lass mich erkennen, wie sehr ich vergänglich bin!
Das ist kein Fatalismus, sondern vor allem Ps 39,5-7 sind eine hämmernde Frage an Gott. Es geht um das Begreifen, was diese Vergänglichkeit für den Menschen bedeutet. Was die Einheitsübersetzung mit „tu mir … kund“ übersetzt ist das hebräische Verb ידע (gesprochen: jada), das sowohl „erkennen“ als auch „anerkennen“ bedeutet. Psalm 39 spricht hier Gott als Lebenslehrer an, der den rechten Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit des Lebens ermöglichen soll. Es versteht sich von selbst, dass nicht jeder Mensch mit Ps 31,16a bekennen kann:
In deine Hände [, Gott,] lege ich voll Vertrauen meinen Geist …
Dieses Bekenntnis fällt schwer im Angesicht von Leid und der starken Sehnsucht nach dem ruheverschaffenden Tod. Der Todeswunsch kann stärker sein und er muß ernst genommen werden. Ob der Todeswunsch seinen Ausgang in der Selbsttötung findet, liegt in der Entscheidung der einzelnen Person. Der Mensch muss sich in seinem Handeln vor Gott und sich selbst rechtfertigen. Die Bibel kennt die Selbsttötung und verurteilt sie nicht allgemein, aber sie bekennt auch den Glauben, an den Gott, der die „Macht über den Tag des Todes“ hat (Kohelet 8,8).6)
Das Buch Ijob und die Psalmen sehen in der Selbsttötung keinen Ausweg aus dem Leid. Vielmehr bieten sich diese Texte mit ihren Klagen und Bitten als Begleiter durch das Leid an. Die Psalmen bieten sich dazu an, die Worte des Leidenden zu werden. Sie verbalisieren das Leid und wollen darin den Leidenden und den Sterbenden begleiten. Wenn der Text gesprochen wird, kann er Kraft spenden. Das heißt nicht, dass die Psalmen in in jedem Fall eine palliative Therapie sind. Aber sie plädieren für ein begleitetes Sterben und nicht für eine Selbsttötung.
Bildnachweis
Titelbild: „Still-Life with a Skull (ca. 1671)“ von Philippe de Champaigne. Lizenziert unter CC0 1.0.
Bild im Textverlauf: „Job (ca. 1880)“ von Léon Bonnat. Lizenziert unter CC0 1.0.
Einzelnachweis
1. | ↑ | Vgl. den Kommentar „Lasst die Finger davon“, Thomas Sören Hoffmann, faz.net, 04.11.2015 [Stand: 06. November 2015], der mit dieser Feststellung beginnt und darauf folgend sechs Gesichtspunkte nennt, die dennoch gegen die gesetzliche Erlaubnis der Suizidbeihilfe darstellt. |
2. | ↑ | Vgl. „Bundestag verbietet geschäftsmäßige Sterbehilfe“, ZEIT online, 06.11.2015 [Stand: 06. November 2015]. |
3. | ↑ | Vgl. „Kirche sagt Ja zum Leben. Bischof Felix Genn über Sterbebegleitung und den Tod seiner Mutter“, katholisch.de, 02.11.2015 [Stand: 06. November 2015]. |
4. | ↑ | Vgl. in meinen Artikel zum Thema „Aktive Sterbehilfe“ das Kapitel „Saul bittet um aktive Sterbehilfe“. |
5. | ↑ | Am Tag der Veröffentlichung dieses Textes ist die Beerdigung des großen Alttestamentlers und Psalmenexperten Prof. Dr. Frank-Lothar Hossfeld, der an Allerseelen nach schwerer Krankheit verstorben ist. Möge er nun mit den Psalmisten und Engeln den Lobpreis Gottes singen. |
6. | ↑ | Vgl. in meinen Text zum Thema „Aktive Sterbehilfe“ das Kapitel „Todeswunsch und Gottesfurcht“. |